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Urbane Fortbewegungsräume – Hafen & Bahnhof
Ein Dissertationsprojekt

Diese Projektskizze wurde für meine erfolgreiche Bewerbung beim Graduiertenkolleg Technisierung und Gesellschaft geschrieben. Ich veröffentliche diese Projektskizze im Netz, da ich den Fortschritt und Verlauf meiner Dissertation im Web dokumentieren möchte, dementsprechend würde ich mich über jede Art von Rückmeldung freuen.
Zusätzlich zu diesem Bericht habe ich auch weitere Berichte, mehrere Essays und einige Beispielsstudien auf meiner Webseite verfügbar gemacht, einiges davon auf Englisch.

Autor: Lars Frers (2003)

Ich veröffentliche diese Seite unter der Creative Commons License.
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Inhalt

Thematischer Aufriss

Die Bewegung von Waren und Menschen von einem Ort zum anderen ist seit Beginn der Neuzeit in einem ständigen Wandel. Die Überwindung zum Teil enormer Distanzen in Handel, Produktion und Reise wird, auch im Rahmen der Globalisierung, zum zentralen Bestandteil des Lebens. Die zur Überwindung dieser Distanzen notwendigen Transporttechnologien werden in kleinen Schritten verändert, neue Technologien finden allmählich ihren Platz in den Städten und im Alltag der Menschen; sie werden zu Bestandteilen einer sich im fortwährenden Fluss befindlichen Umwelt. Gleichzeitig jedoch bleiben alte Transportmittel und -technologien in Gebrauch und prägen so den Stadtraum. Der Omnibus in seinen verschiedenen Gestalten ist in europäischen Großstädten schon seit über 80 Jahren in Gebrauch, die Eisenbahn seit über 150 Jahren und die Schifffahrt lässt sich bis zu den Anfängen der Geschichtsschreibung zurückverfolgen.

Von diesen Transporttechnologien möchte ich Eisenbahn und Schifffahrt und die dazu gehörigen Stadträume herausgreifen. Bahnhöfe und Häfen, beides sind Raumtypen, in denen sich das Wechselspiel zwischen Technologie und urbanem Leben hervorragend untersuchen lässt. Diese Räume sind einerseits Ergebnis langwieriger Formationsprozesse im Transportwesen und lassen somit technologische Vergangenheit in die konkrete stadträumliche Gegenwart ragen; andererseits sind es Orte, an denen neue Technologien und Architekturen ausprobiert werden und die Zukunft in Form von Plasmadisplays, Videokameras, Schalterterminals und Informationstechnologie Einzug hält. Bahnhöfe und Häfen sind belebte Orte – hier soll es um eben dieses Leben gehen: Wie werden diese Räume und Technologien von den Menschen genutzt und wie prägen die Menschen mit ihren Handlungen wiederum diese Räume und Technologien? Der praktische Umgang mit der Technologie, das sich Bewegen im Raum, die Interaktionen zwischen Menschen und ihrer sozialen und materiellen Umwelt stehen hier im Mittelpunkt des Interesses.

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Problemstellung und theoretische Einordnung

Im Rahmen dieses Projektes soll es darum gehen, möglichst nah an die Wechselbeziehungen zwischen Menschen, Raum und Technologie zu kommen und diese Wechselbeziehungen nachvollziehbar zu machen. Es sollen also nicht statisch determinierte Ursache-Wirkung Beziehungen konstruiert werden, in denen den Entitäten Technik, Raum, Individuum und Gruppe eine feste Lage in einer sozialen, symbolischen und räumlichen Struktur zugeschrieben wird. Statt dessen möchte ich die flüssige, sich ständig anpassende und dynamische Produktion urbaner sozialräumlicher Konstellationen untersuchen. In der Rekonstruktion solcher Konstellationen kann ich dann den gemeinsamen Wirkungen von Technologie und räumlicher Gestaltung nachgespüren (d.h. von den in der Ausschreibung skizzierten Dispositiven). In der Auswertung meiner Beobachtungen am Marlene-Dietrich-Platz in Berlin (Frers 2001) beispielsweise konnte ich nachweisen, dass bestimmte Konstellationen (zum Konstellationsbegriff vergleiche Adorno 1973) mit größerer Dauerhaftigkeit und Wahrscheinlichkeit produziert werden und dass es diese Konstellationen sind, die den Charakter des Platzes prägen. In ähnlicher Weise ließen sich auch Beobachtungen an Bahnhöfen und Häfen machen; in der Auswertung der Beobachtungen möchte ich dann die für dieses Projekt zentralen Aspekte des Wechselspiels von Menschen, Technologie und Raum herausgearbeiten und mit sozialwissenschaftlichen und historischen Theorien zu Technologie und Raum konfrontieren.


