Joachim Gauck - Teilnehmer des Seminars "Zivilcourage" von
OSI-Dekanin Gesine Schwan
Nach 1989 kann sich der Westen nicht mehr nur als Gegenstück der
Diktaturen im Osten legitimieren, wie also will er seine Fundamente
begründen und Orientierung vermitteln? Daß man sich nicht beruhigt dem
Treiben der Geschichte überlassen darf, ist für Joachim Gauck klar: "Die
Weiterentwicklung der Demokratie versteht sich nicht von selbst."
Als Beleg führt er ein Zitat von Klaus Megerle an: "Der
Werterelativismus der Weimarer Zeit stellte die Verfassung zunehmend in
Frage." Verbindliche Werte sind also eine Voraussetzung für die
Demokratie. Einer der Werte, den Gauck als fundamental ansieht, ist die
Zivilcourage, das Eintreten für die Würde der einzelnen Person.
Der Hüter der Stasi-Akten fragte bei seinem Vortrag am
Otto-Suhr-Institut Mitte Januar nach Vorbildern und fand sie in den
Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 ebenso wie im Wehrmacht-Deserteur
Alfred Andersch und wie nicht zuletzt auch unter den "einfachen" Leuten.
Gauck schilderte das Beispiel einer Rentnerin in der DDR, die von
Stasi-Offizieren aufgefordert wurde, den im gleichen Haus wohnenden Arzt
und seine Lebensgefährtin auszuhorchen. Sie stimmt freudig zu. Nach
wenigen Wochen kommen die Offiziere wieder und werden unerwartet
freundlich begrüßt. Ob sie etwas erreicht habe, wird die Renterin
gefragt. "Oh ja", antwortete sie, sie habe getan, was von ihr verlangt
wurde, sei gleich nach dem Besuch zum Arzt gegangen und habe ihm von dem
Gespräch erzählt. Der Eintrag des Stasi-Offiziers in der Akte lautete:
Die Frau hat sich dekonspiriert und ist für die Mitarbeit ungeeignet.
Solche Haltungen und Handlungen sind es, die nach Gaucks Worten
"jede Generation neu erlernen muß", aber auch "wieder verlieren" kann.
Letzteres veranlaßte den ehemaligen Rostocker Pfarrer zu der Mahnung,
Zivilcourage immer wieder zu "trainieren". Eine Aufgabe nicht nur für
die Politikwissenschaft.
Stefen Niemeyer
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