Internationale Konferenz "Mongolia's Transition to Democracy: The Role of the New Constitution" vom 9. bis 13. September 1991 in Ulan Bator

Zusammenfassender Bericht über Verlauf der Konferenz, Tätigkeit und Ergebnisse

Von Prof. Dr. Torsten Stein

1. Äußerer Verlauf der Konferenz

Teilnehmer der Konferenz waren - unter Einbeziehung der nicht unmittelbar am Konferenztisch sitzenden Zuhörer - weit überwiegend Mongolen (Parlamentarier, parlamentarische Mitarbeiter, Parteipolitiker, Mitglieder der Verfassungskommission).

Die Konferenz wurde durch den Parlamentspräsidenten und Vizepräsidenten der Mongolei R. Gontschigdorsch (Sozialdemokratische Partei) eröffnet. Danach folgten die Einleitungsreferate von Dr. Zardykhan, Stellvertretender Vorsitzender des Kleinen Staatshurals, und S. Bayar, Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Kleinen Staatshurals für die Staatsstruktur und Mitglied der Verfassungskommission. Sowohl auf der ersten wie während der abschließenden Plenarsitzung wurden von den ausländischen Parlamentariern überwiegend "politische Ermunterungsreden" zur Unterstützung der Mongolei auf ihrem Weg in die Demokratie gehalten. Dr. Winczrak (Warschau) und wir nutzten hingegen schon die erste Plenardebatte zur Diskussion einzelner Artikel des Verfassungsentwurfs, und zwar der des Kapitels I, weil für dieses Kapitel keine besondere Kommissionssitzung vorgesehen war. Der Vertreter von Amnesty International verlas eine Stellungnahme seiner Organisation.

In den Kommissionssitzungen am 10. und 11. September wurde hingegen "hart am Text" des Verfassungsentwurfs diskutiert. Herr Stein nahm an der Arbeit der 2. Kommission (Menschenrechte), Herr Schweisfurth an der 1. Kommission (Parlamentarische Demokratie) teil; am zweiten Tag wechselten beide in die jeweils andere Kommission.

Am Nachmittag des 11. Septembers fand eine Sitzung mit dem Verfassungsausschuß statt, in dem vor allem die Vorgeschichte des Verfassungsentwurfs und dessen Hauptstreitpunkte von mongolischer Seite dargestellt wurden. Im Anschluß daran empfing der Präsident der Mongolei P. Otschirbat (bisher Mongolische Revolutionäre Volkspartei - MRVP; mong. MAXN) die Konferenzteilnehmer. Der Präsident wies auf die enormen Schwierigkeiten der Mongolei beim Übergang zur Marktwirtschaft hin, versicherte aber, daß es kein Zurück mehr gebe und die mongolische Gesellschaft überwiegend aus demokratisch gesinnten Menschen bestehe.

Danach nahmen wir noch die Gelegenheit wahr, mit drei Vertretern der Minderheitsparteien zu sprechen: Herrn Bat-uul, Vorsitzender der Demokratischen Partei, Herrn Batbajar, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei und Herrn Ganbold, Sekretär der Grünen Partei. Die Parteivertreter sahen den Sinn der Konferenz darin, den von ihnen erwünschten Konsens in der Verfassungsfrage zu fördern. Die Frage des Vermögens der MRVP müsse vor den Wahlen entschieden werden, nur dann würde Chancengleichheit bestehen, bisher sei die MRVP allen anderen Parteien überlegen. Auswärtige Unterstützung der Parteien sei nach dem Parteiengesetz verboten. Die Demokratische Partei ist - im wesentlichen Sinne - als konservativ-liberal zu charakterisieren. Die MRVP sei "nicht mehr kommunistisch". Der Vorsitzende der Sozialdemokraten meinte, seine Organisation sei eigentlich noch keine richtige politische Partei (wegen mangelnder Organisationsstrukturen).

In der letzten Plenarsitzung am 12. September nahm die Konferenz ein "Memorandum" an, dem auch wir, nach einigen Änderungen, zustimmten.

