Kirchenkreis
Die Dorfkirche Radewege ist eine schöne, in gotischem Stil erbaute Kirche mit bemerkenswerter Innenausstattung. Die meisten Fenster sind von einer neuzeitlichen Renovierung. Trotzdem sind noch eine ganze Reihe von älteren Öffnungen vorhanden. Sie lassen auf einen bereits in spätgotischer Zeit erfolgten Umbau schließen. Der Turm wurde erhöht.
Lage der Kirche: Radewege liegt nördlich von Brandenburg a.d.H. Der Ort ist ein Straßendorf (Historisches Ortslexikon). Die Kirche liegt an der Straße in der Mitte des Dorfes.
Ortsgeschichte:
Der Ort wird 1335 erstmals als "Radenwede" urkundlich
erwähnt. Ab 1375 wird die Schreibweise Radewede üblich. Im
15. Jahrhundert erscheint dann die Schreibweise Radewege. Die
Bedeutung ist nicht ganz sicher. Fischer (1976) hält eine
Bildung von mittelniederdeutsch raden = "roden" und wede
"Wald, Holzung" für unwahrscheinlich. Er denkt eher an
einen slawischen Ursprung, von einem Vornamen "Radoved",
aus den Wurzel rad = "tätig, gern, froh" und ved =
"wissen". 1375 hatte der Ort 42 1/2 Hufen, wovon der
Pfarrer drei Pfarrhufen hatte. Heyne van den Bone hatte 8 Hufen zu
seinem Hof. 4 Hufen und 2 Kossätenhöfe waren unbebaut. Jede
zinspflichtige Hufe mußte für Pacht, Zins und Bede
(Steuer) 1 Frustrum entrichten. Es gab fünf Kossätenhöfe
im Ort, von denen allerdings zwei Höfe verlassen waren. Jeder
der Kossätenhöfe mußte als Abgabe 6 Pfennige und 1
Huhn bezahlen. Der Krug mußte dem Schulzen 6 Schillinge und 1
Huhn entrichten, der Fischer 5 Schillinge. Heyne van den Bone bezog
die Pacht von vier Hufen, Gyse, ein Bürger der Altstadt
Brandenburg die Pacht von acht Hufen und Broseke die halbe Pacht von
zwei Hufen sowie ein gewisser Ruk die Pacht von sechs Hufen. Der Rest
der Abgaben ging an Heyne van Bone und den Pfarrer. Heyne van Bone
besaß das Hohe Gericht, und ihm standen die Wagendienste der
Bauern zu. Er mußte aber dafür dem Markgrafen
Vasallendienste leisten. H. Schulte, ein Bürger der Altstadt
Brandenburg, hatte nicht weiter spezifizierte Einnahmen in Höhe
von vier Wispeln Hafer. 1409 erwarb die Altstadt Brandenburg den Ort
und die Abgaben flossen der städtischen Kämmerei zu. Erst
1850 wurden diese Feudalabgaben abgelöst.
Im Jahre 1418
wurde das Dorf Radewege von Hans v. Quitzow in Brand gesteckt. In wie
weit auch die Kirche davon betroffen war, läßt sich nicht
sagen.
Baustruktur: Die Kirche ist ein Rechteckbau (Südseite: 15,6 m lang, Westseite: 8,6 m breit) mit einem dreiseitigen Ostschluß und einem Querwestturm, der oberhalb der Traufhöhe des Kirchenschiffs in einen sehr großen, quadratischen Dachturm übergeht. Die Ostseite des Turms ist im Schiff durch einen großen Entlastungsbogen abgestützt. Die Kirche weicht magnetisch mit 6-8° nach Nordosten von der idealen Ost-West-Ausrichtung ab.
Mauerwerksausführung: Die Kirche ist ein Feldsteinbau, der jedoch viele Ziegel und Ziegelbruch im Mauerwerk enthält. Die Gewände der Öffnungen sowie die Ecken der Kirche sind mit Ziegeln gemauert. Die Backsteine messen relativ einheitlich 29-30 x 13,5-14 x 9-9,5 cm. Der quadratische obere Teil des Turms wurde komplett aus Ziegeln gebaut. Das Feldsteinmauerwerk der Kirchenwände ist unregelmäßig und besteht aus großen, gespaltenen Feldsteinen. Die Mauerstärke beträgt ca. 75 cm (am westlichen Fenster der Nordseite gemessen.
Mörtel und Putze: Am Schiff haben sich Reste eines Putzes mit Doppelfugenritzung erhalten.
