[Originalveröffentlichung dieses Textes in:

p o g r o m

1/1994

Gesellschaft für bedrohte Völker]

Die Südliche Mongolei - Autonomes Gebiet Innere Mongolei

von Oliver Corff

Das Autonome Gebiet Innere Mongolei, chinesisch Nei Menggu Zizhiqu, mongolisch Öwör Mongol Öörtöö Zasax Oron (ÖMÖZO) ist eines der fünf Autonomen Gebiete der Volksrepublik China. Es heißt auf Mongolisch "Südliche Mongolei", die Bezeichnung "Innere Mongolei" (im Gegensatz zur "Äußeren Mongolei", der eigentlichen Mongolei) stammt aus der chinesischen Verwaltungspraxis, wonach die Südliche Mongolei näher an Beijing liegt als die Äußere Mongolei. Die Bezeichnung folgt der gleichen Logik, mit der das Foreign Office einst einen Nahen, Mittleren und Fernen Osten geschaffen hat.

Das ÖMÖZO gehört nicht zum chinesischen Kernland, sondern ist erst in der jüngeren Geschichte Chinas (zu Beginn der Qing-Zeit, s.u.) dem Reich einverleibt worden. Noch vor 300 Jahren wurde es nicht von Han-Chinesen, sondern nur von Mongolen und anderen nicht-chinesischen Völkerschaften bewohnt. Mit den anderen Autonomen Gebieten Chinas teilt es ein ähnliches Schicksal: Es ist auf weiten Strecken nur dünn besiedelt, ungeeignet für intensive Landwirtschaft, aber dafür rohstoffreich und durch grenznahe Lage von herausragender strategischer Bedeutung. Hinzu kommt, daß viele der in den Autonomen Gebieten siedelnden Völkerschaften zu beiden Seiten der Staatsgrenzen leben, was zusätzlichen Konfliktstoff birgt. Seit dem 18. Jhd. strömen regelmäßig chinesische Siedler in das Gebiet und haben die Mongolen im eigenen "Autonomen Gebiet" zur kleinen Minderheit werden laßen.

Heutige Geographie, Bevölkerung und Wirtschaft

Das heutige ÖMÖZO schmiegt sich sichelförmig an den Südosten und Osten der Mongolei ein. Es hat eine Länge von über 2000 km, aber ist stellenweise nur ca. 200 km breit und bedeckt eine Fläche von ca. 1,1 Mio qkm (über ein Neuntel der Gesamtfläche Chinas!). Im Norden grenzt es an die Mongolei und Rußland, im Osten an die chinesischen Provinzen Heilongjiang, Jilin und Liaoning, im Süden an die Provinzen Hebei, Shanxi und Shaanxi, im Südwesten an das Autonome Gebiet Ningxia des Hui-Volkes, im Westen an die Provinz Gansu. Die Süd- und Südwestgrenze deckt sich teilweise mit dem Verlauf der Großen Mauer.

Das ÖMÖZO ist in mehrere Verwaltungsgebiete geteilt, die auf mongolisch aimag, auf chinesisch meng und auf deutsch meistens Liga genannt werden. Die Aimags wiederum setzen sich aus Bannern (mong. xoshuu, chin. qi) zusammen, eine Einteilung, die von den Mandschus eingeführt wurde und sich bis heute erhalten hat.

Ein Großteil der Fläche des ÖMÖZO besteht im Westen aus unwirtlichen Wüsten (z.B. Wüste Gobi, Tenger-Wüste im Alashan-Aimag) und semiarider Steppe (Ordos-Gebiet). Die für die Mongolei als so typisch angenommenen Grasländer liegen im Osten, hauptsächlich im Hulunbuir-Aimag. Ausgedehnte Waldflächen gibt es nur im Ostteil des ÖMÖZO.

Das Klima ist ausgesprochen kontinental, mit langen Wintern und großen jahres- und tageszeitlichen Temperaturschwankungen. Die Durchschnittstemperatur im Winter liegt bei -10øC, im Sommer bei 23øC. Sommerliche Spitzenwerte über 35øC sind keine Seltenheit.