Für uns begann die intensivste Arbeit unerwartet erst nach dem offiziellen Schluß der Konferenz. Herr Zorig, Vorsitzender der Mongolischen Parlamentariergruppe und prominentestes Mitglied der Demokratischen Bewegung (deren organisierter Teil die Demokratische Partei ist) lud uns in sein Dienstzimmer und bat, den Verfassungsentwurf Artikel nach Artikel zu überprüfen und Vorschläge und Anregungen zu geben. Mit Herrn Zorig und seinen Mitarbeitern arbeiteten wir bis in den späten Abend des 12. sowie am 13. September - während und nach einer touristischen Exkursion - am Verfassungsentwurf. Ob und inwieweit unsere Anregungen aufgegriffen werden, wird sich im November 1991 zeigen, wenn der Große Staatshural die Verfassung beschließen soll.

2. Die Verfassungsdebatte und die Arbeit am Entwurf

2.1 Allgemeine Bemerkungen

Es war beeindruckend zu hören, mit welcher Entschlossenheit und quer durch alle Parteien die Verantwortlichen das Ziel verfolgen, die Volksrepublik Mongolei auf die Basis einer Verfassung nach westlich-freiheitlichem Muster zu stellen. Dabei wird von einigen durchaus klar gesehen, daß manch althergebrachte mongolische Tradition und auch althergebrachte Lebensformen einen solchen Wandel nur schwer unbeschadet überstehen werden; allgemein schien man aber der Auffassung zu sein, daß dieser Preis bezahlt werden müsse, wenn man sich der Welt öffnen und ein marktwirtschaftliches System einführen wolle. Vor diesem Hintergrund sind die Anregungen der Experten aus westlichen Demokratien außerordentlich offen aufgenommen worden.

Auf der anderen Seite galt es, den Eindruck zu vermeiden, daß die neue Verfassung der Mongolei von außen oktroyiert und ausschließlich von Ausländern verfaßt sei. Diese Sorge hat insbesondere Herr Bayar, der Vorsitzende des ständigen Parlamentsausschußes für die Staatsstruktur, deutlich formuliert. Wir haben demgemäß in all unseren Stellungnahmen regelmäßig darauf hingewiesen, daß die Formulierung der neuen Verfassung und ihre Annahme in der alleinigen Verantwortung des mongolischen Volkes und seine gewählten Volksvertretung liegt und daß es - damit diese Verfassung in der Bevölkerung auch auf Akzeptanz trifft - wesentlich ist, sie mit der überkommenen Kultur und Tradition der Mongolei in Einklang zu bringen.

Um auch nur jeden Anschein eines auswärtigen "Diktats" zu vermeiden, haben wir auch den an sich sinnvollen Vorschlag nicht weiter verfolgt, dem zu Folge die Konferenz mittels eines kleinen "Drafting Comitee" auf der Basis der in den Plenar- und Ausschußsitzungen gemachten Anregungen einen überarbeiteten Entwurf verfassen sollte, der dann von der Konferenz insgesamt als Vorschlag an die Verfassungskomission gebilligt werden sollte.

Wir haben allerdings in der erwähnten kleinen inoffiziellen Arbeitsgruppe mit dem Vorsitzenden der Mongolischen Demokratischen Vereinigung, Herrn Zorig, und einem kleinen Stab seiner Mitarbeiter, den vorliegenden Verfassungsentwurf einer artikelweisen Prüfung unterzogen und unsere Vorschläge dabei zu Protokoll gegeben.

Die Verfasser des den ausländischen Experten vorgelegten Verfassungsentwurfes haben offenbar zuvor intensive Rechtsvergleichung betrieben. Der Sekretär des Großen Volkskongresses, Herr Chimid, sprach davon, daß an die hundert Verfassungen anderer Staaten studiert worden seien; zuweilen hatte man allerdings den Eindruck, daß dies anhand von Übersetzungen geschehen ist, die Mißverständnisse jedenfalls nicht ausschließen.

