Arbeitsschwerpunkt
Seit mehr als dreißig Jahren arbeitet Wulf an Fragen der Anthropologie und der
Pädagogischen Anthropologie. Dabei geht es ihm um das Wissen vom Menschen in einer globalisierten durch
kulturelle Diversität charakterisierten Welt. Das Ziel seiner Forschungen liegt darin, mithilfe
historischer und ethnographischer Methoden sowie philosophischer Reflexion einen Beitrag
zum Selbstverständnis der Menschen in der heutigen Zeit zu leisten.
Historische Anthropologie
Wulfs anthropologische Forschungen nehmen ihren Ausgangspunkt in der Einsicht, dass die Anthropologien, in deren Mittelpunkt der weiße westliche männliche Mensch stand, ihren universellen Anspruch verloren haben. Daher müssen wir heute von einer polyzentrischen Anthropologie ausgehen. Im Mittelpunkt stehen nicht mehr nur europäische Menschenbilder und das westliche Denken. Andere Kulturen beanspruchen, mit dem gleichen Recht, aus ihrer Perspektive Aussagen über den Menschen zu machen. Angesichts dieser Situation bedarf es einer historischen und kulturellen Relativierung und Differenzierung der Anthropologie, die allerdings extremen Relativismus und Beliebigkeit vermeiden muss. In der globalisierten Welt führt diese Situation zu einer Zunahme der Komplexität, die die Lebensbedingungen der Menschen zukünftig bestimmen wird.
Logik und Leidenschaft: Im Mittelpunkt der ersten Phase dieser anthropologischen Studien steht der menschliche Körper. Dies war das Ergebnis des ersten mit Dietmar Kamper zusammen veröffentlichten Buches "Die Wiederkehr des Körpers" , mit der die spezifische historische Anthropologie der Berliner anthropologischen Forschungen begründet wurde. In ihrem Rahmen entstanden zehn internationale, transdisziplinäre Studien, die später den Titel "Logik und Leidenschaft" erhielten. An diesem Dekaden-Projekt haben mehr als 150 Wissenschaftler und Philosophen aus 25 Disziplinen und mehr als 10 Ländern mitgearbeitet. Diese Forschungen unterscheiden sich von der historischen Anthropologie in den Geschichtswissenschaften dadurch, dass sie stärker als die Untersuchungen der Historiker darauf ausgerichtet sind, einen Beitrag zum Verständnis unserer Zeit, d. h. zur Gegenwartsdiagnose zu liefern. Nach dem Ende normativer Anthropologien, die mit der Dominanz der europäisch-westlichen Wissenschaft, Philosophie und Kultur verbunden sind, galt es Formen anthropologischen Denkens und Forschens zu entwickeln, die den veränderten Lebens- und Entwicklungsbedingungen in der globalisierten Welt gerecht werden. Mithilfe transdisziplinärer und transkultureller Forschungen entstand eine historische Anthropologie, in der der menschliche Körper, seine Sinne und kulturellen Praktiken in europäischer Ausprägung von zentraler Bedeutung sind. Für diese historisch-anthropologische Forschung war die doppelte Historizität, also die Geschichtlichkeit der Forscher und die Geschichtlichkeit der untersuchten Phänomene, von konstitutiver Bedeutung. Die Rätselhaftigkeit des menschlichen Körpers führte dazu, den Menschen als homo absconditus zu begreifen, also als Wesen, das sich selbst nur partiell zugänglich und verständlich ist. Neben der Wiederentdeckung des Körpers und der Sinne waren Themen dieser Forschung die Geschichte der Seele und die Unergründbarkeit des Heiligen, die Rätselhaftigkeit der Liebe und des Schönen, das Geheimnis der Zeit und des Schweigens.