Portale: Das Südportal ist flachsegmentbogig unter einer breiten Spitzbogenblende, die wiederum unter einem sehr hohen Spitzbogen liegt. Das Gewände besteht aus Ziegeln. Der äußere, sehr hohe Bogen hat einen Begleitbogen aus liegenden Läufern. Das Westportal ist spitzbogig unter einer Segmentbogenblende. Auch hier besteht das Gewände aus Ziegeln. Das Ziegelformat mißt 29-29,5 x 13-14 x 9-9,5 cm. Ein weiteres Portal befindet sich hart am westlichen Ende in der Südwand im Turmbereich. Es ist flachsegmentbogig und liegt in einem Bereich des Mauerwerks, der vollständig mit Ziegeln gemauert ist. Der Bogen besteht aus einer Lage stehender Binder. Die Tür besitzt noch alte, aber gut restaurierte eiserne Beschläge.
Fenster und Blenden: Die Nordwand weist vier Fenster auf; drei Fenster im eigentlichen Sakralraum, ein kleineres Fenster etwas abgesetzt von den drei anderen Fenstern im Turmbereich. Die drei östlichen Fenster sind breitspitzbogig und besitzen ein Maßwerk. Das westliche, kleinere Fenster ist rechteckig unter einem Spitzbogen. Vermutlich ist dieses Fenster noch ursprünglich. In der Nordwand des Schiffs sind außerdem Reste mehrerer Fenstergenerationen erkennbar. Eine Generation Fenster war spitzbogig mit einem Ziegelgewände (über dem zweiten Fenster von Osten gut zu sehen). Eine zweite Generation war flachsegmentbogig (über dem dritten Fenster von Osten), und die jetzige Generation ist flachspitzbogig mit Maßwerk. In der Südwand befinden sich nur zwei breitspitzbogige Fenster mit Maßwerk. Das Gewände des östlichen Fensters ist noch weitgehend ursprünglich, während das des westlichen Fensters großenteils erneuert worden ist. Im Turmbereich befindet sich ein zugesetztes Schlitzfenster. In der Ostseite des Chors sitzt ein stumpfspitzbogiges Fenster mit einem zweiteiligen Maßwerk. In der nordöstlichen Facette des Chors ist ein zugesetztes flachsegmentbogiges Fenster. In der südöstlichen Facette sitzt wiederum ein stumpfspitzbogiges Fenster mit Maßwerk. Die spitzbogigen Fenster des Chores unterscheiden sich durch einen Begleitbogen aus liegenden Läufern von den drei Fenstern der Nordseite.
Innenbögen: Der Turminnenraum ist mit dem Schiff durch einen großen Bogen verbunden.
Turm: Der Turm ist ein Querwestturm, der aber ab Traufhöhe in einen quadratischen, massiven Dachturm übergeht. Er wurde offensichtlich um ein Geschoß erhöht, wie der Putzstreifen und die älteren Schallöffnungen zeigen. Die Ziegel dieses Aufstockungsbereichs sind etwas heller. Das ältere und wohl ursprüngliche Glockengeschoß hat auf der West- und Ostseite je zwei kleine, segmentbogige Schallöffnungen, auf der Nord- und Südseite je eine Schallöffnung. Das aufgesetzte, neuere Glockengeschoß hat auf jeder Seite eine hochrechteckige Schallöffnung.
Dächer: Das Schiff hat ein Satteldach, das im Osten entsprechend dem Chor polygonal geschlossen ist. Der Turm trägt ein Zeltdach, das mit Bitumenplatten gedeckt ist. Er hatte aber bis 1996 einen Dachreiter, der wegen Einsturzgefahr abgenommen werden mußte. An der Ostseite des Turms ist der Ansatz eines geringfügig höheren, älteren Dachs zu sehen. Dieser Dachansatz ist durch vorkragende Ziegel markiert.
Innenausstattung: Leider konnten wir das Innere bisher nicht besichtigen. Die Westtür war bei unserem Besuch zwar offen, aber durch eine zweite Gittertür verschlossen so daß man nur von außen in das Innere der Kirche sehen konnte. Der Kirchenraum ist mit einem Kreuzgewölbe überwölbt.
Außenbereich: Knapp unterhalb der Traufhöhe des Schiffs verläuft ein eingetiefter Streifen mit Resten eines Ganzputzes, wohl ein ursprünglicher Putzfries. Ein ähnliches Feld verläuft rings um den Turm oberhalb der alten Schallöffnungen. Ein weiteres Zierelement hat sich nur auf der Nordseite erhalten. Hier verläuft eine Reihe von Ziegelstrukturen. Am Turmportal in der Südwand sind etliche Näpfchen in die Ziegel gebohrt worden. Außerdem finden sich einige wenige Scharten. Auch am Südportal finden sich einige Näpfchen-Strukturen.
Baugeschichte: Aus
der Mauerwerksausführung und den Stilelementen kann geschlossen
werden, daß die Kirche vermutlich in der 1. Hälfte des 15.
