Regenbogenlinie

Politik für mehr

REICHTUM

Daten und Anmerkungen zur Entwicklung
von Reichtum und Armut in Deutschland

Zusammengestellt und kommentiert von Martin Klauss

Hg. von ChristInnen für den Sozialismus (CfS) / Freiburg und Linke Liste-Friedensliste / Freiburg,
4. Aktualisierte Auflage Januar 1998

Als Broschüre gegen einen Unkostenbeitrag von 5,- DM erhältlich bei: Büro der CfS c/o Martin Klauss, Schwarzkehlchenweg 30, 79111 Freiburg, Fax: 0761-4766008, e-mail: wuermell.klauss@t-online.de

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Inhaltsverzeichnis

A Krise im Standort Deutschland

B Reichtum in privaten Händen

1. Ein Überblick

2. Langfristige Politik für mehr privaten Reichtum
2.1. Angehäuftes Geldvermögen
2.2. Steigende Gesamteinkommen bei Selbständigen und abhängig Beschäftigten
2.3. Vergleich der Brutto- und Nettoeinkommen
2.4. Vergleich der Realeinkommen von Selbständigen und abhängig Beschäftigten

3. Hintergründe des Ungleichgewichts
3.1. Einfluß der Politik
3.2. Steuerverzicht und leere Kassen
3.3. Steigende Sozialabgaben

4. Immer mehr Reiche
4.1. Das "Herunterrechnen" von Einkommen
4.2. Reichtumsverteilung auf Haushaltsgruppen

C Die Kehrseite wachsenden Reichtums

1. Geringfügig Beschäftigte
2. Arbeitslose und EmpfängerInnen von Sozialhilfe

D Umbau der Gesellschaft

1. Trotz allem: Geld ist genug da
2. ... und noch ein Fazit

Anhang
1. "Schöne Aussichten"
1.1. Senkung der "Arbeitskosten"
1.2. Kürzungen der "sozialen Kosten"
1.3. Steuererleichterungen
2. Einnahmen des Staates, Einnahmen und Ausgaben der BA für Arbeit, der Rentenversicherung und der ges. Krankenversicherungen 1995 (nur in der gezipten Version zum Herunterladen enthalten)

Fußnoten

Abkürzungen:
DIW
: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung; Wochenberichte
DBB-M: Deutsche Bundesbank Monatsbericht
IFO: Institut für Wirtschaftsforschung
ISW: Sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.
IWD: Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft; wöchentliche Mitteilungen
RWI: Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
StBA: Statistisches Bundesamt; F: Fachserie; StJB: Statistisches Jahrbuch; WS: Wirtschaft und Statistik
WSI: Wirtschafts- und Sozialpolitisches Institut; monatliche Mitteilungen

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A: Krise im Standort Deutschland

Alle sind sie aufs höchste besorgt. PolitikerInnen und Unternehmerverbände, Parteien, ProfessorInnen und ExpertInnen und zuletzt auch ein großer Teil der Bevölkerung. Keine Zeitung kann mehr gelesen, keine Nachrichtensendung mehr gesehen und kaum eine Talkshow mehr konsumiert werden, ohne daß sie einen mit der Nase darauf stoßen, welche Gefahr uns alle zu überrollen droht. Zur Beschreibung der Situation schien hergebrachtes Vokabular zu schwach. Ein neues "Wort des Jahres" wurde kreiert: Standort Deutschland. Standorte waren uns zwar geläufig, als Gemeinwesen mit integrierter Bundeswehrkaserne; jetzt ist die ganze Republik ein solcher. Standort Deutschland. Da gehören alle dazu. Ohne Ausnahme. So ist es gemeint von denen, die in gewohnt fürsorglichem Eifer vorgeben, Verantwortung für alle zu tragen und uns warnen vor dem, was auf uns zukommt, wenn nicht eine radikale Kursänderung in Wirtschaft und Gesellschaft herbeigeführt wird. Sie, und nur sie wissen, wie es um uns alle steht und was zu tun ist, um den drohenden Absturz in letzter Minute zu vermeiden.
Das Bild, das vor uns ausgebreitet wird, ist das Bild eines verarmenden Landes, dessen Bevölkerung viel zu lange über ihre Verhältnisse gelebt hat und sich nun leider "viele liebgewonnene soziale Luxuseinrichtungen" nicht mehr leisten kann. Lohnfortzahlung bei Krankheit, Kündigungsschutz, "zu hohe" Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe und vieles mehr ist zu teuer geworden, läßt sich einfach nicht mehr bezahlen.
Wir müssen sparen. Angeblich alle, was sich bei näherem Hinsehen jedoch als nicht so ganz zutreffend erweist. Aber (fast) alle, die die Möglichkeit haben, sich öffentlich zu äußern, stimmen in den Sparzwang - Chor mit ein. Gewerkschaften, SPD, GRÜNE1 und viele andere Gruppen opponieren zwar (noch?), teilweise sehr heftig ("Lohnfortzahlung"), aber meist nicht grundsätzlich. Ihr Ziel ist, so macht es den Eindruck, lediglich eine Linderung des "Katalogs der Grausamkeiten"; und so stimmen sie im Prinzip der angeblichen Notwendigkeit zu, genau in den von der Bundesregierung vorgegebenen Bereichen Einsparungen vornehmen zu müssen. Wen wundert's, daß kaum mehr jemand anzutreffen ist, der (die) nicht infiziert scheint von der Verpflichtung, seinen (ihren) Beitrag zum allgemeinen "Sparen" zu leisten.

Es ist an der Zeit, den Fernseher einen Moment abzuschalten und die Zeitung wegzulegen. Es ist an der Zeit, wieder klaren Kopf zu bekommen und die Realität zu sehen, wie sie wirklich ist. Was sind die Fakten?

Tatsache ist, die öffentlichen Kassen sind leer, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte (von Bund, Ländern und Gemeinden) steigt ins Unermeßliche (über 2100 Mrd. DM im Jahr 1996) und die Schuldzinsen fressen einen Großteil der finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten auf. Ebenso zutreffend ist, daß die Belastung von sozialversicherungspflichtiger Arbeit durch die sog. Lohnnebenkosten immer mehr zunimmt.

Tatsache ist aber auch ein ungeheurer Reichtum in privater Hand und eine skandalöse Zahl von Armen in unserem Land. Den vielstimmigen Äußerungen "unserer" PolitikerInnen und Medien ist zu entnehmen, daß am Zustandekommen der leeren öffentlichen Kassen niemand beteiligt war außer jenen, die - zum Schaden aller - die sozialen Errungenschaften in Anspruch nahmen ("zu hohes Anspruchsdenken", "Sozialschmarotzer", "Leben auf Kosten der Gemeinschaft" usw.). Von Armen ist selten die Rede, und Reichtum wird einfach verschwiegen. Wenden wir uns deshalb zunächst dem zu, über das offensichtlich nicht geredet werden soll:

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B: Reichtum in privaten Händen

1. Ein Überblick

Wir leben in einem unbeschreiblich reichen Land, einem der reichsten Länder dieser Erde2. Diesen Reichtum in seinem ganzen Ausmaß darzustellen, ist nahezu unmöglich, zeigt er sich doch in so unterschiedlichen Merkmalen wie:

In dem Bewußtsein, nur einen Teil dessen zu erfassen, was Reichtum ausmacht, wird im folgenden der Versuch unternommen, diesen anhand der meßbaren Größe "Geldmenge" etwas zu erhellen.

Im Jahr 1996 betrug das öffentlich registrierte Geldvermögen3 der privaten Haushalte4 ca. 4955 Mrd. DM5. Bei gleichmäßiger Verteilung würde dies für jeden Menschen in Deutschland, vom Baby bis zur Oma etwa 60.700.- DM bedeuten. Dieser von der Deutschen Bundesbank erfaßte Reichtum6 ist selbstverständlich (wir trauen uns ja kaum noch, von anderem zu träumen) nicht ganz gleichmäßig auf die Leute verteilt.
Wie sich die Verteilung 1993 ungefähr darstellte, zeigt Schaubild 1a7. Die Daten entstammen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS)8, einer Art repräsentativer Befragung einiger tausend Haushalte, bei der die Befragten sehr detailliert über Einkommen, Vermögen und Ausgabeverhalten Auskunft geben sollen. Nach diesen Angaben verfügt das oberste Zehntel der Haushalte in Deutschland über knapp die Hälfte des gesamten Geldvermögens, während sich die untere Hälfte der Bevölkerung mit insgesamt 8,5% zufrieden geben muß. Für das untere Zehntel (das sind immerhin fast 3,5 Mio. Haushalte) überwiegen Verpflichtungen aus Konsumentenkrediten9 die Guthaben, so daß sich für diese Gruppe ein negatives Geldvermögen (-1,0%) ergibt. In diesem Teil der Bevölkerung findet sich ein Großteil der mehr als 2 Millionen überschuldeten Haushalte, deren "Schulden so hoch sind, daß sie die Kredite nicht mehr bedienen, bzw. offene Rechnungen nicht mehr bezahlen können"10.
Das tatsächliche Ausmaß der Ungleichverteilung des privaten Geldvermögens läßt sich aus den Ergebnissen der EVS allerdings nur annähernd ablesen. Ein unvollständiges Bild ergibt sich dabei vor allem aus der, besonders bei hohen Vermögen, mangelnden Fähigkeit oder Bereitschaft, tatsächlich das gesamte Vermögen und alle Einkünfte anzugeben sowie der Tatsache, daß EinkommensbezieherInnen von mehr als 35000.- DM Monatseinkommen erst gar nicht erfaßt wurden11. Das führte dazu, daß lediglich 56%!12 des von der Deutschen Bundesbank errechneten Geldvermögens in privater Hand in den EVS-Daten enthalten sind; die fehlenden 44% befinden sich größtenteils im Besitz von Haushalten mit großem Vermögen und überdurchschnittlichen Einkünften13.
Berücksichtigung findet das "fehlende" Geldvermögen in Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)14, die (unter Einbeziehung der Einkommensteuerstatistik) zu einer realistischeren Darstellung der Verteilung des privaten Geldvermögens (insbesondere der Wohlhabenden) führen (Schaubilder 1b und c). 450.000 Haushalte (das sind 1,3% von allen) verfügen demnach über fast ein Viertel (23,7%) des gesamten Geldvermögens (durchschnittlich 1,67 Mio. DM pro Haushalt), 4,3% (1,5. Mio. Haushalte) über 41,1%, und die "oberen" 8% der Haushalte (2,8 Mio.) nennen mehr als 52% ihr eigen. Dagegen können die "unteren" 80% der Haushalte lediglich ein Viertel (26,3%) des Netto-Geldvermögens unter sich aufteilen (Durchschnitt: DM 29.000 pro Haushalt). Zu berücksichtigen ist allerdings auch bei diesen Zahlen, daß sie sich ausschließlich auf das "registrierte Geldvermögen" beziehen. Die vielen hundert, vor allem von wohlhabenden BundesbürgerInnen im Ausland gelagerten Milliarden, sind nicht enthalten. In Wirklichkeit ist also die Ungleichverteilung noch größer, als es diese Zahlen darstellen können (vgl. Fußnote 6).

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2. Langfristige Politik für mehr privaten Reichtum

Der Versuch, Reichtum und seine Verteilung zu erfassen, darf sich nicht darauf beschränken, die derzeitig ungerechte Situation zu beschreiben und zu beklagen. Wichtiger ist es, zu untersuchen, wie eine solch eklatante Ungleichverteilung zustande kommt und welche Rolle die Politik dabei spielt. Dazu bedarf es notwendigerweise einer Analyse der Entwicklung der letzten Jahre, die deutlicher als Parteiprogramme oder Absichtserklärungen von PolitikerInnen die in Wirklichkeit verfolgten politischen Ziele erkennen läßt. Aus dem Verlauf dieser Entwicklung ergibt sich außerdem die Möglichkeit, zu erahnen, wie es - ohne grundsätzliche Kurskorrektur - in einigen Jahren aussehen wird. Unterstellen wir also der Bundesregierung erfolgreiche Politik in den letzten Jahren (wie sie es ja auch selbst gerne tut) und schließen aus dem Erreichten auf die politische Absicht für Vergangenheit und Zukunft.

2.1. Angehäuftes Geldvermögen

Das private Geldvermögen belief sich im Jahr 1980 (laut Bundesbank) auf 1480 Mrd. DM und wuchs innerhalb von 16 Jahren auf weit mehr als das Dreifache an (4955 Mrd. DM; siehe Schaubild 2a). Gegenüber diesem Anstieg um 235% fällt selbst die Preissteigerungsrate von insgesamt 53% über den ganzen Zeitraum eher niedrig aus. Ein Vergleich mit den wichtigsten Sozialausgaben, über deren Höhe so häufig Klage geführt wird, gibt eine Vorstellung von der Größenordnung der jährlichen Wachstumsraten15 dieses privaten Geldreichtums (Schaubild 2b). Die Zunahme um 305 Mrd. DM im Jahr 1996 ist gut 6 mal so viel, wie die gesamten Sozialhilfeausgaben, mehr als alle Rentenzahlungen in ganz Deutschland und mehr als doppelt so viel wie die gesamte Zunahme der Verschuldung aller öffentlichen Haushalte16 (137 Mrd. DM im Jahr 1996).
Dieses Wachstum des Geldreichtums in privater Hand sprudelte im Wesentlichen aus zwei Quellen: Einkünfte aus dem vorhandenen Geldvermögen sowie sog. Ersparnis aus anderen Einkünften. Trotz gewisser Schwankungen von Zins und anderen Renditeformen im Lauf der Jahre zeigen die Einkünfte aus Geldvermögen eine sehr ähnliche Dynamik wie das Vermögen selbst: Anstieg um 205%17 in 16 Jahren (Schaubild 3). Bei Gleichverteilung hätte (im Jahr 1996) jeder Haushalt DM 5800.- aus dieser Einnahmequelle bezogen. Die tatsächliche Ungleichverteilung soll hier nur mit einer Zahl angedeutet werden: Spitzenreiter sind die 2 Millionen Haushalte von Selbständigen (ohne Landwirte) mit durchschnittlich DM 20.100.- pro Jahr18.
Es ist fast überflüssig zu erwähnen, daß Einkünfte aus (Geld-) Vermögen fast ausschließlich denen zugute kommen, die viel Vermögen ihr eigen nennen. Verstärkt wird dieser Effekt der Vermögenskonzentration noch dadurch, daß auch die zweite Quelle im wesentlichen derselben Bevölkerungsgruppe Vermögenszuwachs beschert: die Ersparnis aus anderen Einkünften (Schaubild 4)19. Wer nichts hat oder wenig, macht eher Schulden; BezieherInnen hoher Einkommen sind in der Lage, bis zu über 30% ihrer hohen Einkünfte aufs "Sparbuch" zu legen - nicht mitgerechnet (mangels nachprüfbarer Informationen) die bereits angesprochenen "grauen Pfade" der Geldanlage.

2.2. Steigende Gesamteinkommen bei Selbständigen und abhängig Beschäftigten

Lassen sich die Einflüsse der Politik, die zu dieser "Explosion" des privaten Geldvermögens führten, nach dem bisher Gesagten nur vermuten, so wird vieles klarer sichtbar bei einer Untersuchung des zweiten großen Anteils am privaten Geldreichtum: den laufenden Einkünften. Zunächst sehr grob in 2 Gruppen aufgeteilt20 soll auch hier die Entwicklung der letzten 17 Jahre betrachtet werden. Schaubild 5 zeigt die Gesamtsumme aller in Deutschland bezogenen Brutto-Einkommen aus unselbständiger Arbeit, Schaubild 6 die Summe aller Brutto-Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen21. Dabei ist zu beachten, daß ab 1991 die Einkommen in Ostdeutschland mit einberechnet sind. Die gesamten Netto-Einkommen der jeweiligen Gruppe ergeben sich durch Abzug der auf diese Einkommen tatsächlich gezahlten Steuern22 und Sozialabgaben23. Deren prozentualer Anteil am Brutto-Einkommen ist in den Schaubildern 5a und 6a dargestellt.

2.3. Vergleich der Brutto- und Nettoeinkommen

Auf den ersten Blick scheint sich die Entwicklung der Einkommen für beide Gruppen nicht allzu stark zu unterscheiden. Die Bruttoeinkommen der abhängig Beschäftigten stiegen im angegebenen Zeitraum insgesamt um 115%, die Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 200%24 (Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Einbeziehung der "neuen Länder" ab 1991 bei den abhängig Beschäftigten einen deutlich stärkeren Einfluß auf den Verlauf der Kurve erkennen läßt, als bei der anderen Gruppe. Ein Herausrechnen des ostdeutschen Anteils würde deutlich machen, daß das Gesamteinkommen abhängig Beschäftigter in Westdeutschland um deutlich weniger als die angegebenen 115% stieg, bei den übrigen Einkommen würde sich durch die Nichtberücksichtigung des Ostens wenig ändern).
Einen wesentlich größeren Unterschied zwischen beiden Gruppen zeigt ein Vergleich der Nettoeinkommen. Bei den abhängig Beschäftigten liegt der Anstieg der Nettoeinkommen mit 95% (gegenüber brutto 115%) deutlich niedriger, bei den anderen mit 253% (gegenüber 200%) deutlich höher als der Zuwachs der Bruttoeinkommen. Das gesamte Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen nahm also mehr als zweieinhalb mal so stark zu, wie das der abhängig Beschäftigten.

Bei diesen Zahlen stellt sich allerdings die Frage nach der Vergleichbarkeit der bisher betrachteten Nettoeinkommen. Selbständige und BezieherInnen von Einkommen aus Vermögen beteiligen sich bekanntermaßen im allgemeinen nicht an den Abgaben an die Sozialkassen der abhängig Beschäftigten und gestalten Alters- und Krankheitssicherung auf privaten Wegen. Welchen Anteil ihres Einkommens sie dafür aufwenden, und wie sich dieser Anteil in den letzten Jahren entwickelt hat, läßt sich zahlenmäßig nur schätzungsweise und für kleine Gruppen darstellen25. Aus diesem Grund werden im folgenden (zunächst) lediglich die "reduzierten" Nettoeinkommen verglichen, die sich aus der Differenz von Bruttoeinkommen und tatsächlich bezahlten Steuern (also vor Abzug der Sozialabgaben) ergeben26. Bedeutende Verschiebungen ergeben sich durch diese Differenzierung allerdings nicht. Auch gegenüber dem "reduzierten" Nettoeinkommen der abh. Beschäftigten (Anstieg um 108%) nahm das Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen weit mehr als doppelt so stark zu (Anstieg um 253%).

2.4. Vergleich der Realeinkommen von Selbständigen und abhängig Beschäftigten

Noch deutlicher wird das Mißverhältnis bei der Gegenüberstellung der Steigerungsraten der inflationsbereinigten Realeinkommen beider Gruppen (Schaubild 7a). Unter Berücksichtigung der "Geldentwertung" (die "Lebenshaltungskosten" stiegen von 1980 bis 1997 um ca. 53%) ergibt sich bereits brutto ein mehr als doppelt so starker Zuwachs (92% zu 38%) der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen, bei den Nettoeinkünften (und nur die zählen ja wirklich!) wird der Abstand zwischen beiden Gruppen noch größer. Die Real-Netto-Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen haben insgesamt fast 4 mal so stark zugenommen (um 126% zu 33%) wie die gesamten "reduzierten" Real-Netto-Einkünfte aller abhängig Beschäftigten.
Wer nun meint, diese Unterschiede dadurch erklären zu können, daß die Anzahl der einen stark ab-, die der anderen da-gegen stark zugenommen habe, sieht sich schnell auf der falschen Fährte. Tatsächlich stieg die Zahl der abh. Beschäftigten durch die Einbeziehung der "Neuen Länder", stark an (von 23,9 Mio. im Jahr 1980 auf 30,4 Mio. im Jahr 1997)27, so daß das verfügbare Netto-Einkommen pro Beschäftigten nach Berücksichtigung der Inflationsrate über diesen Zeitraum fast ein "Null-wachstum", für die letzten Jahre sogar ein zunehmendes "Minuswachstum"28 aufweist. Dagegen wuchs die Zahl der EinkommensbezieherInnen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen deutlich schwächer (von 3,16 Mio. auf 3,58 Mio. im gleichen Zeitraum)29, woraus zu schließen ist, daß deren Realeinkommen auch pro Kopf über all die Jahre kräftig anstieg. Auf die einzelnen EinkommensbezieherInnen umgerechnet ergibt sich das in Schaubild 7b dargestellte Bild. Danach sind die realen Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit im Verlauf dieser 15 Jahre fast überhaupt nicht gestiegen (plus 1%), während die realen Pro-Kopf-Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen einen stattlichen Anstieg um 100% aufweisen.