Im übrigen war an manchen Stellen erkennbar, daß der vorliegende Entwurf Regelungen aus verschiedenen Verfassungen und Verfassungssystemen übernommen hatte, die nicht immer ohne weiteres in Einklang miteinander standen und zu einem einheitlichen, konzisen Verfassungsdokument führten. Wir haben demgemäß unsere Aufgabe zum einen darin gesehen, deutlich zu machen, welche Elemente eine freiheitlich-demokratische Verfassung enthalten sollte, zum anderen aber darin, unseren Gesprächspartnern deutlich zu machen, daß der mongolische Verfassungsgeber sich bei den einzelnen Regelungen durchaus für die eine oder andere Option entscheiden könne, daß aber aus einer bestimmten Option dann konkrete Konsequenzen für andere Vorschriften und Regelungen folgen würden.

2.2 Hauptstreitpunkte

Im Vordergrund steht der Streit über ein präsidentielles oder parlamentarisches System. Der Entwurf ist eine Mischung aus beidem. Repräsentativumfragen in der Mongolei erbrachten eine große Mehrheit für ein parlamentarisches System (62%), auch der Präsident sprach sich dafür aus. Man könnte sich durchaus auf den Standpunkt stellen, daß die schwierige sicher längere Übergangsphase, die die Mongolei insbesondere in wirtschaftliche Hinsicht durchlaufen muß, ein Präsidialsystem nahelegen könnte. Auf der anderen Seite ist das Mißtrauen außerordentlich deutlich, das aufgrund der historischen Erfahrung gegenüber einem "starken Mann" besteht. Im Ergebnis wird sich die Verfassungskommission daher wohl für das parlamentarische System entscheiden. In jedem Falle erscheint das Verhältnis der verschiedenen Staatsorgane zu einander in dem jetzigen Entwurf nicht recht ausgewogen. Insbesondere die Regierung hat eine außerordentlich schwache Stellung und ist auf ein bloßes Administrativorgan reduziert, das nicht die Befugnis hat, für die Dauer seiner Amtsperiode die politischen Leitlinien der Regierungsarbeit zu bestimmen; dies bleibt dem Parlament überlassen. Die Stellung des Präsidenten ist in einigen Bestimmungen sehr stark, in anderem wiederum sehr schwach ausgestaltet. Der Präsident kann ohne besondere inhaltliche Begrenzung Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, er kann auch gegen Gesetze sein Veto einlegen, dieses Veto ist dann aber mit einer relativ geringen Mehrheit (2/3 der anwesenden Abgeordneten) durch das Parlament wieder überwindbar. Sehr weitgehend ist dagegen wiederum die in Art. 37 Abs. 13 des Entwurfs vorgesehene Möglichkeit des Präsidenten, ohne parlamentarische Kontrolle den Notstand im Staatsgebiet oder einem Teil davon auszurufen. Hier haben wir zwar die Notwendigkeit einer präsidialen Eilentscheidung anerkannt, im übrigen aber angeregt, daß das Parlament zumindest die Möglichkeit haben sollte, diese Entscheidung in der Folge wieder aufzuheben bzw. zu bestätigen.

Im Zusammenhang mit dem Staatsnotstand hatten wir auch angeregt, eine Reihe von grundlegenden Menschenrechten in der Verfassung ausdrücklich als "notstandsfest" zu bezeichnen.

Zu den Unklarheiten in der neuen Staatsstruktur gehört auch die Möglichkeit eines Referendums. Schon in Art. 3 spricht der Entwurf von der Möglichkeit der direkten Teilnahme des Volkes an den Staatsgeschäften, Art. 27 Abs. 13 des Entwurfs nennt unter den ausschließlichen Zuständigkeiten des Parlaments die Abhaltung von Volksbefragungen. Weder ist die Möglichkeit von Volksbefragungen inhaltlich begrenzt, noch regelt die Verfassung die Wirkung eines einmal abgehaltenen Referendums. Letzteres muß aber jedenfalls auf der Ebene der Verfassung geregelt sein, wenn das Ergebnis eines Referendums den Gesetzgeber in der einen oder anderen Weise binden soll.