Genaue Daten über die Bevölkerungszahl und -zusammensetzung sind nur schwierig zu erhalten. Nach offiziellen chinesischen Angaben lebten Ende 1991 ca. 21,6 Mio. Menschen im ÖMÖZO, davon 4,061 Mio. (18,8%) Angehörige nationaler Minderheiten. Diese sind nicht näher aufgeschlüsselt, dürfen jedoch nicht mit Mongolen gleichgesetzt werden, da außer Mongolen noch Daguren (eine mongolische Nationalität), Ewenken und Orochen (zwei tungusische Völkerschaften), Hui (chinesische Muslims - eine religiöse Minderheit), Mandschuren und Koreaner im ÖMÖZO leben. Die Zahl der Mongolen in China (1953: 1,462 Mio.; 1990: 4,802 Mio.) hat für die Ermittlung der Bevölkerungszusammensetzung der Südlichen Mongolei ebenfalls nur eingeschränkten Wert, da längst nicht alle Mongolen im ÖMÖZO, sondern auch in Jilin, Liaoning, Heilongjiang, Gansu, Qinghai, Hebei, Henan, Yunnan, Beijing, den Autonomen Gebieten Xinjiang (Ostturkestan) und Ningxia leben.

Nach der Bevölkerung stehen die Mongolen an neunter Stelle der insgesamt über 50 Nationalitäten Chinas. Vor ihnen stehen die Han-Chinesen (1,039 Milliarden), die Zhuang (15,555 Mio.), die Mandschuren (9,846 Mio., jedoch weitestgehend sinisiert), die Hui (8,612 Mio.), die Miao (7,383 Mio.), die Uighuren (7,207 Mio.), die Yi (6,578 Mio.) sowie die Tujia (5,725 Mio. - alle Angaben für das Jahr 1990).

Die Hauptstadt der Südlichen Mongolei ist Xöxxot (in anderen Schreibungen Köke Khota, Huhhot, Hohhot und Varianten hiervon), chin. Huhehaote, eine Sinisierung des mongolischen Namens, der "Blaue Stadt" bedeutet. Die Bevölkerung von Xöxxot wird (nur das Stadtgebiet) für Ende 1991 offiziell mit 896000 angegeben (ganz Xöxxot soll ca. 1,1 Mio. Einwohner haben), wobei allerdings keine Angaben über das Verhältnis von Han-Chinesen und Mongolen vorliegen. Schätzungen schwanken regelmäßig zwischen 5 und unter 10 Prozent Anteil der mongolischen Bevölkerung.

Traditionell von Bedeutung in der Südlichen Mongolei ist die nomadische Viehwirtschaft. Für 1991 wurden 204000 Kamele, 3,7 Mio. Rinder, 1,547 Mio. Pferde sowie 29,6 Mio. Kleinwiederkäür gezählt. Daneben gibt es auch eine schon in die Zeit Chingis Khans zurückreichende agrarische Landwirtschaft mit Getreideanbau. In größerem Umfang wird Feldfruchtanbau jedoch erst seit dem Einzug chinesischer Siedler im 18. und 19. Jhd. betrieben.

Die Wüstenbildung im ÖMÖZO, speziell im Ordos-Gebiet, ist zu weiten Teilen das Ergebnis ungeeigneter landwirtschaft licher Methoden. Durch die chinesische Besiedelung wurden nomadisch lebende mongolische Hirten in die ärmeren, benachteiligten Regionen getrieben, die durch die daraus resultierende Beweidung ihr ökologisches Gleichgewicht verloren. In den von Chinesen besetzten Gebieten wurde ursprüngliches Weideland in Ackerland umgewandelt und verlor oft schon nach wenigen Jahren seine Fruchtbarkeit. Sobald der Boden mit schwindender Pflanzendecke die Fähigkeit verliert, Wasser zu speichern, wird den noch verbleibenden Pflanzen die Lebensgrundlage entzogen, der Teufelskreis schließt sich, das Gebiet wird zur Halbwüste oder Wüste.