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3. Hintergründe des Ungleichgewichts

Eine Hauptursache dieser so unterschiedlichen Entwicklungen wird erkennbar bei einer Betrachtung des Anteils der Steuern, die von beiden Gruppen entrichtet wurden (Schaubilder 5 und 6). Da findet sich bei den abhängig Beschäftigten ein Anstieg der insgesamt bezahlten Steuern um 151%30, während die anderen 1997 mit insgesamt 68 Mrd. DM31 nur 11% mehr direkte Steuern zu entrichten hatten als 17 Jahre zuvor (61 Mrd. DM). Rechnet man auch hier die Inflation heraus, zeigt sich (Schaubild 7a) der eklatante Gegensatz: einem deutlichen realen Anstieg der Steuern abhängig Beschäftigter um 61% steht ein realer Rückgang des gesamten Steueraufkommens der anderen um 29% gegenüber. Anteilsmäßig stieg die Belastung durch Steuern für die abhängig Beschäftigten von 15,8% auf 18,4%32 des Gesamteinkommens, für die BezieherInnen von Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sank die Belastung deutlich von 22,1% auf 8,2% (Schaubild 5a und 6a). Ergänzend ist in einem weiteren Schaubild (8) die Entwicklung von Unternehmensgewinnen (von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit)33 und ihrer Besteuerung in den letzten Jahren dargestellt. Sie unterscheidet sich lediglich dadurch, daß der Abfall der steuerlichen Belastung (von 33,6% auf 18,3% im dargestellten Zeitraum34) noch stärker ausfällt, als bei den gesamten Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen35.

3.1. Einfluß der Politik

Auffällig an diesen Zahlen ist die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und ihrer Darstellung in der Öffentlichkeit. Die allseits beklagte Beschreibung Deutschlands als "Höchststeuerland" trifft für die, die sich darüber am lautesten beschweren36, gerade nicht zu. Vergleichsweise hohe Steuern zahlen hierzulande lediglich die abhängig Beschäftigten. Für Gewinne aus Unternehmertätigkeit und Vermögen stimmt genau das Gegenteil, deren Besteuerung entwickelt sich fast gegen Null37 (durchschnittlich 8,2% im Jahr 97)38. Daß auch für die Zukunft nichts anderes zu erwarten sei, machte Daimler-Chef Jürgen Schrempp 1996 gegenüber einer Gruppe von Haushaltsexperten des Deutschen Bundestags deutlich, als er erklärte: "Von uns bekommt Ihr mindestens bis zum Jahr 2000 nichts mehr!"39
Folgerichtig häufen sich - zumindest bei den Konzernen40 - große Mengen von Kapital an, das Geldvermögen der deutschen Produktionsunternehmen41 stieg von 1980 (657 Mrd. DM) bis 1996 (2.639 Mrd. DM) auf das Vierfache an42, die Eigenkapital-Finanzierung von Investitionen war noch nie so hoch wie heute, und mit dem Teil, für den man keine profitträchtige Investition zu finden glaubt, wird spekuliert43.
Entwicklungen dieser Art sind Ergebnisse zielgerichteter Politik44. Sie lassen sich nicht mehr erklären durch Konjunkturschwankungen oder Verschiebungen auf dem Weltmarkt. Fast unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit, nicht durch eine einzelne einschneidende Entscheidung (die wahrscheinlich massiveren Widerstand ausgelöst hätte), sondern in vielen, kleinen Schritten wurden bereits in den vergangenen Jahren in unserer Gesellschaft einschneidende Veränderungen vorangetrieben. Einem Teil der Erwerbstätigen wurde dabei (zum großen Teil durch steuerliche Entlastung) ein immer größerer Anteil des wachsenden Reichtums zugeschustert, während die anderen die Belastungen zunehmend alleine zu tragen haben. Dabei ist das Anwachsen der Steuerbelastung abh. Beschäftigter in erster Linie durch die Wirkung der Steuerprogression zu erklären, die bei (Brutto-) Lohnsteigerungen zu einem steigenden Steuersatz führt45. Im Gegensatz dazu wurde dieser Progressions-Effekt für Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen durch eine Vielzahl von Steuererleichterungen mehr als nur ausgeglichen. Alle derartigen Maßnahmen aufzuzählen, würde den Rahmen dieser Broschüre sprengen. Direkte Steuererleichterungen und Senkungen von Spitzensteuersätzen46 gehören ebenso dazu wie die Reduzierung der Anzahl von Steuer-beamtInnen zur Aufdeckung von Steuerhinterziehung (in Westdeutschland von 9189 im Jahr 1990 auf 8234 im Jahr 1993)47; Erleichterungen bei Abschreibungen verschiedener Art ebenso wie die erhöhten Abschreibungen beim Immobilienkauf (oder bei sonstigen "Investitionen") in den "neuen Ländern"48. Und auch die Möglichkeiten, Gewinne und Kapital in Steueroasen zu verschieben49, wurden von den gleichen Politikern geschaffen50, die jetzt so langsam anfangen, darüber zu klagen, daß diese den Großunternehmen eröffnete Möglichkeit der Steuervermeidung von den Unternehmen tatsächlich genutzt wird!
Neben einer Vielzahl solch direkter Hilfen zur Senkung des Steueranteils auf Unternehmensgewinne wirkten sich auch andere, eigentlich alle SteuerzahlerInnen betreffende Änderungen der steuerlichen Rahmenbedingungen vor allem zu Gunsten der BezieherInnen hoher Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen aus51.
Als Beispiel soll hier eine einzelne solche Maßnahme in Erinnerung gerufen werden, die seinerzeit zwar breit diskutiert wurde, inzwischen aber wieder in Vergessenheit geraten ist: das Steuerreformpaket 1986/88/90. Gerade angesichts derzeitiger Pläne für eine weitere große "Steuerreform" erscheint ein Rückblick auf die letzte sinnvoll. Wie Schaubild 9 zeigt, betrug das gesamte Entlastungsvolumen 33,5 Mrd. DM jährlich52. Davon profitiert das obere Fünftel der etwa 22 Millionen EinkommensbezieherInnen mit 19 Mrd. DM jährlich (59% der Gesamtentlastung) etwa 63 mal so stark wie das untere Fünftel (0,3 Mrd. DM bzw. 0,9%)53.
Nach Berechnungen des RWI54 bestand die Gesamtwirkung dieser Steuerreform zusammen mit dem im folgenden Jahr wirksam werdenden Steuer- und Abgabenpaket sogar in einer zusätzlichen Belastung für die untere Hälfte der EinkommensbezieherInnen, für die obere Hälfte dagegen in deutlichen Entlastungen. Während der Anstieg der Belastung der ersteren bis zu mehr als 6% des Bruttoeinkommens beträgt, ergibt sich für ein(e) SteuerzahlerIn mit beispielsweise 200.000.- DM (zu versteuerndem) Jahreseinkommen eine Entlastung von mehr als 4,5% (oder umgerechnet 9.000.- DM) pro Jahr55.

3.2. Steuerverzicht und leere Kassen

Ein Resultat der bisher beschriebenen, durch politische Entscheidungen herbeigeführten Entwicklung ist die allseits beklagte Situation leerer öffentlicher Kassen. Daß diese Entwicklung nicht zwangsläufig war, vielmehr von denen, die sie beklagen, gerade herbeigeführt wurde, soll im folgenden anhand einer fiktiven Rechnung dargestellt werden:

Angenommen, wir würden den Abstand zwischen den Steuern auf Einkommen aus unselbständiger Arbeit und solchen aus selbständiger Arbeit und Vermögen aus dem Jahr 1980 als in Ordnung ansehen;
Angenommen, die Besteuerung wäre in den folgenden Jahren für die in Wirklichkeit zunehmend entlasteten Bezieher Innen von Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um genau die gleichen Prozentpunkte gesteigert worden wie für die abhängig Beschäftigten;
Angenommen, das somit mehr eingenommene Geld wäre nicht auf anderen Wegen denen zurückgegeben worden, die es nicht lebensnotwendig brauchen,
dann wäre die jährliche Entlastung der öffentlichen Haushalte so angestiegen, wie es Schaubild 10a aufzeigt.
Die Gesamtentlastung betrüge bis Ende 1997 etwa 1070 Mrd. DM. Darin enthalten sind ca. 270 Mrd. DM, die (bei einem angenommen Zinssatz von 6% für den ganzen Zeitraum) an Zinsen eingespart worden wären.
Schaubild 10b zeigt zum Vergleich die jährliche Zunahme der Verschuldung des Bundes für die letzten Jahre56.

Selbstverständlich sind diese Überlegungen weder ein Plädoyer für eine weitere Erhöhung der Belastung der Gesamtheit der EinkommensbezieherInnen, noch so etwas wie eine nachträgliche Rechtfertigung für das starke Anwachsen der Belastung der abhängig Beschäftigten. Sie sollen lediglich aufzeigen, daß die heutige Situation bei entsprechender politischer Absicht hätte vermieden werden können57, ist sie doch so offensichtlich das Ergebnis einer Politik, die sehr einseitig einen großen (vorwiegend reichen) Teil der Bevölkerung zunehmend aus seiner (zumindest finanziellen) Verantwortung für die Allgemeinheit entläßt.
Was in den öffentlichen Kassen derzeit fehlt, taucht bei genauerem Hinsehen an anderer Stelle wieder auf: auf den Bankkonten und in Aktiendepots von Privatleuten58.

3.3. Steigende Sozialabgaben

Die Entwicklung der Sozialabgaben der abhängig Beschäftigten fügt sich nahtlos in das bereits entstandene Bild ein. Der beträchtliche Anstieg von 12,8 % im Jahr 1980 auf 17,3 % im Jahr 1997 (siehe Schaubild 5a) führte zusammen mit den gestiegenen Steuern zu einer Belastung der Einkommen aus unselbständiger Arbeit von inzwischen 35,7% der gesamten Bruttoeinkommen (gegenüber 28,8% im Jahr 1980; siehe Schaubild 5a).
Unter Berücksichtigung dieser Zahlen reduziert sich der reale (inflationsbereinigte) Zuwachs der gesamten Nettoeinkommen dieser Gruppe von 33% (wie in Schaubild 7a angegeben) auf nur noch 25% (bei einer realen Steigerung der Gesamtabgaben um 72%) im angegebenen Zeitraum59. Eine Einbeziehung der steigenden Gesamtbelastung abhängig Beschäftigter in die Modellrechnung zu den Mindereinnahmen des Staates (Schaubild 10a) läßt deren Gesamtbetrag auf etwa 1200 Mrd. DM60 anwachsen.
In der von Bundesregierung und Wirtschaft losgetretenen Diskussion werden die steigenden Sozialabgaben61 zunehmend zur Begründung der Notwendigkeit sogenannter "Sparpakete" und Entlastungsmaßnahmen für die Unternehmen ins Feld geführt. Bezeichnenderweise liegt die Betonung dabei stets auf der Belastung von Unternehmen; die wachsende Belastung abhängig arbeitender Menschen, die eigentlich doppelt "bezahlen", werden schlichtweg verschwiegen. Neben der Verringerung ihrer Realeinkommen trifft diese ein ständiges Herunterschrauben der Leistungen: im Krankheitsfall genauso wie bei Arbeitslosigkeit oder Rente.
In der äußerst polemisch geführten Debatte (die Rede ist u.a. von "Vollkaskoversicherung", "Verteilung von Wohltaten nach dem Gießkannenprinzip" oder "Ausruhen in der sozialen Hängematte") wird der Sozialstaat zum "Auslaufmodell" degradiert62. Sein "Umbau" sei - so die zentrale Behauptung - notwendig, weil Staat und Wirtschaft durch das übermäßige Anwachsen der Sozialausgaben finanziell überfordert würden63.
Angesichts dieser - von Vielen als plausibel akzeptierten - Behauptung ist es angebracht, neben der Entwicklung der Beiträge zu den Sozialversicherungen die Entwicklung der gesamten Sozial-Ausgaben zu untersuchen.
Das Ergebnis ist höchst aufschlußreich: Während die "Sozialbeitragsquote"64 für die gesamte Republik von 17,2% im Jahr 82 auf 19,2% im Jahr 94 gesteigert wurde, sank die "Sozialleistungsquote" in Westdeutschland zwischen 81 (33,5%) und 94 (30%) um 3,5 Prozentpunkte, d.h.: trotz wachsender Beitragszahlungen und steigender Arbeitslosenzahlen und Sozialhilfebedürftigkeit, sowie (angeblich65) explodierender Gesundheitskosten wurde ein immer kleiner werdender Teil (der insgesamt erwirtschafteten Mittel) für soziale Zwecke aufgewandt. Welche immensen Einsparungen durch Leistungskürzungen hinter diesen wenigen Prozentpunkten stecken, wird deutlich anhand absoluter Zahlen: 3,5% des Bruttoinlandsproduktes des Jahres 1994 sind rund 115 Mrd. DM. Anders ausgedrückt: bei gleichbleibender Quote hätten 1994 ca. 115 Mrd. DM66 mehr für soziale Zwecke zur Verfügung gestanden67.
Für ganz Deutschland liegt die Sozialleistungsquote mit 33,5% (im Jahr 1994) nicht allzu hoch über dem Wert, der 1981 für Westdeutschland berechnet wurde. Der Grund für diese (gegenüber der Westquote) erhöhte Gesamtquote liegt in den wesentlich höheren Zahlen für die "neuen Länder". Dort stieg die Sozialleistungsquote (u.a. als Folge der zunehmenden Zahl von Arbeitslosen) auf einen Höchststand von 68,1% (1992), um danach bis 1994 auf immer noch stattliche 61,4% abzunehmen. In den "blühenden Landschaften" müssen also fast 2/3 der insgesamt erwirtschafteten Mittel dazu verwendet werden, die sozialen (Miß-)Verhältnisse "abzufedern".
Zumindest für die letzten Jahre findet sich demnach in der Einbeziehung der "neuen Länder" in das Sozialsystem ein Hauptgrund für den Anstieg der auf die Einkünfte aus unselbständige Arbeit zu entrichtenden Sozialabgaben. Die "Lasten der deutschen Einheit" wurden zu einem großen Teil dem bestehenden Sozialversicherungssystem aufgebürdet, obwohl absehbar war, daß auf der Einnahmenseite aus den "neuen Ländern" nicht viel zu erwarten war. Eine Überlastung der Sozialkassen wurde dadurch vorprogrammiert.
Ein zweiter wesentlicher Grund für die wachsende Belastung durch Sozialabgaben ist die rückläufige Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter (Schaubilder 15a und b). Vor allem die zunehmende Arbeitslosigkeit, die deutlich wachsende Zahl von Berufstätigen in "ungeschützten Arbeitsverhältnissen"68 und die immer größer werdende Zahl von "Scheinselbständigen" führt dazu, daß immer weniger Beschäftigte Beiträge zu den Sozialversicherungen leisten. Darüber hinaus führt die Existenz von "Beitragsbemessungsgrenzen" dazu, daß ausgerechnet bei "Besserverdienenden" (die es bekanntlich auch unter den unselbständig Beschäftigten gibt) Lohnsteigerungen nicht zu einem ausreichenden Anstieg der Sozialabgaben dieser Personengruppe führen.
Neben mehreren, den Sozialkassen in den letzten Jahren aufgebürdeten, versicherungsfremden Leistungen (auf die hier im einzelnen nicht weiter eingegangen werden soll)69 trieb der Rückzug des Staates aus der Finanzierung der "Sozialschutzausgaben" die Belastung abhängig Beschäftigter in die Höhe. Wurden noch 1960 ca. 40% aller Sozialausgaben durch öffentliche Mittel (Steuern) finanziert, und waren es 1980 noch 33,7%, so sank dieser Anteil bis auf 29,4% im Jahr 199070. Für Gesamtdeutschland lag der steuerfinanzierte Anteil 1994 mit 31,2% kaum höher (Schaubild 11). Die Auswirkung dieser verringerten staatlichen Beteiligung wird deutlich anhand konkreter Zahlen. Bei einem Sozialbudget (Summe der Sozialleistungen) von über 1140 Mrd. DM im Jahr 1995 hätten die Sozialkassen (bei einem gleichbleibenden Beteiligungssatz des Staates von 37,2% - wie 1970) jährlich über 68 Mrd. DM zusätzlich zur Verfügung. Sie wären daher auf Beitragserhöhungen nicht angewiesen. Die o.g. Zahlen zeigen, daß dieser Weg nicht gewählt wurde. Statt dessen wurde zum Ausgleich des "Rückzugs des Staates" der prozentuale Beitrag der Versicherten zu den Sozialausgaben von 19,7% (1960) über 22,1% (1970) und 27,6% (1989) auf 28,6% im Jahr 1993 gesteigert71,72.
Angesichts dieser Daten kann keine Rede mehr davon sein, daß die Sozialausgaben nicht mehr finanzierbar wären. Richtig ist vielmehr: Es fehlt der "politische Wille", sie zu finanzieren. Die "sozialen Kosten" gesellschaftlicher Entwicklungen und politischer Entscheidungen wurden und werden nicht auf alle EinkommensbezieherInnen gleichmäßig verteilt, geschweige denn überwiegend denen aufgebürdet, die Einbußen ihres persönlichen Reichtums verkraften könnten, ohne auch nur entfernt in Existenznöte zu geraten73.

Zusammenfassend läßt sich feststellen:
1. Das Gesamteinkommen aller Erwerbstätigen (Volkseinkommen) hat in den letzten 17 Jahren stetig zugenommen.
2. Während der Anteil der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen am Volkseinkommen stark angewachsen ist, ging der Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit entsprechend deutlich zurück74.
3. Den abhängig Beschäftigten wurde ein immer größerer Teil ihrer Einkünfte zur Finanzierung von Staatsaufgaben und einer (immer schlechter werdenden) sozialen Absicherung abverlangt, währenddessen zunehmend auf eine Beteiligung der Selbständigen und VermögensbesitzerInnen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben verzichtet wurde.
4. Die leeren Kassen bei Bund, Ländern und Gemeinden sind ein Ergebnis dieser Politik.

