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Das Vinyl

Autorin: Sabrina Kuhnwaldt
für das Seminar Materialität & Dinge, Wahrnehmung & Handeln, ausgerichtet im Sommersemester 2007
am Institut für Soziologie der TU Darmstadt
von Lars Frers

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Inhalt

Essay

Wer dieser Tage in einen Club für elektronische Tanzmusik – sprich einen Technoclub – geht, der trifft dort zum einen auf eine feierwütige Meute und zum anderen auf DJs, die in diesen Clubs auflegen, um den Leuten so richtig einzuheizen und um sie in absolute Feierlaune zu versetzen.

Es geht mir hier jetzt nicht um die Beschreibung einer Clubkultur oder um die Unterscheidung der Bier- oder Cocktailtrinker, sondern um das Auflegen an sich. Genauer gesagt, womit aufgelegt wird. Dies sind nämlich in der Regel schwarze runde Scheiben, auf denen Töne analog aufgezeichnet sind – Schallplatten oder auch kurz Vinyl genannt. Das Vinyl ist eigentlich ein organisches Molekül, welches eine Vinylgruppe enthält. Das gängige Wort Vinyl ist die Kurzform für Polyvinylchlorid (PVC), aus diesem Material wird die Schallplatte seit 1948 hergestellt. Ihr Vorläufer waren die Schellackplatten die noch bis 1960 hergestellt wurden. Die Schallsignale sind in einer spiralförmigen, zum Mittelpunkt der Platte verlaufenden Rille gespeichert, deren Rillenwand entsprechend der Amplitude des Schallsignals ausgelenkt ist. Normalerweise wird sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite der Schallplatte aufgezeichnet (die sog. A bzw. B-Seite). Die technische Ausführung hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert, um die Spieldauer, den Frequenzgang und die Haltbarkeit des Vinyls zu verbessern. In der Zwischenzeit haben sich auch verschiedene Formate entwickelt, folgende sind die gängigsten:

  1. Langspielplatte (LP): Durchmesser: 12" (30,48 cm), früher auch 10" (25,4 cm); Mittelloch: 7 mm; Abspieldrehzahl: 33 1/3 min, selten auch 45 min; Spieldauer etwa 20 bis 25 Minuten pro Seite.
  2. Extended Play (EP): Durchmesser: 7" (17,78 cm) oder 12" (30,48 cm); Mittelöcher wie Single oder Maxi-Single; Abspieldrehzahl: 45 min oder 33 1/3 min; Spieldauer 5 bis 8 (12" bis 15) Minuten pro Seite. Die EP stellt ein Zwischenformat zwischen Single und Langspielplatte dar.
  3. Maxi-Single (Twelve-Inch): Durchmesser: 12" (30,48 cm); Mittelloch: 7 mm; Abspieldrehzahl: 45 min; Spieldauer bis etwa 16 min pro Seite.
  4. Single: Durchmesser: 7" (17,78 cm); Mittelloch 1 1⁄2" bzw. 38,1 mm, auch 7 mm; Abspieldrehzahl: meistens 45 min, selten auch 33 1/3 min; Spieldauer etwa 4 bis 5 Minuten pro Seite (siehe Abbildung).
Foto von einer Single

Eine Spezialform stellt die Picture Disc dar, sie ist eine spezielle Form der gängigen Schallplatte. Statt ihrer gewöhnlichen schwarzen Farbe ist ein Bild auf der Oberfläche eingearbeitet. (siehe Beispiel) Die ersten Picture Discs erschienen in den 1970ern und stellten eine Weiterentwicklung von farbigen und transparenten Schallplatten dar. Picture Discs werden sogar bis heute in kleinen Auflagen hergestellt.

Zurzeit verwendeten eigentlich fast alle Musiklabels für elektronische Tanzmusik bei ihren Erstveröffentlichungen das 12"-Format, also die Maxi-Single. Auf der A-Seite befindet sich das Hauptmusikstück und auf der B-Seite meistens zwei Remixe von verschiedenen Künstlern. Die 7" wird fast ausschließlich im Reggae-Bereich verwendet. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie deutlich günstiger ist, als das 12"-Format.

