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Dinge – Bierflaschen und Manufactum Produkte

Autor: Janis Diekmann
für das Seminar Materialität & Dinge, Wahrnehmung & Handeln, ausgerichtet im Sommersemester 2007
am Institut für Soziologie der TU Darmstadt
von Lars Frers

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Inhalt

Bierflaschen

Beobachtet man Dienstag abends auf 603 Quadratmetern, so etwa gegen zehn oder elf, die Neuankömmlinge fällt ein Bewegungsmuster immer wieder auf: schnurgerade, ohne nach Bekannten zu suchen, vom Eingang über die noch leere Tanzfläche zur Bar, um dort das rettende Bier zu kaufen. Ein Phänomen gefährlichen Durstes?

Eher nicht. Beobachtet man die Population der Bierkäufer weiter, denn nicht panisches Trinken folgt dem Kauf, sondern plötzliche Ruhe scheint den Besucher ergriffen zu haben. Besonders diejenigen, die nur ein Bier erworben haben, denen also nicht die Gruppenversorgung zufällt, erscheinen plötzlich sonderbar gelassen: man schlendert los mit dem Bier in der Hand, halb hoch gehalten, nippt, bleibt stehen, lässt den Bierarm hängen, schlendert weiter, nimmt einen kräftigen Schluck und sieht sich um.

Der Gruppenversorger durchzieht den Raum zielstrebiger: konzentriert auf die Fracht läuft er zielgerichtet los, kommt an und verteilt die Getränke. Man stößt an, bringt einen Trinkspruch aus und trinkt zusammen. Die drohende Auflösung der Gruppe durch Toilettenbesuche oder das Begrüßen anderer Bekannter ist gebannt und das im Kreis stehen stabilisiert.

Beide Biertrinkertypen repräsentieren durch ihre Bierflaschen Adoleszenz und Männlichkeit, würde man nach gegenwärtigen Debatten über Flatratepartys sofort vermuten. Vielleicht ist das so, doch gerade der allein Trinkende, besonders bei selbstsicherem Habitus und geglücktem Bartwuchs, legt die Existenz von über diese erste Erklärung hinausreichenden Wirkungen der Bierflasche nahe.

Die Bierflasche, so meine Vermutung, wird für den alleine Wartenden zur Requisite oder zum Aktanten nach Pickering (vgl. Pickering 1995) eines komplexen Theaterspiels vor flüchtigen Zuschauern. Die drohende Frage der Beobachter, die es zu überspielen gilt, lautet: was tust du? Die einfache Antwort – ohne Bierflasche – wäre: stehen, nichts, warten. Das ist noch nicht so schlimm, wäre da nicht der Körper, der ebenfalls nichts tut und den Wartenden sofort zu verraten droht: mit schlaff hängenden oder verschränkten Armen, lässig oder verkrampft stehend/sitzend gibt man den eigenen Zustand durch den Körper der Beobachtung der anderen Preis. Die Bierflasche wird zum Bollwerk gegen diese blanke Körperlichkeit. Plötzlich tut man etwas, das alle anderen auch tun, man trinkt. Die Arme, beim Warten kaum zu verstauende Extremitäten, haben alle Hände voll zu tun: Mit dem Zeigefinger um den Flaschenhals oder den Händen fest um den Flaschenbauch geschlossen hält man die Bierflasche. Unter Beobachtung kann schnell ein Schluck genommen werden. Die Trinkdauer strukturiert die Zeit, in der Großprojekte wie Toilettenbesuche erledigt oder neue Flaschen nachgekauft werden müssen.

Gruppen besitzen mit dem Bier ebenfalls eine dingliche Rahmung. Einzelgespräche werden durch allgemeines Prosten überbrückt, das Verlassen der Gruppe durch oben genannte Vorhaben gut begründet. Im Schweigen wird getrunken, im Sprechen mit der Bierflasche leicht gestikuliert.

Über allem steht die Repräsentation des Alkohols durch die Bierflasche: wer trinkt plant sich, unabhängig vom tatsächlichen Pegel, anzuheitern und gelockert einem fröhlichen Abend voller möglicher Begegnungen und Flirts entgegen zu gehen, während der schlicht Wartende versetzt, frustriert und verstockt, der Party unzugänglich dem Scheitern des Abends entgegen gehen muss.

Aber warum die Bierflasche und nicht Wein- oder Cocktailglas? Hier trennt sich das Gruppentrinken vom wartenden Bierflasche halten. Die überlegene Materialität der Bierflasche ermöglicht dem Wartenden, eine erweiterte Praxis: ein Weinglas droht sich ständig auf die Kleidung zu vergießen, Strohhalme verhindern eine flüssige Trinkpraxis. Die notwendige Lässigkeit der Bierflasche rührt von ihrer unkomplizierten Benutzung. Zugleich bildet das Bier als Jedermanns-Getränk Gruppenzugehörigkeit oder für den Einzelnen eine auf einfaches Zuprosten wartende Offenheit ab. Speziellere Getränke, wie Wein, mit seiner Genusskomponente, oder Cocktails mit ihrem stärkerem Alkoholgehalt, repräsentieren spezielle Vorhaben den Abend zu gestalten und trennen den Trinkenden von den anderen Wartenden.