Regenbogenlinie

4. Immer mehr Reiche

Bereits aus den bisher aufgezeigten Entwicklungen läßt sich ablesen, daß die gewaltige Zunahme des Reichtums - dank politischer Weichenstellung - ganz und gar nicht gleichmäßig allen EinkommensbezieherInnen zugute kam. Die Zahl der Menschen, die unter diesen Verhältnissen ihren privaten (Einkommens-) Reichtum entscheidend mehren konnten, läßt sich (mit einigen Einschränkungen) aus den Einkommensteuerstatistiken herauslesen. Zieht man eine Grenze bei 100.000.-DM Jahreseinkommen75 ("Gesamtbetrag der Einkünfte"76), so ergibt sich ein erstes, aufschlußreiches Bild der wachsenden Zahl von Personen mit hohen Einkommen (Schaubild 12a)77. Die Zahl der (unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen natürlichen) Personen mit mehr als DM 100.000.- Jahreseinkommen stieg innerhalb von 12 Jahren (von 1980 bis 199278) auf das 5-fache, das sind mehr als 2,7 Millionen79 Steuerpflichtige im Jahr 1992. Die durchschnittlichen Einkünfte dieser Gruppe werden mit 184.000.- DM angegeben.
Ob sich dieser Anstieg mit der gleichen Dynamik bis heute fortgesetzt hat (dies würde für 1996 eine Zahl von weit über 4 Millionen BezieherInnen solcher Einkommen bedeuten80) oder etwas flacher verlaufen ist, läßt sich noch nicht feststellen81. Sicher scheint aber, daß die Entwicklung zumindest tendenziell so weiterging und auch für die Zukunft ist nichts wesentlich anderes zu erwarten. Die politischen Weichen dafür sind bereits und werden weiter gestellt82.
Teilweise läßt sich dieser (exponentielle) Anstieg mit den (durchschnittlich) steigenden Einkünften erklären. So "rutschte" ein Teil der EinkommensbezieherInnen durch tarifliche Lohnerhöhungen statistisch gesehen in die nächsthöhere Einkommensgruppe. Unter Berücksichtigung der Steigerung der Lebenshaltungskosten83 entsprächen (im Vergleich der Kaufkraft) 120.000.- DM Jahreseinkommen 1992 einem Einkommen von 100.000.- DM im Jahr 1983. Doch auch bei Berücksichtigung der sich daraus ergebenden Korrekturen84 bleibt festzuhalten, daß die Anzahl von BezieherInnen hoher Einkommen deutlich gestiegen ist. Die Zahl der Reichen nimmt rasant zu. Das zeigt sich gleichermaßen in der zahlenmäßigen Zunahme (Anstieg um 167%) der Leute mit über 250.000.- DM Jahreseinkommen (Schaubild 12b). Deren durchschnittliches zu versteuerndes Einkommen lag 1992 bei ca. 602.000.- DM.
Wesentlich differenziertere Aufschlüsse über den wachsenden privaten Reichtum lassen die vorliegenden Daten leider nicht zu. Zu unterschiedliche "Steuerfälle" sind in den Einkommensteuertabellen mit dem (scheinbar) gleichen Einkommen registriert. Hauptgrund dafür ist die Tatsache, daß die Aufteilung der Steuerpflichtigen in Einkommensgruppen nicht nach der Höhe der tatsächlichen Einkünfte, sondern nach dem (etwas irreführenden sog.) "Gesamtbetrag der Einkünfte" vorgenommen wird (siehe Fußnote 76). Werbungskosten (darunter fallen alle wesentlichen privaten Absetzungsmöglichkeiten außer der Eigenheimförderung und Sonderausgaben), sog. "negative Einkünfte" aus anderen Einkunftsarten (beispielsweise Schiffsbeteiligungen) und Betriebsausgaben (Beispiel: Firmenwagen) sind also bereits herausgerechnet85.
Ein angegebenes Jahreseinkommen von 100.000.- DM kann demnach bedeuten:
· das gesamte Bruttoeinkommen einer Familie mit 2 Verdienenden, von dem nach Abzug von über 40% Steuern und Sozialabgaben ein Nettomonatseinkommen von weniger als 5000.- DM übrigbleibt,
· aber auch: das "heruntergerechnete" Einkommen von Selbständigen (Absetzbarkeit der Betriebsausgaben86) oder sonstigen "Besserverdienenden", die aufgrund ihrer hohen Einkünfte in der Lage sind, von den vielfältigen Steuerminderungsangeboten Gebrauch zu machen.
Die (legale und illegale) Möglichkeit, Einkommen "herunterzurechnen" führt dazu, daß eine große (leider nicht exakt festzustellende) Zahl von BezieherInnen hoher und extrem hoher Einkommen in den amtlichen Steuerstatistiken nicht (bzw. als "Verlustfälle") erscheinen oder zumindest in sehr niedrigen Einkommensgruppen eingeordnet werden. Insofern kann festgehalten werden, daß auch die vorliegenden Zahlenangaben das wahre Ausmaß der Konzentration von Einkommens-Reichtum verschleiern. Viele Reiche werden von diesen Statistiken nicht erfaßt87.

4.1. Das "Herunterrechnen" von Einkommen

Die Praxis der "rechnerischen Verringerung" des zu versteuernden Einkommens verdient, etwas näher betrachtet zu werden. Zunächst ist zu beachten, daß bekanntlich den abh. Beschäftigten die "Last" der Bestimmung der Einkommenshöhe abgenommen wird (Steuern und Abgaben werden direkt vom Lohn abgezogen), den Selbständigen und VermögensbesitzerInnen jedoch nicht. Sie "müssen" die Höhe ihres Einkommen (und der steuermindernden Betriebsausgaben) selbst errechnen und dem Finanzamt mitteilen, wobei die Gefahr der amtlichen Überprüfung erfahrungsgemäß als nicht hoch anzusetzen ist.

Das "Herunterrechnen" von Einkommen

Eine Modellrechnung der Wirtschaftswoche88 über einen Zeitraum von 10 Jahren. Steuerfall: Ehepaar ohne Kinder, zwei Verdiener, Einkommen: 500.000.- DM im Jahr.

Zeitraum Sachverhalt Steuermindernder Betrag (DM) Steuermindernder Betrag im ganzen Zeitraum (DM) zusätzliche Einkünfte (DM)
1. bis 10. Jahr Arbeitszimmer 8.000 pro Jahr 80.000
1. bis 10. Jahr Außergewöhnliche Belastungen 8.000 pro Jahr 80.000
1. bis 6. Jahr Mieteinnahmen aus Mehrfamilienhaus Abschreibung 40.000;
Zinsabsetzung 110.000
150.000 Mieteinnahmen 6 mal 70.000=420.000
1. Jahr Kauf einer Schiffsbeteiligung Verlustzuweisung 165.000 165.000
2. Jahr Beteiligung an soz. Wohnungsbau in Berlin Verlustzuweisung 145.000 145.000
3. Jahr Beteiligung an geschl. Immobilienfond in Ostdeutschland Verlustzuweisung 100.000 100.000
3. Jahr Verkauf der selbstgenutzten Wohnung Gewinn (gegenüber dem Kaufpreis) 100.000 (steuerfrei)
4. Jahr Kauf einer Beteiligung am soz. Wohnungsbau in Berlin Verlustzuweisung 170.000 170.000
4. Jahr Kauf einer selbstgenutzten Villa Schuldzinsen-Absetzung: 6 Jahre je 12.000 72.000
5. Jahr Kauf einer Schiffsbeteiligung Verlustzuweisung 165.000 165.000
6. Jahr Auszahlung einer Lebensversicherung Gewinnanteil 340.000 (steuerfrei)
7. Jahr Verkauf eines vermieteten Mehrfamilienhauses Gewinn (gegenüber dem Kaufpreis) 500.000 (steuerfrei)
7. Jahr Kauf eines Mehrfamilienhauses in Ostdeutschland Schuldzinsenabsetzung 150.000 pro Jahr 600.000 Mieteinnahmen 4 mal 150.000 im Jahr = 600.000
7. bis 10. Jahr Abschreibungen für o.g. Mehrfamilienhaus 480.000 pro Jahr 1.920.000
Gesamtbeträge 3.647.000 DM 1.960.000 DM
1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr 4. Jahr 5. Jahr 6. Jahr 7. Jahr 8. Jahr 9. Jahr 10. Jahr insgesamt
zu bezahlende Steuer (DM)
Steuersatz
80930
91600
113000
72190
74700
160000
0
0
0
0
592424
8,5%

Hilfreich zur Beurteilung der Steuerehrlichkeit gerade der reichen MitbürgerInnen ist die Tatsache, daß im Jahr 1983 von den unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen den Finanzämtern gegenüber insgesamt 834 Mrd. DM als Einkünfte angegeben wurden, während das DIW und das Statistische Bundesamt für das gleiche Jahr übereinstimmend eine Gesamtsumme derartiger Einkünfte von 1.200 Mrd. DM errechnen. Nach Angaben des DIW geht aus der Steuerstatistik für 1986 hervor, daß 90% der gesamten Bruttolohn- und Gehaltssumme der abhängig Beschäftigten gemeldet wurde, von den Einkünften aus Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft sowie selbständiger Arbeit aber lediglich 55%. Anfang der Achtzigerjahre waren es noch 60%89. Bei den Angaben über Vermögen, das ja ebenfalls eine nicht unerhebliche Quelle von Einkommen darstellt, sind die Verhältnisse noch deutlicher: das in der Vermögenssteuerstatistik erfaßte, von allen natürlichen Personen zusammen deklarierte Gesamtvermögen belief sich 1983 auf 479 Mrd. DM, während die Deutsche Bundesbank für das gleiche Jahr allein ein Geldvermögen der privaten Haushalte von 1.800 Mrd. angibt. 1986 wurden den Finanzämtern gegenüber insgesamt 543 Mrd. Gesamtvermögen (darunter ganze 375 Mrd. DM Geldvermögen) "zugegeben", während das gesamte Geldvermögen in diesem Jahr in Wirklichkeit 2.336 Mrd. DM betrug.

Daneben beruht das "legale Herunterrechnen der Einkünfte" im wesentlichen auf einer Vielzahl von Abschreibungsmöglichkeiten bzw. "legalen Tricks, Verluste zu machen", die das zu versteuernde Einkommen vor allem bei den "Besserverdienenden" kräftig drücken91. Ein typisches Beispiel für die Möglichkeiten zur Senkung des persönlichen Steuersatzes liefert die Zeitschrift Wirtschaftswoche, deren Leserschaft sich hauptsächlich in den obersten Einkommensregionen zu finden scheint92. In einem Artikel zur geplanten Steuerreform wird offen eingeräumt, daß "die derzeitigen Höchststeuersätze auf mehr oder weniger heruntergerechnete Einkommen bezahlt werden", wobei die Praxis dieses "Herunterrechnens" in einer Modellrechnung dargestellt wird (siehe Kasten).
Bemerkenswert ist neben der staatlich geförderten Anhäufung von Privatbesitz die Tatsache, daß in den letzten vier Jahren des angenommenen Zeitraums überhaupt keine Steuer mehr zu bezahlen ist. Das bedeutet, daß dieses Ehepaar in keiner Einkommensteuerstatistik mehr erscheint, höchstens noch unter den "Verlustfällen"! Übrigens: der Gesamt-Steuersatz, bezogen auf alle Einkünfte dieser 10 Jahre, beträgt stolze 8,5%! Es gibt allerdings viele, die nicht einmal so viel zu entrichten haben.
Ähnlich der Wirtschaftswoche nutzen andere führende Zeitschriften die bevorstehende Steuerreform dazu, ihre LeserInnen rechtzeitig auf (noch) vorhandene "Angebote" zur Steuersenkung hinzuweisen. Unter dem Titel "Wie zahlt man Null Steuern?" werden in Capital (Nr. 11/96) die lukrativsten Möglichkeiten aufgeführt: "Verlustzuweisungen bis 125% und zweistellige Nettorenditen bei Schiffsbeteiligungen"; "Eine Rendite von 13,1% durch Sonderabschreibungen für Mietshäuser in Ostdeutschland"; "Verlustzuweisung bei Beteiligung an einem Immobilienfond" und "als ideale Kombination für Spitzenverdiener (ab 300.000.- DM) Investitionen in den Umweltschutz in ostdeutschen Kommunen". Das Wirtschaftsmagazin DM bemerkt in seiner Ausgabe vom November 96 (Titel: "Runter mit Ihrer Steuer. Strategien gegen Waigel") zum Thema "geschlossene Immobilienfonds": "Fast alle wollen die 50prozentige Sonderabschreibung für Investitionen in den neuen Bundesländern mitnehmen,..." und bemerkt dazu, daß 1996 von Bundesbürgern "10 Mrd. DM in solche Fonds gesteckt werden"93. DM-Kommentar zu diesem Sachverhalt: "Wirtschaftlich machen die meisten Projekte wenig Sinn. Einzig Waigels Steuergeschenke sind der Grund für diese Rekordjagd"94.
Eine Modellrechnung von Capital95 zeigt die Praxis solcher Steuergeschenke: Ein verheirateter Anleger mit einem Jahreseinkommen von 180.000 DM kauft ein Reihenhaus in Ostdeutschland für 395.000 DM. Bei einem Eigenkapitaleinsatz von 100.000 DM und 7,5% Kreditzinsen auf die Restsumme, sowie 15.000 DM Aufwendungen für Instandhaltung erhält er (neben 191.400 DM Mieteinnahmen; das entspricht einer monatlichen Kaltmiete von 1595 DM) innerhalb von 10 Jahren - neben der Steuerfreiheit der Mieteinnahmen - "Steuergeschenke" in Höhe von 151.000 DM96 (siehe Schaubild 13a). Der Staat schenkt ihm demnach 51% mehr, als er ursprünglich eingesetzt hatte, nicht mitgerechnet die ihm zugute kommende Wertsteigerung des Hauses, die in 10 Jahren weit über 100.000 DM ausmachen dürfte. Würde dieses "Steuergeschenk" in Form eines Zuschusses zum Kaufpreis den Mietern zur Verfügung gestellt, so könnten diese das Wohnhaus - bei gleicher Belastung - selbst erwerben97.

Das Ausmaß dieser Steuergeschenke an MitbürgerInnen mit sehr hohen Einkünften läßt sich - wie bereits erwähnt - aus den amtlichen Steuerstatistiken nicht ermitteln. Die einzige derzeit vorliegende offizielle Untersuchung zu diesem Sachverhalt findet sich in einer Denkschrift des Landesrechnungshofes (RH) von Baden-Württemberg98, in der stichprobenartig die Steuererklärungen von gutverdienenden Steuerpflichtigen für die Jahre 1990 bis 94 analysiert wurden99. Ergebnis der Untersuchung: Unter uns leben erstaunlich viele Leute mit erstaunlich hohen Einkünften. Von den 3,88 Mio. Steuerpflichtigen in Bad.-Württ. konnten sich in den Jahren 1990 bis 94 mehr als 100.000100 an Jahreseinkünften von mehr als 250.000 DM erfreuen101. Mehr als ein Viertel davon haben die staatlichen Angebote zum Steuersparen in erheblichem Umfang (mehr als DM 100.000 sog. "Verluste") wahrgenommen. Für diese Minderheit von "Besserverdienenden" (0,7% aller Steuerpflichtigen) stellt der RH fest: "Die effektive Belastung der positiven Einkünfte ist erheblich niedriger, als die hohen formalen Steuersätze erwarten lassen. Hochgerechnet haben 'steuertechnische Verluste' landesweit zu einer Steuerminderung im Milliardenbereich geführt". In konkreten Zahlen bedeutet das:
1. Wurden noch 1990 "nur" 17% der Einkünfte der "Besserverdienenden" durch sog. "Verluste" vor dem Steuerzahlen gerettet, so stieg dieser Anteil bis 1993 auf satte 54% an. Das bedeutet, daß nicht einmal mehr die Hälfte der Einkünfte dieser Leute versteuert wurde.
2. Der Umfang der Steuerausfälle, die ausschließlich aufgrund der sog. "steuertechnischen Verluste" dieser kleinen Gruppe zugute kam, stieg innerhalb von nur 5 Jahren auf das Vierfache an (siehe Schaubild 13b)102.

Ein Beispiel...(aus der Denkschrift des RH) Ein Steuerpflichtiger mit Jahres-Einkünften in Höhe von 4,3 Millionen "investierte" 1994 13,6 Mio. DM in ein Mietshaus in den Neuen Ländern. Der ihm zugewiesene "steuertechnische Verlust" führte dazu, daß er in diesem Jahr keine Steuern zu bezahlen hatte, die in den Jahren 92 und 93 bezahlten Steuern zurückerstattet bekam und noch für die Folgejahre einen "Verlustvortrag" in Millionenhöhe in Anspruch nehmen konnte.
Anm.: Dieser Mensch erscheint in den offiziellen Steuerstatistiken für mindestens 3 Jahre unter den Verlustfällen; steuertechnisch gesehen gilt er als "arm".

Allein für Baden-Württembergs Steuerpflichtige betrug der Steuerverzicht demnach (bereits 1994) gut 3 Milliarden DM; hochgerechnet auf die ganze Bundesrepublik dürften sich für 1994 Steuergeschenke zugunsten dieser Minderheit von "Besserverdienenden" in Höhe von mehr als 20 Mrd. DM allein aus "steuertechnischen Verlusten" ergeben haben.
Sichtbar werden diese "Geschenke" in der Entwicklung des Anteils der "Veranlagten Einkommensteuer, die (für ganz Deutschland) innerhalb von 6 Jahren von 41 Mrd. DM im Jahr 1991 über 25,5 Mrd. DM (1994) auf etwa 3 Mrd. DM (1997)103 gesenkt wurde104. Ihr Anteil am gesamten Einkommensteuer-Aufkommen betrug 1990 noch mehr als 14%; davon ist praktisch nichts mehr übrig geblieben (siehe Schaubild 13c)105. Gemeinden mit hohem Anteil an reichen Mitbürgern durften bereits 1996 mehr ausbezahlen, als sie eingenommen haben106.

Konkrete Folgen
In einer Panorama-Sendung vom Oktober 97 wurde die Auswirkung dieser Steuergeschenke an Reiche drastisch beschrieben: Der Leiter des Finanzamtes von Bad Homburg erklärt, daß das Aufkommen der veranlagten. Einkommensteuer innerhalb der letzten 7 Jahre nicht nur von 230 Mio. DM auf Null gesunken ist; im Jahr 1996 mußte gar ausbezahlt werden108. Der Grund dafür ist nicht etwa eine schwierige wirtschaftliche Situation der entsprechenden Steuerpflichtigen. Im Gegenteil: Als Grund nennt der Finanzamtsleiter die weit überdurchschnittliche Zahl von Leuten mit weit überdurchschnittlichen Einkünften, die sich in dieser Gemeinde vor den Toren Frankfurts niedergelassen haben.

Angesichts dieser Zahlen muß davon ausgegangen werden, daß die Angebote zur Steuervermeidung in den Jahren nach 1994 noch verstärkt in Anspruch genommen wurden, und so kann für 1996 und 97 von Steuerverlusten in einer Größenordnung von weit mehr als 40 Mrd. DM jährlich ausgegangen werden107.
Der Anteil der Lohnsteuer (an der gesamten Einkommensteuer) stieg im gleichen Zeitraum um 13,5 Prozentpunkte109, was die Feststellung untermauert, daß die abhängig Beschäftigten trotz steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Realeinkommen zunehmend zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen, die Reichen dagegen, wie auch die Konzerne (die Körperschaftssteuer ging anteilsmäßig ebenfalls deutlich zurück), trotz stetig steigender Einkünfte bzw. Gewinne aus ihrer Verantwortung für die Allgemeinheit fast vollständig entlassen wurden.

