Nach der Fusion: Perspektiven der Veterinärmedizin

" Neue Spielzeit im Theatrum Anatomicum "


Für Generationen von Vetrinären die Stufen zum Erfolg: Das anatommische Theater an der Berliner Luisenstraße


Die Tradition des Faches Veterinärmedizin in Berlin geht zurück auf die 1790 gegründete Tierarzneischule, die 1887 in eine Tierärztliche Hochschule umgewandelt und schließlich 1937 als Fakultät der damaligen Friedrich-Wilhelm-Universität angegliedert wurde. Historischer Standort dieser Fakultät ist der Platz an der Luisenstraße in Berlin Mitte, zur Zeit der Gründung der Bertramsche Garten, in dem in den Jahren vor der Eröffnung der Tierarzneischule am 1.6.1790 unter der Leitung des Architekten Langhans die sowohl für den Unterricht als auch für die Behandlung der Tiere notwendigen Gebäude errichtet wurden. Von diesen Gebäuden ist bis heute das Theatrum Anatomicum erhalten, das als Herzstück der Tradition dieses Faches in Berlin anzusehen ist. An diesem Standort wurden bis 1945 Generationen von Tierärzten und Tierärztinnen aus dem In- und Ausland (besonders aus Osteuropa) ausgebildet. Die Leistungen dieser Forschungs- und Ausbildungsstätte waren national und international bekannt und anerkannt.

Mit dem Ende des 2. Weltkrieges begann eine fast 50jährige Interimszeit. Obwohl der Unterricht schon bald nach dem Kriege wieder aufgenommen werden konnte, litten die Arbeits- und Studienbedingungen unter den Folgen des beginnenden Kalten Krieges. Die politischen Spannungen führten schließlich zur Gründung der Veterinärmedizinischen Fakultät an der Freien Universität im Jahre 1951. In der Zeit danach bis zur Wiedervereinigung verlief die Entwicklung beider Fakultäten zwangsläufig ganz unterschiedlich, es entwickelten sich verschiedene Leistungsprofile.

Die nach der Wende einsetzende Diskussion über die Neustrukturierung des Wissenschaftsstandortes Berlin erfaßte sehr früh die Veterinärmedizin. Trotz der zu Beginn dieser Diskussion aufgetretenen Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen über Sinn und Zweck einer möglichen Fusion beider Fachbereiche besteht heute Einigkeit darin, daß die Neugründung eines Fachbereichs Veterinärmedizin aus finanz-, hochschul- und berufspolitischen Gründen notwendig war.


Durchblick für Tierärzte: Die gläserne Kuh


Die zu Beginn der Fusion zu lösenden Probleme waren nicht einfach. Aus diesem Grunde ist ein Fusionszeitraum von 5 Jahren bis 1997 vorgesehen. Der Personalbestand in beiden Fachbereichen mußte von etwa 830 Mitarbeiter/innen auf 470 reduziert werden, gleichzeitig die Ausbildung der am Beginn der Fusion immatrikulierten Studierenden sichergestellt werden. Die Ausbildungskapazität (NC-Fach) wurde von etwa 340 Studierenden pro Jahr auf 215 abgesenkt. Mit dieser vorgesehenen Größe nimmt der Fachbereich in Berlin den dritten Platz unter insgesamt fünf tierärztlichen Bildungsstätten in der Bundesrepublik ein.

Die Rahmenbedingungen für die hierzu notwendigen Maßnahmen wurden durch das Fusionsgesetz von 1992 vorgegeben. Drei Jahre nach dem Beginn der Fusion ist eine erste, vorsichtige Bilanz möglich. Der Personalabbau ohne Kündigung umfaßt bisher etwa 200 Personen. Von dem noch verbliebenen Personal, das weitgehend noch bis zum Ende der doppelten Ausbildung bis Anfang 1997 benötigt wird, wird über die Hälfte aufgrund befristeter Arbeitsverträge ausscheiden, so daß bis 1997 allein dieser Fachbereich etwa 300 Stellen eingespart hat. Das dann noch verbleibende (Überhang)Personal wird dann innerhalb des Fachbereichs bzw. der FU umgesetzt werden müssen.

Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Fusion zeitweise das gesamte Fach Veterinärmedizin außerordentlich belastet hat. Dies ist auch heute noch in den Bereichen der Fall, die die doppelte Ausbildung bis 1997 sicherstellen müssen. Als Folge dieser Beanspruchung haben Lehre und Forschung gelitten. Sichtbar und spürbar wird jetzt aber auch der Neubeginn der Arbeit im neu strukturierten Fachbereich. Die schon erwähnten unterschiedlichen Leistungsprofile ergänzen sich positiv, der gleichzeitig einsetzende Verjüngungsprozeß des Lehrkörpers durch Neuberufungen, die zu Beginn der Fusion aus verständlichen Gründen völlig storniert wurden, ist mit einer deutlichen Zunahme der Aktivität auf allen Gebieten des Fachbereichs verbunden, die u.a. auch dadurch gekennzeichnet ist, daß versucht wird, den sich ändernden und für die Zukunft zu erwartenden Anforderungen gerecht zu werden.

Alle Überlegungen, Diskussionen dieser Art und die sich daraus ergebenden Konsequenzen müssen sich dabei zunächst an der nüchternen Tatsache orientieren, daß die Veterinärmedizin a priori eine angewandte Wissenschaft ist, d.h. dieses Fach hat die Aufgabe, erkrankte Tiere zu heilen, deren Schmerzen zu lindern und das Auftreten von Erkrankungen durch Prophylaxemaßnahmen zu reduzieren. Diese im weitesten Sinne kurative Tätigkeit orientierte sich zunächst primär an der wirtschaftlichen Bedeutung von Erkrankungen landwirtschaftlicher Nutztiere. Heute dominiert jedoch in der kurativen Praxis die Behandlung der kleinen Haustiere (Hund, Katze) sowie der Tiere, die für Sport, Freizeit und Hobby gehalten werden (vom Meerschweinchen bis zum Pferd). Diese Entwicklung wird sich infolge der Umstrukturierung in der Landwirtschaft weiter fortsetzen. Diese Interessenverschiebung kann ein Fachbereich Veterinärmedizin in fast idealer Weise wahrnehmen, wenn wie in Berlin der Standort am Rande einer Großstadt gegeben ist. Ein weiterer grundlegender Aspekt der tierärztlichen Tätigkeit ist der Schutz des Menschen vor gesundheitlichen Schäden, sei es durch direkten Kontakt mit Tieren, sei es durch vom Tier stammende Lebensmittel. In diesem von Public Health und Verbraucherschutz bestimmten Aufgabenbereich kommt der Fleisch- und Lebensmittelhygiene eine wichtige Rolle zu. Die traditionell starke Stellung dieser Fächer in Berlin ist durch die Fusion bestätigt worden.

Dieses außerordentlich breite Spektrum tierärztlicher Tätigkeit, das sich ständig erweitert, weil neue Krankheiten auftreten (Rinderwahnsinn), klassische Tierseuchen (Schweinepest) neue Probleme stellen oder Lebensmitteltechnologien verändert werden, kann weder für die Lehre noch für die Forschung in den veterinärmedizinischen Bildungsstätten mit Hilfe eigener Ressourcen (Versuchsgüter etc.) angeboten werden. Aus diesem Grunde muß jede Bildungsstätte ein Angebot von Dienstleistungen für die potentiellen Nutzer bereithalten, das den Bedürfnissen einer zeitgemäßen Lehre und Forschung gerecht wird. Hierzu gehören der übliche Klinikbetrieb, diagnostische Leistungen und die ambulatorische Tätigkeit. Die z.Z. vorhandene personelle und materielle Ausstattung des Fachbereichs erlaubt die angemessene Wahrnehmung der o.a. Verpflichtungen unter der Voraussetzung, daß nach der weitgehenden Räumung des traditionellen Standortes in Berlin Mitte die Bauvorhaben am Standort Düppel verwirklicht werden, die der Wissenschaftsrat empfohlen hat und die planerisch vorbereitet worden sind. Damit wären dann nach über 50 Jahren wieder die Bedingungen geschaffen, um die gute Tradition dieses Faches in Berlin international anerkannt fortzusetzen.

Holger Martens / Volker Bergmann


Holger Martens ist Professor am Institut für Veterinär-Physiologie der FU. Volker Bergmann ist Professor am Institut für Veterinär-Pathologie und Prodekan des Fachbereichs Veterinärmedizin.


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