Die Frage des Eigentums an Grund und Boden: die städtische Bevölkerung ist überwiegend für, die ländliche Bevölkerung mehrheitlich gegen Privateigentum am Boden. Die Landbevölkerung ist dabei weniger "kommunistisch" als traditionell geprägt; die Herdenbesitzer wollen nicht, daß das Weideland eingezäunt wird, sie ist auch gegen die - bisherige - Zuweisung von Weideland an die Viehzüchtergenossenschaften, sondern wünscht unbeschränktes (traditionelles) Nomadenleben. Wir haben daher vorgeschlagen, Art. 6 P.2 des Entwurfs als Anspruch des Bürgers auf Privatland für bestimmte Zwecke (Haus- oder Fabrikbau) zu formulieren und eventuell das Weideland von der Privatisierung auszunehmen, weil dies mongolischer Tradition entspricht. Einschränkungen des Eigentums sollten auch nur "for the public benefit" möglich sein, Art. 5 P.3.

2.3 Zu den Kapiteln und Regelungen des Verfassungsentwurfes im einzelnen

Kapitel I

Ein wesentlicher Punkt sowohl in unseren Äußerungen in den Plenar- und Ausschußsitzungen wie auch später bei der artikelweisen Durchsicht des Entwurfs war das Verhältnis der mongolischen Rechtsordnung zum Völkerrecht. Abgesehen von der überflüssigen Bestimmung in Art. 4 Abs. 4 des Entwurfes, die etwas bestimmt, was ohnehin und ausschließlich vom Völkerrecht so geregelt ist, ist die einschlägige Vorschrift in Artikel 10 des Entwurfes zumindest unvollständig und mißverständlich.

Wir haben vorgeschlagen, statt dessen eine Bestimmung aufzunehmen, die in klarer und eindeutiger Weise den Vorrang des Völkerrechts (Gewohnheitsrecht und Verträge) vor dem einfachen mongolischen Recht festlegt; wir haben ferner angeregt, die Bestimmung in Art. 10 Abs. 3 ersatzlos zu streichen, weil sie in dieser Formulierung allenfalls dazu geneigt ist, ausländische Investoren abzuschrecken; eine Bindung der Mongolei an zwischen dritten Staaten abgeschlossene Verträge ist vom Völkerrecht ohnehin ausgeschlossen; Verträge, denen die Mongolei zugestimmt hat können nicht aus den dort genannten Gründen unbeachtlich bleiben.

Im übrigen mag hier wie an zahlreichen anderen Stellen die englische Übersetzung Mißverständnisse hervorrufen; wir haben immer wieder gefunden, daß aus der näheren Erläuterung der mongolischen Fassung ein anderer und durchaus akzeptabler Sinn hervorkam.

Art. 1: Die Mongolei sollte sich auch als Sozialstaat definieren.

Art. 3: All State power emanates from the people of Mongolia und sie wird nicht nur durch Repräsentativorgane, sondern auch durch besondere Exekutiv- und Gerichtsorgane ausgeübt. Damit wurde im Kern das Gewaltenteilungsprinzip hineinformuliert.

Art. 5: Die Mongolei "Shall independently determine its economic policy" (nicht "shall persue an independent economy).

Kapitel II

Ein wesentlicher Abschnitt der neuen Verfassung ist derjenige über die Grundrechte und Freiheiten. An jenem Abschnitt ist zunächst wenig befriedigend, daß sämtliche Grundrechte in einem einzigen Artikel zusammengefaßt sind; dies erlaubt zum einen nur selten die notwendige Differenzierung und präzise Formulierung der Gewährleistung und verhindert zum anderen, daß die auch in einem freiheitlich verfaßten Staat notwendigen Einschränkungen und Gesetzesvorbehalte in der notwendigen Bestimmtheit aufgenommen werden können. In zahlreichen Fällen sind die Gewährleistungen unter pauschalen Gesetzesvorbehalt gestellt worden, der im Extremfall die völlige Aufhebung des Grundrechts ermöglichen könnte.

