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Projektbeschreibung

B5 Die Hervorbringung von Lernkulturen in Ritualen und Ritualisierungen.
Mimesis, praktisches Wissen und soziales Handeln

Dritte Projektphase (2005-2007):
In der dritten Projektphase werden rituelle Lernkulturen in ihren formellen und informellen Anteilen als Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten so analysiert, wie sie sich für Einzelne und für Gruppen darstellen. Rituelle Lernkulturen werden in ihren konkreten materiellen Dimensionen und in ihren symbolischen Verweisungszusammenhängen und imaginären Entwürfen auf ihren performativen Gehalt untersucht. Damit zielt das Projekt auf eine bislang nicht erforschte Dimension der Hervorbringung rituellen Wissens in den vier Sozialisationsfeldern Familie, Schule, Peergroup und Medien. Das Projekt fokussiert den Zusammenhang von Lernsituationen und der Entstehung rituellen Wissens; dabei wird nicht nur der rituelle Hintergrund von Lernkulturen, sondern auch die Bedeutung von Bildungsräumen für rituelles Wissen und Handeln herausgearbeitet. Um den performativen Charakter des rituellen Handelns und dessen Rahmenbedingungen zu rekonstruieren, werden die bisher verwendeten Methoden qualitativer Sozialforschung beibehalten und durch eine Differenzierung in biographische, gemeinschaftliche und institutionelle Lernforschung weiterentwickelt.

 

Unterprojekt Schule

Nachdem in den vorangegangenen Projektphasen alltägliche Mikrorituale und außeralltägliche Festrituale fokussiert wurden, wird nun untersucht, welche Lernkulturen sich in Ritualen des schulischen Unterrichts herausbilden und in welchem Bezug sie zu dem für schulische Bildungsprozesse noch immer maßgeblichen Fächerkanon stehen. Angesichts der aktuellen Bestrebungen zur Verbesserung von schulischen Lernräumen hat diese Forschungsfrage eine hohe gesellschafts- und bildungspolitische Relevanz.
Zunächst stellt sich die Frage, wie das Verhältnis der institutionell gerahmten Lernkulturen zum rituellen Handeln gestaltet ist. Es ist zu vermuten, dass dieses Verhältnis im Zusammenhang mit dem spezifischen Unterrichtsfach steht, das eigene Bedingungen konstituiert und spezifische Formen der Korporalität, der Theatralität, des räumlich-szenischen Arrangements sowie des kollektiven Bilderraums und Imaginären hervorbringt. Zu untersuchen ist, wie diese performativen Dimensionen in die rituellen Praktiken der Pädagogen Eingang finden und wie Schüler an der Gestaltung von Kulturen des Lernens mitwirken. Anzunehmen ist, dass die hervorgebrachten rituellen Lernkulturen sowohl durch eine Spezifik der Schulklasse (Klassenkultur) als auch durch eine Spezifik des Lehrerhabitus geprägt werden.
Zur Bearbeitung dieser Fragen wird das Projekt die Möglichkeiten des bisherigen Untersuchungsfeldes nutzen und zwei jahrgangsübergreifende Klassen (Stammgruppen) fokussieren, die in den Fächern Deutsch und Mathematik (teilnehmend/videografisch) beobachtet und befragt werden. Darüber hinaus wird der Computerunterricht in den Vergleich aufgenommen, da anzunehmen ist, dass dort eine andere Gewichtung von selbst- und fremdorganisiertem Lernen erfolgt und dass die möglichen Prozesse einer "Globalisierung im Klassenzimmer" eine spezifische Ausprägung interkulturellen Lernens schaffen, der in Anbetracht der multikulturellen Zusammensetzung städtischer Grundschulen besondere Bedeutung zukommt. In diesem Sinne werden Lernkulturen als Formen ritueller Differenzbearbeitung begriffen, die darauf ausgerichtet sind, mit Fremden und Neuem umzugehen.
Im Einzelnen ist zu fragen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede die rituelle Praxis im jeweils unterrichteten Fach der systematisch auszuwählenden Klassen erkennen lässt. Welche Rolle spielen Diskursivität, Materialität, Bilder und Imagination? Wie werden selbst- und fremdorganisiertes Lernen, Operation, Interaktion und selbstbezügliche Lernhandlungen gestaltet? Welche Bedeutung hat die Generationendifferenz? Im Verlauf der Arbeit wird eine Typologie von Lernkulturen in ihrem Verhältnis 1. zu ritueller Handlungspraxis, 2. zu den unterrichteten Fächern, 3. zur Klassenspezifik und 4. zum Lehrerhabitus entwickelt.

