Revisionismus in der OZ
Die Neuen Rechten, bzw. ihr größter und heute aktivster Flügel, die konservativen Etatisten, propagieren seit über 20 Jahren den "nationalen Imperativ"(1). Mit diesem Ansatz stehen sie allerdings längst nicht mehr allein: egal ob Neonazi oder National-konservativer, das Bewußtmachen der "nationalen Identität" und "deutschen Volkszugehörigkeit", die Erzeugung eines deutschen Wir-Gefühls, das "uns" die Erfüllung der durch die "geopolitische Lage" unvermeidlichen Aufgaben ermöglichen soll, eint die rechte Szene. Nation und Nationalstaat werden zu fast naturgesetzlichen Kategorien erklärt, die dem einzelnen Heimatgefühle und der Gemeinschaft die rücksichtslose Durchsetzung ihrer Interessen nach innen und außen ermöglichen sollen. Das "Wohl der Nation" wird zum obersten Prinzip erklärt, dem sich alle anderen unterzuordnen haben. Für individuelle Bedürfnisse und Interessen bleiben da weder Platz noch Berechtigung.
Besonders in Deutschland gibt es für Nationalisten allerdings ein zentrales Problem: Untrennbar sind mit der deutschen Nationalgeschichte die Schuld an zwei Weltkriegen und der organisierte Massenmord an Millionen von Juden und Jüdinnen, Sinti, Roma, Homosexuellen, Andersgläubigen und Oppositionellen verbunden.
Diese Tatsachen und die Schuld daran offen zu leugnen, war lange den Ewiggestrigen vorbehalten, von denen sich die Mitte der Gesellschaft scharf abgrenzte. Mit der Konjunktur der Nation begann sich das zu ändern: die Aufgabe, die deutsche Vergangenheit zu entsorgen, ist zur Klammer zwischen Konservativen und Rechtsextremen geworden. Kohls Versöhnung mit Reagan über den Gräbern von SS-Mördern und ihren Opfern in Bitburg, der Historikerstreit und die Gestaltung der Neuen Wache hier in Berlin sind Meilensteine auf diesem Weg. Deutsche Täter gibt es in dieser Lesart nicht mehr, auch sie werden zu Opfern "schwieriger Zeiten" erklärt.
Viele der Stichworte für diese Uminterpretation der deutschen Geschichte sind im neurechten Lager entwickelt worden, wie sich in deren Publikationen leicht nachweisen läßt(2). Besonders als "wissenschaftliche Diskussionsbeiträge" verbrämt, haben sie Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden. Typisch sind dabei z.B. die Versuche, alle Formen von Diktaturen als "totalitär" gleichzusetzen. Daraus entsteht dann schnell die Schlußfolgerung, daß letztlich viele Nationen "ihren Hitler hatten", die deutsche Geschichte also keine Besonderheiten aufzuweisen habe, aus denen heute etwa eine besondere Verantwortung und Konsequenzen abzuleiten seien.
Deutschlands Vergangenheit zu entsorgen ist Anliegen aller Nationalisten, besonders aber der Neuen Rechten, die selbst autoritäre, rassistische und militaristische Zukunftskonzepte haben, die nicht massenwirksam werden können, solange sie mit dem Nationalsozialismus identifiziert werden.
Anhand einiger Passagen aus der OZ möchte ich beispielhaft zeigen, wie das revisionistische(3) Schema funktioniert und daß es sich in einigen OZ-Artikeln zweifelsfrei nachweisen läßt. Am auffälligsten ist der Artikel "Vergangenheitsbewältigung" in der OZ 24 von Henry Krause.
Für Krause gibt es keinerlei Unterschied zwischen DDR- und NS-Staat. In der ersten Hälfte seines Artikels schreibt er nur von "den beiden Diktaturen", über die er unterschiedslos Aussagen trifft. Das gipfelt darin, daß er "die Haftjahre in einem Zuchthaus und Lager unter Hammer und Sichel" gleichsetzt mit denen "unterm Hakenkreuz".