Hier haben wir für eine ganze Reihe von Grundrechten die notwendige und vertretbare Möglichkeit der Einschränkung vorgeschlagen.

Ein wesentlicher Korrekturbedarf bestand unserer Ansicht nach an dem Artikel über die Grundrechte insofern, als in dem vorliegenden Entwurf die wesentlichen Grundrechte nahezu ausnahmslos nur den Bürgern (Staatsangehörigen der Mongolei) garantiert werden. Dies entspricht zwar der herkömmlichen Praxis in einer Reihe früherer sozialistischer Verfassungen, weicht aber ab von dem Konzept der meisten freiheitlichen Verfassungen, die zwischen allgemeinen Menschenrechten ("Jedermann-Rechten") und Bürgerrechten differenzieren. Vor allem aber gerät eine Beschränkung der Grundrechtsgewährleistungen auf die eigenen Staatsbürger in Gefahr, mit dem völkerrechtlichen fremdenrechtlichen Mindeststandard und mit den eingegangenen internationalen Verpflichtungen zu kollidieren. Zwar können die internationalen Menschenrechtsinstrumente, denen die Mongolei in großer Zahl beigetreten ist, innerstaatlich unmittelbar anwendbares und vorrangig geltendes Recht sein, auf das sich auch der einzelne vor mongolischen Gerichten und Behörden berufen kann, die Erfahrung aber selbst in westlichen Ländern zeigt, daß die Gerichte mit den Grundrechtsgewährleistungen der eigenen Verfassung regelmäßig weit besser vertraut sind als mit den internationalen Schutzinstrumenten und den darin garantierten Freiheitsrechten. Wir haben daher in den Einzelberatungen diejenigen Grundrechtsgewährleistungen identifiziert, die jedermann und nicht nur den Staatsbürgern garantiert werden müssen und haben vorgeschlagen, in einem überarbeiteten Entwurf die allgemeinen Menschenrechte den Bürgerrechten voranzustellen.

Ein wesentlicher weiterer Punkt sowohl in der Arbeitsgruppe zu den Menschenrechten wie auch in den Einzelberatungen war der Umstand, daß jeder materielle Grundrechtskatalog nur so gut ist wie der ihm zugeordnete Schutzmechanismus. Grundrechtsgewährleistungen bieten dem einzelnen nur dann einen Schutz gegen staatliche Eingriffe, wenn der einzelne den vermeintlichen Eingriff vor einem Gericht rügen kann. Hier beschränkt sich der Entwurf in Art. 19 Abs. 13 auf die Möglichkeit, Petitionen und Beschwerden einzureichen. Er enthält aber keine dem Art. 19 Abs. 4 des deutschen Grundgesetzes vergleichbare Justizgarantie; wir haben daher darauf gedrungen, eine derartige Rechtsweggarantie aufzunehmen. Der vorgelegte Verfassungsentwurf enthält - wiederum in der Tradition sozialistischer Verfassungen - einen recht ausführlichen Katalog von Grundpflichten. Darin befinden sich sowohl Rechtspflichten im eigentlichen Sinne wie auch schwer oder gar nicht sanktionierbare politische und moralische Pflichten. Hier schien insgesamt aber die von uns unterstützte Bereitschaft zu bestehen, diesen Katalog wesentlich zu reduzieren und auf die allgemein üblichen Staatsbürgerpflichten (Wehrpflicht und Pflicht zur Zahlung von Steuern und Abgaben) zu beschränken.

