Hans-Joachim Neubauers Dissertation "Judenfiguren. Drama und
Theater im frühen 19. Jahrhundert" ist im letzten Jahr bei Campus
erschienen. Das Buch handelt von den dramatischen und theatralen
Bildern, die eine christliche Gesellschaft von den sich emanzipierenden
Juden entwarf, und zwar im frühen 19. Jahrhundert, der Kernzeit der
jüdischen Emanzipation, als die Judenfeindschaft zum common sense
gehörte. Dabei geht es nicht nur um die Rollen, die jüdische Figuren
auf der Bühne einnehmen, wie sie das tun und welche ihnen verwehrt sind.
Der sensationelle Massenerfolg dieses Theaters - das die kleinen Leute
ebenso goutierten wie die feinen - korrespondiert mit einer speziellen
Theatertechnik, jüdische Figuren auf der Bühne sprechen zu lassen, ein
Jargon mit einer besonderen Bedeutung. Und schließlich geht es um die
Frage, was wohl das damalige Publikum an diesen Figuren so lustig fand,
also darum, wie die ästhetische Seite gesellschaftlicher Prozesse mit
der sozialen Dimension des Ästhetischen zusammenhängt. Viele der über
130 gefundenen Stücke sind Lustspiele, Possen, Farcen. Die neue Figur
des komischen Juden wird zum Publikumsmagneten. Wenn sie auf die Bühne
kommt, versucht der Schauspieler, in Sprache und Stimme das Judentum der
Figur zu Gehör zu bringen, als läge es in der Natur seiner Rolle. Die
neue komische Figur der Zeit lebt davon, in der komischen Projektion im
Neuen immer das unverändert Alte zu beschwören. In diesem komischen
Theater gibt es als Figuren nur Juden, die keine sein wollen, und genau
das wird als ihr jüdisches Wesen behauptet. Was das Publikum daran so
ergötzte, war das ewige Scheitern dieser Figuren. Lachend schloß man
sich im billigen Bewußtsein seiner Überlegenheit zusammen, bespöttelte,
kicherte, witzelte - über die Bühnenfiguren ebenso wie über den
jüdischen Nachbarn und Konkurrenten, den nachzuäffen zum geselligen Spaß
wurde. Ganz nebenbei übte man wirksam die Perspektive ein, die im
Theater Komik, in der Gesellschaft aber Stigma bedeutet: Das Theater als
Schule der Ausgrenzung. Bedenkt man das betäubte Herz der Lachenden,
dann ahnt man, daß mit dem Gelächter nach solchen Vorstellungen nichts
zu Ende war, sondern daß damit alles eigentlich erst seinen Anfang nahm.
hh