Der Mensch und seine Kultur: In diesem mehr als tausend Seiten umfassenden in mehrere Sprachen übersetzten Buch galt es, hundert Grundverhältnissen bzw. Beziehungen des Menschen zur Welt zu rekonstruieren und in einem Handbuch Historischer Anthropologie zur untersuchen. Die mit diesem Werk angestrebte historische, kulturelle und gesellschaftliche Verortung und Zeitdiagnose erfolgte im Bewusstsein der doppelten Geschichtlichkeit und Kulturalität und der damit verbundenen Kontingenzen. Am unvermeidbaren fragmentarischen Charakter dieser Untersuchungen änderte auch die intensive interdisziplinäre Kooperation nichts. Allerdings schaffte diese die Grundlage für die Fortsetzung der Untersuchung der gesellschaftlichen Vielfalt und die Verbesserung des historischen Selbstverständnisses und der kulturellen Selbstauslegung. Die anthropologische Untersuchung der in Geschichte und Kultur verankerten Welt- und Selbstverhältnisse der Menschen führt zu Erkenntnissen, die ein neues (reflexives) Verständnis vieler alltäglicher Funktionszusammenhänge bewirken können. Solche Erfahrungen führen zu skeptischen Rückfragen an die Geschichte als Fortschritts- und Aneignungsgeschichte, an die Logik des identifizierenden Begriffs, die Reichweite der Hermeneutik und an das selbst- und weltkonstitutive Subjekt. Solche Skepsis führt zum Bewusstsein der historischen und kulturellen Relativität anthropologischer Erkenntnis. Im Unterschied zu früheren Auffassungen wird jedoch in der bewusst akzeptierten Vorläufigkeit anthropologischen Wissens kein Mangel, sondern ein Gewinn gesehen. Die Qualität dieses Wissens ist Folge der prinzipiellen Unbestimmbarkeit des Menschen, aus der jedoch auch die Offenheit für den Anderen und für das andere Wissen resultiert, die dazu anregt, nach Wegen zu suchen, die Komplexität anthropologischen Wissens zu erhöhen. Die Beiträge wurden in sieben Kapiteln mit folgenden überschriften angeordnet: Kosmologie, Welt und Dinge, Genealogie und Geschlecht, Körper, Medien und Bildung, Zufall und Geschick, Kultur.
Anthropologie: Geschichte, Kultur, Philosophie: Auf der Grundlage einer Analyse zentraler Paradigmata der Anthropologie hat Wulf hier das Konzept einer historischen Anthropologie zu einer historisch-kulturellen Anthropologie weiterentwickelt. Diese entsteht im Austausch mit den Paradigmata der Evolution/Hominisation, der Philosophischen Anthropologie, der Anthropologie in den Geschichtswissenschaften (historischen Anthropologie) und der Kulturanthropologie/Ethnologie. Heute gilt es, Anthropologie als eine trankulturelle und transdisziplinäre Forschung zu entwickeln, bei der es um die Verschränkung allgemeiner und partikularer, globaler und lokaler, diachroner und synchroner Perspektiven mit dem Ziel geht, die unitas multiplex des Menschen zu erforschen. Angesichts dieses Anspruchs ist es nicht möglich, den Begriff der Anthropologie in der einen oder anderen Richtung eng zu führen. Daher wird hier ein dynamischer, veränderungsoffener Begriff von Anthropologie vorgeschlagen. Mit diesem Anthropologie-Konzept entstehen epistemologische Bedingungen, die auf die Anforderungen anthropologischer Forschung in einer globalisierten Welt antworten. Dieses Anthropologie-Konzept hat keinen systematischen, sondern eher einen heuristischen Charakter. Je nach Kontext kann es spezifiziert und modifiziert werden. Sein heuristischer Wert besteht vor allem darin, dass die Forschungen inhaltlich und methodisch multidimensional werden und damit besser den sich ändernden Bedingungen der Welt entsprechen können.
Pädagogische Anthropologie: Wulfs Grundthese für die Begründung der Notwendigkeit pädagogischer Anthropologie besagt, dass Erziehung und Bildung stets Bilder vom Menschen, anthropologische Bilder beinhalten. Ohne anthropologische Annahmen über den Menschen und darüber, wie Erziehung, Bildung und Sozialisation erfolgen soll, ist Erziehung und Bildung nicht möglich. Um den Forschungen im Bereich der pädagogischen Anthropologie Kontinuität zu verleihen, initiierte Wulf 1992 die Gründung der Kommission Pädagogische Anthropologie in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Unterstützt wurde diese Initiative von Dieter Lenzen, Klaus Mollenhauer, Konrad Wünsche, Theodor Schulze, Eckart Liebau und Max Liedtke. Später gesellten sich dazu: Johannes Bilstein, Jörg Zirfas, Michael Göhlich, Birgit Althans, Micha Brumlik, Maike Sophia Baader, Doris Schuhmacher-Chilla, Helga Peskoller, Stephan Sting, Ursula Stenger, Hans-Rüdiger Müller, Gabriele Sorgo, Edgar Forster, Christian Rittelmeyer, Gisela Miller-Kipp, Anja Tervooren und viele andere Kollegen und Kolleginnen. Diese Forschungen nehmen ihren Ausgangspunkt bei den Arbeiten zur pädagogischen Anthropologie, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind und zu deren wichtigsten Repräsentanten gehören: Otto Friedrich Bollnow, Heinrich Roth, Andreas Flitner, Rudolf Lassahn, Hans Scheuerl und Max Liedtke.