4.2. Reichtumsverteilung auf Haushaltsgruppen

Von Bedeutung ist angesichts der wachsenden Zahl von Leuten mit hohen und sehr hohen Einkommen auch die Frage, welche Gruppen der Bevölkerung hauptsächlich an diesem Anstieg teilhaben. Deutliche Hinweise hierzu enthält bereits der Vergleich der Gesamt-Einkommensentwicklung von abhängig Beschäftigten und Selbständigen bzw. BesitzerInnen von Geldvermögen. Genaueren Aufschluß über den unterschiedlichen Anteil am Zuwachs von gesellschaftlichem Reichtum geben die Schaubilder 14a und 14b.
Dargestellt ist einerseits die absolute Höhe des durchschnittlichen verfügbaren110 Haushaltseinkommens verschiedener Bevölkerungsgruppen111 im Jahr 1996 (bzw. 1994112), eingeteilt nach der Hauptquelle ihrer Einkünfte113; andererseits der reale (inflationsbereinigte114) Anstieg der durchschnittlichen verfügbaren Haushaltseinkommen zwischen 1980 und 96 (bzw. 94) in Prozentpunkten.
Nach dieser Übersicht gibt es nur eine Gruppe von "Gewinnern", die weit über dem Durchschnitt am Wachstum des Reichtums beteiligt wurden: die Haushalte von Selbständigen. Der reale Anstieg der Einkommen je Haushalt liegt bei den anderen Gruppen mehr oder weniger deutlich unter dem Durchschnitt aller Haushalte. Zu beachten ist, daß die Haushalte von ArbeiterInnen in den letzten 16 Jahren real fast keinen Zuwachs zu verzeichnen haben, während die Arbeitslosen und Landwirte in dieser langanhaltenden Phase steigenden Reichtums sogar ein Absinken ihrer verfügbaren Mittel verkraften mußten.
Für die Einkommensverhältnisse im Jahr 1994 läßt sich außerdem feststellen: die 1,7 Mio. Haushalte von Selbständigen verfügten insgesamt über ein verfügbares Monatseinkommen von 28 Mrd. DM. Damit hatten sie fast so viel zur Verfügung wie alle 6,94 Mio. Angestellten-Haushalte zusammen (37,9 Mrd. DM) und mehr als alle 5,93 Mio. Haushalte von ArbeiterInnen (26,4 Mrd. DM). Ein Vergleich mit den 1,2 Mio. Haushalten von Arbeitslosen (insgesamt 3,1 Mrd. DM) erübrigt sich fast115.
Wer nun meint, die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern erscheine zu kraß aufgrund mangelnder Differenzierung innerhalb einzelner Gruppen, findet sich bei genauerem Hinsehen mit dem Gegenteil konfrontiert. So werden unter "Selbständige" sowohl all jene mitgerechnet, die in zunehmender Zahl gezwungenermaßen aus Angestelltenverhältnissen heraus in den Status von SubunternehmerInnen ("Scheinselbständige") gedrängt wurden, als auch die ebenfalls steigende Zahl von Menschen, die ohne Aussicht auf bezahlte Arbeit "ihr Glück" in irgend einer Art von selbständiger Dienstleistung versuchen116. Nicht zu vergessen die große Zahl von kleinen Familienbetrieben, die "gerade so über die Runden kommen". Wäre es möglich, die überaus niedrigen Einkommen dieser - eigentlich der Verliererseite Zugehörenden - herauszurechnen, und ebenso die "negativen Einkommen" derjenigen, die (z.B. in den ersten Jahren nach Eröffnung einer Zahnarztpraxis oder aufgrund der bereits beschriebenen Technik des "Herunterrechnens") rechnerische Verluste ausweisen, würde sich die Ungleichverteilung noch wesentlich deutlicher zeigen.
Umgekehrt wäre bei den Daten der anderen Gruppen zumeist eine Korrektur nach unten angesagt. So gibt es auch unter den Angestellten viele, deren Einkommen weit über dem Durchschnitt einzuordnen ist und zudem in den letzten Jahren überdurchschnittlich wuchs. Managergehälter beginnen nun mal bei weit mehr als 100.000.- DM Jahreseinkommen und noch manch andere SpitzenverdienerInnen beziehen ihr Geld als Angestellte117. In der Realität liegen, so das Fazit, die Verhältnisse noch viel weiter auseinander, als es diese Schaubilder ausdrücken.

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C: Die Kehrseite wachsenden Reichtums

Zu einem Überblick über die Entwicklung der letzten Jahre gehört unverzichtbar die Beschäftigung mit der Kehrseite stetig wachsenden Reichtums: der zunehmenden Armut immer breiterer Schichten unserer Gesellschaft. Ohne Anspruch, das Problem auch nur annähernd vollständig beschreiben zu können, sollen im folgenden einige markante Veränderungen - die "untere" Hälfte der Bevölkerung betreffend - dargestellt werden. Aus Gründen der Vergleichbarkeit mit der vorausgegangenen Beschreibung der Reichtumsentwicklung werden auch hierbei Zahlen die Hauptrolle spielen, obwohl sich gerade Armut in vielen, sehr differenzierten Formen darstellt und nicht allein an der Menge des zur Verfügung stehenden Geldes festzumachen ist118.

1. Geringfügig Beschäftigte

Ein Grund wachsender Verarmung liegt in der Tatsache, daß zunehmend auch Menschen, die aus irgendeiner Tätigkeit oder aus anderen Quellen (abhängige Arbeit, Rente, Arbeitslosenunterstützung oder auch selbständige Arbeit) regelmäßige Einkünfte beziehen, in Armut abgleiten119. Einen Hinweis darauf, daß ein beträchtlicher Anteil der angeblich "sozial Abgesicherten" in keiner Weise vom Anstieg gesellschaftlichen Reichtums profitierte, enthält bereits Schaubild 14b. Es zeigt, daß z.B. die Haushalte von Arbeitslosen im beschriebenen Zeitraum einen Rückgang ihrer Realeinkommen um fast 5% verkraften mußten, Landwirte sogar noch mehr. Darüber hinaus gibt es unter den Berufstätigen eine wachsende Zahl von sog. "Working Poor", also von Leuten, die aus ihrer bezahlten Tätigkeit kein ausreichendes Einkommen mehr beziehen (und zum Teil trotz bezahlter Anstellung oder auch selbständiger Tätigkeit sozialhilfeberechtigt sind). Einen nicht unerheblichen Teil120 davon machen die sog. "geringfügig Beschäftigten"121 aus, die neben BeamtInnen und Selbständigen zu den nicht-sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu zählen sind (Schaubilder 15 a und b). Während die Gesamtzahl der Beschäftigten in Westdeutschland von 1990 bis 94 nur kleineren Schwankungen unterlag122 und im Osten stark zurückging123, ist in beiden Teilen ein deutlicher Anstieg des Anteils der nicht-sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse zu verzeichnen. Im Westen läßt sich dieser Anstieg (von 25,9 auf 30,1%) fast vollständig durch die wachsende Zahl der "geringfügig Beschäftigten" erklären. 1994 fanden sich (gegenüber 1990) hier 46% (das sind 1.034.000 Menschen) mehr in solchen ungesicherten Arbeitsverhältnissen wieder, die zunehmend neben Einzelhandelskonzernen124 von Firmen im produzierenden Sektor zur "Kostensenkung" eingerichtet werden125. Im Osten hat sich im gleichen Zeitraum der Anteil dieser "Arbeitsverhältnisse" in 4 Jahren von 3,1% auf 6% nahezu verdoppelt, wobei der Anstieg in absoluten Zahlen lediglich 47% betrug (das sind 118.000 Menschen), da die Gesamtzahl der Beschäftigten im gleichen Zeitraum deutlich zurückging126.
In den Jahren seit 1994 hat sich die in den Schaubildern 15a und b dargestellte Situation weiter dramatisch verschärft. Seriöse Schätzungen127 gehen von einer Verdoppelung der Zahl der sog. "610-Mark-Jobs" seit 1987 (2,8 Mio.) auf 5,6 Mio. (1996) aus128, und auch das Herausdrängen von zuvor festangestellten Beschäftigten in den absolut ungesicherten Status von (Schein-)selbständigen hat Hochkonjunktur. Über eine halbe Million Menschen dürften inzwischen davon betroffen sein129. Zusammen mit der steigenden Zahl von Arbeitslosen führte dies zu einem Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze seit 1987 um 2 Millionen.

2. Arbeitslose und EmpfängerInnen von Sozialhilfe

Arbeitslosigkeit ist eine der Hauptursachen130 für die Verarmung von Menschen, der Bezug von Sozialhilfe ein wesentliches Indiz für das "in Armut leben". Deshalb sind die in den Schaubildern 16, 17 und 18 dargestellten Entwicklungen der Anzahl von Arbeitslosen bzw. SozialhilfeempfängerInnen und ihren Familien (Haushalte) ein mehr als deutlicher Hinweis auf die Zunahme von Armut. Erschreckend genug sind diese Zahlen, die (im Gegensatz zu der Anzahl von BezieherInnen hoher und extrem hoher Einkommen) Jahr für Jahr der Öffentlichkeit detailliert bekanntgegeben werden. So stieg die Zahl der (offiziell) Arbeitslosen seit 1980 in Westdeutschland um 240% auf mehr als 3 Mio. (Schaubild 16), im Osten in 6 Jahren um 40% auf knapp 1,4 Mio. Menschen131.
Bei den EmpfängerInnen von Sozialhilfe (Schaubild 17) ist innerhalb von 8 Jahren (von 1985 bis 93) ein Anstieg um 52%, in Ostdeutschland in 3 Jahren (90 bis 93) ein Zuwachs um 460% festzustellen132. Noch deutlicher wird die Entwicklung bei der Betrachtung der Haushalte133, deren hauptsächliche oder ausschließliche Einnahmequelle Arbeitslosenunterstützung (Schaubild 18a), bzw. Sozialhilfe (Schaubild 18b) darstellt. Die Zahl der Arbeitslosenhaushalte stieg in 14 Jahren um 315% auf fast 1,2 Millionen134, die der EmpfängerInnen von Sozialhilfe um 141% auf 721.000135 (beides nur Westdeutschland). Im Osten lebten 1993 280.000 Haushalte hauptsächlich von Sozialhilfe, was einem Anstieg um 44% innerhalb von nur 2 Jahren entspricht136.
Am stärksten betroffen von der wachsenden Armut sind Kinder. Allein von 1994 auf 1995 hat sich die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen unter 18 Jahren um 10,5% (auf fast eine Million137) erhöht; knapp die Hälfte davon sind jünger als sieben Jahre138.
Auffällig ist beim Blick auf die Entwicklung der letzten Jahre neben dem starken Anstieg der Anzahl der auf "Versorgungsleistungen" (Arbeitslosenunterstützung und Sozialhilfe) angewiesenen Menschen die Tatsache, daß bei den Arbeitslosen noch gewisse Schwankungen zu beobachten sind, bei den EmpfängerInnen von Sozialhilfe jedoch nicht. Während die Arbeitslosigkeit - im Westen zumindest - in der Zeit der sog. "Wiedervereinigung" vorübergehend zurückging (um danach allerdings um so stärker wieder anzusteigen), wird das Anwachsen der Zahl von Menschen, die Sozialhilfe benötigen, offensichtlich selbst durch Konjunkturschwankungen nicht mehr beeinflußt.
Doch auch diese Zahlen entpuppen sich bei genauerem Hinsehen noch als Beitrag zur Verschleierung von Armut. So werden z.B. bei der Berechnung der Arbeitslosenquote von den gezählten Arbeitslosen die ausgewiesenen "offenen Stellen" abgezogen, die in ABM und Fortbildungsmaßnahmen befindlichen Menschen nicht mitgezählt, und all jene außer acht gelassen, die nach amtlichen Maßstäben139 keine Arbeitslosen sind140. Das ganze Ausmaß dieser sog. "stillen Reserve" läßt sich nur schätzen. Sicherlich nicht zu hoch gegriffen sind Zahlenangaben, die von der Bundesregierung in der Antwort auf eine große Anfrage141 veröffentlicht wurden. Danach142 stieg diese "Stille Reserve" von knapp 1,2 Mio. (1985) in 11 Jahren auf über 3 Mio. Menschen (1996) an. Schaubild 16a zeigt, wie sich die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen bei Berücksichtigung dieser Daten wirklichkeitsnäher darstellt143.
Auch bei der Sozialhilfe werden "selbstverständlich" nur diejenigen gezählt, die etwas erhalten. Verständlicherweise, wird doch die Sozialhilfestatistik mit ihren enormen Steigerungswerten vor allem als "bedrohlicher Kostenfaktor" gesehen144. Unter denen allerdings, die sich ernsthaft mit diesem Problem und den betroffenen Menschen beschäftigen, herrscht Einigkeit über eine gewaltige Dunkelziffer, die zahlenmäßig zwischen 33 und 50% geschätzt wird145. Darunter fallen in der Hauptsache all jene (vor allem alte) Menschen, die eigentlich Anspruch auf Sozialhilfe hätten, diesen aber aus "Stolz", "Scheu" oder wegen "Nicht-Bescheid-Wissen" nicht in Anspruch nehmen (können)146 sowie ein Teil der (inzwischen auf fast eine Million angestiegenen147) Obdachlosen.

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D. Umbau der Gesellschaft

Die Frage, ob das gewaltige Anwachsen der Zahl von Unterprivilegierten (Arbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen und sonstige in Armut Lebende) in unserer Gesellschaft von Politik und Wirtschaft absichtlich herbeigeführt wurde, um dadurch den Reichtum einer bestimmten Schicht zu vergrößern, oder ob die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten einfach als "Nebenprodukt" einer ausschließlich auf die Interessen der Reichen ausgerichteten Politik billigend in Kauf genommen wird, ist strittig und kann diskutiert werden. Offensichtlich jedoch ist der parallele Verlauf der Entwicklungen über einen Zeitraum von (mindestens) 17 Jahren. Es gab keinen Stillstand. Alles ist in Bewegung, doch nicht im Auf und Ab wirtschaftlicher oder politischer Schwankungen. Alles ist gewachsen, stetig, und größtenteils in atemberaubendem Tempo: das private Geldvermögen und die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen genauso wie das Einkommen der zuvor schon Reichen (und auch ihre Zahl) und die Zahl der Arbeitslosen. Gestiegen ist die finanzielle Belastung der abhängig Beschäftigten genauso wie die Steuergeschenke an die Reichen und die daraus resultierenden Defizite und Schuldenberge der öffentlichen Haushalte.
Es ist ein Wachstum an den Rändern der Gesellschaft, einige Millionen oben, viele Millionen unten, in der "Mitte" wird es enger. Ob mit dem Begriff "Zwei-Drittel-Gesellschaft", auf die wir zuzusteuern scheinen, die Situation korrekt beschrieben wird, ist fraglich. "Zwei-Drittel-Gesellschaft" sieht zu sehr nach einer Grenze aus, an der die Entwicklung zum Stillstand kommen könnte. Darauf gibt es keinen Hinweis in dem, was hier untersucht wurde. Dagegen deutet vieles darauf hin, daß der (angeblich notwendige) "Umbau des Sozialstaats" in Wirklichkeit grundsätzlicher zu verstehen ist. Ziel ist ein "Umbau der Gesellschaft", der allerdings schon längst in Angriff genommen ist. Grundlage dieses Umbaus scheint die "Erkenntnis", daß in Deutschland (wie schon seit langem in den Ländern der sog. 3. Welt) Millionen von Menschen "überflüssig" sind. Menschen, die nicht mehr zum Gewinn-Erwirtschaften gebraucht werden, Menschen als reine "Kostenfaktoren für Staat und Wirtschaft", derentwegen die Rendite des eingesetzten Kapitals nicht in gewünschte Höhen getrieben werden kann, Menschen, die man nicht einmal mehr zum Ausbeuten braucht. Der Anstieg der Zahl der "Überflüssigen" wird in Kauf genommen, da unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen die daraus entstehenden Kosten (durch ständige Kürzungen) in Grenzen gehalten oder denen aufgebürdet werden können, die (aus Angst um ihren Arbeitsplatz) zu fast jedem Zugeständnis bereit sind, um nicht ebenfalls ins Elend abzusinken. "Die Zahl derjenigen, die von einem menschenwürdigen Dasein in Zukunft ausgeschlossen sind, wird einen historischen Höchststand erreichen. Die Grenzen zwischen Elend und Wohlstand werden mitten durch die Metropolen, nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren an ihren Rändern verlaufen"148.

1. Trotz allem: Geld ist genug da

Ergänzend, zum Abrunden des Gesamteindrucks der dargestellten Entwicklungen, sei noch ein vergleichsweise kleines Beispiel von Wachstum in den letzten Jahren aufgezeigt. Es macht deutlich, daß offensichtlich immer noch ohne große Probleme Milliardenbeträge locker gemacht werden können, wenn die Bundesregierung glaubt, dadurch ihre politischen Ziele erreichen zu können (Schaubild 19 und 20)149.
Mit Stolz läßt Herr Kanther im Oktober 95 in seiner Informationspostille "Innenpolitik" verkünden, daß es trotz leerer Kassen möglich war, den Bundesgrenzschutz personell und finanziell massiv aufzurüsten (um 59% bzw. um 111% innerhalb von 5 Jahren!). Das einzige Ziel dieser Aufrüstung, zu der auch jede Menge hochmoderner technischer Ausrüstung gehört, wird dabei offen benannt. Es geht um das Abfangen von Menschen, die in die "Festung Deutschland" einzudringen versuchen. Dafür ist offensichtlich genügend Geld vorhanden, genauer 2,74 Mrd. DM, also etwa DM 70.000.- für jeden der 31.000 im Jahr 1993 aufgegriffenen Flüchtlinge. Wieviele zusätzliche LehrerInnen beispielsweise mit diesem Geld finanziert werden könnten, wird nicht erwähnt.

2. ...und noch ein Fazit

Es ist unwahr, daß wir uns die Aufrechterhaltung der sozialen Errungenschaften nicht mehr leisten können.
Richtig ist vielmehr:

Wir können und wollen uns das alles und noch manches andere nicht mehr leisten, wenn wir wollen, daß alle Menschen die Möglichkeit zu einem lebenswerten Leben erhalten.

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Anhang

1. "Schöne Aussichten"

Hoffnungen auf ein Ende (oder wenigstens eine Abschwächung) der in diesem Artikel beschriebenen Entwicklungen von Reichtum und Armut in der Bundesrepublik scheinen angesichts bereits getroffener und geplanter politischer Entscheidungen nicht angebracht. Vielmehr deutet vieles darauf hin, daß Bundesregierung und Wirtschaft eine Beschleunigung des "Umbaus der Gesellschaft" anstreben, begleitet von einem ständigen Ausloten der "Schmerzgrenze" der Betroffenen. Offensichtliches Ziel aller Maßnahmen ist die massive Senkung der "Kosten" für Wirtschaft ("Arbeitskosten") und Staat ("soziale Kosten", wie Sozialhilfe, Leistungen der Sozialversicherungen und vieles andere mehr) zugunsten steigender Gewinne der Unternehmen150 und somit steigender Einkommen derer, die von diesen Gewinnen profitieren151. Parallel dazu sollen weitere Steuererleichterungen für Unternehmen und Privatpersonen durchgeführt werden.
Die beabsichtigten Maßnahmen lassen sich in 3 (sich gegenseitig beeinflussende) Teilbereiche aufgliedern:

1.1. Senkung der "Arbeitskosten"

DIHT-Präsident Stihl formulierte (in einem SWF-Interview am 8.10.96) die Pläne für die nächsten Jahre so: "Die Arbeitskosten müssen für die gesamte Wirtschaft um 20% gesenkt werden." Südwestmetall-Chef Zwiebelhofer bestätigt diese Zielvorgabe in einem Zeitungsinterview152 unter der Überschrift: "Die Kosten müssen drastisch reduziert werden". Auch Zwiebelhofer spricht von einer Senkung um 20%, ohne auch nur den Versuch einer Begründung für diesen "Kürzungszwang" zu machen. Erreicht werden soll die "Kostensenkung" durch Entlassungen, Kürzungen der Einkünfte der Beschäftigten und durch eine drastische Verringerung der Lohnnebenkosten. Vor direkten Lohnsenkungen schrecken die Betriebe im Moment noch zurück. Dafür werden alle anderen Möglichkeiten genutzt, um die Bezüge der Beschäftigten herunterzuschrauben: Sonderleistungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld werden gekürzt153, übertarifliche Bezahlung von der Beurteilung durch Vorgesetzte abhängig gemacht und Neueinstellungen nur noch in niedrigeren Lohngruppen vorgenommen154. In vielen Firmen werden die Belegschaften massiv unter Druck gesetzt mit dem Ziel, betrieblichen Vereinbarungen zur Abschaffung bisher gewährter Leistungen und Arbeitszeitverlängerungen zuzustimmen.
Als gefügige Handlangerin erweist sich die Bundesregierung; zum einen durch die Verbreitung der "Botschaft vom Kürzungszwang", zum andern in Form von praktischen politischen Entscheidungen. Dazu nur ein Beispiel: Zwiebelhofer (s.o.) schätzt, daß bereits ein halbes Prozent der angestrebten 20%igen Kostensenkung durch die Umsetzung des am 1.10.96 in Kraft getretenen Gesetztes zur Reduzierung der Lohnfortzahlung bei Krankheit erreicht werden dürfte, und DIHT-Präsident Stihl schätzt die jährliche Entlastung für die Unternehmen aufgrund der (betrieblichen) Regelungen zur Vermeidung der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 20 Mrd. DM155.
Welche Folgen eine derartig hohe "Reduzierung der Arbeitskosten" haben wird, läßt sich leicht vorhersehen. Nachdem die stetigen Kostensenkungen für Unternehmen in den letzten 17 Jahren nicht zu weniger, sondern zu immer mehr Arbeitslosen geführt haben, ist nicht zu erwarten, daß sich plötzlich durch die gleichen Maßnahmen genau das Gegenteil, nämlich eine Abnahme der Arbeitslosigkeit, einstellt. Viel wahrscheinlicher dagegen ist ein massiver Rückgang der Gesamtsumme aller Einkünfte aus unselbständiger Arbeit (durch Entlassungen und Lohnkürzungen) und daraus resultierend, (neben einem für die Volkswirtschaft schädlichen Kaufkraftverlust) ein drastischer Rückgang des direkten und indirekten Steueraufkommens (Lohnsteuer bzw. Mehrwertsteuer156 u.a.). Diese Entwicklung hat bereits im Jahr 1997 dramatische Züge angenommen. Das gesamte Steueraufkommen wird um mindestens 14 Mrd. DM niedriger ausfallen als 1996157. Alfred Boss (vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel) vermerkt dazu: " Trotz eines Wirtschaftswachstums von 2,4% (das sind fast 100 Mrd. DM Zuwachs; Anm. d. Verf.) sinkt das Steueraufkommen. Das hat es noch nie gegeben."158
Darüber hinaus führt eine Verringerung der Lohnsumme zwangsläufig zu einem Rückgang der insgesamt geleisteten Beiträge (sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberanteil) an die Sozialversicherungen.

