Der Abfalleimer
Autorin: Michèle Bernhard
für das Seminar Materialität & Dinge, Wahrnehmung & Handeln, ausgerichtet im Sommersemester 2007
am Institut für Soziologie der TU Darmstadt
von Lars Frers
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Inhalt
Essay
Abfalleimer befinden sich an fast allen Orten, an denen Menschen verkehren oder leben. Im öffentlichen Raum aufgestellt, können sie als ein Symbol von Ordnung und Sauberkeit gesehen werden. In Städten fühlen sich Menschen umso sicherer, umso sauberer diese sind. Dreck und Verwahrlosung scheinen ein Indikator für eine hohe Kriminalität zu sein. Die Menschen fühlen sich verunsichert und haben Angst[1]. Das Bild der brennenden Abfalltonne in amerikanischen Ghettos kennt fast jeder, es ruft Assoziationen Anarchie und der totalen Ablehnung der herrschenden Ordnung aus. Allerdings darf dies nicht überbewertet werden, da die brennenden Mülltonnen als Wärmequelle genutzt werden und es wahrscheinlich keine bewusste Protesthandlung ist, viel mehr reine Funktionalität. Die Stadtteile, die am saubersten sind, sind angeblich auch am sichersten.
Die Wahrnehmung des Abfalleimers und des Mülls spielt unbewusst eine große Rolle. Demonstratives nicht Verwenden des Abfalleimers, in dem der Müll mit Absicht nicht hineingeworfen wird, kann als eine Ablehnung der herrschenden Ordnung gesehen werden, da der Abfalleimer meistens von der Stadt aufgestellt ist und in ihrem Auftrag geleert wird. Andere Gründe für das nicht Verwenden der Abfallbehälter kann die pure Faulheit sein. Anstatt den Weg zum Abfalleimer zu gehen, lässt man den Müll einfach an Ort und Stelle fallen. Am Straßenrand, oft in der Nähe von Fast Food Ketten, liegt häufig Müll, der einfach aus dem fahrenden Auto heraus geworfen wird. Anstelle den Abfall zu Hause in einem Abfalleimer zu entsorgen, wird das Fenster herunter und der Müll fallen gelassen. Es herrscht kein Bewusstsein dafür, dass, wenn jeder so handeln würde, die Menschheit im Dreck versinken würde. In manchen Städten, z.B. Frankfurt, versucht man dieses Problem mittels Sanktionen zu lösen. Schon das auf den Boden werfen eines Zigarettenstummels kann zu Geldstrafen führen. Historisch ist hier ein starker Wandel zuerkennen. Am Anfang der Industrialisierung hat sich niemand Gedanken um Abfall und die Folgen für die Umwelt gemacht, aber mit der zunehmenden Verschmutzung in den Städten und den damit einhergehenden Krankheiten änderte sich dies. Umweltbewusstsein ist, im Hinblick auf den Klimawandel, zurzeit ein hoch aktuelles Thema. Viele versuchen einen kleinen Teil beizutragen und wenn dies einfach Mülltrennung oder Vermeidung heißt.
An einigen öffentlichen Orten gibt es nicht nur einen Abfalleimer, sondern mehrere, um den Müll zu trennen. An Bahnhöfen, einigen Schulen und Universitäten wird versucht, ein Bewusstsein für die Trennung zu schaffen. Es wäre interessant zu wissen, ob diese Trennung funktioniert oder ob die Leute gar nicht darauf achten, in welche Öffnung sie ihren Abfall werfen. Der Kognitionspsychologe Donald A. Norman [2] würde argumentieren, dass wenn die Menschen den Abfall nicht in die entsprechenden Öffnungen werfen, dies ein Zeichen für das schlechte Design des Mülleimers ist. Möglicherweise ist hierfür aber auch wieder die Faulheit der Grund. Anstatt sich damit zu beschäftigen wo der Abfall hineingehört, d.h. darüber nachzudenken um was es sich genau handelt, wirft man ihn einfach in irgendeine Öffnung. Vielleicht würde Norman auch vorschlagen, den Müll gar nicht vom Verbraucher trennen zu lassen, sondern nur einen Abfalleimer aufzustellen, um die Menschen nicht noch mehr im Alltag zu überfordern. Die Sortierung sollte dann erst nach der Abholung geschehen. Generell gibt es scheinbar keine einheitliche Lösung der Mülltrennung. In Deutschland werden an manchen Orten Restmüll, Papier, Biomüll und der gelbe Sack getrennt von der Müllabfuhr abgeholt, während in anderen Städten so gut wie gar keine Mülltrennung existiert.
