Frauen in der Tiermedizin

Idealistinnen und Närrinnen?


Vor allem Frauen arbeiten unter Preis oder hospitieren zum Nulltarif


Vor genau 80 Jahren verließ die erste Frau als examinierte Tierärztin die Königliche Tierärztliche Hochschule zu Berlin. Heute beträgt der Studentinnenanteil 71,6%, in den unteren Semestern sogar um 80 %.

Es heißt, Frauen strömten angefüllt mit Tierliebe, Idealismus und dem Wunsch, ausschließlich Pferdetierärztin zu werden, in dieses Studienfach. Nachher seien sie bitter entäuscht, wenn sie erkennen müßten, da& szlig; sie völlig falsche Vorstellungen hatten. Tatsächlich spielen für 60% der Studentinnen (und 30% der Studenten) Erfahrungen im Umgang mit Pferden eine Rolle bei der Studienfachwahl, aber nur sehr wenige haben ausschließlich die P ferdepraxis als Berufsziel vor Augen. Die Hauptmotivation ist für beide Geschlechter der Wunsch, mit Tieren umzugehen, kranken Tieren zu helfen, medizinisch-naturwissenschaftliches Interesse und Naturverbundenheit. Weiterhin machen die berufliche Vie lfalt und mögliche Selbständigkeit den Beruf attraktiv. Der Reitsport dürfte bei Mädchen das Selbstvertrauen gestärkt haben, den Anforderungen einer tierärztlichen Gemischtpraxis gewachsen zu sein - denn in die Gemischtpraxis (Groß- und Kleintiere) möchten fast alle. Bleibt die Frage, warum sich Männer kaum noch für dieses Studienfach interessieren. Vermutlich gibt es einfach viel weniger Jungen, die sich Haustieren so verbunden fühlen, daß der Idealismus ausreichte, einen Beruf mit schlechten Verdienstaussichten bei verschleißenden Arbeitsbedingungen zu wählen.

Fühlt man sich dennoch berufen, Tiere zu kurieren und hat einen der begehrten Studienplätze bekommen, lernt man in der Vorklinik schnell, viel auswendig zu lernen und wenig selbständig zu denken. Die Hoffnung, ein lebendes Tier zu sehen, wird auf das 5. Semester verschoben. Eine Prüfung jagt die andere und wer tatsächlich nur mit dem Motiv Tierliebe das Studium begonnen hat, wird bald das Handtuch werfen. Im klinischen Teil des Studiums locken Fächer wie Fleischhygiene, T ierseuchenbekämpfung und Lebensmittelhygiene. Während man unzählige Paragraphen einschlägiger Rechtsvorschriften auswendig lernt, fragt man sich, was das mit dem ursprünglichen Berufswunsch zu tun hat. Gelegentlich sieht man ein k rankes Tier, manchmal aus der Nähe, meistens aus der Ferne. Der Unterricht in Gruppen direkt am Patienten ist eine wohltuende Abwechslung - aber leider viel zu selten. Die Studierenden sind nicht in den alltäglichen Klinikbetrieb integriert und für freiwilliges Engagement läßt der vollgestopfte Stundenplan kaum Zeit. Wachsende Semestergrößen, unzureichende Betreuungsdichte und überfrachtete Lehrpläne haben sicherlich nicht zu einer Verbesserung geführt. Die klinischen Praktika sind da echte Lichtblicke, das Schlachthofpraktikum dient aber eher als Negativkontrast.

Hat man auch die 33. Prüfung geschafft folgt das Studium der Stellenanzeigen. Diese lesen sich oft wie Realsatire, wenn für Groß- und Gemischtpraxen männliche, verheiratete Bewerber gesucht und für eine 6-Tage-Woche 2.800.- br utto geboten werden. Alternativ kommt eine unbezahlte Doktorarbeit in Frage. Neben der wirklich guten und ungewöhnlich breiten theroretischen Ausbildung wurde leider versäumt, das nötige Selbstbewußtsein um die erworbene Qualifikation mit zu vermitteln.

Vor allem Frauen arbeiten "unter Preis" oder hospitieren zum Nulltarif, um überhaupt irgendwie Fuß zu fassen. Wem mittlerweile der Idealismus für die Praxis ganz abhanden gekommen ist, ist jetzt zum ersten Mal richtig froh, einen Beruf zu haben, der viele Möglichkeiten außerhalb der Praxis bietet. Theoretisch, denn freie Stellen sind im Öffentlichen Dienst oder in der Industrie noch rarer als in der Praxis. Aber allen Übeln zum Trotz ist die Tiermedizin ein vielseitiger, wunderbarer Beruf - für Frauen wie für Männer.

Bettina Maurer


Bettina Maurer ist seit 1986 am Fachbereich Veterinärmedizin der FU immatrikuliert. Nach dem 3. Staatsexamen 1992 begann sie die Arbeit an ihrer Dissertation zum Thema "Frauen in der Tiermedizin".

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