Was ist Geschichtsrevisionismus ?
Anmerkung eines Historikers zum AStA- OZ - Streit
Der Streit zwischen AStA und OZ ist ein Streit der Studenten. Professoren sollten sich zurückhalten. Sonst wird daraus noch ein Politologen- oder gar ein Historikerstreit. Gleichwohl scheint die Anmerkung eines Historikers ganz sinnvoll zu sein. Wird in diesem Streit doch von Anklägern und Verteidigern mit einem Begriff jongliert, der keineswegs eindeutig geklärt ist (und übrigens auch in keinem politologischen oder historischen Nachschlagewerk zu finden ist) - der des Geschichtsrevisionismus.
Eigentlich gibt es nicht einen, sondern viele Geschichtsrevisionismen, denn jedes neue Geschichtsbild, ja jede neue Forschungsrichtung revidiert die vorangegangene. So war es etwa in den 60er Jahren, als eine Gruppe von amerikanischen Historikern um William Appleman Williams die bis dahin vorherrschende traditionelle These revidierten, wonach allein die Sowjetunion am Ausbruch des Kalten Krieges verantwortlich sei. Die "Revisionisten" um Williams haben sich gegen die "Traditionalisten" weitgehend durchgesetzt.
Auch innerhalb der NS-Forschung wurden die Historiker, die daran zweifelten, ob die Politik des angeblich monolithischen "Führerstaates" nach einem lange vorher gefaßten Plan abgelaufen sie, als "Revisionisten" (meist jedoch als "Strukturalisten" oder "Funktionalisten") bezeichnet. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.
Im engeren Sinne versteht man unter Geschichtsrevisionismus jedoch das Bemühen, das von der ernst zu nehmenden Forschung gezeichnete und selbstverständlich negative Bild des Dritten Reiches zu revidieren und durch ein positiveres zu ersetzen. Dabei bedient man sich im wesentlichen der folgenden drei Argumentationsweisen.
Einmal werden die nationalsozialistischen Verbrechen einfach geleugnet: So behaupten Vertreter der sogenannten Auschwitzlüge wie Paul Rassinier, Thies Christophersen,Wihelm Stäglich, Arthur Butz, Robert Faurisson, Fred Leuchter etc. etc., daß es in den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern keine Massentötungen mit Giftgas gegeben habe. Andere (so z.B. der Amerikaner David Hoggan und der Deutsche Alfred Schickel) bezweifeln, daß Deutschland allein für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verantwortlich gewesen sei (sog. Kriegsschuldlüge).
Eine zweite Methode des Geschichtsrevisionismus besteht darin, die Verbrechen zwar nicht grundsätzlich zu leugnen, sie jedoch dadurch zu relativieren, in dem man behauptet, daß von ihnen nur "Minderheiten" und "Randgruppen" betroffen gewesen seien. Grundsätzlich habe das Dritte Reich jedoch auch "positive Seiten" gehabt, wobei vor allem die "progressive" Sozialpolitik erwähnt wird. Diese Argumente (und Zitate) werden unter anderem von den neurechten Politologen Uwe Backes, Eckhard Jesse und Rainer Zitelmann verwandt.
Die dritte Methode des Geschichtsrevisionismus besteht darin, die Verbrechen des Dritten Reiches zwar nicht zu leugnen, wohl aber mit denen in anderen Ländern und Zeiten zu vergleichen, um so zu einer Aufrechnung und Relativierung vor allem des nationalsozialistischen Rassenmordes an den Juden, Sinti und Roma, bestimmten Angehörigen der slavischen Völker, den sog. "Erbkranken" und "Asozialen" zu gelangen. Diese Methode des Geschichtsrevisionismus ist die am weitesten verbreitete und erfolgreichste, weil sie scheinbar mit den Grundgedanken der klassischen Totalitarismustheorien Hannah Arendts, Zbigniew Brzezinskis, Carl Joachim Friedrichs u.a. vereinbar ist.