Im Laufe der Jahre hat diese von Wulf initiierte und lange geleitete Kommission viele Grundlagenthemen bearbeitet. Die mittlerweile ca. 20 Studien decken ein weites Spektrum pädagogisch-anthropologischer Forschung ab. Sie umfassen Bücher zur Geschichte und Theorie pädagogischer Anthropologie, zur Anthropologie der Wahrnehmung und ästhetik, zu Spiel, Imagination und Arbeit, zum pädagogischen Handeln einschließlich seiner anthropologischen und ethischen Grundbedingungen, zur Rolle von Raum, Zeit und Institutionen in der pädagogischen Arbeit, zur Bedeutung von Natur und Religion, Generation, Liebe und Freundschaft, zu den Sinnen und zu Fragen des gender. Gemeinsam ist den Autoren und Autorinnen dieser Untersuchungen, dass sie von der Bedeutung der historischen und kulturellen Dimension der Anthropologie überzeugt sind und mit Hilfe philosophischer Reflexion, historischer und empirischer Forschung versuchen, wichtige Perspektiven für das Verständnis von Erziehung, Bildung und Sozialisation in der Gegenwart entwickeln wollen. Hinzu kommt die überzeugung, dass erziehungswissenschaftliche Forschung und pädagogische Arbeit aufgrund der europäischen und globalen Veränderungen in starkem Maße der anthropologischen Grundlagenforschung bedürfen, die dazu beitragen soll, Erziehung, Bildung und Sozialisation in den verschiedenen Teilen der Welt besser zu begreifen. Längst reicht es nicht mehr aus, Erziehung und Bildung in nationalen Kontexten zu verorten. Auch die europäische Orientierung bedarf der Ergänzung durch die Beachtung asiatischer, lateinamerikanischer und afrikanischer Perspektiven, also der Berücksichtigung globaler Einflüsse.
Die Berliner Ritual- und Gestenstudie
Die Wiederkehr der Rituale: Nachdem Wulf fünfzehn Jahre lang in seinen anthropologischen Forschungen die diachrone Perspektive verfolgt hatte, wendete er sich seit dem Anfang des 21. Jahrhunderts verstärkt auch synchronen anthropologischen Studien zu. Damit gewann die ethnographische Erforschung der Gegenwart an Bedeutung; es erfolgte eine Ausweitung der historischen zur historisch kulturellen Anthropologie. Im Mittelpunkt dieser Arbeiten stand die Erforschung von Ritualen und Gesten in den vier zentralen Sozialisationsbereichen: Familie, Schule, Peergroup und Medien. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs Kulturen des Performativen wurden zwölf Jahre lang Rituale in Erziehung, Bildung und Sozialisation erforscht. Dabei galt es die historisch zu Recht entstandene kritische Einstellung gegenüber Ritualen durch den Nachweis ihrer produktiven Effekte und ihrer positiven Wirkungen zu ergänzen. In dieser in Umfang und Dauer einmaligen Studie, in der eine innerstädtische Berliner Grundschule und ihr Umfeld erforscht wurde, gelang es nachzuweisen, wie wichtig Rituale für die Schaffung des Sozialen, die Erzeugung von Gemeinschaften und für Lernen und Bildung sind.
Bereits Durkheim konnte deutlich machen, dass Rituale dazu dienen, die Sakralität einer Gemeinschaft zu erzeugen und durch ihre Aufführung die Kohärenz der Gemeinschaft zu fördern. Rituale sind Formen menschlichen Handelns, deren sozialer Charakter Gemeinschaften als performative Gemeinschaften erzeugt. Unser Ansatz, der den performativen Charakter von Ritualen für wichtig hält, ist heute in der internationalen Ritualforschung allgemein akzeptiert. Neben der gemeinschaftsbildenden Funktion dienen Rituale auch dazu, übergänge zu schaffen. Die mehrfach untersuchte Einschulung von Kindern in die Grundschule ist ein Beispiel für einen solchen übergang, in dem das Kind zum Schulkind wird. Rituale sind körperlich, performativ, expressiv, symbolisch und regeleffizient.