Egal ob Trennung oder nicht, an fast allen Orten ist ein weiteres Phänomen, welches mit Abfalleimern verknüpft ist, zu sehen - das herumwühlen in ihnen. Gerade durch das Dosenpfand und das Pfand auf Plastikflaschen macht das Durchwühlen von Mülleimern rentabler. So wird aus dem Abfalleimer indirekt Geld herausgeholt, welches von anderen Menschen vernachlässigt wurde. Besonders die Halbliter Flaschen, die es an Bahnhöfen oder an Kiosken gibt, werden vermutlich häufig nicht zurückgegeben und statt dessen einfach weggeworfen. Zuhause verhält sich dies ganz anders, da dort die Plastikflaschen gesammelt und beim nächsten Einkauf wieder abgegeben werden. Interessant hierbei ist, dass sich die Menschen im öffentlichen Raum anders verhalten als bei sich Zuhause. Es ist nicht üblich Müll im privaten Raum auf den Boden zu werfen, sondern er wird in den Mülleimer befördert. Besonders aufschlussreich ist hierbei auch die Mülltrennung. Die Leerung der Restmülltonne kostet Geld und deshalb wird im eigenen Haushalt viel bewusster auf die Entsorgung geachtet. Es gibt Glas-, Dosen- und Papiercontainer, in die jeder umsonst seinen entsprechenden Abfall entsorgen kann.
Insgesamt stellt der private Abfalleimer bzw. Mülltonne etwas ganz anderes dar, als der Öffentliche. Der Philosoph Gaston Bachelard [3] hat beschrieben, wie geschlossene Truhen, Schränke und Kästchen etwas scheinbar Geheimnisvolles sind und die Möglichkeit besteht, verschiedenes hinein zu interpretieren. Ähnlich verhält es sich mit der privaten Mülltonne. Sie ist geschlossen und durch ihre materielle Beschaffenheit kann niemand sehen, was hinein geworfen wurde, . Sie ist nicht durchsichtig und hat einen Deckel. Es bleibt Raum, zu interpretieren warum die Mülltonne des Nachbarn schon wieder voll ist und was sie wohl so voll machen könnte. Bachelard spricht in diesem Zusammenhang von der Psychologie des Verborgenen. Der Inhalt eines Abfalleimers kann viel Aufschluss über den Geschmack, die Hobbys und den Konsum von dem jeweiligen Besitzer geben.
Zusammenfassend ist der Mülleimer ein gutes Beispiel dafür, dass sich die Bedeutung eines Gegenstandes durch seine Verortung verändert. Je nach dem wo er aufgestellt ist, ob im öffentlichen oder privaten Raum, interagieren die Menschen anders mit ihm. Zum einen in Bezug auf die Benutzung und zum anderen im Bezug auf die Bedeutung, die ihm beigemessen wird. Eine Trennung von Materialität und Bedeutung ist bei einem Abfalleimer nur möglich, wenn man ihn im anderen örtlichen Kontext betrachtet.
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Materialität & Dinge, Wahrnehmung & Handeln
Endnoten
- [1] Löw, Martina/ Steets, Silke/ Stoetzer, Sergej (2007): Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie. S. 155.
- [2] Norman, Donald A. (2002/1988) The design of everyday things. 2. Auflage. New York: Basic Books.
- [3] Bachelard, Gaston (1975/1957): Poetik des Raumes. München. Daraus: „III. Die Schublade, die Truhen und die Schränke“, S. 104-118.