1.2. Kürzungen der "sozialen Kosten"

Dieser zu erwartende Rückgang der Beitragssumme wird, zusammen mit der angestrebten Senkung der Lohnnebenkosten (dadurch werden die Einnahmen der Sozialkassen zusätzlich verringert) zu gewaltigen Einnahmeausfällen bei Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherungen führen159. Die Bereitschaft, endlich die Wohlhabenden und GroßverdienerInnen (wieder) angemessen am Steueraufkommen zu beteiligen, um solche Ausfälle solidarisch ausgleichen zu können, ist bei der jetzigen Bundesregierung nicht in Sicht160 und so wird auch diese Entwicklung zu weiteren, noch massiveren, Leistungskürzungen für Arbeitslose161, Kranke und RentnerInnen162 und, wie das Beispiel "Gesundheitsreform" zeigt, zwangsläufig zu noch mehr Arbeitslosen führen.
Auch zum Ausgleich der Steuerausfälle sind Kürzungen bei denen beabsichtigt, die nicht gerade zu den Gewinnern des wachsenden Reichtums zu zählen sind. So kündigte beispielsweise Graf Lambsdorf in einem Fernsehinterview (im Oktober 1996) weitere Kürzungen der Sozialhilfe an163; andere Regierungspolitiker sprechen von der "Notwendigkeit" zur Verschärfung und konsequenten Anwendung des sog. "Lohnabstandsgebotes". Durch diese Maßnahme soll die bisher angewendete "Warenkorbmethode" zur Berechnung des Sozialhilfesatzes endgültig abgeschafft und durch eine Obergrenze ersetzt werden, die mindestens 15% unter den Nettoeinkünften der untersten Lohngruppen liegen muß. Neben direkt wirksamen Kürzungen werden - bei Anwendung dieser Regelung - die absehbaren Reallohnverluste abhängig Beschäftigter in Zukunft automatisch eine weitere Verringerung der Sozialhilfeleistungen zur Folge haben.
In diesem Zusammenhang erscheint auch das Versprechen von Bundeskanzler Helmut Kohl, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 halbieren zu wollen, in einem anderen Licht. Wer Arbeitslosigkeit lediglich als einen Kostenfaktor für die Wirtschaft betrachtet, hat natürlich ein Interesse, die Zahl der Arbeitslosen zu senken. Davon, den Arbeitslosen existenzsichernde Jobs zur Verfügung stellen zu wollen, ist allerdings nicht die Rede164. Im Gegenteil: unterhalb der Armutsgrenze sollen die Menschen beschäftigt werden. So fordert beispielsweise das Institut der deutschen Wirtschaft (IWD), "den Niedriglohnsektor hierzulande tarifpolitisch zu öffnen und auszubauen."165 Nach den Vorstellungen des IWD könnten und sollten 4,7 Millionen Arbeitsplätze im Einkommensbereich zwischen 39 und 55% des Durchschnittseinkommens aller Beschäftigten (bei 50% liegt die offiziell anerkannte Armutsgrenze; Anm. d. Verf.) geschaffen werden166. "Die entsprechende Zahl", so das IWD weiter, "ließe sich aus dem Kreis der Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und geringfügig Beschäftigten allemal rekrutieren."167

1.3. Steuererleichterungen

Bezeichnenderweise wird weder die sich abzeichnende weitere Zunahme der Verschuldung öffentlicher Haushalte noch die wachsende Verarmung von Millionen von Menschen zum Anlaß genommen, durch eine gerechtere Steuerbelastung die Finanzierung öffentlicher Aufgaben zu sichern. Im Gegenteil: Weitere Steuererleichterungen werden gewährt bzw. in Aussicht gestellt. Zwei aktuelle Beispiele sollen im folgenden kurz angesprochen werden: Am 15. Oktober 1996 einigten sich CDU und SPD auf die Abschaffung der Vermögenssteuer ab dem 1.1.97168. In nackten Zahlen bedeutet dies eine weiteres Loch (in den Länderkassen169) von über 9 Mrd. DM. Angesichts der hohen Freibeträge bei der Erhebung dieser Steuer kommt diese Entscheidung nur denen zugute, die größere Vermögenswerte besitzen170. Zum (teilweisen) Ausgleich der Mindereinnahmen werden größere Teile der Gesellschaft herangezogen. Beschlossen wurde:
· Die Anhebung der Grunderwerbssteuer von 2 auf 3,5%. (erwartete Mehreinnahmen: 5,25 Mrd. DM)
· Erhöhung der Erbschaftssteuer um 2 Prozentpunkte (erwartete Mehreinnahmen: 2,15 Mrd. DM)171.

Eine zusätzliche, noch größere Lücke in den öffentlichen Finanzen wird die nächste große Steuerreform mit sich bringen. Schmackhaft gemacht wird sie uns u.a. durch die Ankündigung, endlich die ausufernden Absetzungsmöglichkeiten der "Besserverdienenden" zu begrenzen und damit mehr "Steuergerechtigkeit" herzustellen. Angesichts dieser hoffnungsvoll klingenden Absichtserklärung ist ein genauerer Blick auf die geplanten Steuerrechtsänderungen angesagt. Im wesentlichen besteht die (zum 1.1.99 geplante172) geplante Steuerreform (in der von der Bundesregierung im Januar 1997 vorgelegten Form) aus 2 Teilen:
Auf der einen Seite sollen die Steuersätze gesenkt, der Spitzensteuersatz173 um 14% (von 53 auf 39%)174 und der Eingangssteuersatz um 10,9% (von 25,9 auf 15%)175 werden. Dieser niedrige Wert von 15% ist allerdings nur für einen sehr kleinen Bereich extrem niedriger Einkommen vorgesehen; schon bei einem Jahreseinkommen von 18.000 DM ist jede zusätzlich verdiente Mark mit (mindestens) 22,5% zu versteuern, was einer Absenkung gegenüber dem alten Tarif von weniger als 5% entspricht176. Zusammen mit massiven Senkungen der Spitzensteuersätze der Körperschaftssteuer177 ergibt dies eine Brutto-Steuerentlastung von insgesamt 81 Mrd. DM, was einem Verzicht auf ein Viertel (bei der Körperschaftssteuer über die Hälfte178) der bisherigen direkten Steuereinnahmen179 gleichkommt. Etwa die Hälfte dieser Summe180 wird (aufgrund der wesentlich stärkeren Absenkung der oberen Steuersätze) den BezieherInnen hoher Einkommen zugute kommen.
Auf der anderen Seite wird die Bemessungsgrundlage verbreitert, um (einen Teil der) Steuerausfälle auszugleichen. Dies bedeutet in der Praxis Streichungen oder Kürzungen von Absetzungsmöglichkeiten bzw. Steuervergünstigungen. Keine Tabus dürfe es beim Schließen von Schlupflöchern zur Steuervermeidung geben, wurde uns kundgetan, und tatsächlich fanden sich noch im Oktober '96 unter den Streichvorschlägen einige längst überfällige Sachverhalte, wie beispielsweise die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen beim Verkauf von Immobilien181 und Aktien182 oder Möglichkeiten zu übermäßigen Verlustzuweisungen (z.B. bei Schiffs- und Flugzeugbeteiligungen)183. Eine weitgehende Verwirklichung solcher Vorschläge (was angesichts heftigster Gegenwehr der davon in erster Linie Betroffenen von Anfang an angezweifelt werden durfte184), wäre in der Tat ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gewesen. So würde laut Capital (vgl. Seite 17, Fußnote 57) allein die Besteuerung von Spekulationsgewinnen bei Aktien und Immobilien jährlich um die 50 Mrd. DM zusätzliche Steuereinnahmen bringen.
Nur "Restbestände" dieser Vorschläge fanden sich nun im vorliegenden Reformpaket der Bundesregierung185 wieder, was mit dazu führte, daß lediglich 36 bis 38 Mrd. DM (knapp die Hälfte der 81 Mrd. DM Gesamtentlastung) durch Streichungen von Steuervorteilen ausgeglichen werden sollen. Tatsächlich sind es nicht in erster Linie die BezieherInnen hoher Einkommen, welche die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu tragen haben. Ein Blick auf die geplanten Maßnahmen zeigt, daß abhängig Beschäftigte (vor allem in niedrigen Einkommensgruppen) von den Einsparungen überproportional betroffen sind. Offensichtlich fallen unseren Politikern beim Thema "Einsparungen" bevorzugt die nicht übermäßig gut gestellten Mitmenschen ein. Unter anderem wurde beschlossen:

Was in einzelnen Fällen an geringfügige Verringerung des verfügbaren Einkommens herauskommen wird, soll für die Gesamtheit der BezieherInnen hoher und höchster Einkommen ein weiteres großes "Steuergeschenk" werden (Vgl. das "Ergebnis" der letzten Reform - die bekanntlich von der gleichen Regierung durchgeführt wurde -, wie es in Schaubild 9 dargestellt ist). Denn soweit sollen die Steuervorteile der Reichen gerade nicht abgebaut werden, daß etwas übrigbliebe zum (wenigstens andeutungsweisen) Abbau des in den letzten Jahren stark gewachsenen Ungleichgewichts innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft. Im Gegenteil: Der vollständige Ausgleich der beträchtlichen Steuerausfälle war in dieser Vorlage nicht beabsichtigt. Vielmehr wurde eine Nettoentlastung von 30 Mrd. DM in Aussicht gestellt (die restlichen 15 Mrd. DM sollten von "der Allgemeinheit" in Form einer erhöhten Mehrwertsteuer aufgebracht werden).

Abschließend zum Thema Steuerreform (die im Moment allerdings auf Eis liegt)189 sei darauf hingewiesen, daß sich auch die aufgrund der sog. "Nettoentlastung" in den öffentlichen Haushalten ergebende Finanzlücke nicht von alleine schließt. Eine Vorstellung von der Größenordnung dieses ursprünglich geplanten "Steuergeschenks" in Höhe von 30 Milliarden DM190 erlaubt beispielsweise ein Vergleich mit der Gesamtsumme der ausgezahlten Arbeitslosenunterstützung: Im Jahr 1994 erhielten (in Westdeutschland) 1,9 Millionen Menschen Arbeitslosenunterstützung von insgesamt 36,2 Mrd. DM191.
Die wahrscheinlichste Gegenfinanzierung (neben weiteren "Sparmaßnahmen") ist eine zusätzliche drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer192. Dies hätte zur Folge, daß (siehe Schaubild 4) Gutverdienende (auf ihr Einkommen bezogen) nur halb so stark zur Kasse gebeten werden (da sie im Schnitt nur die Hälfte ihres Einkommens für privaten Verbrauch aufwenden) wie Arme, und daß die Finanzierung der Steuergeschenke (wieder einmal) von denen mitgetragen werden muß, die überhaupt keinen Vorteil davon haben, weil sie als SozialhilfeempfängerInnen, Arbeitslose oder RentnerInnen bisher keine Steuern bezahlen. Daß unter der Überschrift "Steuererleichterungen" für einen großen Teil dieser Menschen (indirekte und direkte193) Steuern erhöht und neue Steuern eingeführt werden, ist bezeichnend für die ganze Reform und für die Grundzüge der Politik, zu deren Durchsetzung auch diese Planungen dienen sollen.