Kapitel III, Abschnitt I-III

Art. 23 und 29: Das Parlament funktioniert nicht "permanently", wenn es nur einmal in sechs Monaten für maximal 75 Tage zusammentreten soll. Wir haben hier die "Parlamentssouveränität" empfohlen - es soll selbst über seine Sitzungsdauer entscheiden können. Die Legislaturperiode sollte wie die des Präsidenten und der Regierung nur vier Jahre betragen. Dann besteht auch kein Bedürfnis für eine Rotation (Art. 23 P. 3).

Art. 23, P. 4: Das passive Wahlrecht sollte im Wahlgesetz festgelegt werden, wobei es von 30 Jahre auf 21-25 herabgesetzt werden sollte.

Art. 27, P. 5: Wir haben zu bedenken gegeben, ob wirklich das Parlament die Finanz-, Kredit- etc. Politik bestimmen sollte, das sei eher Sache der Regierung. Auch die Aufnahme und der Abbruch diplomatischer Beziehungen (Art. 27 P. 12) gehört in die Kompetenz der Regierung.

Art. 32: Die Inkompatibilitätsregel ist zumindest ungewöhnlich, soweit sie Regierungsmitglieder betrifft.

Art. 34: Das Zwei-Stufen-System für die Wahl des Präsidenten haben wir sehr negativ beurteilt, weil sich das Parlament über einen deutlich im ersten Wahlgang erklärten Volkswillen hinwegsetzen könnte. Wir haben empfohlen, den Präsidenten entweder nur direkt vom Volk oder nur durch das Parlament oder ein besonderes Gremium wählen zu lassen.

Art. 37, Ziffer 3: Wir haben empfohlen, diese Vorschrift zu streichen, denn sie würde die Regierung weitgehend zum ausführenden Organ des Präsidenten machen, ein Präsidialsystem wolle ja die Mehrheit der Mongolen nicht.

Art. 37, Ziffer 4: Das Premierminister-Vorschlagsrecht des Präsidenten müsse flexibler gestaltet werden, denn die Partei mit den meisten Parlamentssitzen findet möglicherweise keinen Koalitionspartner. Die im Entwurf enthaltene Regelung könnte zwangsläufig zu Minderheitskabinetten führen. In der gegenwärtigen Parteienkonstellation begünstigt die Regelung zudem die MRVP.

Art. 37, Ziffer 13: Die Verhängung des Ausnahmezustandes müsse an die Zustimmung des Parlaments gebunden werden. Vor dem Hintergrund des Moskauer Putsches liefen wir mit diesem Vorschlag offene Türen ein.

Art. 38: Das Dekretrecht des Präsidenten müsse deutlicher vom Gesetzgebungsrecht des Parlamentes unterschieden werden.

Art. 46, P. 2: Die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber em Parlament müsse hier durch ein Zitierrecht präzisiert werden.

Art. 50: Wir regen an zu überlegen, ob das Verordnungsrecht der Regierung nicht an eine ausdrückliche parlamentarische Ermächtigung gebunden werden sollte.

Art. 51, Ziffer 4: Die Regelung ist vor dem Hintergrund des überwundenen Ein-Partei-Systems zwar verständlich, aber in parteienpluralistischen Staaten unüblich. Wenn man diese Einschränkung wolle, gehöre sie aber in den Grundrechtsteil.

