BASTELSTUNDE MIT CARL SCHMITT
Die Schmitt-Rezeption bei der "Neuen Rechten" und bei Henry Krause
Wenn wir die Bedeutung Carl Schmitts für die "Neue Rechte" konstatieren, dann heißt das nicht, daß wir dazu aufrufen, ihn rechts liegen zu lassen und die bloße Beschäftigung mit ihm zum Ausweis für neurechtes Denken zu machen. Tatsächlich bietet Schmitt außerordentlich interessante Ansätze zur Kritik des bürgerlichen Staates und der bürgerlichen Gesellschaft. Carl Schmitt war radikalbürgerlicher Krisentheoretiker par excelence.
Carl Schmitt hat, im Gegensatz zu den linken Zivilgesellschafts-Theoretikern, die autoritären Optionen des bürgerlichen Staates klar erkannt. Er hat diese Optionen ihrer liberalen Verbrämungen entkleidet und den Liberalismus als Ideologie kritisiert. Und er hat, eben als Radikalbürger, dazu aufgerufen, angesichts der krisenhaften Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft sich zu diesem autoritären Gehalt zu bekennen und den liberalen Staat durch den Staat sans phrase zu ersetzen.
In Schmitts Analyse läßt sich also eine "kritische" Seite und eine "konstruktive" Seite ausmachen. Die kritische Seite begreift das liberale Postulat von Freiheit und Gleichheit der Individuen als Setzung des nationalstaatlichen Souveräns statt als naturrechtliche Voraussetzung des Gesellschaftsvertrags. Die konstruktive Seite will den echten, den autoritären Staat anstelle des liberalen pseudo-Staates setzen. Allerdings ist diese konstruktive Seite theorieleitend: Schmitts Ziel ist die Befreiung des Staates aus den destruktiven Fängen der ökonomischen Dynamik des Kapitalismus, die Kritik am Liberalismus dient der Etablierung des autoritären Staates. Aus diesem Grunde landet Schmitt politisch keineswegs zufällig beim Faschismus.
Nicht jede Rezeption Carl Schmitts muß notwendig diese politische Konsequenz teilen. Entscheidend ist, ob der konstruktive Impetus der Schmittschen Theorie geteilt wird, ob also die von ihm angebotenen Bauklötzchen für den autoritären Nationalstaat dankbar aufgenommen oder ob dieser Staat, nachdem er mit Schmitts Hilfe der liberalen Ideologie verlustig gegangen ist, selbst zum Objekt der Kritik wird.
Für die "Neue Rechte" ist dies selbstverständlich eine ausgemachte Sache, sie knüpft an die konstruktive Seite Schmitts an. Ihre Liberalismuskritik stammt eher aus dem Arsenal der "Konservativen Revolution", eher von Arthur Moeller van den Bruck denn von Carl Schmitt, sie erschöpft sich weitestgehend darin, den Verlust der traditionellen Werte in der kapitalistischen Massengesellschaft zu beklagen. Die theoretische Komplexität der Liberalismuskritik Schmitts ist für die "Neue Rechte" unerreichbar. Schmitts Liberalismuskritik dient ihr nur als Aufhänger für die Konstruktion und die Propagierung des autoritären Staates. In dieser Angelegenheit jedoch hat Schmitt eine erklärte Vorbildfunktion für den neurechten Diskurs.
Es lassen sich dafür bei Schmitt und bei seinen neurechten Apologeten drei entscheidende Anknüpfungspunkte ausmachen. Der Ausnahmezustand gilt Schmitt wie seinen Epigonen als das Element, in dem sich souveräne Herrschaft konstituiert und zur höchsten Ausprägung gelangt, quasi als das Medium des autoritären Staates. Ihn zu konstruieren ist nicht nur das Ziel der politischen Theorie, sondern auch das der politischen Praxis. Souveränität, als zweiter Punkt, kommt der Herrschaft dann zu, wenn sie nicht mehr kontrolliert und nicht mehr begrenzt wird. Will ein Staat politisch existieren, muß er jedenfalls potentiell diese Souveränität anstreben, im Ernstfall also aller demokratischer Spielregeln entsagen können. "Souverän ist", so Schmitt in der Politischen Theologie, "wer über den Ausnahmezustand entscheidet".
Die Bereitschaft des Staates, im Ausnahmezustand als politische Einheit sich zu bewähren ist der Kern des dritten Anknüpfungspunktes, der sich in Schmitts "Begriff des Politischen" findet. Zu dieser Bewährung muß der Schmittsche Souverän, der Staat also, einerseits die Bestimmung von "Freund und Feind", andererseits die staatsvölkische Homogenisierung der freundschaftlich eingeschlossenen Bürger leisten.
Sowenig wie bei anderen Themen kann die Schmitt-Rezeption durch die "Neue Rechte" die Bezeichnung "Theorie" für sich reklamieren. Vielmehr ist Carl Schmitt für sie "vor allem ein großer Anreger und Stichwortgeber", gerade so, wie Henry Krause dies den Dozenten Lutz Berthold nachbeten läßt. Mit diesen Stichworten werden sehr konkrete politische Ziele ideologisch unterfüttert. Beispielsweise wird die Forderung nach einer aggressiven deutschen Außenpolitik mit dem notwendigen Wiedererlangen nationalstaatlicher Souveränität im Sinne Schmitts begründet. In dieser Weise dient Schmitt dem neurechten Diskurs als wohlfeiler Bastelbogen für den autoritären Staat.