Rituale lassen sich nicht, wie es oft in der angelsächsischen Forschung geschieht, auf ihre Funktionalität reduzieren. Sie sind auch Ausdruck von Emotionen und Beziehungen und haben eine ästhetische Seite. Ein weiteres wichtiges Element in Ritualen ist ihr repetitiver Charakter. Sie sind homogenisierend und schaffen eine Gemeinschaft; sie sind liminal, das heißt, sie gestalten übergänge etwa vom Status eines Kindes zum Status eines Schulkindes. Rituale sind öffentlich, sie haben spielerische Elemente, durch die ihre Inszenierung und Aufführung variiert wird. Mithilfe von Ritualen werden die Werte, Normen und Strukturen einer Schule in die Körper der Kinder eingeschrieben, so dass die Kinder allmählich zu Schulkindern werden. Dabei sind die Kinder aktiv. Sie bestimmen, wie und bis zu welchem Grad sich diese Prozesse vollziehen. In diesen Prozessen lernen Kinder bestimmte schulisch wichtige Verhaltensweisen und werden befähigt, die Aufmerksamkeit der Lehrerin mit anderen Kindern zu teilen, was sie häufig vor der Einschulung noch nicht können. Kinder lernen still zu sitzen, ihre Bewegungen im Unterricht einzuschränken, sich zu konzentrieren. Indem dieses "neue" Verhalten des öfteren wiederholt wird, wird es gelernt. Schulische Rituale vermitteln ein kollektiv geteiltes Wissen davon, wie eine Schule funktioniert. Sie verweisen auf Handlungspraktiken, die inszeniert und aufgeführt werden und in denen sich Kinder und Lehrer darstellen und im Rahmen einer gemeinschaftlichen Ordnung interpretieren.
Bei der Erforschung des Performativen von Ritualen sind wenigstens drei Aspekte wichtig. Der eine verweist darauf, dass die Performativität von Ritualen historisch und kulturell bedingt ist. Neben dieser Perspektive, Rituale als kulturelle Aufführungen zu begreifen, spielt der performative Charakter der Sprache eine wichtige Rolle. Dieser bedeutet, dass sprachliche äußerungen im Kontext von Ritualen häufig einen Handlungscharakter haben. Dass Kinder schon sehr früh als Junge oder Mädchen angesprochen werden, ist dafür ein Beispiel. Dieses wiederholt als Junge oder Mädchen Angesprochen-Werden führt im Laufe der Zeit zur Herausbildung eines Gender-Charakters. Deutlich wird der Handlungscharakter der Sprache auch in Situationen wie der Eheschließung, in der das "Ja" das Leben danach grundsätzlich verändert. Der dritte Aspekt des Performativen besteht in seiner ästhetischen Dimension. Diese macht deutlich, dass man Rituale nicht nur unter der Perspektive ihrer Funktion analysieren sollte, sondern dass es wichtig ist, wie Menschen etwas ausdrücken und wie sie sich dabei inszenieren. Dieses "Wie" ist in der Performanz von Ritualen ein entscheidendes Element für die Akzeptanz des Rituals. In künstlerischen Performances spielt diese ästhetische Dimension sogar die entscheidende Rolle für die Beurteilung von deren Qualität.
Diese Forschungen fokussieren: Rituale erzeugen das Soziale; sie schaffen Ordnungen und ermöglichen Identifikation. Rituale schaffen übergänge und erzeugen Erinnerungen; sie haben eine magische Komponente und eignen sich zur Differenzbearbeitung; sie fördern mimetische Lernprozesse und mit ihrer Hilfe die Entwicklung praktischen Wissens und tragen wesentlich zur Entwicklung sozial kompetenter Individuen bei.