Jahrhunderts errichtet wurde. Dazu paßt auch der dreiseitige
Ostschluß sowie das Ziegelformat (relativ lange Ziegel). Das
Dorf wurde 1409 von der Altstadt Brandenburg erworben und 1418 von
Hans von Quitzow in Brand gesteckt. Es ist zwar nicht bekannt, ob
auch die Kirche zu Schaden kam, es wäre aber denkbar, daß
dieses Ereignis (und der Besitzerwechsel) der Anlaß für
den Kirchenneubau war.
Die heutige Baustruktur ist im wesentlichen
auch die ursprüngliche Baustruktur. Lediglich die Position der
Fensteröffnungen auf der Nordseite ist nicht sicher zu
rekonstruieren. Der Turm gehörte bereits zum Ursprungsbau; er
war allerdings nicht ganz so hoch wie heute, wie man an den
zugesetzten alten Schallöffnungen unterhalb des heutigen
Glockengeschosses unschwer erkennen kann.
Nach einem Brand im
Jahre 1607 wurde die Kirche 1608 neu aufgebaut.
Der Turm wurde
1756 neu ausgebaut (Jahreszahl in der alten Windfahne; fide Eichholz
und Spatz, 1913), vermutlich stammt die in der Bausubstanz zu sehende
Aufstockung des Turmes aus dieser Zeit. Vermutlich fand bereits um
1770 eine erste Turmrenovierung statt.
Eine Turmreparatur ist
auch für 1831 dokumentiert. Das Querdach wurde mit einem
Dachreiter versehen. 1888 wurden Turm und Dachreiter erneut
renoviert. 1900 wurde der Innenraum der Kirche durch Baurat L. v.
Tiedemann durchgreifend umgestaltet.
1996 mußten Dachreiter
und Spitze wegen Absturzgefahr heruntergenommen werden, und der Turm
erhielt ein flaches Zeltdach.
Vergleiche: Die Kirche läßt sich am besten mit den Dorfkirchen in Neuendorf bei Brück und Kanin vergleichen, die ebenfalls einen polygonalen Ostschluß haben. Die Dorfkirche in Kanin ist etwas länger und breiter, der Chorschluß ist flacher. Recht gut stimmt die Dorfkirche in Neuendorf/Brück überein (bei einer Länge der Südwand des Ursprungsbaus von 15,20 m und einer Breite von 8 m).
Bemerkungen: Die Erklärungstafel vor der Kirche datiert die Umfassungsmauern der Kirche ins 13. Jahrhundert; die Mauerwerksausführung und die geringe Wandstärke sowie die Verwendung von Ziegeln zur Mauerung der Ecken und das Ziegelformat sprechen aber entschieden gegen diese Frühdatierung. Die Diskrepanz in der Datierung des Turmaufbaus in den einschlägigen Publikationen (Dehio u.a.) sowie der Erklärungstafel vor der Kirche (1756 bzw. 1770) konnte bisher nicht geklärt werden. Bemerkenswert ist auch die völlig unterschiedliche Datierung der Kanzel, die wir noch nicht gesehen haben, durch den "Dehio" und auf der Erklärungstafel vor der Kirche.
Information und Dank: -
Literatur: Werdermann (1911), Aus der Vergangenheit von Radewege. Kreiskalender Westhavelland, 3: S.57ff., Eichholz und Spatz (1913), Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Band II, Teil 1 Westhavelland, S.149-152, Rohrlach (1977): Historisches Ortslexikon für Brandenburg, Teil 5 Zauch-Belzig, S., Bau- und Kunstdenkmale in der DDR, Bezirk Potsdam (1978), S.51, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Bezirke Berlin/DDR und Potsdam (Dehio/Potsdam) (1983), S.395, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Brandenburg (Dehio/Brandenburg) (2000), S.907.
Ältere Beschreibungen:
Dehio/Potsdam: Radewege Bez. Potsdam, Ldkr. Brandenburg. - Inv. Prov. Brandenburg, Westhavelland Dorf-K. Einheitlicher kleiner Gewölbebau des 15. Jh. von 3 Jochen mit 3seitigem OSchluß und querrck., über das Dach quadr. fortgeführtem WTurm von gleicher Breite. Mauerwerk aus Feldstein und Backstein gemischt. Dreiteilige Spitzbogenfenster, ihre Gewände z.T. rest.; im S segmentbogiges Portal in hoher doppelter Spitzbogenblende, jetzt vermauert. Unter dem Dachgesims Putzstreifen. Der Turmoberbau aus Backstein, die Haube von 1756 durch Blitzschlag zerstört. Der Bau 1900 durch L.Tiedemann i.T. willkürlich rest. und ausgemalt. Innen die Wandpfeiler zu spitzbogigen, die Fenster umgreifenden Nischen verbunden, davor Gewölbedienste, Kreuzzippengewölbe mit kleinen runden Schlußsteinen. Das Turmuntergeschoß urspr. in hohem Bogen zum Schiff geöffnet. - In der n Polygonwand gemauertes Sakramentshäuschen aus der Bauzeit, bei der Rest. ergänzt, im Wimperg kleine Schnitzfigur einer Madonna aufgestellt, um 1430/40, z.Z. in Brielow, Ldkr. Brandenburg. Hölzerne Renaiss.Kanzel 2. H. 16. Jh., der polyg. Korb mit Ecksäulchen durch Blendarkaden und Beschlagwerk geschmückt, um 1900 ergänzt und bemalt. Aus dieser Zeit die übrige Ausstattung.