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Fußnoten

  1. Anm.: Der Fraktionschef der GRÜNEN im Stuttgarter Landtag, Fritz Kuhn, erklärte (im Zusammenhang mit den für Baden-Württemberg geplanten Sparmaßnahmen): "...seine Partei sei zu einem Konsolidierungskurs der Finanzpolitik bereit, sofern an der richtigen Stelle gespart werde." Quelle: Badische Zeitung (BZ) vom 4.10.96.
  2. Auf den Zusammenhang zwischen dem Reichtum bei uns und der Armut in den meisten Ländern dieser Erde kann hier leider nicht eingegangen werden, so wichtig dieses Thema auch ist.
  3. Dazu gehören neben Spareinlagen (22,8%) und festverzinslichen Wertpapieren einschließlich Geldmarktpapieren (23%) auch Aktien (6,5% zum Tageskurs), Termingelder und Sparbriefe (7,5%), Bargeld und Sichteinlagen (8,9%), Geldanlagen bei Versicherungen (21,5%) und Bausparkassen (3,3%) und sonstige Geldanlagen (6,5%). Die Prozentangaben gelten für 1996 (Quelle: DIW 31/97).
  4. Weitere ca. 7000 Mrd. DM Immobilienvermögen (zum Verkehrswert) ergeben ein gesamtes Vermögen privater Haushalte von ca. 12 Billionen DM. Zusätzlich befindet sich Betriebsvermögen im Wert von schätzungsweise 1500 Mrd. DM in Privatbesitz. Quelle: DIW 30/96.
  5. Darüber hinaus summiert sich das Brutto-Geldvermögen der Produktionsunternehmen (ohne Wohnungswirtschaft, Banken und Versicherungen etc.) im gleichen Jahr auf 2670 Mrd. DM. Quellen: DBB-M 5/97 und WSI 10/97.
  6. Die unbestechlich scheinenden Zahlen der Bundesbank trügen, fehlen doch bei ihren Berechnungen u.a. die unzähligen Milliarden, die als Schwarzgelder in der Schweiz (nur als Beispiel) oder zwecks Steuervermeidung in Luxemburg gelagert werden. Das Handelsblatt vermerkt dazu (am 4.10.96): "Das Verschieben von Vermögen ins Ausland ist beinahe zum Volkssport ausgeartet", wobei unter "Volk" offensichtlich nur der Teil verstanden wird, der etwas zu "verschieben" hat. Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Investmentgesellschaften "wurden nach Einführung der "Zinsabschlagsteuer" bis Mitte 1993 etwa 106 Mrd. DM allein nach Luxemburg verschoben" (zitiert nach ISW-Report Nr. 20, München 1994), laut Spiegel (Nr. 16/94) waren es insgesamt "mindestens 300 Mrd. DM, (andere Schätzungen in Anlehnung an Material der Deutschen Bundesbank gehen von 300 bis 500 Milliarden aus (Quelle: WSI 6/97)), die seit Einführung der Zinsabschlagssteuer ins Ausland gebracht wurden".
  7. Das hier dargestellte Netto-Geldvermögen berechnet sich aus dem Brutto-Geldvermögen durch Abzug der Kreditverpflichtungen (Konsumentenkredite; ohne Überziehungskredite und Baufinanzierungen).
  8. Die EVS wird im Abstand von jeweils 5 Jahren vom Statistischen Bundesamt durchgeführt.
  9. Aggressive Werbung (auch der Banken) und mangelnde bzw. ausbleibende Einkünfte ließen diese Kredite von insgesamt 130 Mrd. DM (1980) über 354 Mrd. DM (1993) auf 372 Mrd. DM (1995) anwachsen, wofür inzwischen jährlich über 40 Mrd. DM Zinsen zu zahlen sind. Unter Einberechnung der privaten Baufinanzierungen ergibt sich ein Schuldenstand der privaten Haushalte von 1372 Mrd. DM (1993), bzw. 1604 Mrd. DM (1995). Quelle: DBB-M 5/96. Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU) stiegen die Konsumentenkredite 1996 auf 440 Mrd. DM an (zitiert nach BZ vom 21.11.96).
  10. Quelle: BDIU a.a.O., zitiert nach BZ vom 21.11.96. Als Hauptgrund für die Überschuldung bezeichnet der BDIU Arbeitslosigkeit. Durchschnittlich sind es Schulden in Höhe von 30.000.-DM, die zur Überschuldung führen, wobei "knapp ein Drittel "vorsätzlich" keinerlei Rechnungen mehr bezahlt". Bezeichnenderweise gibt es im ganzen Bundesgebiet lediglich 700 Schuldnerberatungsstellen (mit abnehmender Tendenz), dagegen aber 4000 Gerichtsvollzieher zum Eintreiben offener Forderungen (Quelle: ebenda).
  11. Als Begründung für die Nichterfassung von Haushalten mit höheren Einkommen schreibt das Stat. Bundesamt in einer Veröffentlichung, daß "sich Haushalte mit sehr hohem Einkommen nicht oder nur unzureichend zur Teilnahme bereit finden". Zitiert nach Memorandum 96, S. 121.
  12. Quelle: WSI 10/96.
  13. Einen deutlichen Hinweis hierfür liefert ein Vergleich der in der EVS angegebenen Geldanlagen in Form von festverzinslichen Wertpapieren, Aktien und Investmentzertifikaten (solche Geldanlagen befinden sich im wesentlichen im Besitz reicherer Haushalte) mit den Daten der Deutschen Bundesbank. Daraus geht hervor, daß von den 1.160 Mrd. DM nachweislich vorhandenen Geldanlagen dieser Art in der EVS nur 415 Mrd. DM (das sind knapp 36%) erfaßt wurden. Quelle: DIW 30/96. Besonders eklatant ist die "Untererfassung" des privaten Aktienbesitzes. Die in den EVS-Ergebnissen von 1988 ausgewiesenen 51,4 Mrd. DM Aktienbesitz der privaten Haushalte stellen lediglich 30% des tatsächlichen Wertes (170,8 Mrd. DM) dar. Quelle: ISW-Report 32/97.
  14. Quelle: DIW 30/96.
  15. Neben dem Geldvermögen der privaten Haushalte (Zunahme 1995: 330 Mrd. DM, 1996: 305 Mrd. DM; für 1997 liegen im Moment leider noch keine Zahlen vor) wuchs auch das Geldvermögen der Produktionsunternehmen (ohne Wohnungswirtschaft, Banken und Versicherungen etc.) nicht unerheblich an (Zuwachs 1996: 221 Mrd. DM). Zum Vergleich: der Bundeshaushalt 1996 hatte ein Gesamtvolumen von 455,6 Mrd. DM.
  16. Bund, Länder, Gemeinden, Fond "Deutsche Einheit", Erblastentilgungsfond und sonstige (Quelle DBB-M 11/97).
  17. ...von 73 Mrd. DM (1980) auf 222,7 Mrd. DM im Jahr 1996. Mit 34,7% machen im Jahr 1996 Zinsgutschriften auf festverzinsliche Wertpapiere den größten Anteil dieser privaten Vermögenseinkünfte aus, gefolgt von Zinseinkommen auf Versicherungen (27,7%) und auf Spareinlagen (17,2%). Quelle: DIW 31/97.
  18. Quelle: DIW 31/97.
  19. Dieses Schaubild liefert auch eine wichtige Argumentationshilfe zum Thema Mehrwertsteuer. Der (mit dem Haushaltseinkommen) stark abnehmende Anteil des privaten Verbrauchs gibt einen deutlichen Hinweis auf die unterschiedliche Auswirkung jeder Erhöhung dieser Steuer: Arme trifft sie voll, Reiche nur zu etwa 50%. Vgl. Anhang 1.3.
  20. Dies entspricht der Aufteilung des Volkseinkommens (in der vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) in Einkommen aus unselbständiger Arbeit und Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen.
  21. Die Daten für das 2. Hj. 97 entstammen der Prognose der "6 führenden Wirtschaftsforschungsinstitute" vom 30.10.97, zitiert nach DIW 44/97.
  22. Die "direkten Steuern" umfassen die "Körperschaftssteuer", die "veranlagte Einkommensteuer", die "Kapitalertragssteuer (ab Februar 1993 einschließlich der sog. 'Zinsabschlagssteuer')" und sonstige "vergleichbare Abgaben"; die Gewerbesteuer wird vom StBA allerdings nicht unter "direkte Steuern" geführt.
  23. "Arbeitnehmeranteil".
  24. Von 710 (1980) auf 1527 Mrd. DM (1997) für die abh. Beschäftigten, von 276 (1980) auf 827 Mrd. DM für die BezieherInnen von Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen.
  25. Das DIW (38/95) nennt für FreiberuflerInnen Durchschnittswerte der privaten Vorsorge (Alters-, Invaliditäts-, Hinterbliebenen-, Krankenversicherung plus Beiträge zu berufsständigen Versicherungen) für das Jahr 1991 nach Selbsteinschätzung der Betroffenen. Danach verwenden z. B. Ärzte im Durchschnitt 18,9%, Zahnärzte 15,8% ihres zu versteuernden Einkommens für diese Vorsorge. Nach diesen Zahlen lägen die Aufwendungen anteilsmäßig in der gleichen Größenordnung wie der Anteil der Sozialabgaben abhängig Beschäftigter (im Jahr 1991: knapp 16%). Die Berechnungsgrundlage ist allerdings verschieden. Während Sozialabgaben prozentual vom tatsächlichen Bruttoeinkommen zu zahlen sind, liegt die Bezugsgröße "zu versteuerndes Einkommen" - gerade bei der angesprochenen Berufsgruppe mit ihrem sehr hohen Anteil an Steuerabsetzungen - meist deutlich unter dem echten Bruttoeinkommen, so daß in den meisten Fällen der Anteil der Vorsorgeleistungen am tatsächlichen Einkommen im Durchschnitt geringer ist als bei abh. Beschäftigten.
  26. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß in den Begriff "direkte Steuern" u.a. auch Aufwendungen enthalten sind wie "Pflichtbeiträge der Selbständigen zur Sozialversicherung", die bei abh. Beschäftigten zu den ausgewiesenen Sozialabgaben gerechnet werden. Quelle: WSI 3/95.
  27. Quelle: StBA, F 18.
  28. Der durchschnittliche Reallohn je "beschäftigten Arbeitnehmer" (in Westdeutschland) sank von 1991 bis 1995 um 4,2%. Quelle: IFO-Monatsbericht 10/96.
  29. Quelle: StBA, F 18.
  30. Anm.: Die Angaben des StBA (in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung) über die Höhe der von den abhängig Beschäftigten bezahlten Steuern weichen (offensichtlich aufgrund unterschiedlicher Erfassung) teilweise von den Werten der DBB ab. Die Zahlenangaben aus der Prognose der "6 führenden Wirtschaftsforschungsinstitute" vom 30.10.97, die für 1997 einbezogen wurden, unterschätzen wahrscheinlich den Rückgang der Steuereinnahmen in diesem Jahr, sodaß (wenn die exakten Ergebnisse für 97 vorliegen) geringfügige Korrekturen für die Steuerbelastung der abhängig Beschäftigten nach unten erfolgen werden.
  31. Interessanterweise gaben die deutschen Unternehmen 1996 über 55 Mrd. DM für Werbung aus (Quelle: Der Arbeitgeber Nr. 10/97); das ist mehr, als sie durch Zahlung von Körperschafts- und veranlagter Einkommensteuer zur Finanzierung allgemeiner Aufgaben beitrugen (40,1 Mrd. DM). Auf knapp 7 Mrd. DM beliefen sich allein die Einnahmen der Fernsehkanäle.
  32. Der "Rückgang" vom Höchststand 1995 (19,4%) auf 18% (1996) und 18,4% (1997) resultiert aus der (seit 1996 vorgenommenen) Verrechnung des Kindergelds mit der Lohnsteuer und entspricht somit keiner realen Absenkung der Steuerbelastung abhängig Beschäftigter.
  33. "Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit" sind Kapitalgesellschaften (hauptsächlich Aktiengesellschaften und GmbHs), die als "juristische Personen" gelten. Ihr Anteil an allen Unternehmen beträgt lediglich ca. 15%; bei den restlichen 85% handelt es sich um Einzelunternehmen (Selbständige) und Personengesellschaften. Der Gewinnanteil der Kapitalgesellschaften liegt allerdings mit 34% mehr als doppelt so hoch, wie ihr zahlenmäßiger Anteil (Quelle: ISW-Report 32/1997).
  34. Trotz weiter steigender Gewinne (die für diese Unternehmen ab 1994 leider nicht mehr vom StBA bekanntgegeben wurden) und der Einbeziehung der "Neuen Länder" sanken die direkten Steuern der Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit weiter, von 40,4 Mrd. DM (1993; nur Westdeutschland) auf 37,1 Mrd. DM (1995; einschließlich Ostdeutschland), um danach wieder leicht auf ca. 47 Mrd. DM (1997) anzusteigen. Quelle: WSI 10/97. Unter der Annahme, daß die Bruttogewinne dieser Unternehmen genau so stark angestiegen sind, wie die gesamten Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen (tatsächlich sind sie seit 1980 deutlich stärker gewachsen), ergibt sich für 1997 ein weiterer Rückgang der durchschnittlichen Steuerbelastung auf ca. 17,3%.
  35. Nach den Ergebnissen einer Untersuchung der Universität Mannheim ist die tatsächliche Steuerquote der 30 DAX-Unternehmen von 1989 bis 1993 auf die Hälfte gesunken. Quelle: Badische Zeitung vom 13.8.97.
  36. In der ersten Reihe der Beschwerdeführer findet sich das Institut der Deutschen Wirtschaft (IWD). Nach seinen ständig wiederholten Behauptungen (die bezeichnenderweise nie auch nur die geringste Information über die Höhe der Unternehmensgewinne oder gar deren Steigerungsraten enthalten) beträgt die durchschnittliche Steuerbelastung aller westdeutschen Unternehmen (durch Körperschaftssteuer, veranlagte Einkommensteuer und Gewerbesteuer) in den neunziger Jahren weit mehr als 50% (Quelle: IWD 31/97). Würden diese Zahlen stimmen, dann flössen von den 827 Mrd. DM Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen des Jahres 1996 nach Abzug der Vermögenseinkommen (223 Mrd. DM) deutlich mehr als 300 Mrd. DM (im Jahr 1996) in die öffentlichen Kassen. Tatsächlich betrug die Summe der drei genannten Steuerarten 1996 gerade mal etwas mehr als ein Viertel davon (87 Mrd. DM für ganz Deutschland).
  37. Einige Beispiele: BMW zahlte im Jahr 1989 noch 509 Mio. DM Steuern in Deutschland, 1992 nur noch 32 Mio. DM und im Jahr 1993 gab es statt Steuerzahlungen eine Rückerstattung vom Finanzamt in Höhe von 32 Mio. DM. Die Firma Siemens zahlte 1995 trotz eines ausgewiesenen Gewinns von 2,1 Mrd. DM (Zunahme gegenüber dem Vorjahr: 26%) keine Mark Ertragssteuern in Deutschland; sie erhielt dafür eine Steuergutschrift über 60 Mio. DM. Auch der Höchstkonzern schaffte es, 1993 Gewinnsteuern nur noch im Ausland zu bezahlen und von den hiesigen Finanzbehörden noch 38 Mio. DM Rückerstattung einzustreichen (Quelle: ISW Nr. 3 a.a.O.), und die Firmen Mannesmann, Metallgesellschaft und Daimler-Benz zahlten haben bereits in den Jahren 89 bis 94 hier überhaupt keine Steuern mehr bezahlt.
  38. Trotzdem wird ständig behauptet, den einen (BezieherInnen von Einkommen aus Unternehmertätigkeit) müßten dringend Steuerentlastungen eingeräumt werden, während den anderen (abh. Beschäftigten) die Finanzierung dieser Entlastung zunehmend aufgebürdet wird.
  39. Quelle: Martin, Schumann, Die Globalisierungsfalle, Reinbeck bei Hamburg 1996, S. 276.
  40. Die deutschen Großunternehmen (Umsatz über 100 Mio. DM) erreichten bereits 1989 ein Verhältnis der Eigenmittelquote zum Wert des Sachanlagevermögens von über 103%. Quelle: DBB-M 10/92; zitiert nach ISW-Report 32/97.
  41. einschließlich aller Selbständigen und Personengesellschaften, ohne Wohnungswirtschaft, Banken und Versicherungen.
  42. Quelle: WSI 10/97.
  43. Siemens gilt bei "Kennern" inzwischen als die "einzige Deutsche Bank mit eigener Elektroabteilung", weil sie 1995 mehr Gewinn aus Finanzspekulationen erzielt haben als aus der Produktion, und bereits 1989 ergab sich für die Großunternehmen insgesamt ein Überschuß der Zinserträge über den Zinsaufwand. Quelle: DBB-M 10/92; zitiert nach ISW-Report 32/97.
  44. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag, Herr Schäuble, bestätigt die politische Absicht in seinem Buch "Und der Zukunft zugewandt", Berlin 1994, S. 128; Zitat: "Wir haben, zum großen Ärger aller linken Ideologen, die Besteuerung von Unternehmen innerhalb der vergangenen 5 Jahre um elf Prozentpunkte gesenkt, was dazu geführt hat, daß die Ertragssteuern von Unternehmen sich heute auf dem niedrigsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik befinden." Zitiert nach ISW-Report Nr. 20, S. 9.
  45. Die wenigen allgemeinen Steuersenkungsmaßnahmen in den letzten Jahren, wie Anhebung der Kinderfreibeträge, Förderung selbstgenutzten Wohnens oder Freistellung des steuerlichen Existenzminimums hatten nur geringfügigen und vorübergehenden Einfluß auf diesen Anstieg und kamen, von Ausnahmen abgesehen, allen SteuerzahlerInnen zugute . Auf die (entlastende) Wirkung der letzten großen Steuerreform wird im folgenden noch eingegangen (siehe Schaubild 9).
  46. Einige Beispiele: Vervierfachung des Freibetrags für Betriebsvermögen auf DM 500.000.- (1993; Steuerausfall über 2,1 Mrd. DM jährlich) / Anhebung der Freibeträge beim Gewerbeertrag von 36000.- auf 48000.- DM, sowie weitere Verbesserungen bei der Gewerbesteuer (1993; Steuerausfall 2,3 Mrd. DM jährlich) / Absenkung des Spitzensatzes der Körperschaftssteuer von 56 auf 50% (1990) und weiter auf 45% (1994), des Körperschaftssteuersatzes auf ausgeschüttete Gewinne von 36 auf 30% (1993) / die Begrenzung des Höchstsatzes für Einkommensteuern für gewerbliche Einkünfte aus Personenunternehmen auf 47% (1994; Steuerausfall 5,4 Mrd. DM jährlich). Das Bundesministerium für Finanzen beziffert die Steuerausfälle allein aus dem sog. "Standortsicherungsgesetz" für die Jahre 1994 bis 96 auf 14 Mrd. DM. Quelle: WSI 3/95.
  47. Quelle: WSI 10/94.
  48. Diesen Zusammenhang sieht selbst die Deutsche Bundesbank, die (im Monatsbericht 6/96) zum niedrigen Niveau von bestimmten Steueraufkommen anmerkt: "Hinsichtlich der veranlagten Einkommensteuer (Gewinnsteuer von Selbständigen und FirmeninhaberInnen; Anm. d. Verf.) hat sich die Hoffnung auf eine Erholung nach den tiefen Einbrüchen der Vorjahre nicht erfüllt. Vielmehr hat sich hier die "Talfahrt" im ersten Quartal (96) mit einem Minus von fast 15% fortgesetzt. Dies ist offenbar weiterhin in erster Linie mit den schlechten Veranlagungsergebnissen für frühere Jahre zu erklären, die hohe Steuererstattungen nicht zuletzt aufgrund der starken Nutzung der Investitionsförderung für die neuen Länder nach sich zogen."
  49. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß der EU (WSA) schätzt die jährlichen Steuerausfälle für die Bundesrepublik Deutschland infolge des "Steuerdumpings" der deutschen Unternehmen auf 25 bis 30 Mrd. DM. Quelle: WSI 10/97.
  50. Gesetzliche Grundlage für die (Steuer-)flucht der Unternehmen in die sog. "Steueroasen" (in der EU bieten diese Möglichkeit: Luxemburg, Irland, Großbritannien, Niederlande) sind die bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), durch welche das Besteuerungsrecht diesen Ländern zugewiesen wird und die Gewinne in Deutschland steuerfrei bleiben. Quelle: WSI 6/97.
  51. Den Einkommensteuerstatistiken läßt sich entnehmen, daß der Anteil der Selbständigen und EinkommensbezieherInnen aus Geldvermögen unter den "Besserverdienenden" mit zunehmender Einkommenshöhe stark zunimmt. In den höchsten Einkommensgruppen finden sich nur sehr wenige abhängig Beschäftigte.
  52. Steuererleichterungen wirken sich natürlich nicht nur im Jahr der Steuersatzänderung, sondern in allen Folgejahren in etwa der gleichen Höhe aus.
  53. Quelle: Huster (Hg.), Reichtum in Deutschland, der diskrete Charme der sozialen Distanz, Frankfurt 1993, S. 99f.
  54. Quelle: zitiert nach WSI 10/94.
  55. Quelle: Huster (Hg.) a.a.O.
  56. Anm.: Die Nettokreditaufnahme weicht von der Veränderung des Schuldenstandes ab, die auch die Übernahme und den Abgang von Schulden einschließt.
  57. Neben einer gerechteren Besteuerung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind durchaus auch weitere Möglichkeiten zur Deckung der Staatsausgaben vorhanden, wie etwa eine Besteuerung von Spekulationsgewinnen bei Aktien und Immobilien (Capital (Nr. 11/96) schätzt die zusätzlichen Steuereinnahmen bei vollständiger Besteuerung der Veräußerungsgewinne bei Immobilien auf 20 bis 40 Mrd. DM (bei einem relativ niedrig angenommenen Steuersatz von nur 25%!), bei Aktien (ausgehend von einem jährlichen Kursgewinn von 71 Mrd. DM und ebenfalls 25%iger Besteuerung) auf 18 Mrd. DM jährlich), eine Erhöhung von Erbschafts- und Vermögenssteuer bei hohen Vermögen (vgl. Fußnote 170: mindestens 60 Mrd. DM) oder wirksame Maßnahmen gegen Steuerflucht und -hinterziehung (die Steuergewerkschaft schätzt die Steuerausfälle wegen dieses Sachverhalts 1996 auf 150 Mrd. DM; Quelle: Badische Zeitung vom 22.12.97).
  58. Der Kreislauf schließt sich in Form von öffentlichen Anleihen, durch welche dieses Kapital (zum Teil) wieder an den Staat zurückgeliehen wird; gegen Zahlung von Zinsen natürlich.