Seit den 1950er Jahren wird der Reichtum des Gebiets an fossilen Brennstoffen und mineralischen Ressourcen systematisch ausgebeutet. Hierzu zählen besonders Kohle und Eisenerz. Eine Eisenverhüttung wurde bereits von den Japanern während der 1930er Jahre betrieben, und die von ihnen angelegten Fabriken wurden im Zuge der Industrialisierung der Südlichen Mongolei in großem Maßstab ausgebaut. Das Zentrum der Schwerindustrie (Kohle, Maschinen, Zement, Aluminiumverhüttung, Kernbrennstoffaufbereitung) befindet sich in der Stadt Baotou, ca. 200 km westlich von Xöxxot gelegen, von den Chinesen euphemistisch "Stahlstadt in der Steppe" genannt und mittlerweile zu einem der größten eisenverarbeitenden Zentren Chinas geworden. Daneben ist weitere, z.T. stark umweltbelastende Leichtindustrie (Leder-, Textilindustrie) in Baotou konzentriert. Große Kohlevorräte befinden sich in Bayin Owoo, so daß eigens eine Eisenbahnlinie von Baotou aus dorthin gebaut wurde.

Das Pro-Kopf-Einkommen ist so gering, daß es nur weniger als ein Viertel Shanghais und weniger als ein Drittel Beijings beträgt: 991 Yuan gegenüber 4624 Yuan f. Shanghai und 3321 Yuan für Beijing (1991).

Aufgrund der niedrigen Kosten der Kohleförderung und die verfügbaren Brennstoffmengen wird die Kohle in miserablen Öfen verschwendet, so daß der Großteil der freigesetzten Energie im Schornstein verschwindet. Durch die primitive Technik der Öfen ist außerdem die Verbrennungstemperatur so niedrig, daß die Kohle nur unvollständig verbrannt wird und die Luft einer extrem hohen Schadstoffbelastung ausgesetzt ist. Im Winter ist Xöxxot von einer flachen, dichten Glocke aus Smog eingehüllt, alles färbt sich sofort grau-schwarz, man hat ständig schmutzige Hände, kein Blatt Papier bleibt weiß, man muß dauernd husten und hat permanent einen schlechten Geschmack im Mund.

Sprache und kulturelles Leben

Die Sprache der Mongolen ist Mongolisch, eine zur Familie der Altai-Sprachen gehörende Sprache, die sich durch Agglutination und Vokalharmonie auszeichnet. Zwischen dem Chinesischen und dem Mongolischen bestehen keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen oder äußere Ähnlichkeiten. Mongolisch wird seit dem 12. Jhd. mit uighurischen Buchstaben von oben nach unten geschrieben, die Zeilen schreiten von links nach rechts voran. In der damaligen Mongolischen Volksrepublik war diese Schrift bis zum Jahr 1941 in Gebrauch und wurde dann durch das kyrillische Alphabet, erweitert um zwei Sonderzeichen, abgelöst. Seit dem 1. Januar 1994 ist das klassisch geschriebene Mongolisch wieder die offizielle Schrift der Mongolei. In der Südlichen Mongolei wurde dieser Wechsel nie vollzogen. Nördliche und Südliche Mongolen sind durch das Band einer relativ einheitlichen klassischen Schriftsprache geeint. Die gesprochene Sprache gliedert sich in eine Reihe von Dialekten, wobei der Xalxa-Dialekt die Basis der mongolischen Hochsprache ist, wie sie in der Nördlichen Mongolei gepflegt wird, während in der Südlichen Mongolei der Chakhar-Dialekt die größte Verbreitung hat. Lautlich stehen sich diese Dialekte so nahe, daß eine Verständigung in den meisten Fällen möglich ist. Lediglich der Wortschatz divergiert zunehmend, da für viele moderne Wörter im Norden russische Fremdwörter, im Süden jedoch chinesische Fremdwörter existieren. Erst seit den 1970er Jahren gibt es echte Bemühungen, diese Wörter durch mongolische Eigenprägungen zu ersetzen.