Die Bedeutung der Gesten: Die Berliner Ritual- und Gestenstudie konnte vielfältig rekonstruieren, wie die Initiierung und Steuerung sozialer und pädagogischer Prozesse durch Gesten erfolgt. Das Wort "Geste" lässt sich ableiten von dem lateinischen "gerere", "agere" - "hervorbringen", "ausführen". Mit Gesten werden Anerkennung, Abgrenzung und Distanzierung ausgedrückt. Gesten dienen zur Strukturierung von Lernprozessen und pädagogischen Handlungen. Forschungsleitend sind dabei folgende Fragen: "Wie werden Gesten in welchem Kontext eingesetzt?" "Wie wirkt die Performativität der Gesten auf Menschen?" "Inwieweit haben Gesten eine eigene lautsprachenunabhängige Logik?" "Worin besteht die produktive Funktion von Gesten?" Man wird Gesten nicht gerecht, wenn man sie nur aus linguistischer Perspektive betrachtet. Ein Großteil der Gesten-Forschung hat dies lange Zeit getan. Als Ergebnis wurde herausgefunden, dass eine Geste das Verständnis einer sprachlichen Aussage fördert, wenn diese gestenbegleitet ist. In der die Performativität fokussierenden Berliner Gestenstudie wurde vor allem das Wie der Inszenierung und Aufführung von Gesten untersucht. Besonders wichtig ist in Erziehung und Bildung die Geste des Zeigens. Im Verhältnis der Generationen ist sie von grundlegender Bedeutung. Die Angehörigen der älteren Generation zeigen den Angehörigen der jüngeren Generation die Welt. Von der Zeigegeste lassen sich die Schlaggeste, die ikonische und die metaphorische Geste unterscheiden.
Diese Forschungen fokussieren vier Aspekte der Geste besonders:
- Gesten als Bewegungen des Körpers,
- Gesten als Ausdruck und Darstellung,
- Gesten als Formen von Erziehung und Bildung und
- Gesten als Formen der Sinngebung.
Hier knüpft die Frage an, ob und in wie weit Gesten einen über ihre Intentionalität hinausgehenden Gehalt haben, der sich nur im mimetischen Nachvollzug erfahren lässt. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Ist eine Geste nur intentional oder gibt es auch Gesten des Ausdrucks und der Darstellung, die nicht intentional sind? In der Berliner Ritual- und Gestenstudie konnte gezeigt werden, vor allem bei den unspezifischen Schlaggesten, dass sich diesen Gesten keine eindeutigen Bedeutungen zuordnen lassen. Anders ist es bei den ikonischen Gesten, die durch ihren Bildcharakter gekennzeichnet sind, etwa die Geste des Zusammenfaltens der Hände als Geste des christlichen Gebets oder das Zusammenlegen der Hände und das Zur-Seite-Neigen des Kopfes als Geste der Müdigkeit und des Schlafens. Mit anderen Gesten werden Größen angegeben, etwa die Größe eines Kindes oder eines Gegenstandes. Bei diesen Gesten steht das bildliche Element im Zentrum. Viele dieser Gesten haben eine über die Grenzen einzelner Kulturen hinausreichende Verständlichkeit. Wegen ihres bildlichen Charakters wird z. B. die Geste des Schlafens in fast allen Kulturen verstanden. Schwieriger ist es mit den metaphorischen Gesten, den kulturellen Gesten, die man nur versteht, wenn man mit einer Kultur vertraut ist.
Gesten sind Ausdruck und Darstellung. In ihnen kommen eine körperliche Konfiguration, eine innere Intention und ein vermitteltes Verhältnis zur Welt zum Ausdruck. Gesten haben eine körperliche Seite, die von außen gesehen wird und in einem mimetischen Impuls nachvollzogen werden kann. Diese körperliche Manifestation ist auch Ausdruck einer inneren Situation, die von innen empfunden und von außen gesehen werden kann. In dieser Spannung zwischen Außen und Innen kommt die für Gesten charakteristische Vermittlung zwischen Innen und Außen zum Ausdruck.