  59. Es spricht vieles dafür, daß die bereits erwähnten privaten Vorsorgeaufwendungen von Selbständigen keinen vergleichbaren Anstieg aufweisen, wurden doch die Beiträge zu privaten Vorsorgeinstitutionen (wie beispielsweise private Krankenkassen) gerade nicht durch Beiträge zur Finanzierung der "Lasten der Deutschen Einheit" oder andere politisch bedingte Leistungsübernahmen in die Höhe getrieben. Näheres dazu bei Huster in WSI 10/94 und bei Klaus Steinitz, Transfer West-Ost und Ost-West, wie an der deutschen Einheit verdient wurde, in: Schui/Spoo (Hg.), Geld ist genug da, Heilbronn 1996.
  60. Diese Summe entspricht mehr als der Hälfte der gesamten öffentlichen Verschuldung (von Bund, Ländern, Gemeinden, Fond "Deutsche Einheit", "Erblastentilgungsfond", etc.) in Höhe von 2133 Mrd. DM (Ende 1996).
  61. Die gesamten Sozialabgaben setzen sich zusammen aus dem Arbeitnehmeranteil, dem etwa gleich hohen Arbeitgeberanteil sowie weiteren Sozialleistungen der Arbeitgeber, wie z.B. betrieblicher Altersversorgung.
  62. Führende FDP-Politiker sprechen inzwischen davon, daß "einhundert Jahre Sozialstaat überwunden werden müßten".
  63. Selbst Bundespräsident Herzog warnt (in einer Rede auf dem 16. DAG- Bundeskongress im Oktober 96 in Magdeburg) davor, "durch überzogene Forderungen an den Sozialstaat diesen zu überfordern"; Herzog weiter: "Wenn einzelne Ansprüche nicht mehr erfüllt und über Einsparungen von einigen wenigen Prozenten entschieden werde, sollte man mit Begriffen wie Kahlschlag oder Zerstörung des Sozialstaats und der Demokratie sehr vorsichtig sein".
  64. Als Sozialleistungsquote wird das Verhältnis der Summe aller Sozialleistungen zum Bruttoinlandsprodukt bezeichnet. Die Leistungen der beitragsfinanzierten Sozialversicherungen machen rund 2/3 davon aus. Die Sozialbeitragsquote gibt das Verhältnis aller Beiträge zu den Sozialversicherungen (einschließlich fiktiver Beiträge für die Beamten) zum Bruttoinlandsprodukt an.
  65. Während das Bruttosozialprodukt (BSP) von 1980 bis 1996 um 137% zunahm, die Beiträge pro Versicherten in den gesetzlichen Krankenkassen um 65% erhöht wurden, stiegen die Leistungsausgaben pro Versicherten im gleichen Zeitraum um lediglich 62% an. Die gesamten Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen blieben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt für Westdeutschland relativ stabil bei 6,1% (1980); 6,0% (1990), bzw. 6,3 % (1996), stiegen aber durch die Einbeziehung der "Neuen Länder" bis 1996 auf über 7% an. Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), Zahlen 1997.
  66. Zum Vergleich: die gesamten Sozialhilfeausgaben für ganz Deutschland betrugen im Jahr 1994 49,6 Mrd. DM (Quelle: StBA).
  67. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick über die Grenzen. Aus der Europäischen Sozialschutzstatistik (die in der Berechnungsgrundlage und damit auch in den Zahlenwerten etwas von der deutschen Sozialstatistik abweicht) wird ersichtlich, daß Westdeutschland 1992 mit einer Sozialleistungsquote von 27,3% fast genau im Durchschnitt aller EU-Länder liegt. Während allerdings diese Durchschnittsquote von 1980 bis 1992 um knapp 3% anstieg, war Westdeutschland (neben Belgien) das einzige EU-Land, für das ein Rückgang (um knapp 1%) errechnet wurde. Quelle: WSI 6/95.
  68. Zur Entwicklung der Zahl der "geringfügig Beschäftigten" siehe Kapitel C 1.
  69. Den Umfang der "versicherungsfremden Leistungen" schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft auf 112 Mrd. DM (netto; also nach Abzug von Bundeszuschüssen). Quelle: WSI 6/97.
  70. Im europäischen Vergleich liegt Westdeutschland im Jahr 1991 mit einer Staatlichen Zuweisungsquote (zum gesamten Sozialbudget) von 26,2% etwa 3% unter dem Durchschnitt aller 12 EU-Staaten. Quelle: Europäische Sozialschutzstatistik.
  71. Der Arbeitgeberanteil stieg von 1960 bis 1989 von 32,4 auf 37% an, um danach auf 35,5% (1993) zu sinken.
  72. Quelle: WSI 6/95.
  73. Aktuelles Beispiel dafür ist die "Pflegeversicherung", deren Finanzierung vollständig den abhängig Beschäftigten auferlegt wurde. Bekanntlich bezahlen die Beschäftigten die Hälfte des Beitrags zur Pflegeversicherung direkt als Abzug vom Lohn, die andere Hälfte durch die Streichung eines freien Tages pro Jahr, der (selbstverständlich) in den o.g. Prozentangaben für die Sozialabgaben nicht enthalten ist.
  74. Der Anteil der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen am Nettovolkseinkommen stieg zwischen 1980 und 1995 von 29,8% auf 40,5% an, während der Anteil der Einkommen aus abhängiger Beschäftigung von 70,2% auf 59,5% zurückging. Bei den von beiden Gruppen insgesamt zu entrichtenden (direkten) Steuern verlief die Entwicklung umgekehrt: Die Steuern auf Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen gingen anteilsmäßig von 35,3% auf 21,6% zurück, was einen anteilsmäßigen Anstieg der Steuern auf Einkommen abhängig Beschäftigter von 64,7% auf 78,4% des gesamten direkten Steueraufkommens zur Folge hatte. Quelle: eigene Berechnungen nach Daten des StBA.
  75. Dies entspricht in etwa einer von E. U. Huster eingeführten "Reichtumsschwelle" von 200% des Durchschnittseinkommens aller Beschäftigten. Angelehnt ist dieser Begriff an eine in der "Armutsforschung" anerkannte Schwelle von 50% des durchschnittlichen Einkommens, bei deren Unterschreiten von Armut gesprochen werden kann. Nachzulesen bei Huster, Neuer Reichtum, alte Armut, Düsseldorf 1993, S. 55ff.
  76. Gesamtbetrag der Einkünfte = Bruttoeinkommen (bzw. bilanzierte Summe der positiven und "negativen" Einkünfte) minus Betriebsausgaben und Werbungskosten (ohne Eigenheimförderung). Aus dem "Gesamtbetrag der Einkünfte" errechnet sich unter Abzug der Eigenheimförderung und der Sonderausgaben das "zu versteuernde Einkommen".
  77. Quellen: StJB 1995 und StBA, F 18, 1996.
  78. Die Daten entstammen der amtlichen Lohn- und Einkommensteuerstatistik; die jüngste liegt derzeit für 1992 vor.
  79. Zusammen veranlagte Ehepaare werden einfach gezählt.
  80. In den amtlichen Lohn- und Einkommensteuerstatistiken werden diese "Besserverdienenden" allerdings nur zum Teil auftauchen, da gerade in den Jahren nach 1992 die Angebote zum "Herunterrechnen der Einkommen" (siehe Kapitel 4. 1.) in zunehmendem Maße genutzt wurden.
  81. Lohn- und Einkommensteuerstatistiken werden mit einer Verzögerung von etwa 4 Jahren bekanntgegeben.
  82. Daß gerade in Zeiten massiver Einkommenskürzungen für die "breiten Masse" zunehmende Einkünfte einer "Elite" durchaus gewollt sind, bestätigt VDI-Präsident Prof. Hans-Jürgen Warnecke in Mobil (Magazin der deutschen Bahn Nr. 6/97) unter der Überschrift: Warum Eliten nötig sind. Er fordert,: "die Leistungselite, definiert als die 20% der Ingenieure mit den besten Karrierevoraussetzungen, durch eine bessere Ausbildung zu stärken, (...)". Und weiter: "Heute schlägt ihnen wegen ihrer Erfolge und Einkommen immer noch Neid entgegen. Aber so können wir nicht in eine bessere Zukunft marschieren. So wie kaum jemand einem Fußballstar oder Tennisspieler wie Boris Becker das hohe Einkommen mißgönnt, so sollte das auch gegenüber den Könnern in Wissenschaft und Wirtschaft sein."
  83. Anstieg um etwa 20 % von Ende 83 bis Ende 92
  84. Leider ist die Staffelung nach Einkommen in der Einkommensteuerstatistik nicht genügend differenziert, um diese Korrekturen genauer nachrechnen zu können.
  85. Die Absetzungsmöglichkeiten fürs "gemeine Volk", (wie beispielsweise Eigenheimförderung, Vorsorgeaufwendungen, Bausparbeiträge oder Freibeträge für Behinderte) sind im "Gesamtbetrag der Einkünfte" noch enthalten. Sie werden erst danach zur Berechnung des "zu versteuernden Einkommens" berücksichtigt.
  86. Anmerkung der Wirtschaftswoche (Nr. 39/96) im Hinblick auf die geplante Steuerreform: "Freiberufler und Selbständige haben nach wie vor die Möglichkeit - zwar illegal, aber kaum kontrollierbar -, private Aufwendungen steuermindernd in den betrieblichen Bereich zu verlagern".
  87. Einen Versuch, den Umfang der Steuervermeidung durch Inanspruchnahme legaler Möglichkeiten des "Herunterrechnens" zu erfassen, unternahm der Landesrechnungshof Baden-Württemberg; die Ergebnisse wurden in einer Denkschrift im Sommer 1997 veröffentlicht, auf die am Ende von Kapitel 4.1. näher eingegangen wird.
  88. Quelle: Wirtschaftswoche Nr. 39/96, S. 156ff. Alle Zahlenangaben entstammen den Berechnungen der Wirtschaftswoche.
  89. Quelle: DIW 26/27-1993. Eine Rückführung auf die Erfassungsquote von 1980 brächte jährlich 12,5 Mrd. DM an zusätzlichen Steuereinnahmen. Auch das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) stellt fest, daß "die oberen 10% der Steuerzahler nur 6o% ihrer Einkommen beim Finanzamt offenlegen". Zitiert nach ISW Wirtschafts- und Grafikdienst Nr. 3, 1996.
  90. Quelle: Huster, Neuer Reichtum und alte Armut, a.a.O., S. 50f.
  91. Die Rede ist hier und im folgenden nur von "legalen" Möglichkeiten zur "Senkung" des Einkommens; die "illegalen" können nur geschätzt werden. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung geht davon aus, daß lediglich die Hälfte aller in Deutschland erzielten Einkommen legal versteuert werden. Bei einem Viertel der Einkommen verzichtet der Staat auf Steuereinnahmen (z.B. Schiffsbeteiligungen, Freibeträge, Ost-Immobilien oder Verlagerung des Wohnortes (Steueroasen)), und das restliche Viertel wird hinterzogen (Stand 1995, zitiert nach Der Spiegel 4/97, S. 28. Demnach bezifferten sich Steuergeschenke und - hinterziehung 1995 auf jeweils 170 Mrd. DM.
  92. Bezeichnenderweise wird in o.g. Artikel in einer Modellrechnung "der Familie" ein Einkommen von jährlich 280.000.- DM zugeordnet.
  93. Von 1990 bis 96 wurden insgesamt 56 Mrd. DM in offenen Immobilienfonds angelegt. Neben Steuervergünstigungen profitieren die Anleger von der Tatsache, daß die 30 bis 40% der Ausschüttungen, die aus Immobilienverkäufen stammen, nicht versteuert werden müssen. Quelle: Badische Zeitung vom 15.8.97.
  94. Auch der Landesrechnungshof Bad.-Württ. beurteilt in seiner Denkschrift (siehe Ende dieses Kapitels) die Sache ähnlich: Die meisten Objekte der Immobilienfonds sind "wegen zu hoher Wohnungsmieten (...) unvermietbar". Und: "die steuerliche Begünstigung der Handelsschiffahrt ist sehr fragwürdig".
  95. Quelle: Capital 11/96, S. 307.
  96. Dieser Betrag von 151.000 DM an Steuergeschenken wurde für einen Grenzsteuersatz von 38% (bzw. 28% ab 1999, nach der geplanten Steuerreform) berechnet, unter der Annahme, daß dieser Steuerzahler sein zu versteuerndes Einkommen durch andere Absetzungsmöglichkeiten bereits deutlich "heruntergerechnet" hat. Ohne diese Annahme, also bei einem Spitzensteuersatz von derzeit 53% plus Solidarzuschlag und 35% nach der Steuerreform ergäbe sich ein Gesamt-Steuergeschenk von ca. 200.000 DM.
  97. Erläuterung: Der Restkaufpreis von 244.000 DM (Kaufpreis 395.000 DM minus Zuschuß 151.000 DM) führt bei 7,5% Zins zu einer monatlichen Belastung von 1525 DM; bei einem Zuschuß von 200.000 DM würden monatlich 1219 DM ausreichen.
  98. Titel: "Denkschrift 1997 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes Baden-Württemberg".
  99. Als Grund für die Durchführung dieser Studie nennt der RH: "Medienberichte über die Möglichkeiten von Spitzenverdienern, ihre (...) effektive Belastung zu verringern oder gänzlich zu vermeiden"
  100. Anm.: In der offiziellen Lohn- und Einkommensteuerstatistik des Jahres 1992 taucht nur knapp die Hälfte davon (44240 Steuerpflichtige) auf. Quelle: Statistische Berichte Baden-Württemberg, Finanzen und Steuern vom 29.4.97.
  101. Ungefähr 13% der unbeschränkt Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen (mit positivem Gesamtbetrag der Einkünfte) leben in Baden-Württemberg; demnach dürften bundesweit über 700.000 Steuerpflichtige im Jahr 1992 tatsächliche Einkünfte von mehr als 250.000 DM gehabt haben. Lediglich 286.551 sind in der offiziellen Statistik aufgeführt.
  102. Der Wert für 1994 wurde vom Verf. hochgerechnet entsprechend den Angaben des RH, daß für 1994 ca. 25% der Steuererklärungen (vor allem im oberen Bereich der Einkünfte) noch nicht vorlagen.
  103. Quelle: DBB-M verschiedene Jahrgänge.
  104. Diese Zahlen geben jeweils den Überschuß der Steuereinnahmen über die Auszahlungen der gleichen Steuerart an. So wurden beispielsweise 1991 von 60,5 Mrd. DM Steueraufkommen 18,9 Mrd. DM Erstattungen abgezogen, woraus sich 41,5 Mrd. tatsächliche Steuereinnahmen ergaben, 1996 standen Einnahmen von 54,5 Mrd. Erstattungen in Höhe von 42,9 Mrd. DM gegenüber, was per saldo eine Resteinnahme von 11,6 Mrd. DM ergibt (Quelle: Badische Zeitung vom 18.12.97). Diese Steuerrückzahlungen sind möglich, weil (mit geringen Einschränkungen) der Teil der sog. "Verluste", der im entsprechenden Jahr zu keiner weiteren Steuerermäßigung führt, rückwirkend auf die vergangenen zwei Jahre angewendet werden darf; reicht dies auch nicht aus, wird der "Rest" auf die Folgejahre übertragen.
  105. Während der Anteil der Lohnsteuer am gesamten Einkommensteueraufkommen von 65,8% (1980) auf 88,1% zunahm, sank der Anteil der Körperschaftssteuer von einem Höchststand von 15,3% (1985) auf zuletzt 10,9% (1997), die veranlagte Einkommensteuer von 21,7% (1980) auf 1%. Die Daten für das 4. Vierteljahr 1997 wurden aus den Vierteljahresdaten für 1996 (zum Vergleich) und den Daten der ersten 3 Vierteljahre 1997 (Quelle: DBB-M 6/96 bis 12/97) hochgerechnet. Zur veranlagten Einkommensteuer merkt die Deutsche Bundesbank an: "die Steuerzahlungen gingen im (3. Vierteljahr 1997) nur um knapp eine halbe Milliarde über die gleichzeitigen Erstattungen hinaus, womit sich das Resultatgegenüber der entsprechenden Vorjahreszeit noch um eine Milliarde verschlechtert hat. Immerhin hat sich das Bild im Vergleich zum Vorquartal (2. Vierteljahr 1997), als die Steuerrückzahlungen per saldo sogar deutlich überwogen hatten, etwas aufgehellt."
  106. Im 2. Vierteljahr 1997 mußte sogar bundesweit (netto) ausbezahlt werden (minus 2 Mrd. DM).
  107. Der RH unterscheidet zwischen Verlusten aus einer "gewöhnlichen aktiven" Tätigkeit und "steuertechnischen Verlusten", die im Wesentlichen durch Inanspruchnahme von steuerlichen Vergünstigungen entstanden sind. Diese sonstigen "Verluste" (die laut RH zu weiteren Steuerausfällen in fast der gleichen Höhe geführt haben, und die in den letzten Jahren noch stärker gewachsenen sind) sind in diesen Zahlen nicht berücksichtigt.
  108. Im Jahr 1996 überwogen die Auszahlungen die Einnahmen aus der veranlagten Einkommensteuer in Bad Homburg um 3 Millionen, 1997 bis Ende November um bereits 50 Millionen DM. Quelle: Badische Zeitung vom 16.12.97.
  109. ...von 74,6 auf 88,1%.
  110. Das verfügbare Einkommen ergibt sich als Summe aller Haushaltseinkünfte (einschließlich Renten-, Arbeitslosenunterstützungs- und sonstigen Transferzahlungen) unter Abzug aller Steuern und Sozialabgaben.
  111. Nur Westdeutschland.
  112. Die Ursprungsdaten stammen vom StBA (für 1993); für einen Teil der Haushaltsgruppen wurden vom WSI hochgerechnete Daten bis 1996, für die restlichen Gruppen hochgerechnete Daten des DIW für 1994 berücksichtigt. Die nächste Übersicht des StBA über die verfügbaren Einkommen der Haushaltsgruppen soll im Laufe des Jahres 1998 veröffentlicht werden.
  113. Ein großer Teil der Haushalte bezieht Einkünfte aus verschiedenen "Quellen"; beispielsweise in der Form, daß mehrere zum Haushalt gehörende Personen verschiedenartige Einkünfte beziehen, oder in Form von Haupt- und Nebentätigkeit einer Erwerbsperson.
  114. Anstieg der Lebenshaltungskosten von 80 bis 94: etwa 47 %; von 1980 bis 1996: ca. 53%.
  115. Die verfügbaren Gesamteinkünfte (monatlich) der 9,48 Mio. RentnerInnen und Pensionäre betrugen 34,9 Mrd., die der 1,58 Mio. BeamtInnen 10,2 Mrd., die der 0,25 Mio. Landwirte 1,3 Mrd. DM.
  116. Die Zahl der "Ein-Personen-Unternehmer" hat zwischen 1982 und 1993 von 426 Tsd. auf 1,035 Mio. zugenommen, ihr Anteil an allen Unternehmen stieg von 24,3% auf 39,3% (Quelle: Wirtschaftswoche 8.7.94). Laut Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) "haben 40% der Selbständigen ein geringeres Nettoeinkommen als der Durchschnittsarbeitnehmer". Zitiert nach ISW-Info Nr. 20.
  117. So deklarierten nach Angaben des StBA (Einkommensteuerstatistik; Quelle: StJB 1994) bereits 1989 35.338 Steuerpflichtige ein Einkommen ("Gesamtbetrag der Einkünfte") aus unselbständiger Arbeit von durchschnittlich 250.000.-DM.
  118. Vgl. dazu auch das bereits genannte Buch von Huster: Neuer Reichtum und alte Armut, a.a.O.
  119. Laut Berechnungen des Stat. Bundesamtes (zitiert in WS 9/95) erhalten knapp 7% der Empfängerhaushalte von Sozialhilfe Unterstützung aufgrund von "unzureichendem Erwerbseinkommen".
  120. Zu finden sind diese Menschen in allen Gruppen der Gesellschaft. Eine ausführliche Darstellung des Anteils der "Working Poor" bei "normalen" Angestellten, ArbeiterInnen, BeamtInnen und auch Selbständigen ist jedoch aus Mangel an Daten kaum möglich.
  121. Das Sozialgesetzbuch unterscheidet zwei Formen der geringfügigen Beschäftigung: die sog. "610 DM-Jobs" sowie kurzfristige Beschäftigung von weniger als 2 Monaten oder 50 Arbeitstagen innerhalb eines Jahres. Etwa 65% (West) bzw. 56% (Ost) der geringfügig Beschäftigten sind Frauen. Quelle: DIW 50/95.
  122. Von 1990 bis 1994 stieg die Zahl lediglich um 63.000 auf 29,397 Mio. Erwerbstätige (ebenda).
  123. Von 1990 bis 1994 ein Rückgang um 37% von 9,1 Mio. auf nur noch 6,7 Mio. Beschäftigte (ebenda).
  124. In vielen Einkaufsmärkten sind beispielsweise die Kassen zu hundert Prozent mit sog. "610-Mark (im Osten 520-Mark-) Beschäftigten" besetzt, im Reinigungsgewerbe gehören rund drei Viertel in diese Kategorie (WSI 11/97), und im Dienstleistungssektor insgesamt nimmt die Zahl der Betriebe dramatisch zu, die ihren MitarbeiterInnen fast ausschließlich derartige Jobs anbieten.
  125. "Der Arbeitsmarkt muß an die jeweiligen 'betrieblichen Belange' angepaßt werden: Dazu muß es möglich sein, nach Belieben 'Heuern und Feuern' zu können und neben sog. Stammbelegschaften eine Manövriermasse von Randbelegschaften jederzeit zur Verfügung zu haben, die man aus 'befristeten Arbeitsverhältnissen', von Fremdfirmen oder als Leiharbeiter beliebig rekrutieren kann." Zitiert nach Jens Huhn, Der Kapitalismus ist tot, es lebe der Kapitalismus, in: Habgier ist gut, Teilen ist schädlich (Jahrbuch der ChristInnen für den Sozialismus), Stuttgart 1996.
  126. Das bedeutet, daß fast jedeR Fünfte (18,8%) der ca. 31,3 Millionen Beschäftigten in dieser Form ausgebeutet wird (1994).
  127. Die Zahlen entstammen einer Untersuchung des Kölner Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) (Quelle: Badische Zeitung vom 5.11.97). Auch das DIW geht für 1996 von 5,4 Mio. solcher Jobs aus (davon 4,6 Mio. in West- und 0,8 Mio. in Ostdeutschland bei einer Zunahme um 38% seit 1991 (Quelle: Badische Zeitung vom 16.10.97).