Dehio/Brandenburg:
Radewege Lkr. Potsdam-Mittelmark. Karte 5
Ev. Dorfkirche.
Kleiner gewölbter Saalbau des 15. Jh. aus Feldstein und
Backstein (das Dorf 1409 von der Brandenburger Altstadt erworben),
1900 durchgreifend renoviert durch Baurat L. v. Tiedemann.
Dreiseitiger Ostschluß, der westl. Querturm über dem Dach
als quadratischer Backsteinturm fortgeführt. Dreiteilige
Spitzbogenfenster, in ihrer Form wohl 1900, im Süden
segmentbogiges Portal in hoher doppelter Spitzbogenblende, vermauert.
Unter dem Dachgesims Putzstreifen. Der dreijochige Innenraum geprägt
duch die einheitliche Neuausstattung und Ausmalung von 1900. Nach
innen gezogene Strebepfeiler, zu Spitzbogennischen verbunden, davor
die variierenden Gewölbedienste. Kreuzrippengewölbe mit
kleinen runden Schlußsteinen. Das Turmuntergeschoß urspr.
in hohem Bogen zum Schiff geöffnet. In der nördl.
Polygonwand gemauertes Sakramentshäuschen mit Wimperg, stark
ergänzt. Glasfenster 1895 F. Müller, Quedlinburg. -
Hölzerne Renaissancekanzel, 2. H. 16. Jh., um 1900 ergänzt
und bemalt; der polygonale Korb mit Ecksäulchen durch
Blendarkaden und Beschlagwerk geschmückt.
Bau- und Kunstdenkmale in der DDR: Radewege Dorfkirche Spätgotischer kreuzrippengewölbter Feldsteinbau, dreijochig mit dreiseitigem Chorschluß und gleichbreitem, über dem Dach quadratisch in Backstein fortgesetztem Westturm mit Abschluß von 1756. Fenster und Portal aus profilierten Backsteinen. Der Bau um 1900 durch Tiedemann z. T. willkürlich restauriert und ausgemalt. - Kanzel 2. H. 16. Jh. Sakramentshäuschen, gemauert, 15. Jh.; zugehörig Madonna mit Kind, Holz, um 1440. Kelch, Silber vergoldet, 1730. Leuchterpaar, Messing, 16./17. Jh. 2 Glocken, 15. bis 16. Jh. und 1587 von Joachim Jenderich.
Historisches Ortslexikon für Brandenburg: Gewölbte gotische Feldsteinkirche mit Backsteinkanten, dreiteilige Spitzbogenfenster, alter Turm; K 1900 erneuert.
Erklärungstafel:
Nach einem Brand 1607 wurde die Kirche 1608 neu aufgebaut und steht
unter Denkmalschutz. Die Umfassungsmauern stammen aus dem 13.
Jahrhundert.
Die Kirche ist ein rechteckiger Feldsteinbau, der
Turm ein spätgotischer Backsteinbau aus Klosterformatsteinen. Er
wurde 1770 und 1831 neu ausgebaut und mit einem Dachreiter versehen.
1888 wurden Turm und Dachreiter erneuert. 1996 mußten
Dachreiter und Spitze wegen Unfallgefahr heruntergenommen werden und
der Turm erhielt ein Walmdach.
Es ist eine typische Bauernkirche
mit Kanzelaltar und Chorempore. Die Kanzel im derben Rokoko hat zwei
glatte Säulen, 1772 vom Brandenburger Domtischler Binterim und
Domzimmermeister Herzer angefertigt.
Die Kirche besitzt zwei
Glocken mit einem Durchmesser von 0,93 m bzw. 0,80 m. Beachtenswert
ist das reich profilierte Holzbalkengesims aus der Zeit nach 1607.
Aufnahme der Kirche: Februar 2002
Grundriss:
Grundriss der Kirche in Radewege (aus Eichholz und Spatz, 1913)
©Theo Engeser und Konstanze Stehr, Jühnsdorf, 2004