Der theoretische Rahmen für dieses Projekt ist weit gesteckt – ich werde mich zwischen neueren Ausprägungen aus dem Bereich der Science and Technology Studies, der Geographie und der Soziologie bewegen. Im Folgenden möchte ich mein Projekt in den verschiedenen Feldern theoretisch verorten. Bruno Latours Science in Action (1987) und We have never been modern (1993) sind vor allem in folgender Hinsicht relevant für die anvisierte Untersuchung: Latour bietet in diesen Texten Anhaltspunkte, von denen aus sich die Beziehung zwischen Technologie und Mensch als eine symmetrische analysieren lässt. Er eröffnet eine Perspektive auf den Umgang mit Maschinen und Technologie, in der keine einseitigen Determinismen bestimmend sind. Aus epistemologischer Sicht problematisch bleibt dabei sicher, Dingen den Status eines Akteurs zuzuerkennen. Es scheint mir für diese Arbeit trotz dieser Probleme sinnvoll, mit Latour die Verbindungen und Verknüpfungen zwischen Raum, Technologie, Natur, Symbolen und Handlungen zu verfolgen und nicht die Gegensätze der Moderne in die Untersuchungsgegenstände einzuschreiben. Als weiterer Pfeiler im Feld der Science and Technology Studies dient mir Andrew Pickerings The Mangle of Practice (1995). Auch Pickering versucht die Unterscheidungskategorien der Moderne zu umgehen, bei ihm spielen jedoch performative und praxisbezogene Aspekte des Umgangs mit Technologie eine noch größere Rolle als bei Latour. Eben dieses performative Element, die Praxis der Vermengung oder „Vermangelung", ist für das Verständnis von sozialräumlichen Konstellationen, in denen Technologie eine entscheidende Komponente ist, eine große Bereicherung.

David Harvey verknüpft in seinem Buch The Condition of Postmodernity (1990) eine Analyse ökonomischer Rekonfigurationen des Postfordismus mit Wandlungen in der Art und Weise, in der Raum und Zeit erfahren werden und wirft gleichzeitig ein Licht auf die dabei entstehenden sozialen Ungleichheiten – die Restrukturierung der Londoner Docklands ist eines der Beispiele in seinem Buch, in dem die möglichen sozialen Konsequenzen einer Umverteilung räumlicher und finanzieller Ressourcen dargestellt werden. Bahnhöfe und Häfen haben sich auch in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren zum Teil extrem geändert, zum Verständnis dieser Entwicklungen kann Harvey neben Edward Soja (1989, 1997) und Manuel Castells (1989, 1994) einen großen Beitrag leisten.

Um die geographisch-ökonomische Ebene um das Symbolische zu ergänzen, eignet sich Pierre Bourdieu hervorragend. In seinen Untersuchungen von Die feinen Unterschiede (1987) bis zu dem Aufsatz Ortseffekte (1997) reflektiert er immer wieder die zum Teil offenen, zum Teil verborgenen und subtilen Hierarchisierungen des Alltagslebens. Wie er insbesondere in Ortseffekte deutlich macht, finden diese Hierarchisierungen auch im Raum ihren Niederschlag. Die symbolische Ordnung eines Raums ist einer der Faktoren, die bestimmen, welche Handlungen hier legitim oder illegitim und stigmatisierend wirken.

Ein weiterer wichtiger Theoretiker für dieses Projekt ist Michel Foucault. Bahnhöfe und Häfen sind weder Panopticon noch Klinik; Foucaults Verständnis von Disziplinierung (1975), seine Perspektive auf den Körper (1983) und auf Sichtbarkeit allerdings sind für diese Untersuchung relevant. (Selbst-)Überwachung, die subtile Kontrolle eigener und fremder Handlungen, die Befragung des eigenen Gewissens, dies alles sind zentrale Bestandteile des Funktionierens moderner sozialräumlicher Gefüge. Weiterhin lässt sich das Geflecht von manifester Macht, produzierten Wünschen, Technologie und den Körpern der Menschen sich mit Hilfe Foucaultscher Begriffe besser entwirren. Er kann, mit anderen Worten, helfen, die Verbindungen zwischen den Dispositiven Biomacht, Technologie und symbolischer Ökonomie zu rekonstruieren.