Ohne bestreiten zu wollen, daß es in der DDR unschuldige Opfer gegeben hat, ist eine solche Aussage zweifellos eine Verhöhnung der Millionen NS-Opfer, die in KZs, Vernichtungslagern und Gefängnissen gelitten haben und ermordet wurden. Dergleichen hat es in der DDR nicht gegeben - weder quantitativ noch qualtitativ - schon gar nicht bis 1989. Wer solche Gleichsetzungen vornimmt, muß sich den Verdacht gefallen lassen, daß er die NS-Verbrechen zumindest relativieren - wenn nicht gar leugnen will. Denn den Holocaust als Inbegriff nationalsozialistischer Verbrechen erwähnt Krause schließlich gar nicht erst, obwohl er sich doch soviel Gedanken über die Leiden der Opfer macht...
Sein vordergründiges Anliegen, die Forderung nach Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, erweist sich so lediglich als Aufhänger für seine relativierenden Betrachtungen des Nationalsozialismus, denn seine Gleichsetzungen verunmöglichen die Untersuchung der DDR-spezifischen Ursachen und Mechanismen für Verfolgung und Repression völlig.
Die einseitige Beschäftigung mit den Opfern und deren Gleichsetzung verhindert bei Krause den Blick auf die Täter und Ursachen. Die interessieren bei ihm eben gerade nicht, so daß am Ende die NS-Verbrechen als nichts Besonderes mehr erscheinen, das etwa besonderer Forschung oder Auseinandersetzung bedürfte.
Das zeigt sich auch, wenn er behauptet, die Anerkennung der Leiden der DDR-Opfer scheitere daran, daß "ihre Leiden Singularitätsansprüchen nicht genügten". Eine typisch neurechte Argumentation: Die angebliche linke Hegemonie (von Krause auch als "geistige Lufthoheit" bezeichnet(4), die, wie er in der OZ 22 ausführt, an der FU seit 1968 totalitär herrscht) beschäftige sich einseitig mit dem Nationalsozialismus, niemand rede von den DDR-Opfern, was mit dem - in Krauses Augen offensichtlich vorgeschobenen - Argument der Singularität der NS-Verbrechen gerechtfertigt werde. Dies ist nun ein klassisch revisionistisches Muster: Die NS-Verbrechen, die systematische Verfolgung und industriell organisierte Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas, werden zu einem keineswges singulären historischen Vorfall gemacht, dem andere Vorgänge in der Geschichte angeblich entsprechen. Besonders seit dem Ende der DDR werden dazu oft die Opfer des DDR-Staates mißbraucht. Damit werden die Ursachen, die Traditionen und Gedankengebäude, die die NS-Verbrechen ermöglichten, ihrer spezifischen Untersuchung entzogen. Wer als Politiologiestudent heute im wiedervereinigten Deutschland - das international wieder immer mehr offene Macht beansprucht, während rassistische Morde und Übergriffe im Inland ständig zunehmen - die Auseinandersetzung um die Bewertung dieses Teils deutscher Geschichte als "Religionskrieg" abqualifiziert(5), muß sich fragen lassen, ob er eben diese Traditionen fortsetzen will.
Noch dazu ist gerade das Bestreiten der Singularität der deutschen Verbrechen seit Jahren Argument der Holocaust-Relativierer(6) und nicht zuletzt im Historikerstreit Gegenstand öffentlicher Diskussion gewesen. Vor diesem Hintergrund erscheint Krauses Einräumen der "Einzigartigkeit von Auschwitz" im OZ-Spezial als peinlicher Opportunismus, der seinen Seitenhieb auf eben die Singularität der NS-Verbrechen in der OZ 24 nicht korrigieren kann. Letztlich ist auch dies eine Taktik, die aufmerksamen LeserInnen neurechts-revisionisticher Publikationen wohl vertraut ist: Inmitten von seitenlangen Verdrehungen und Relativierungen findet sich ein Satz, in dem beteuert wird, wie furchtbar das alles gewesen sei. Dieser Satz läßt sich dann jederzeit zitieren, auch wenn seine Aussage vom Kontext völlig verwässert wird. Damit gilt dann als "bewiesen", daß der Beitrag nicht revisionistisch, faschistisch oder rassistisch ist, sondern vielmehr Anspruch auf einen Platz auf dem "Markt der demokratischen Meinungen" hat.