Doch dies scheint nur so. Einmal weil diesen und anderen Vertretern der Totalitarismustheorie das Ziel fern lag, die nationalsozialistischen Verbrechen durch Aufrechnung zu relativieren. Zweitens können sich die Verfechter des Geschichtsrevisionismus schon deshalb nicht auf die genannten Totalitarismustheorien berufen, weil diese durch die Forschung, und zwar sowohl die NS- wie die Kommunismusforschung vielfach widerlegt worden sind. So sind, um ein Beispiel zu nennen, vier Punkte im idealtypisch statischen sechs-Punkte-Modell von Friedrich und Brzezinski entweder überhaupt nicht oder nicht in dieser Form in der historischen Realität des Dritten Reiches anzutreffen: Das Dritte Reich war keine "monolithische Führerdiktatur"; die Wirtschaft war anders als in der SU keiner völligen Kontrolle unterworfen, die nationalsozialistische Rassenideologie ist nicht mit der kommunistischen Klassenideologie gleichzusetzen, weshalb sich 4. der Terrorapparat in beiden Regimen gegen unterschiedliche Opfer wandte, hier Juden und andere "rassische Opfer", dort Kulaken und andere soziale Schichten. Nur die Punkte 5 und 6, nämlich Propagandamonopol und Waffenmonopol sind in beiden "totalitären" Regimen anzutreffen bzw. zu vergleichen.
Ein dritter Punkt ist gerade heute wichtig. In den erwähnten klassischen Theorien des Totalitarismus (neue sind bisher noch nicht entwickelt worden) tauchte die DDR entweder gar nicht oder nur ganz am Rande auf. Hannah Arendt hat im Vorwort zur deutschen Ausgabe ihrer "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" sogar eindringlich betont, daß die Phase des Totalitarismus in der Sowjetunion mit dem Tode Stalins im Jahr 1953 zu Ende gegangen sei. Daraus folgt, daß für Arendt auch die DDR nicht mehr (wenn sie es Überhaupt jemals war) totalitär war. Doch dies hält heutige DDR-Forscher nicht ab, sich auf Hannah Arendt zu berufen, wenn sie die DDR als totalitär bezeichnen und mit dem Dritten Reich vergleichen. Diesem - gelinde gesagt - wissenschaftlich fragwürdigen und eindeutig politisch motivierten Unterfangen hat sich in Dresden ein ganzes Institut gewidmet, das sich dabei noch auf Hannah Arendt beruft und sich anmaßend und falsch "Hannah - Arendt - Institut für Totalitarismusforschung" nennt.
An der FU ist es der "Forschungsverbund SED-Staat", der nichts unversucht läßt, um einmal die eigene Universität in verschwörungstheoretischer Manier als "sogenannte", weil angeblich von Stasi-Agenten völlig unterwanderte, "Freie Universität" pauschal zu diffamieren, zum anderen die vergangene DDR in einer Weise dämonisiert, daß dadurch die Verbrechen der sogenannten "ersten deutschen Diktatur" als geradezu harmlos erscheinen. Die Verunglimpfungen und Verlautbarungen (von Forschungsergebnissen wird man kaum sprechen können) dieses "Forschungsverbundes" um Klaus Schroeder und Manfred Wilke werden inzwischen auch von Mitgliedern des Lehrkörpers des OSI (vor allem von Gesine Schwan) öffentlich kritisiert, was ebenso bemerkens- wie dankenswert ist.
Dafür haben Schroeder und Co. Unterstützung bei einigen OSI-Studenten gefunden, die ihre Thesen von der angeblichen Gleichartigkeit der Verhältnisse in den Zuchthäusern und Lagern "unter Hammer und Sichel ... und Hakenkreuz" (Henry Krause) in der "OZ" beflissen nachplappern und sich darüber beschweren, daß das "linksradikale bis linksextreme Spektrum, zu dem auch die SED-Nachfolgerin PDS gehört", im Lehrangebot des OSI angeblich "ausgespart" werde (Uwe Schellenberg).
Daher ist die Kontroverse zwischen OZ und AStA dann doch keine Kontroverse unter Studenten, sondern generell zwischen denen, die das Dritte Reich durch den Vergleich mit einer völlig dämonisierten DDR verharmlosen wollen, und denen, die sich gegen einen solchen Geschichtsrevisionismus wehren.
Wolfgang Wippermann