Henry Krause beschäftigt sich in zwei Beiträgen für die OZ mit Carl Schmitt. In der Ausgabe 24 erschien ein Aufsatz über "Die Carl-Schmitt-Rezeption am Otto-Suhr-Institut", in der Ausgabe 25 eine Rezension des Schmitt-Bändchens "Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber / Gespräch über den Raum". Die Beiträge machen deutlich, daß es Krause keineswegs um eine kritische Auseinandersetzung mit der politischen Theorie von Carl Schmitt geht, sondern eben um "Anregungen und Stichworte". Krause rezipiert Schmitt in genau der Art und Weise, wie dies die "Neue Rechte" tut: als Anleitung zur Rekonstruktion des Staates in seiner autoritären Variante.
In rhetorische Fragen und in Aussagen von 21jährigen Diplomanden gekleidet bietet Krause darin die Schmittschen Bauklötzchen für den autoritären Staat als sinnvolle politische Konzeptionen an. In der Rezension der "Gespräche" Schmitts klagt er darüber, daß die Politikwissenschaft sich bezüglich des Phänomens der Macht "vordringlich mit deren Begrenzung, Verteilung und Kontrolle" beschäftige. Als politischer Theologe in der Nachfolge Schmitts und als bekennender Christ kann er das nicht hinnehmen, kommt die Macht doch von Gott und ist mithin gut. Zu Gott, der inzwischen vor den Augen Schmitts und hinter dem Rücken Krauses zum Staat geworden ist, zum Staat also, steht der Mensch im Verhältnis von "Schutz und Gehorsam". All der sozialstaatliche Firlefanz, "Leistungspflicht und -anspruch", resultieren aus der ökonomischen Überwucherung des Politischen, sind "degeneriert", und mithin zu beseitigen.
Der Beitrag über die "Carl-Schmitt-Rezeption" am OSI arbeitet die vom Autor gesuchten Anknüpfungspunkte noch deutlicher heraus. Krause fragt sich, "ob nicht ein Denken, das sich wie das Carl Schmitts am Ausnahmezustand, und nicht an der Regel orientiert, besser geeignet ist, den Kern der Krise zu treffen". Als Nährlösung für den souveränen Staat ist Schmitts Ausnahmezustand jedoch nicht nur ein theoretischer Begriff, sondern ein praktisches politisches Projekt. Er soll die Krise nicht nur "treffen", sondern die Agonie der parlamentarischen Demokratie überwinden.
Daß Krause dies ganz genauso sieht, wird in der Antwort deutlich, die er auf seine nächste "spannende Frage" gleich mitliefert, danach nämlich, "wer zum Scheitern dieser (der Weimarer, S.V.) Republik mehr beigetragen hat: Die konservativen Staatsrechtler mit ihren vermeintlich präfaschistischen Ordnungskonzepten oder die Liberalen mit ihrem Wertrelativismus, der schließlich auch den Feinden der liberalen Ordnung den Weg bahnte?" Die "vermeintlich präfaschistischen Ordnungskonzeptionen", die Krause hier zur politischen Strategie gegen die "Feinde der liberalen Ordnung" erklärt, meinen im historischen Kontext nichts weniger als die Präsidialregimes, den völkischen Nationalismus und die faschistische Volksgemeinschaft.
Wenn Krause schließlich Schmitts "Begriff des Politischen", inklusive der darin enthaltenen Vorstellung der Feindbestimmung und der Homogenisierung, als Basis der "freiheitlich demokratischen Grundordnung" der BRD erkennt, so ist ihm in diesem letzten Punkt nur zuzustimmen. Die Bundesrepublik ist ein zumindest latent autoritärer Staat, der sich als Staat der deutschen Volksgemeinschaft versteht. In diesem Sinne steht Krause, genausowenig wie die "Neue Rechte", keineswegs außerhalb der Rechts- und Gesellschaftsordnung der BRD. Kein Wunder also, daß sich neurechte Ideologie und Politik nurmehr als konstituierendes Element der staatlichen Ideologie und Politik der BRD ausmachen läßt. Aus demselben Grund hat die "Meinung" eines Krauses ihren guten Platz am OSI und in der OSI-Zeitung.
Weder Krause noch die Ideologen der "Neuen Rechten" sind "Rechtsextremisten", und es nützt nichts, angebliche linke Bastionen in der Gesellschaft gegen rechte "Nestbeschmutzer" verteidigen zu wollen. Krause befindet sich keineswegs im Widerspruch zu den verfassungsmäßigen Grundlagen und den liberalen Werten dieser Gesellschaft, vielmehr qualifiziert er sich mit seinem OZ-Geschreibe bestens für einen leitenden Posten im politischen oder ideologischen Betrieb der Bundesrepublik, jenem "autoritären Staat rechtsstaatlichen Typus" (Johannes Agnoli). Krause ist lediglich ein Apologet des deutschen Staates und seiner in Schmitt verkörperten und von diesem zu Papier gebrachten autoritären Option.
Stefan Vogt