Richard Sennetts Flesh and Stone (1994) ist vor allem deshalb für dieses Projekt wichtig, weil Sennett in diesem Werk versucht, die körperlichen Aspekte von Raum in die sozialwissenschaftliche Analyse hereinzuholen. Bei ihm geht es in der Beschreibung von Stadt nicht nur um die Art der räumlichen Anordnung, sondern auch um die Qualität der konkreten Nutzung des Raums, darum wie Menschen sich an einem Ort bewegen können, ob sie in modernen Komfort gehüllt werden, ob sie unter Witterung und Gerüchen leiden, ob sie sich berühren oder ob zwischen ihnen Distanzen sind u.a.m. Eben diese körperlichen Aspekte der räumlichen und technologischen Gestaltung möchte ich nachvollziehen, um den Zusammenhang zwischen technisierten Stadträumen und urbanem Leben besser zu begreifen.

Um die Umstände der Produktion der untersuchten Räume zu verstehen, bietet sich Henri Lefebvres The Production of Space (1991) an. Lefebvre rekonstruiert die Komplexität sozialräumlich-materieller Prozesse, indem er analytisch zwischen spatial practice, representations of space und representational spaces unterscheidet. Im Fall dieser Untersuchung läßt sich Lefebvres Ansatz besonders fruchtbar zum Verständnis der Rolle von Technologie einsetzen: Welche Praktiken (spatial practices) bringt eine bestimmte Technologie mit sich, welches Verständnis von Raum (representation of space) ist für eine bestimmte Technologie maßgeblich (z.B. die Dimension der Sicherheit für eine Brücke oder die Dimension der Sichtbarkeit für eine Videokamera), welcher ästhetischen Mittel und welcher Symbolik (representational spaces) bedient sich eine Technologie?


Schließlich möchte ich noch hervorheben, dass die konkrete materielle Qualität von Räumen und Gegenständen für mich von besonderem Interesse ist. Die Textur von Oberflächen, das Gewicht von Gegenständen, die Temperaturen und das Mikroklima eines Ortes, die Bequemlichkeit oder Unbequemlichkeit von Bänken; alle diese Aspekte haben großen Einfluss auf die Art und Weise, wie ein Raum und eine Technologie genutzt und erfahren werden. Die Körperlichkeit sowohl von Dingen als auch von Menschen soll ein zentraler Untersuchungsgegenstand sein.

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Methode und Ort

Dieses Projekt baut auf den Methoden auf, die ich für meine Diplomarbeit eingesetzt habe und erweitert diese insbesondere um den Einsatz von Videoanalyse. Wie auch bei meiner Untersuchung des Marlene-Dietrich-Platzes will ich ethnografisch vorgehen und mich als teilnehmender Beobachter in das Geschehen vor Ort begeben. Die Beobachtungen werden von mir gemäß den Empfehlungen von Lofland und Lofland in Analyzing Social Settings: A Guide to Qualitative Observation and Analysis (1984) durchgeführt und protokolliert. Bei meiner Diplomarbeit hat sich gezeigt, dass meine subjektive Lage, meine Empfindung und Eindrücke, nicht nur protokolliert werden sollten, um den Einfluss subjektiver Empfindungen auf meine Beobachtungen nachvollziehen zu können; sie waren darüber hinaus auch für sich aussagekräftig und haben mein Verständnis des sozialräumlichen Geschehens nachhaltig vertieft. Diesen Aspekt des teilnehmenden Beobachtens möchte ich in Zukunft noch systematischer berücksichtigen. Zur Videoanalyse: Diese soll mir dazu dienen, den Umgang von Menschen mit ihrer Umwelt noch gründlicher verfolgen zu können. Im Rahmen meines Aufenthaltes in den USA bin ich in konversationsanalytischen Techniken (vgl. dazu insbesondere Atkinson und Heritage 1984) ausgebildet worden und habe dort bereits eine Videoanalyse durchgeführt. Diese Methode der Sekundenbruchteile berücksichtigenden, sequentiellen Analyse von Handlungen und Interaktionen möchte ich in bestimmten, nach einer ersten Beobachtungsphase ausgewählten und für das Verständnis des konkreten Umgangs mit Technologien besonders relevanten Fällen ergänzend einsetzen.

