Alles pappig

Zur Kultur des Hamburgers - Viel mehr als nur ein Produkt


Kurz vorm ins McDonald's, kurz danach schon wieder. Fast-food ist nicht nur schnell verzehrt, es ist auch schnell verdaut. Selten sättigt es so, daß es wirklich im Magen liegt, selbst bei doppelter Portion. Sie stehen auf und haben eigentlich gar nichts gegessen. Sie gehen weg, weil Sie nun irgendwie genug haben. Das Ambiente ist angenehm, lädt aber nicht zum Verweilen ein. Nicht, daß die Stühle zu unbequem wären, wie in einschlägigen New Yorker Restaurants. Dort muß aus Umsatzgründen die Verweildauer der Kunden knappgehalten werden. Bei McDonaldâs sind nicht die Stühle an sich schuld. Das Mobiliar ist einfach insgesamt zu nüchtern. Filialen dieser Kette haben daher automatisch eine hohe Umschlaghäufigkeit pro Tisch. Ständig neue Gäste. Ein unaufhörliches Geschiebe.

Wer kommt? Alles, was Beine hat. Groß und Klein. Für die ganz, ganz Kleinen wird sogar sehr viel getan: Geburtstagsfeste mit McDonaldâs-Geschenkpackungen, Luftballons gratis. Keine Unterscheidung in Milieus, keine Cliquenwirtschaft. Alle essen mehr oder weniger zusammen und meistens dasselbe: Rindfleisch mit Zwiebeln und Ketchup. Alles pappig, wie das unvermeidliche Brötchen, das die klebrige Packung zusammenhält. Dazu Pommes und Cola. Und das an den besten Adressen. In Berlin, Rom, Paris und Moskau. Neuerdings in Wladiwostok. Natürlich in Tokio. Vermutlich auch in Peking. Wenn nicht, dann sicher bald.

Bemerkenswert die amerikanische Fähigkeit, Produkte weltweit zu vermarkten. Mit Coca-Cola fing es an, mit McDonald's geht es weiter. Es sind nicht einfach nur Produkte. Die würden nicht die Welt erobern. Zum Vergleich: Die Hühnchen aus dem âWiener Waldâ. Das ist typisch Europa. Coca-Cola und McDonaldâs stehen für ein weltweites Lebensgefühl, die europäischen Hühner nicht. Sie schaffen kaum den âFlugâ über den Atlantik, sind nicht global verwertbar. Provinzielles europäisches Marketing.

Wer hier den Unterschied von E und U ins Spiel bringt, irrt. Zwar sind die amerikanischen Produkte zu Ikonen der Popkultur geworden, aber Pop ist der Tendenz nach beides: U- und E-Kultur. Dem haben die Europäer nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Das Genre wird kaum kultiviert. Auch nicht im Film, von Ausnahmen abgesehen. Stattdessen klammert man sich krampfhaft an âeuropäische Identitätâ, um sich auch darin abzugrenzen. Wir sind zu ernst für den globalen Wettbewerb.

Fleisch von Hamburgern ist Hits aus Hollywood verwandt. Ihr Geschmack gleicht dem der Seifenoper. Die wird ebenfalls von Groß und Klein verstanden - auf der ganzen Welt. Sie schließt bald jeden in den Genuß der Sache ein. Wie bei MDonald's. Schwellenängste gibt es nicht. Auch die Angst, vielleicht von anderen Leuten aus dem eigenen Milieu gesehen zu werden, wird mit der Zeit verfliegen. Weil alle ohne Ausnahme zum potentiellen Kundenstamm gehören.

Nicht zu vergessen die Entlastung von Manieren. Gehe ich in ein gutes Restaurant, so muß ich mich benehmen. Jedenfalls so tun. Und das ist anstrengend. Nichts, heißt es, verliert man so leicht, wie gute Manieren. McDonald's-Filialen kommen dem zuvor. Sie liefern ein Menü, bei dem gute Manieren fehl am Platze wären. Man kann Hamburger nicht mit Messer und Gabel essen. Man muß sie mit den Fingern in sich hineinstopfen und den Kopf nach vorne beugen. Sonst fließt die Ketchup-Soße sonst wohin. Aus ästhetischer Sicht unmöglich. Aber das schlechte Gewissen bleibt aus, da das Eßverhalten vom Produkt erzwungen wird.

Alles in allem eine ideale Ware. Sie emanzipiert den Esser nicht nur vom guten Geschmack und guten Benehmen, sie emanzipiert ihn auch von den herkömmlichen Essenszeiten und Mahlzeittypen. Hamburger kann man immer verdrücken. Und was die Emanzipation vom guten Geschmack betrifft, so wird der schlechte, der an seine Stelle tritt, mit Vergnügen zelebriert. Das Seifenopernhafte dieses Stückchens Fleisch mit Ketchup läßt den ganzen Hamburger zu einer Soße werden. Einer Soße, die wir mit ewig-kindlicher Freude in uns hineinstopfen. Und wenn nicht alles täuscht, schmeckt man dieser Soße sogar den Marketingcharakter an.

Viel zu tun also, um die Amerikaner in ihrer Fähigkeit zu globaler Vermarktung nachzuahmen. Europäische Identität hin oder her: Wir müssen aus der Weltfremdheit heraus und künftig Weltnähe kultivieren. Sonst entgehen uns die Fleischtöpfe der Zukunft. Unsere Identität wird es verkraften.

Erik Grawert-May


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