Nominell haben die Mongolen (wie alle Bewohner Autonomer Gebietskörperschaften in China) das verfassungsmäßig garantierte Recht, ihre Sprache privat und öffentlich zu benutzen und zu pflegen. So ist der Text der chinesischen Banknoten (des Renminbi, nicht der mittlerweile nicht mehr im Umlauf befindlichen Foreign Exchange Certificates) in fünf Sprachen (Chinesisch, Tibetisch, Uighurisch, Zhuang und Mongolisch) auf den Scheinen aufgedruckt. Die Realität des einzelnen Bürgers sieht anders aus. In den städtischen Zentren wird das Mongolische so gut wie überhaupt nicht gesprochen, lediglich große Geschäfts- sowie Straßenschilder sind auf Mongolisch geschrieben. In den Geschäften findet man keine mongolischen, sondern fast nur chinesische Aufschriften. Kaum ein Restaurant hält eine mongolisch geschriebene Speisekarte bereit. Es gibt in Xöxxot auch kaum Buchgeschäfte für mongolische Druckerzeugnisse, sondern fast nur Geschäfte für chinesischsprachige Literatur. Rundfunk und Fernsehen sind ebenfalls chinesisch dominiert. Die Sendezeiten für Programme in chinesischer Sprache übersteigen die Sendezeiten für Programme in mongolischer Sprache bei weitem. Die täglichen Fernsehnachrichten werden von CCTV übernommen und ins Mongolische übersetzt, wobei nur die Inlandsnachrichten berücksichtigt werden; die Auslandsberichterstattung wird regelmäßig unterschlagen, ein schwerer Eingriff in die Informationsfreiheit des Bürgers. Viele mongolische Stadtbewohner sprechen mittlerweile besser Chinesisch als Mongolisch und fangen daher teilweise wieder an, Mongolisch zu lernen. Lediglich auf dem Land ist das Mongolische noch die Hauptsprache. Dem ehemaligen Vorsitzenden des ÖMÖZO, Ulaanxüü, wurde in der Kulturrevolution eine übertriebene Förderung der mongolischen Sprache und Schrift vorgeworfen. Auf der anderen Seite gibt es an der Academia Sinica und der Universität der Inneren Mongolei ausgeprägte Forschungs- und Publikationstätigkeit mit zahlreichen Neuauflagen alter Literatur ebenso wie der linguistischen Erforschung mongolischer Sprachen und Dialekte. Angesichts der Differenzen zwischen den umfangreichen universitären und verlegerischen Aktivitäten auf der einen Seite und den Schwierigkeiten mit der mongolischen Sprache, wenn man nur einkaufen möchte, auf der anderen Seite, drängt sich der Eindruck auf, daß die intensive Förderung von Sprache, Schrift und Literatur neben einer Alibifunktion vor allem dazu dient, vordergründig die Bedürfnisse eines kulturellen Nationalgefühls zu befriedigen, während in Wirklichkeit die wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit von den Han-Chinesen immer weiter ausgebaut wird.

Sprachliche Schwierigkeiten und wirtschaftliche Benachteiligung der mongolischen Bevölkerung ergänzen sich mit Antipathien auf chinesischer und mongolischer Seite, was aus jedem Geschäftsakt, der zwischen einem Chinesen und einem Mongolen vollzogen wird, sofort ein Nationalitätenproblem entstehen läßt und teilweise zu offener Diskriminierung von Mongolen durch Chinesen führt. Darüberhinaus sind Mongolen in vielen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt, wenn sie chinesische "Verwaltungsmaßnahmen" nicht akzeptieren, da sie z.B. die für Hotelaufenthalte in der Stadt erforderlichen Papiere nicht vorweisen können, wenn sie auf dem Land noch als Nomaden leben. Die chinesische Politik der Seßhaftmachung wird nicht als empfehlenswerte Alternative zum Nomadenleben, sondern mit Hilfe teilweise schikanöser Praktiken des Meldewesens und der Warenversorgung nur gegen Nachweis eines festen Wohnsitzes durchgesetzt.