Die Beobachtungen sollen an zwei verschiedenen Orten durchgeführt werden: Zum einen an einem größeren Bahnhof, in dem sich außer den Einrichtungen der Deutschen Bahn AG auch noch eine größere Palette von Läden und Restaurants befindet. Hier würden die Beobachtungen im und in unmittelbarer Umgebung des Bahnhofsgebäudes stattfinden. Zum anderen sollen Beobachtungen an einem Hafen durchgeführt werden, an dem ebenfalls eine Nutzungsmischung zwischen Transportwesen und Einkaufs- bzw. Erholungsmöglichkeiten gegeben ist. Welcher konkrete Bahnhof und welcher konkrete Hafen untersucht werden soll, ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Es dürfte allerdings eine größere Anzahl von Städten geeignet sein, für die Auswahl können insofern praktische Gründe (Anreise, Unterbringung etc.) Ausschlag gebend sein. Um Stadtsoziologie nicht als bloße Großstadtforschung zu betreiben empfiehlt es sich weiterhin, auf mittelgroße Städte zurückzugreifen.

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Forschungsperspektiven

Bei einem vom Ansatz her offen konzipierten Forschungsvorhaben wie dieser ethnografischen Studie will ich der Arbeit im Feld keine Hypothesen voranstellen. Das Ergebnis dieses Projektes wird sich in der Auseinandersetzung mit den Gegenständen und in der Diskussion meiner Beobachtungen und meiner vorläufigen Interpretationen mit anderen entwickeln – in einem aktiven Kolloquium über mein Thema zu diskutieren war bereits im Verlauf der Arbeit an meinem Diplom sehr anregend für mich. Zu diesem Zeitpunkt lassen sich zwar keine sinnvollen Forschungshypothesen aufstellen, statt dessen möchte ich an dieser Stelle zusammenfassend einige der besonderen theoretischen und methodologischen Perspektiven aufzeigen, die dieses Projekt bietet:

  1. Die Auswahl der Ortstypen Hafen und Bahnhof erlaubt es mir, Technologie sowohl als einen Trägheitsfaktor im Kontext von gesellschaftlichem Wandel zu thematisieren, als auch zu untersuchen, wie sich im Zusammenhang mit der Veränderung von Technologie neue Alltagspraktiken entwickeln.
  2. Der breite theoretische Rahmen, in dem sich diese Studie bewegt, ermöglicht es die Komplexität des Feldes angemessen zu berücksichtigen und an zwei verschiedenen, konkreten Orten die Tiefen des Themas "technisierte Stadträume und urbanes Leben" auszuloten.
  3. Durch die Konfrontation meiner Beobachtungen mit Theorien, die sich kritisch mit gesellschaftlichen Veränderungen auseinandersetzen, kann ich überprüfen, in wie weit die technisierten Orte Bahnhof und Hafen Konstellationen produzieren, in denen Ausschlüsse und Stigmatisierungen vorgenommen werden, in denen Passivität und Konsum vorherrschen oder in wie weit der Handlungsspielraum durch Überwachungsmaßnahmen eingeschränkt wird.
  4. Die Durchführung einer teilnehmenden Beobachtung vor Ort ermöglicht es mir, dem urbanen Leben eben dort auf die Spur zu kommen wo es stattfindet und zu sehen wie sich Technologie im Alltagshandeln realisiert. Der Einsatz von Videoanalyse ermöglicht zusätzlich ein besonders hohes Auflösungsvermögen in der Untersuchung der Interaktionen zwischen Mensch, Raum und Technologie.
  5. Durch den Einsatz eines offenen Forschungsdesigns kann ich flexibel auf die konkreten Eigenschaften des Gegenstands eingehen und besonders interessante und relevante Aspekte im Verlauf des Projektes intensiv untersuchen.
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Vorläufiger Zeitplan

Zusätzliche Forschungslektüre und Festlegen der Beobachtungsorte

2 Monate

Erste Beobachtungsphase

1,5 Monate

Zwischenauswertung inkl. einer ersten Videoanalyse

1,5 Monate

Zweite, intensive Beobachtungsphase – parallel Beginn der Videoanalysen

3,5 Monate

Auswertung der Beobachtungen und der Beendigung der Videoanalysen

2 Monate

Weitere Lektüre

1,5 Monate

Schreiben der Arbeit

12 Monate

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Literatur