Daß Krauses Blindheit nach rechts sich nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt, dürfte inzwischen niemanden mehr verwundern. Die militanten Neonazis und Rassisten von heute sind für ihn eine "temporäre Erscheinung", "pubertäre Glatzköpfe", die die NS-Symbole nur zur Provokation verwenden und von den Medien völlig überbewertet werden. Das sieht Uwe Schellenberg sicherlich genauso, der sich in der OZ 22 darüber empört, daß gleich in mehreren OSI-Seminaren der heutige Rechtsextremismus als Kontinutität oder Analogie zum historischen Faschismus und Nationalsozialismus diskutiert würde. Offenbar gibt es für ihn weder Zusammenhänge noch Parallelen - da fragt mensch sich doch, wie und vor allem warum jemand diese bestreitet, obwohl sich die Rechtsextremen heute ganz offen auf ihre historischen Vorläufer beziehen. Ganz wie Krause argwöhnt Schellenberg ohnehin, daß am OSI heimlich der DDR-Sozialismus hochgehalten wird. Deshalb befasse sich auch niemand mit der "linksextremen PDS", sondern in den Seminaren werde immer noch behauptet, daß der Nationalsozialismus der "alles überlagernde Referenzpunkt deutscher Geschichte"(7) sei.
Wie möchte Schellenberg den NS denn sonst betrachtet wissen? Als ganz normalen und zudem längst vergangenen Abschnitt der Geschichte, der für heute keine Bedeutung mehr hat? Während die "Verbrechen" der "Linksextremen", zu denen er sicher auch die Vertreibung zählt, endlich gesühnt werden müssen? Die Deutschen nur noch Opfer moskaugesteuerter Diktaturen, aber niemals Täter?
Hinter solchen Behauptungen steckt die Weigerung, sich mit den rassistischen, antisemitischen und autoritären Kontinuitäten in Deutschland auseinanderzusetzen, die gerade in den letzten Jahren ihre andauernde Virulenz wieder zeigen. Nicht nur, aber besonders an einem Institut für Politiologie, wäre zu erwarten, daß solchen Positionen nicht auch noch Raum gegeben wird. Wer sie kennenlernen möchte, findet in der Bibliothek des ZI 6 in Lankwitz genug alt- und neurechte Publikationen, in denen sie ausführlich zu Wort kommen.
Wer, wie Henry Krause, auf einer einzigen DIN A4-Seite schreibt, daß die KZs der Nazis den Knästen der DDR entsprächen, daß die NS-Verbrechen nicht singulär seien und daß die Neonazis heute von interessierter linker Seite völlig überbewertete, unpolitische Kriminelle seien, hat den Anspruch auf Teilnahme an demokratischer Diskussion verwirkt.
Josefine Heusinger
(1 )vgl. Assheuer, Thomas/Sarkowicz, Hans: Rechtsradikale in Deutschland. Die alte und die neue Rechte, München 1992, S.174-179
(2 )vgl. z.B. Deutschland in Geschichte und Gegenwart 2/1992, S.24ff und 3/1994, S.25f, Nation und Europa 11+12/1992, S.67ff, Junge Freiheit 32/1994, S.18
(3 )Der Begriff "Revisionisten" ist ursprünglich eine beschönigende, weil Wissenschaftlichkeit vorgebende Selbstbezeichnung derjenigen Rechtsextremen, die die deutschen Verbrechen der NS-Zeit leugnen, relativieren oder verharmlosen. In der Literatur wird er inzwischen übergreifend für alle Leugner und Relativierer benutzt. Vgl. z.B. Landesamt für Verfassungsschutz Berlin: Durchblicke 1. Jg., Heft 3: Die internationale Revisionismus-Kampagne, Berlin 1994
(4 )OZ-Spezial, Mai 1995
(5 )Krause in OZ-Spezial, Mai 1995
(6 )vgl. z.B. Lipstadt, Deborah: Betrifft: Leugnen des Holocaust, Zürich 1994, besonders Kapitel 6 und 11, die sich u.a. mit Nolte und der deutschen Diskussion befassen
(7 )Schellenberg in OZ 22