Geschichte

Eine in der Geschichte der Mongolen immer wiederkehrende Stammesrivalität hat dazu geführt, daß es den Mongolen nur selten vergönnt war, die Früchte vereinter Stärke zu genießen. Nur wenigen mongolischen Herrschern (z.B. Chinggis Khan) gelingt es, diese Differenzen zu überwinden und die Mongolen wenigstens zeitweise zu vereinigen. Zu Beginn des 17. Jhd.s gibt es Kämpfe zwischen Mongolen, Mandschus und Chinesen um die Vorherrschaft in Zentralasien. Im Jahr 1634 endet mit dem Tod Ligdan Khans die Herrscherfolge der mongolischen Großkhane, und zwei Jahre später wird mit der Gründung der Mandschu-Dynastie der südöstliche Teil der Mongolei Teil des neuen Reiches. Neunundvierzig mongolische Fürsten aus sechzehn Stämmen nehmen an der Proklamation teil. Im Lauf der folgenden Jahre werden die Stämme, denen diese Fürsten voranstehen, in sechs Bünde mit neunundvierzig Bannern eingeteilt und als "Innere Mongolei" bezeichnet. Obwohl diese Fürsten noch nominell unabhängig sind, beschränkt sich ihre Macht sehr bald auf Verwaltungsaufgaben. Die Grundlagen für die bis zum heutigen Tag bestehende Teilung der Mongolen ist damit geschaffen.

Kriegerische Auseinandersetzungen unter den mongolischen Fürsten führen 1691 zum Fürstentag von Dolonor, auf dem Kaiser Kangxi seine Oberherrschaft über die ganze Mongolei verkündet, welche zum Protektorat der Mandschus wird. In Verträgen zwischen Rußland und der Mandschu-Regierung wird bereits 1689 (Nertschinsk) und 1727 (Kiachta - heute Altanbulag in der Mongolischen Republik) die Mongolei als Teil Chinas anerkannt.

Obwohl den Chinesen früher die Errichtung von Gebäuden in der Mongolei verboten war, gibt es erste chinesische Ansiedlungen bereits im 18. Jhd., hauptsächlich in der Nähe der zahlreichen Klöster und Fürstenhöfe. Chinesen tragen den anfangs noch streng reglementierten Handel, sie versorgen weltlichen Adel und lamaistischen Klerus mit begehrten Luxusgütern. Der finanzielle Aufwand wird durch Steuern finanziert, die im 19. Jhd. zunehmend an chinesische Händler abgetreten werden, so daß die mongolische Bevölkerung teilweise zu "Leibeigenen" chinesischer Kaufleute wurden. Nach und nach wurden Gläubiger sogar illegalerweise mit der Ueberlassung von Grund und Boden abgefunden, der von ihnen dann an chinesische Kleinbauern verpachtet wurde. Gegen Ende des 19. Jhd.s kam es immer öfter zu Aufständen der notleidenden Bevölkerung (Mongolen und chinesische Bauern), die sich gegen den Adel, die Mönche und die reichen chinesischen Händler richteten. Allerdings lassen sich diese Aufstände trotz ihrer antichinesischen Haltung noch nicht als nationale Erhebungen interpretieren. Erst mit dem Eisenbahnbau und der anschließenden Kolonialisierung der Inneren Mongolei durch die letzten Herrscher der Qing-Dynastie entwickelt sich, freilich zu spät, ein Nationalgefühl, eher eine antichinesische Welle, die jedoch nicht ausreicht, um diesem Gebiet mit dem Zusammenbruch der Qing-Dynastie 1911 die faktische Autonomie zurückzugeben, wie dies in Tibet oder der Äußeren Mongolei der Fall war.

Obwohl nach 1911 Bogdo Gegen, das religiöse Oberhaupt der Äußeren Mongolei, mehrfach die Innere Mongolei in seine Pläne der Loslösung von China einbezogen hatte, fand er dafür auf russischer Seite keine Unterstützung, denn zwischen der zaristischen Regierung und Japan waren in mehreren, seit 1906 geschlossenen Geheimverträgen die Interessengebiete in der ganzen Mongolei aufgeteilt worden.

Die Zeit nach 1911 ist durch zahlreiche Aufstände gekennzeichnet, die die Unabhängigkeit der Mongolei von China erkämpfen wollten. Mit der Gründung des Marionettenstaates Mandschukuo 1932 wurde den Mongolen Unabhängigkeit und Selbstverwaltung zugesichert. Der als Teh Wang bekanntgewordene mongolische Fürst Demcugdongrub versuchte mit japanischer Unterstützung die Bildung einer autonomen Regierung der Inneren Mongolei, die allerdings bis 1945 immer mehr zu einem Teilstück der japanischen Front verkam.