Mimesis, Imagination und Emotion
Kulturelles Lernen als mimetisches Lernen: In einer mit Gunter Gebauer gemeinsam durchgeführten Studie über Mimesis. Kultur, Kunst, Gesellschaft ging es um die Rekonstruktion mimetischer Phänomene, beginnend in der Antike und endend mit Derrida. In dieser Studie galt es nicht, eine Geschichte des mimetischen Denkens zu erarbeiten. Stattdessen wurde im Sinne des Konzepts der Familienähnlichkeit (Wittgenstein) untersucht, was zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Kontexten unter Mimesis und mimetischen Prozessen verstanden wurde. Dabei zeigte es sich, dass die Fruchtbarkeit des Mimesis-Begriffs darin liegt, dass er keine eng umrissene Bedeutung hat, sondern sich im Verlauf der historischen Entwicklung im Sinne der Familienähnlichkeit verändert und weiterentwickelt. Es galt zu zeigen, was jeweils in unterschiedlichen historischen Kontexten unter Mimesis verstanden wird. Daher wurde erforscht, wie mimetische Phänomene in der Antike konzeptualisiert wurden und wie sich diese Konzepte im Mittelalter, in der Renaissance und in der Moderne veränderten. Besonders interessant wurden die Rekonstruktion und Analyse des Mimesis-Konzepts Walter Benjamins, Theodor Adornos und Jacques Derridas.
Faszinierend ist z. B. Adornos ästhetische Theorie, in der mimetische Prozesse auf eine Anähnlichung an das Kunstwerk abzielen, die das Kunstwerk als solches bestehen lassen und die den sich mimetisch verhaltenden Menschen die Möglichkeit geben, die Formen des Kunstwerks in ihr Imaginäres aufzunehmen. Bei der mimetischen Aneignung von Kunstwerken erfolgt eine Anähnlichung an ein Außen und eine übernahme des Außen in die Welt des Imaginären. Dieser Prozess vollzieht sich auch in der anderen Richtung. Mentale Bilder werden in einem mimetischen Prozess nach außen gebracht und vergegenständlicht. Dies geschieht bei künstlerischen Werken, doch auch bei Texten und Handlungsentwürfen. Der mimetische Prozess ist ein Brückenprozess, der einerseits Außenwelt in Innenwelt verwandelt und andererseits Innenwelt in Außenwelt überführt. Im mimetischen Prozess erfolgt nicht nur eine Anähnlichung an ein Kunstwerk oder einen anderen Menschen, auf den man sich mimetisch bezieht, um durch diese Anähnlichung der zu werden, der man ist und der man werden kann. In mimetischen Prozessen wird man nicht wie der Andere, doch braucht man den Anderen, um sich in der Relation zu ihm entwickeln zu können. Im Verhältnis zwischen Kindern und Eltern spielen diese Prozesse eine zentrale Rolle. Weil Kinder erwachsen werden wollen, müssen sie zunächst wie ihre Eltern werden.
Mimetische Prozesse vollziehen sich nicht nur über Sehen und Hören. Auch Erfahrungen des Tastens, Riechens und Schmeckens werden mimetisch verarbeitet. Mimetische Prozesse tragen dazu bei, die Subjekt-Objekt-Spaltung ein Stück weit zu überwinden. Im mimetischen Prozess tritt der Mensch aus sich heraus und schmiegt sich an ein Außen an. Das geschieht oft vorbewusst und unreflektiert. Diese Annäherung und Anähnlichung an das Andere ist eine wichtige Form der Aneignung eines Außen, einer Alterität. Diese Prozesse vollziehen sich auch schon, bevor sich Denken und Sprache herausbilden. Es sind körperliche Prozesse, oft sinnliche, die sich auch schon vor der Frage, ob etwas richtig oder falsch ist, vollziehen. Mimetische Prozesse sind polyzentrisch. Menschen wissen kaum, was mit ihnen geschieht, wenn sie in einer mimetischen Beziehung sind und sich dabei etwas aneignen. Was mimetisch gelernt wird, kann sich im Laufe späterer Bezugnahmen und Impulse wieder verändern. Mimetisch erworbenes Wissen ist kein eindeutig abgrenzbares Wissen. Im mimetischen Lernen wird eine Gestalt bzw. eine Gesamtheit übernommen, die im mimetischen Prozess oft noch nicht ausdifferenziert ist.