Kapitel III, Abschnitt IV

Intensiv diskutiert wurde sowohl in der entsprechenden Arbeitsgruppe wie auch in den Einzelberatungen das Kapitel über die Gerichtsbarkeit. Auch hier zeigte sich, daß manche Bedenken durch eine Klarstellung der englischen Übersetzung ausgeräumt werden konnten; das betrifft z.B. die Bestimmung in Art. 53 Abs. 1 des Entwurfes, des in der mongolischen Fassung nicht von der Einrichtung von Sondergerichten für bestimmte Rechtsfälle, sondern von der Möglichkeit der Einrichtung besonderer Zweige der Gerichtsbarkeit (Verwaltungsgerichtsbarkeit, Finanzgerichtsbarkeit, Arbeitsgerichtsbarkeit) spricht. Problematisch blieb dagegen auch nach einem Vergleich der sprachlichen Fassungen die Garantie der Unabhängigkeit der Richter, die grundsätzlich in Art. 55 des Entwurfs gewährleistet ist (die Bestimmung, derzufolge der Präsident der Garant dieser Unabhängigkeit sein soll, haben wir zur Streichung vorgeschlagen, weil es - ausschließlich - die Verfassung sein sollte, die diese Unabhängigkeit gewährleistet). Zwar kennen auch einige westliche Verfassungen die Einrichtung eines sogenannten Obersten Richterrates, der z.B. bei der Nominierung von Richtern eingeschaltet wird oder auch dann, wenn einem Richter Rechtsbeugung vorgeworfen wird. Die in Art. 56 Abs. 5 des Entwurfes vorgesehene periodische Überprüfung der Tätigkeit der Richter mit der offensichtlich gegebenen Möglichkeit, einzelne Richter als Ergebnis dieser Überprüfung von ihrer Amtsführung zu entbinden, ist mit der richterlichen Unabhängigkeit aber wohl nur schwer vereinbar. Hinzu kommt, daß die Zusammensetzung des im Entwurf (Art. 55) vorgesehenen Obersten Richterrates - abgesehen von seinem Vorsitzenden - in der Verfassung ebenso ungeregelt bleibt wie das Verfahren zur Einsetzung seiner Mitglieder; auch die Aufgaben des Obersten Richterrates werden sehr pauschal einer künftigen gesetzlichen Regelung vorbehalten. Diesbezüglich haben wir angeregt, die Zusammensetzung und das Verfahren der Einsetzung in der Verfassung zu regeln und die sehr weitreichende Kontrollmöglichkeit in Art. 56 Abs. 5 wenn nicht ganz zu streichen, dann doch auf das in westlichen Verfassungen übliche Maß zu reduzieren. Bezüglich Art. 61 des Entwurfes haben wir darauf hingewiesen, daß der dort vorgesehene "Prokurator" nicht gut gleichzeitig als eine Art Ombudsmann und als oberster staatlicher Ankläger fungieren kann; wir hatten den Eindruck, daß diese Bedenken verstanden worden sind.

Nicht völlig konsistent sind auch die Regelungen des Entwurfs über den Verfassungsrat (Constitutional Council - Art. 62 ff.). Offensichtlich hat man sich dabei an dem französischen Conseil Constitutionnel orientiert; der im Entwurf vorgesehene Verfassungsrat soll sowohl als politisches Organ wie auch als Verfassungsgericht fungieren. Die uns im einzelnen näher erläuterte politische Funktion mag auch erklären, warum gutachtliche Stellungnahmen des Verfassungsrates zur Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen einer Art parlamentarischen Kontrolle unterliegen (Art. 64 Abs. 2), auch wenn der Verfassungsrat das letzte Wort behalten soll. Zumindest sehr unüblich und mit der teilweise gerichtlichen Funktionen des Verfassungsrates kaum vereinbar ist dann aber wieder die Bestimmung in Art. 65 des Entwurfes, demzufolge jede Entscheidung des Verfassungsrates letztendlich durch ein Plebiszit (Referendum) korrigiert werden kann. Unklar bleibt in dem Entwurf auch, wer dazu befugt sein soll, den Verfassungsrat etwa mit dem Ziel der Normenkontrolle anzurufen. Wir haben unseren Gesprächspartnern nahe gelegt, die politischen von den rein gerichtlichen Funktionen des Verfassungsrates deutlich und vor allem auch in ihren Konsequenzen zu trennen; mehrfach wurde uns versichert, daß es sowohl in den politischen Gruppierungen wie auch in der Verfassungskommission selbst durchaus Überlegungen gibt, den Verfassungsrat, der sich auch in einer Reihe anderer revidierter ehemaliger sozialistischer Verfassungen als Übergangsorgan findet, von vornherein als echtes Verfassungsgericht auszugestalten.