Unterprojekt Medien

In der dritten Projektphase werden die Entstehungsbedingungen und Wirkweisen hybrider medialer Lernkulturen untersucht. Die Dringlichkeit der Frage ritueller und performativer Lernprozesse bei der interaktiven und gemeinschaftlichen Mediennutzung knüpft an Beobachtungen aus den vorhergehenden Projektphasen an. In der ersten Projektphase zeigen sich vielfältige habituelle, soziale und praktische Lernprozesse. An den ritualisierten kindlichen Lernkulturen fielen vor allem die Aspekte des Informellen und der Selbstorganisation auf. Von einem noch höheren Maß informellen und selbstorganisierten Lernens begleitet ist das in der zweiten Projektphase erforschte soziale Ritual der LAN-Party. Die Untersuchung wird diese in der bisherigen Literatur in dieser Weise nicht dokumentierten Beobachtungen auf dem Feld kinder- und jugendkultureller medialer Lernkulturen fruchtbar machen und sie systematisch auf ihre Dimensionen, Funktionsweisen und Innovationschancen für mediales Lernen hin analysieren. Entsprechend den Zielsetzungen des Projekts wird die Bedeutung von Ritualen und ritualisierten Lernsituationen für mediale Lernkontexte fokussiert. Um eine gute Kontrastierung zu erreichen, werden je ein außerinstitutionelles und ein institutionell gerahmtes Lernprojekt im Bereich der Neuen Medien untersucht. Mittels Teilnehmender und Videogestützter Beobachtung sowie Gruppendiskussionen werden Aspekte der Habitualisierung und der Herausbildung eines gruppenspezifischen habituellen Mediennutzungsstils analysiert. Über die Beobachtung der szenischen Arrangements sowie der Inszenierungen des technisierten rituellen Raumes hinaus, werden Prozesse des rituellen Lernens als soziale, selbstorganisierte Ereignisse einer detaillierten Analyse zugänglich gemacht und in ihrer Relation zu den mitaufgeführten Generationen-, Geschlechter- und Machtverhältnissen diskutiert. Relevant wird für diese beiden Schwerpunkte der für die Neuen Medien spezifische Aspekt der Hybridität. Es ist anzunehmen, dass durch die medientechnischen Geräte und die virtuellen Umgebungen ein neues praktisches Wissen hervorgebracht und neue Körperbilder initiiert werden, die auf die ritualisierte Lernsituation selbst zurückwirken. Damit wird eine besonders plastische Einsicht in den engen Zusammenhang von Tradierung und Innovation innerhalb von Lernritualen sowie in Invertierungsdynamiken und neue Formen der Aushandlung des pädagogischen Generationenverhältnisses eröffnet. Zur Erfassung der virtuellen und hybriden Bereiche werden an das Forschungsfeld der Neuen Medien angepasste Erhebungsmethoden angewandt bzw. nach Bedarf weiterentwickelt.

Unterprojekt Familie

Die Untersuchung zielt in der dritten Projektphase auf die qualitative Analyse ritueller Lernkulturen in (anderen als den bisherigen) Familien, die sich jeweils durch ihre Familienstruktur und ihr Herkunftsmilieu unterscheiden. Im Mittelpunkt dieser Projektphase steht die Beziehung von Lernkulturen und pädagogischer Generationendifferenz. Während in den ersten beiden Projektphasen vor allem der Zusammenhang von Familienritualen, familialen Erziehungsstilen und Autoritätsstrukturen analysiert wurde, werden nun die mit dem Übergang in die Adoleszenz verbundenen individuellen Ritualisierungen und Habitualisierungen in ihren Relationen mit den familialen Lernkulturen fokussiert. Den Gegenstand des Unterprojektes bilden zum einen die auf den Erwerb und die Vermittlung von lebenspraktischem Wissen und Erfahrungen gerichteten rituellen Aktivitäten der Kinder in ihrem Bezug auf die familiäre Gemeinschaft, zum anderen der Familienurlaub. Die familialen Lernkulturen werden anhand narrativer Interviews, Gruppendiskussionen und Bildmaterial aus den Familien analysiert.


Unterprojekt Kindheit und Jugend

In Gruppendiskussionen mit Jugendlichen muslimischen Hintergrunds wurde die wichtige Rolle des über den Körper vermittelten praktischen Wissens bei der Initiation in religiöse Praktiken sowie die besondere Bedeutung der Unterweisung durch Ältere erkennbar. Diese innerhalb des gleichen Geschlechts verbleibenden Unterweisungsstrukturen sind in die Konzeption von Einrichtungen aufsuchender Jugendarbeit aufgenommen worden, die zum Ort einer neuen Erhebung werden sollen.
Im Hinblick auf die Hervorbringung von Lernkulturen ergeben sich verschiedene Fragen:
1. Lässt sich diese körperbezogene Form 'habitualisierten Lernens‘ für andere Lernräume, wie den der Schule, fruchtbar machen? Diese These wird anhand eines kontrastiven Vergleichs der beiden Hauptaktivitäten jugendlicher Peergroups im Kontext der außerschulischen Einrichtungen, PC-Nutzung und Tanz, überprüft. Für den Umgang mit dem PC wird dabei davon ausgegangen, dass er mimetisch und habitualisiert gelernt wird. Die dabei erfolgenden Lernprozesse werden mit denen des Tanzens verglichen.
2. Formt das habitualisierte Lernen in den Lernkulturen der außerschulischen Jugendarbeit einen besonderen Habitus der Jugendlichen? Finden dort Differenzbearbeitungen und Hybridisierungen statt, die aus der Auseinandersetzung zwischen den Kulturen resultieren?
Diese Fragen sind in Einrichtungen der außerschulischen Jugendarbeit mit Methoden der Videogestützten und Teilnehmenden Beobachtung zu untersuchen. Dazu wird außerdem bereits in den Einrichtungen erhobenes Videomaterial herangezogen. Darüber hinaus werden Gruppendiskussionen mit den Jugendlichen über ihre Lernerfahrungen durchgeführt und durch Experteninterviews mit den Betreuerinnen und Betreuern ergänzt. Die Migrationssituation des Stadtteils, die dessen Lernatmosphäre entscheidend prägt, erhält besondere Aufmerksamkeit. Mittels der komparativen Analyse wird das Material in Hinblick auf die Kategorie Geschlecht und mit Bezug auf die empirischen Vergleichshorizonte der Arbeitsgruppen Familie, Medien und Schule kontrastiert.

 

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