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Manufactum Produkte

Der Strom unserer Zeit scheint reißend: wie Treibholz werden wir durch unser (Arbeits-)Leben gespült. Alles wird in den Strudeln unseres Lebens glattgeschliffen, nichts widersteht der Kurzlebigkeit unserer Zeit. Selbst die Gebrauchsgegenstände unseres Alltags dienen uns keine vier Jahreszeiten und sind kaputt. Wegwerfgesellschaft ist der abfällige Name für diesen Umgang mit Dingen. Aber es gibt sie noch die guten Dinge! Die Firma Manufactum hat sich zum Ziel gesetzt:

Dinge zusammenzutragen, die in einem umfassenden Sinne gut sind,
- nämlich nach hergebrachten Standards arbeitsaufwendig gefertigt und daher solide und funktionstüchtig,
- aus ihrer Funktion heraus materialgerecht gestaltet und daher schön,
- aus klassischen Materialien (Metall, Glas, Holz, u.a.) hergestellt, langlebig und reparierbar und daher umweltverträglich. (Manufactum Katalog No. 19, S.1).

Ein Gerät, das diesen hohen Anforderungen gerecht wird, ist der MANUFACTUM Bodenregner Messing Gedreht (ebd., S. 312). Kein in Bewegung ermüdendes Teil begrenzt die Lebensdauer dieses schönen Beispiels einer auf das Nötigste sich beschränkenden technischen Intelligenz (ebd.)[1]. Die 44€ sind ein kleiner Preis, für ein der Ewigkeit widerstehendes Gartenberegnungsgerät.

Interessant an der Warenprosa, die jeden einzelnen Artikel des Katalogs zu einem Funktionsindividuum werden lässt, sind die immer wieder aufgegriffenen Motive: ein kurzer Verweis auf besondere Hersteller garantiert den Sieg über den Zahn der Zeit und suggeriert eine Schonung der Umwelt (S. 154 Duroplast, das konservative Polymer), Erklärungen zu unbekannten oder vergessenen Haushaltsgeräten und Kochverfahren (S. 138 ein Topf aus Speckstein als perfekter Wärmespeicher) machen schmerzliche Lücken in der wenig autarken Küche sichtbar und Verweise auf die schlichte Eleganz (Bölcker Stühle, Modern und Klassisch zugleich S. 80), erlauben die wohltuende Absetzung vom Massenkonsum und mithin von der Masse.

Es wäre vorschnell, das Phänomen Manufactum als eine Warennische mit besonderer Werbestrategie abzutun, da sich hier gesellschaftliche Entwicklungen merkwürdig zu brechen scheinen. Richard Sennett verweist in Der flexible Mensch (1998) auf die Bewältigungsstrategien einer diffusen Arbeitswelt, die gerade auch Höherqualifizierte betrifft. Dem unsteten Erwerbsleben werden feste Werte und Normen entgegengesetzt, vor allem in der Erziehung.

Manufactum-Produkte scheinen nun diese lebensweltliche Instabilität, denen gelebte Werte entgegengesetzt werden sollen aufzufangen: die Käufer eines Specksteintopfes für 154 € müssen beruflich überdurchschnittlich erfolgreich sein. Das bedeutet, dass sie sich höchstwahrscheinlich einer flexiblen Arbeitswelt mit bestimmten Unsicherheit (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 147ff.) gegenüber sehen. Der Konsum eines Produktes, das einen bis ins Rentenalter begleiten könnte, bietet in der Privaten Sphäre eine zeitliche Kontinuität, die im Job nicht mehr herstellbar ist. Zugleich wird immer wieder auf die handwerkliche Herstellung des Produktes hingewiesen, das eine enge Beziehung von Produzent und Ding suggeriert, die modernen Arbeitswelten, durchgeschüttelt von den Finanzmärkten, fehlt. Schließlich bieten Manufactum Produkte durch ihre hohen Preise Möglichkeiten zur Distinktion, die je nach Produkten in verschiedensten Strategien bestehen können: Gesundheit und Fitness (die Waschnuss ist der Chemie-Keule überlegen S. 217), Schönheit und Eleganz (s.o.), Umweltschutz und Beständigkeit (s.o.), selbstversorgende Abgrenzung von einer aus den Fugen geratenen Welt (Einkochen im Multitopf S. 138). Die guten Dinge stehen einer schlechten Welt entgegen.

Doch wer könnte schon nicht glauben, dass man sich gegen die Ungewissheiten eines Studiums der Soziologie durch einen Herd von Ilve (S. 186) oder eine Magnetwand aus Rohstahl (S. 25) schützen könnte, ich jedenfalls tue das.

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Literatur

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Endnoten