  128. Drei Viertel dieser Menschen (4 Mio.) üben als einzige Erwerbstätigkeit eine geringfügige Beschäftigung aus. Quelle: WSI 9/97.
  129. Laut Bundesanstalt für Arbeit gibt es "zwischen 180.000 und 430.000 Selbständige, die eigentlich keine sind und weitere 280.000 'halb-abhängige Ein-Personen-Unternehmen'". Quelle: Badische Zeitung vom 10.10.97.
  130. Nach Angaben des Stat. Bundesamtes (zitiert in WS 9/95) ist Arbeitslosigkeit im Jahr 1993 mit 30,3% wie in den vergangenen Jahren die wichtigste Hauptursache für den Bezug von Sozialhilfe. Knapp 2/3 dieser Haushalte erhielten dabei weder Arbeitslosengeld noch -hilfe. Von besonderer Bedeutung war die Hauptursache Arbeitslosigkeit mit 46,2% bei Ehepaaren mit Kindern...
  131. Das entspricht einer offiziellen Arbeitslosenquote von 9,7% (West) bzw. 18,1% (Ost).
  132. In den vorliegenden Daten sind sowohl die EmpfängerInnen von "Laufender Hilfe zum Lebensunterhalt (häufig als 'Sozialhilfe im engeren Sinne' bezeichnet)", als auch von "Hilfe in besonderen Lebenslagen" enthalten. Die Anzahl der EmpfängerInnen von "Sozialhilfe im engeren Sinne" stieg von 1980 bis 1997 um 197% auf 2,73 Mio. Menschen an (Quelle: Badische Zeitung vom 25.11.97). Nicht enthalten in dieser Zahl sind Asylbewerber, abgelehnte Asylbewerber und geduldete Bürgerkriegsflüchtlinge (ca. 490.000 Menschen im Jahr 1995), die ab 1994 nicht mehr in den offiziellen Sozialhilfestatistiken geführt werden.
  133. Weniger als die Hälfte der in Deutschland lebenden Menschen sind berufstätig oder beziehen sonstige Einkünfte und werden somit von den EinkommensbezieherInnen mitversorgt. Unter diesem Gesichtspunkt gibt eine Statistik der Haushalte die gesellschaftliche Situation genauer wieder als die Darstellung der Anzahl von BezieherInnen verschiedener Einkünfte.
  134. Das sind bei den Arbeitslosen 4,1% der etwa 29 Mio. Haushalte in Westdeutschland, bei den EmpfängerInnen von Sozialhilfe 2,5% aller Haushalte.
  135. Diese Haushalte, deren Lebensunterhalt hauptsächlich oder ausschließlich durch Sozialhilfe bestritten wird, haben in Westdeutschland einen Anteil von 40% an der Gesamtzahl aller (1,81 Mio. ) Empfängerhaushalte von Sozialhilfe. Die restlichen 60% haben allerdings auch nicht wesentlich mehr Mittel zur Verfügung als die anderen, da ihnen sonstige Einkünfte auf die Sozialhilfe angerechnet werden.
  136. Quelle: WS 9/95.
  137. In dieser Zahl sind lediglich die EmpfängerInnen von "laufender Hilfe zum Lebensunterhalt" berücksichtigt.
  138. Quelle: Pressemitteilung des StBA vom 17.6.97.
  139. Wie wenig aussagekräftig die offiziellen Angaben über Arbeitslosigkeit sein können, wird noch deutlicher anhand der Werte, die uns aus anderen Ländern häufig vorgehalten werden zur Untermauerung der Behauptung, dort sei "alles besser". Die Realität sieht jedoch häufig anders aus: so muß die 4,8%-Quote der USA von der Tatsache her beurteilt werden, daß dort schon jemand nicht mehr als arbeitslos gilt, wenn er oder sie eine Stunde pro Woche gegen Bezahlung arbeitet oder sich in 7 Tagen nicht mindestens einmal offiziell um Arbeit bemüht, so weist die von der OECD errechnete (erweiterte) Arbeitslosenquote für Holland 27,1% (statt offizieller 6,8% im Jahr 1994) aus (Quelle: DIW 16/96) und so hat die relativ niedrige Quote in Großbritannien (ca. 6%) vor allem damit zu tun, daß in den letzten 18 Jahren 32 Mal die Kriterien für die Definition von Arbeitslosigkeit verändert wurden (Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 28.5.97).
  140. Dazu gehören u.a. arbeitslose Jugendliche oder StudentInnen, die nach der Ausbildung mangels vorausgegangener sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit (für mindestens 1 Jahr) keinen Anspruch auf Leistungen haben, Ehepartner (vor allem Frauen), die eigentlich Arbeitslosenhilfe beziehen könnten, diese aber nicht erhalten, weil der (die) PartnerIn "zu viel verdient" und nicht zuletzt Menschen, die als "nicht mehr vermittelbar" eingestuft werden.
  141. Quelle: Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/3339 vom 28.11.95: Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage einiger Abgeordneter und der SPD-Fraktion zur Armut in der BRD. Angegebene Quelle für die Schätzung ist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Nach deren Definition "umfaßt die "Stille Reserve" Personen, die unter bestimmten Voraussetzungen eine Beschäftigung annehmen würden, jedoch nicht als Arbeitslose registriert sind".
  142. Die Angaben über den Umfang der "Stillen Reserve" für die Jahre 95 bis 97 entstammen der Prognose des IFO-Instituts für Wirtschaftsforschung 10/96.
  143. Als realistischere Arbeitslosenquoten ergeben sich daraus für 1996 16,6% (statt offiziellen 9,7%) in Westdeutschland, 26,8% (statt 18,1%) in Ostdeutschland und 18,5% (statt 11,4%) für beide Teile zusammen. Quelle: DBB-M 12/97 und Antwort auf große Anfrage, a.a.O.
  144. Siehe z.B. DBB-M 4/96.
  145. Das bedeutet, daß nur 50 bis 65% der Leistungsberechtigten erfaßt sind. Quelle: WSI 4/96. In den "Neuen Ländern" erfassen die offiziellen Zahlen der SozialhilfeempfängerInnen sogar nur ein Drittel (!) der unter dem Existenzminimum lebenden Menschen (Ergebnis einer Lebenslagenuntersuchung des Caritasverbandes; zitiert nach Badische Zeitung vom 10.11.97).
  146. Es läßt sich Absicht vermuten hinter der Praxis der Sozialhilfe: Wer arm ist, soll dies spüren und das Bewußtsein entwickeln, er (sie) liege der Allgemeinheit "auf der Tasche". Dazu dient u.a. der regelmäßige Gang zum Sozialamt und der Zwang, jede Kleinigkeit per Formular schriftlich beantragen zu müssen.
  147. Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, zitiert nach Badische Zeitung vom 19.12.96.
  148. Zitiert nach Jens Huhn, a.a.O.
  149. Quelle: Innenpolitik (Zeitschrift des Innenministeriums) Nr. 5/95 vom Oktober 95.
  150. So existiert beispielsweise bei der Fa. Höchst AG die Vorgabe der Geschäftsleitung, daß ein Gewinn von mindestens 15% (nach Steuern) erwirtschaftet werden muß. Teilbereiche, die dieses Ziel nicht erreichen, werden ausgegliedert und bleiben der Firma lediglich noch über eine Holding verbunden. In der Zeitschrift Capital (Nr. 11/97) stellt dieser Konzern seinen Aktionären eine Erhöhung der Eigenkapitalrendite innerhalb von 5 Jahren von derzeit 16,5% auf 20% in Aussicht. Interessant ist ein Vergleich der genannten Zahlen mit der Durchschnittsrendite deutscher Aktien. Diese betrug (nach Angaben der Wirtschaftswoche, Nr. 39/96) zwischen 1980 und 95 im Schnitt jährlich 11.5%, und der DAX-Index stieg seit 1982 auf das Achtfache (!), allein im Jahr 1997 um mehr als 50%.
  151. Im Durchschnitt erwirtschaften die deutschen Konzerne derzeit Netto-Eigenkapitalrenditen (also nach Abzug der Steuern) von 11,3% jährlich. Quelle: IWD 39/97 vom 25.9.97
  152. Abgedruckt in den BNN am 17.10.96.
  153. Zitat Zwiebelhofer (ebenda): "Für Nichtarbeit kann künftig nicht der gleiche Lohn gezahlt werden wie für Arbeit. (...) Von der "heiligen Kuh Weihnachts- und Urlaubsgeld" müssen wir künftig wegkommen".
  154. In vielen Firmen müssen sich die Beschäftigten schriftlich verpflichten, niemandem im Betrieb die Höhe ihrer Einkünfte mitzuteilen.
  155. Zitiert in den (ARD-) Tagesthemen am 5.1.97. Die Verhinderung der Umsetzung dieses Gesetzes in vielen Tarifbereichen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gewerkschaften fast in allen Fällen zur Vermeidung der Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall Einkommenseinbußen der Beschäftigten (Kürzungen von Weihnachts- und Urlaubsgeld, sowie Änderungen der Berechnungsgrundlagen) zugestimmt haben. Diese Maßnahmen haben (fast) den gleichen "Spareffekt auf Kosten der Beschäftigten", wie die eigentlich angestrebte Lohnfortzahlungskürzung.
  156. Der Rückgang der MWSt.-Einnahmen ergibt sich sowohl aus der nachlassenden "Massenkaufkraft", wie auch aus der Tatsache, daß der Anteil exportierter Waren (für die hier keine MWSt. gezahlt wird) stark zunimmt.
  157. Quelle: DBB-M 12/97.
  158. Quelle: Badische Zeitung vom 8.11.97.
  159. Allein wegen der vielen "Kleinen Bündnisse für Arbeit", in denen nach Entlassungsdrohungen der Firmenleitungen Betriebsräte der Kürzung oder gar vollständigen Streichung des Weihnachstgeldes zustimmten, werden von Dezember 1997 bis Februar 1998 ca. 1 Mrd. DM weniger Beiträge in den Rentenkassen erwartet. Quelle: (ARD-) Tagesthemen am 5.1.97.
  160. Bei den anderen größeren Parteien ist diese Bereitschaft allerdings auch nicht zu erkennen.
  161. Minister Waigel plante für 1997 "Einsparungen" bei der Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 8 bis 12 Mrd. DM; das wären 8,2 bis 12,4% der gesamten durch Arbeitslosigkeit verursachten Ausgaben.
  162. Die geplanten Kürzungen der Rentenzahlungen von 70 auf 63% des Nettolohns würden für eine(n) Beschäftigte(n) mit 45 Berufsjahren und Durchschnittslohn (aller Beschäftigten) die Absenkung der monatlichen Rente von DM 2.100.- auf DM 1.890 bedeuten. Quelle: Bericht des SWF 2 am 14.1.97. Die Durchschnittsrente würde von DM 1725.- auf DM 1550.- sinken (Quelle: Angaben von R. Dreßler (SPD), zitiert nach BZ vom 15.1.97).
  163. Nachdem er die Frage des Moderators nach der Notwendigkeit von Absenkungen der Prozentsätze der Arbeitslosenunterstützung nachdrücklich bejaht hatte, fügte er von sich aus hinzu: "selbstverständlich müssen auch die Sätze der Sozialhilfe drastisch gesenkt werden. Ein Anreiz muß erhalten bleiben....."
  164. Bestätigung findet diese Feststellung durch Herrn Schäuble, der auf dem CDU-Parteitag in Leipzig erklärte: "Künftig kann nicht mehr jeder erwarten, einen Vollzeitarbeitsplatz im herkömmlichen Sinne zu bekommen." Quelle: Badische Zeitung vom 15.10.97.
  165. In ihrer Zeitschrift "Der Arbeitgeber" (Nr. 10/97) verlangt auch die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände: "In Deutschland muß ein Niedriglohnsegment geschaffen werden, das rund 20 bis 30% unter den jetzigen unteren Tarifgruppen liegt"; und weiter: "Allerdings ist ein Einfrieren der Sozialhilfesätze unerläßlich."
  166. Quelle: IWD 39/97
  167. Als vorbildhaft werden in diesem Zusammenhang immer wieder die Verhältnisse in den USA dargestellt. Dort ist der überwiegende Teil der in den letzten Jahren entstandenen Jobs dem absoluten Niedrigstlohnsektor zuzuordnen, was dazu geführt hat, daß trotz (offiziell) sinkender Arbeitslosenquote die Armut dramatisch wächst: die Zahl der "Armen" stieg innerhalb von 10 Jahren um 13% auf 38 Millionen Menschen, und die Zahl der Leute, die auf Leistungen der "Medicaid" (Krankenversicherung für Arme und Behinderte) angewiesen sind, wuchs in den letzten 5 Jahren um 40% auf 35 Millionen Personen (Quelle: IWD 37/97). Ähnliches gilt für Großbritannien, wo inzwischen 20% aller Arbeitnehmer in Kurzarbeitsstellen oder Billigjobs beschäftigt sind. Quelle: Badische Zeitung vom 20.11.97.
  168. Inzwischen mehren sich allerdings Stimmen aus der SPD, die eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer (für Vermögen privater Haushalte) fordern; Vorschläge über die Höhe dieser Steuer liegen jedoch bisher nicht vor (Stand Januar 1997).
  169. Tagsdarauf verfügte Ministerpräsident Teufel eine absolute Haushaltssperre für das Land Baden-Württemberg, weil zusätzliche Steuerausfälle schon in diesem Jahr vom Landeshaushalt nicht mehr zu verkraften seien.
  170. Angesichts der geringen Höhe der gesamten Vermögenssteuerzahlungen stellt sich allerdings die Frage, ob diese Steuer ihren Namen überhaupt verdient. Bezogen auf das (in Deutschland gelagerte) private Geldvermögen entspricht der private Anteil dieser Steuer (zuletzt 5,7 Mrd. DM) 1996 einem durchschnittlichen Steuersatz von stolzen 0,11%, bezogen auf das (geschätzte) Gesamtvermögen in privaten Händen sind es weniger als 0,05%. Würden nur die oberen 10% der Haushalte, die mehr als 50% des Privatvermögens ihr eigen nennen, mit 1 % zur Kasse gebeten (was leicht aus der Rendite zu zahlen wäre), ergäbe dies Einnahmen von über 60 Mrd. DM jährlich. Damit ließen sich beispielsweise die gesamten Zahlungen an Arbeitslose (57 Mrd. DM in 1996) bestreiten.
  171. Anm.: Die Erwartungen, "wonach die Ausfälle durch den Wegfall der Vermögenssteuer durch die Mehreinnahmen aus der Erbschaftssteuerreform und der Anhebung der Grunderwerbssteuer ausgeglichen werden würden, haben sich nicht erfüllt." Zitiert nach DBB-M 12/97.
  172. Die Senkung der Körperschaftssteuer sollte teilweise schon zum 1.1.98 erfolgen.
  173. Der Spitzensteuersatz von (derzeit) 53% muß lediglich für den (einen Grenzbetrag von) DM 120.000 (bzw. DM 240.000.- bei zusammenveranlagten Eheleuten) übersteigenden Anteil des zu versteuernden Einkommens bezahlt werden. Diese Grenzen sollen für den neuen Spitzensteuersatz von 39% auf DM 90.000 (bzw. DM 180.000) gesenkt werden.
  174. Neben diesen Zahlen wurden im Herbst '96 von verschiedenen Seiten (leicht) abweichende Vorschläge in die Diskussion eingebracht. Im einzelnen: FDP (Eingangssteuersatz 15% / Spitzensteuersatz 35%); Grüne (20% / 40%); DIW (20% / 47%); Bund der Steuerzahler (15% / 35%); Bayrischer Finanzminister Huber (20% / 40%), Quelle: Wirtschaftswoche 39/96.
  175. ...laut Beschluß der Steuerreformkommission der Bundesregierung vom 23.1.97.
  176. Das bedeutet praktisch: EinkommensbezieherInnen, die - einen Teil ihrer Einkünfte - nach dem Spitzensteuersatz versteuern müssen, haben in Zukunft im "Grenzbereich" je 100 DM Einkommen 14 DM weniger Steuern zu zahlen, während sich die Steuerschuld für Leute im unteren Bereich (bei DM 1500 Brutto-Monatseinkommen) je 100 DM Einkommen lediglich um knapp 5 DM verringern wird. Selbst die Geringstverdienenden (unter 1500 DM Monatseinkommen) profitieren (sofern sie bisher überhaupt Steuern zahlen mußten) mit DM 10,30 je 100 DM Einkommen weniger als die "Besserverdienenden" (Diese Angaben beziehen sich auf den über dem Grundfreibetrag liegenden Teil der Einkünfte).
  177. Die bisher schon niedrigeren Spitzensätze der Körperschaftssteuer sollen noch weiter gesenkt werden, und zwar: für ausgeschüttete Gewinne von 30% auf 28% (1998) und schließlich 25% (1999), für einbehaltene Gewinne von 45% auf 40% (1998) und 35% (1999).
  178. In den 81 Mrd. DM Steuerentlastung sind 10 Mrd. DM Entlastung bei der Körperschaftssteuer (1995: insgesamt 18 Mrd. DM) enthalten. Quelle: Der Spiegel Nr. 4/97, S.22.
  179. Gesamteinkommensteuer 1996: 318 Mrd. DM (das ist ein Minus gegenüber 1995 von 27 Mrd. DM); darin enthalten: Lohnsteuer 251 Mrd.; veranlagte Einkommensteuer 12 Mrd.; Körperschaftssteuer 29 Mrd.; Kapitalertragssteuer 25 Mrd. DM. Quelle: DBB-M 12/97; vgl. Anhang 2.
  180. Quelle: Eigene Schätzungen nach den Daten der Einkommensteuerstatistik 1992 des StBA. Unter "hohem Einkommen" wird hier - wie in Kapitel 4.1 - ein "Gesamtbetrag der Einkünfte" von mehr als 100.000.- DM verstanden.
  181. Die Besteuerung von Wertsteigerungen bei Bauland wäre im übrigen eine (wenn auch späte) Erfüllung des Verfassungsauftrags der bayerischen Verfassung, in der es heißt (Artikel 161/2): "Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen". Zitiert nach: ISW-Report Nr. 20. a.a.O.
  182. Anmerkung des Handelsblatt (vom 4.10.96) zu diesen Plänen: "Wer dann auch noch Veräußerungsgewinne besteuert, kann gleich ein Manifest verabschieden mit der Aufforderung, Geld künftig nur noch auf den Bahamas, den Kanalinseln oder sonst irgendwo anzulegen, auf jeden Fall nicht mehr in Deutschland".
  183. Die Steuergeschenke zum Immobilienkauf in den "neuen Ländern" werden bereits zum 31.12.96 verringert, vollständig abgeschafft werden sollen sie nicht. Auch die Verlustzuweisungen bei Schiffs- und Flugzeugbeteiligungen sollen nicht gestrichen, sondern nur herabgesetzt werden.
  184. Die Wirtschaftswoche (a.a.O.) spricht von "Gezinkten Karten" und bemerkt weiter: "Leistungsträger müssen nach der geplanten Steuerreform womöglich noch mehr zahlen als heute". Mit Hilfe der (in Kapitel B 4.2. zitierten) Modellrechnung wird "das ganze Bedrohungspotential deutlich gemacht". Tatsächlich steigt die gesamte Steuerbelastung in der Modellrechnung (unter Einbeziehung aller derzeit diskutierten Einschränkungsvorschläge) von 8,5% auf (wirklich bedrohliche!) 18,5% an.
  185. Die Spekulationsfrist (innerhalb dieser Frist erzielte Kursgewinne müssen im Verkaufsfall versteuert werden) wurde bei Aktien geringfügig von 6 auf 12 Monate erhöht, bei Immobilien von 2 auf 10 Jahre (Kommentar des Handelsblatt (Ausgabe vom 24.1.97): "Gewinner der geplanten Steuerreform wäre die Aktie.(...) Die Verlängerung der Spekulationsfrist wird keine negativen Auswirkungen haben." und weiter: "Da (...) ohnehin kaum jemand Immobilien innerhalb von wenigen Jahren mit Gewinn veräußern könne, sei die geplante Verlängerung der Spekulationsfrist nach Ansicht des Rings Deutscher Makler 'gut zu verdauen'."), und die Renditeaussichten bei Schiffsbeteiligungen Fonds-Beteiligungen werden lediglich verringert.
  186. Den RentnerInnen sollen durch die Anhebung des sog. Ertragsanteils der Renten auf 50% insgesamt jährlich ca. 3 Mrd. DM an zusätzlichen Steuerzahlungen aufgebürdet werden. Quelle: Bericht des SWF 2 über die derzeitigen Planungen für die Steuerreform (14.1.97).
  187. Quelle: Handelsblatt vom 24.1.97.
  188. Betroffen sind davon 16 Millionen ArbeitnehmerInnen (Quelle: FR vom 25.1.97), die laut Angaben von "WISO" (ZDF-Sendung vom 23.1.97) auf den größte Teil der jährlich 4 Mrd. DM Steuervergünstigungen verzichten müssen. Für Selbständige hat diese Neuregelung allerdings keine Auswirkung: ihre Fahrtkosten bleiben weiterhin als "Betriebsausgaben" absetzbar.
  189. Obwohl SPD und auch die Bündnis-Grünen (leider) ein Stück weit auf Regierungslinie eingeschwenkt sind und sich den Vorstellungen der Bundesregierung angenähert haben (Absenkung des Spitzensteuersatzes um einige Prozentpunkte, Gegenfinanzierung durch Erhöhung von Verbrauchssteuern), und auch die CDU bei den Steuersätzen etwas zurückzustecken bereit war, kam es im Bundesrat zu keiner Einigung über den Regierungsvorschlag.
  190. Von den geplanten 30 Mrd. DM Nettoentlastung ist inzwischen angesichts der dramatischen Steuerausfälle in 1997 fast nichts mehr übriggeblieben. Salopp formuliert könnte man es so ausdrücken: die "Besserverdienenden" haben sich ihre Nettoentlastung durch ausgiebige Nutzung der staatlichen Angebote in noch höherem Umfang bereits abgeholt (siehe Rückgang der veranlagten Einkommensteuer).
  191. Von den (offiziell) 2,56 Mio. Arbeitslosen in Westdeutschland (1994) erhielten 660.000 Menschen weder Arbeitslosengeld noch -hilfe, im Osten bezogen 960.000 der (offiziell 1,14 Mio.) Arbeitslosen insgesamt 13,1 Mrd. DM Arbeitslosenunterstützung. Quellen: DBB-M 6/96 und StBA, VIId-S, Zeitreihen. Vgl. Anhang 2.
  192. 1996 brachte die Mehrwertsteuer ca. 200 Mrd. DM in die öffentlichen Kassen. (Quelle: DBB-M 12/97. Vgl. Anhang 2) Eine Erhöhung um einen Prozentpunkt bringt zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von ca. 15 Mrd. DM.
  193. vgl. Fußnote 186.

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