Noch vor der Gründung der Volksrepublik China 1949 wurde am 1. Mai 1947 das "Autonome Gebiet Innere Mongolei" gegründet, dessen Regierungschef der bereits 1925 als politischer Führer hervorgetretene Ulaanxüü war. Auf seiner Person versammelte sich eine einzigartige Machtfülle: Er war sowohl Vorsitzender der Regierung und Parteisekretär der KP als auch Kommandeur und Politkommissar der Innermongolischen Kavallerie der VBA.

Auch Teh Wang spielte noch bis in die 1950er Jahre eine Rolle, denn um ihn sammelte sich ein Teil des antikommunistischen Widerstandes.

In der Kulturrevolution kam es zu schweren Verstößen gegen die regionale Souveränität des "Autonomen Gebiets Innere Mongolei". 1969 und 1970 wurden große Teile im Westen und Osten den jeweiligen Nachbarprovinzen zugeschlagen, unter anderem der Hulunbuir-Aimag, so daß die Südliche Mongolei ca. 90% ihrer Waldflächen verlor (s. Karte). Der mongolische Bevölkerungsanteil wurde auf diese Weise drastisch herabgesetzt. Die abgetrennten Gebiete wurden allerdings nach dem Ende der Kulturrevolution schrittweise wieder dem ÖMÖZO zurückgegeben. Offiziell sind diese Vorgänge nie kommentiert worden, lediglich die Karten wiesen zu Anfang der 1970er Jahre plötzlich neue Grenzverläufe aus.

Während der Kulturrevolution wurden Mongolen systematisch aus allen einflußreichen Position hinausgedrängt. So wurden Partei- und Volkskomitee in Xöxxot am 1. Nov. 1967 aufgelöst und durch ein "Revolutionskomitee" ersetzt, daß sich statt wie bisher zu drei Vierteln aus Mongolen nur noch zu einem Fünfzehntel aus Mongolen zusammensetzte.

Vereinigungsproblematik

Eine (Wieder-)Vereinigung der Südlichen und Nördlichen Mongolei zeichnet sich vorerst nicht ab. Die Situation ist wesentlich anders als in Deutschland, Korea oder Vietnam, deren Teilung unmittelbares Ergebnis eines historisch in frischer Erinnerung liegenden Krieges mit klarer politischer und geographischer Zäsurwirkung ist. Zu groß sind die über viele Jahrhunderte gewachsenen Differenzen zwischen den zahlreichen mongolischen Stämmen, zu groß sind die wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten. Im Gegensatz zur Nördlichen Mongolei ist die nationale Identität der Südlichen Mongolei weitgehend zerstört, während die wirtschaftliche Ertragslage und der Lebensstandard gegenwärtig durch die Kopplung an das chinesische Wirtschaftswachstum die Situation in der Nördlichen Mongolei weit überholen.

Dennoch hat die Zentralregierung in Beijing in hysterische Dimensionen reichende Angst vor zu großer mongolischer Autonomie. So werden zwar Sprache und Literatur der Mongolei im universitären Rahmen gefördert, aber einem Chor von mongolischen Sängern wird beispielsweise zur Auflage gemacht, auch chinesische Lieder zu singen bzw. Chinesen mitsingen zu lassen. Halbprivate Zusammenschlüsse mongolischer Intellektueller (Studenten, Schriftsteller und Wissenschaftler) werden von den Sicherheitsbehörden mit großem Argwohn beobachtet, und bei den Verhaftungwellen Ende 1991 wurden hauptsächlich Personen verhaftet, die in solchen Zusammenschlüssen organisiert waren.

Literaturauswahl: China Statistical Yearbook 1992, State Statistical Bureau of the People's Republic of China; Michael Weiers (Hrsg.): Die Mongolen - Beiträge zu ihrer Geschichte und Kultur, Darmstadt 1986; Walther Heissig: Die Mongolen - Ein Volk sucht seine Geschichte, Düsseldorf 1964; Wolfgang Franke e.a. (Hrsg.): China Handbuch, Westdeutscher Verlag 1974