In einer Zeit der digitalen Revolution mit neuen Komprimierungsformaten wie mp3, oder der Einführung der CD in den 1980er Jahren, könnte man annehmen, dass die schwarzen runden Scheiben eigentlich ausgestorben sind. Doch weit gefehlt – laut einer Studie auf Grundlage des DJ SURVEY 2006 [1] legen 58% der DJs nach wie vor mit Vinyl auf und 70% gaben an, dass ihr beliebtestes Format für Erstveröffentlichungen weiterhin das Vinyl ist. Es ist in der Tat richtig, dass das Vinyl in einem durchschnittlichen Haushalt heutzutage fast keine Verwendung mehr findet. Es gibt nur noch vereinzelt Plattenspieler, meistens lassen sich diese bei den Großeltern oder noch bei Liebhabern der guten alten Plattensammlung finden, die sich davon nicht trennen können und nicht jede Platte, die sie besitzen auch auf CD nachkaufen möchten oder wollen, da zum Beispiel bei klassischer Musik der Klang doch um einiges schlechter sein kann. Plattenspieler und Vinyl findet man also hauptsächlich bei den Menschen, die professionelle Musik machen, zumindest was den Bereich der elektronischen Tanzmusik betrifft. Es ist zwar richtig, dass sich eine gewisse digitale Revolution auch im Bereich des Auflegens bemerkbar macht und ein DJ ein ganzes Live-Set, welches zwischen 2-4 Stunden dauern kann, mit dem Laptop einspielen kann, aber folgendes Zitat von DJ Rush aus der aktuellen Ausgabe der Raveline (Nr. 172 / 07.2007) macht deutlich, warum DJs doch lieber mit Vinyl auflegen als mit dem Laptop: Ich bin halt altmodisch, ich liebe Vinyl und das Gefühl von schwarzem Wachs in meinen Händen. Ich spiel auch CDs, nur unveröffentlichte Songs oder meine Remakes. Das gibt meinen Sets das gewisse Etwas und ich muss nicht befürchten, dass jemand vor oder nach meinem Set die gleichen Stücke spielt. Wenn es um Musik geht, sind Computer nichts für mich. Ich habe gerne in allen Situationen die Kontrolle, ich bin ein Gefühlsmensch… Wie dieses Zitat auch schön zeigt, spielt hier also die Materialität eine große Rolle. Musik zum Anfassen in Form einer 12" – Musik will wahrgenommen werden, es ist also nicht das gleiche Gefühl, ein Lied einfach über den Laptop abspielen zu lassen – man muss die Platte in den Händen halten. Somit sind sich DJs und Musiklabels für elektronische Tanzmusik einig, dass das Vinyl einen gewissen Stellenwert hat und die Erstveröffentlichungen auch immer zunächst auf Vinyl erscheinen und später erst über Onlinemusikportale wie iTunes [2] oder Beatport [3] angeboten werden. Es ist dadurch lediglich ein weiterer Markt für die Verbreitung von Musik entstanden.

Ein DJ muss, bevor er zum Auflegen in den Club geht, zu Hause seine Plattentasche packen. Er kennt den Namen des Clubs, Ort und Uhrzeit seines Auftritts, aber meistens nicht das Publikum. Er muss sich also schon zu Hause beim Packen überlegen, welche Platten er mitnehmen will, was er spielen will. Er muss ein Gefühl dafür entwickeln, welche Plattenan diesem Abend gut funktionieren und welche vielleicht nicht. Das Vinyl verkörpert auch einen ganz bestimmten Mythos. Es war, neben der Schellackplatte, schließlich das erste Ding, auf das transportable Musik gepresst wurde. Damit war es möglich nicht nur Musik über das Radio zu hören, sondern man war nun in der Lage Platten aufzulegen und konnte damit die Musik hören, die man wollte, in diesem Moment, passend zur Stimmung oder auch zur gezielten Erzeugung einer bestimmten Stimmung.

Heute wie damals betrifft das Auflegen von Vinyl eine ganz bestimmte Schicht oder Gruppe der Gesellschaft. Plattenspieler waren früher sehr teuer, weil sie kein Massenprodukt waren. Die Plattenteller, mit denen DJs heute auflegen sind technisch hoch gezüchtete teure Instrumente, wie zum Beispiel der sog. Urvater des analogen Plattenspielers, der Technics 1210 MK 2, der Plattenspieler der Plattenspieler, der einen Neupreis von ca. 800 – 1000 Euro hat. Demnach haben früher wie heute nur bestimmte Personengruppen Zugang zu Vinyl. In diesem Zusammenhang fällt mir Pierre Bourdieus Habitus-Konzept und der Raum der Lebensstile ein. Musikliebhaber können in unterschiedliche Gruppen klassifiziert werden. Das Vinyl agiert hierbei als modus operandi [4], als strukturierende Struktur der Gesellschaft in Vinyl-Liebhaber bzw. Besitzer und den Gruppen, die sich niemals Vinyl kaufen würden und auch nicht besitzen. Plattenspieler die einen Neupreis von fast 1000 Euro haben verkörpern einen ganz bestimmten Lebensstil, der Plattenspieler fungiert als Objekt der Abgrenzung zu anderen Lebensstilen. Betrachtet man den Lebensstil eines DJs, dann stellt man relativ schnell fest, dass dies eine völlig andere Art und Weise ist zu Leben und sich dies nicht nur in dem Kauf von Vinyl und Plattenspielern widerspiegelt, sondern auch den Konsum ganz bestimmter Kleidungsstücke und Modelabels nach sich zieht. Der Geschmack bildet den praktischen Operator, der den Lebensstil in die physische und symbolische Ordnung unterteilt. Der Geschmack bewirkt, dass man hat, was man mag, weil man mag, was man hat. [5] Der Musikgeschmack, welcher sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat, wird zum einen über das Hören und zum anderen über das Anfassen wahrgenommen, über das physische Produkt Vinyl. Dies ist den Liebhabern von alten Plattensammlungen, den DJs und nicht zuletzt den Liebhabern von elektronischer Musik besonders wichtig. Es geht hier nicht einfach nur um die Musik, um den Konsum der Musik, sondern auch um die Materialität des Vinyls an sich und um die Verkörperung eines Lebensstils.

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Endnoten