Die Erkenntnis, dass kulturelles Lernen weitgehend mimetisches Lernen ist, geht auf Platon und Aristoteles zurück. Bereits Platon sprach davon, dass es eine mimetische Dynamik gibt, der man sich, vor allem als Kind und Jugendlicher, nicht widersetzen kann. Wir müssen andere Menschen, Bilder und Modelle nachahmen. Nach Platons Auffassung kann der (junge) Mensch der Macht des Mimetischen nicht widerstehen, sondern er unterliegt ihr. Deshalb müssen die negative Begebenheiten und Bilder aus dem Idealstaat ausgeklammert werden. Nicht sollte Homer, der lange Zeit als Lehrmeister der Griechen galt, sondern nun sollten die Philosophen die zentrale Rolle für die Erziehung der Jugend erhalten. Im Unterschied zu Homer, der auch von den Fehlhandlungen der Götter berichtete und dadurch negative Vorbilder schuf, würden die Philosophen ausschließlich als Modelle des Guten zu Vorbildern der Jugend werden. Aristoteles setzt einen anderen Akzent. Er plädiert nicht einfach für den Ausschluss des Negativen, sondern verlangt eine Auseinandersetzung mit ihm, um die Jugend gegen das Negative zu immunisieren. Trotz ihrer unterschiedlichen Sicht stimmen Platon und Aristoteles darin überein, dass der Mensch ein "mimetisches Tier" ist, das Kultur in mimetischen Prozessen lernt. Mimesis wird hier zu einem Synonym für Erziehung.
Mimetische Prozesse zielen nicht einfach darauf, eine Kopie herzustellen, wie dies ein Fotokopiergerät tut. Im mimetischen Prozess sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene aktiv. Sie beziehen sich auf ein Außen, assimilieren dieses und werden diesem ähnlich. Wenn sich Kinder z. B. mimetisch auf einen Lehrer oder eine Lehrerin beziehen, die sie sehr mögen, dann werden diese Kinder nicht wie ihr Vorbild. Doch sie brauchen dieses Vorbild, auf das sie sich beziehen können, um bestimmte Züge entwickeln zu können und sich so hervorzubringen, wie sie gerne werden möchten. Diese Erkenntnisse über die zentrale Rolle mimetischen Lernens werden heute auch durch die Forschungen von Michael Tomasello unterstützt , die zeigen, dass Kinder mit acht Monaten bereits in der Lage sind, in mimetischen Prozessen die Intentionen der Erwachsenen zu begreifen, bevor diese sich manifestieren. Nicht-menschliche Primaten sind dazu nie in der Lage. Auch die neurowissenschaftlichen Forschungen über das Spiegelneuronen-System, verdeutlichen die Bedeutung mimetischer Prozesse. In diesen Forschungen wird gezeigt, dass, wenn Menschen eine Handlung vollziehen, also wenn sie z. B. jemanden schlagen, neuronale Prozesse ablaufen, die denen ähneln, die sich bei den Zuschauern dieser Handlungen vollziehen. Wenn Menschen also eine Handlung sehe, dann reagiert ihr Gehirn so ähnlich, als ob sie diese Handlung selbst vollzögen. Wenn Menschen an sozialen Situationen teilnehmen und sehen, wie andere Menschen reagieren, dann bringt das annähernd die gleichen, nur schwächer artikulierten Prozesse hervor.
Mit vielen unterschiedlichen methodischen Zugängen lässt sich also heute zeigen, dass sich kulturelles Lernen weitgehend mimetisch vollzieht. Das haben einmal die philosophischen Reflexionen Platons und Aristoteles' gezeigt. Ebenso haben Primatenforscher deutlich machen können, dass Menschen eine von keinem nicht-menschlichen Primaten erreichte mimetische Energie haben, die schon in sehr frühem Alter wirksam wird. Sodann legen auch die Untersuchungen der Gehirnforschung nahe, dass es ein Spiegelneuronen-System gibt, das für die neuronale ähnlichkeit zwischen dem Handeln und der Wahrnehmung des Handelns anderer Menschen verantwortlich ist. Schließlich bestätigen auch die von Wulf durchgeführten ethnographischen Untersuchungen die zentrale Bedeutung mimetischer Prozesse in Erziehung, Bildung und Sozialisation.
Imagination: Wulfs Forschungen zeigen: Mimetische Prozesse werden durch Imagination ermöglicht. Die Imagination ist eine conditio humana. Ohne sie kann der Mensch weder phylogenetisch noch ontogenetisch zum Menschen werden. In einem Rückgriff auf die griechische Antike lässt sich Imagination bzw. Fantasie als die Kraft beschreiben, die die Welt den Menschen zur Erscheinung bringt. "Zur Erscheinung bringen" bedeutet zum einen, die Welt erscheint den Menschen in einer durch die Bedingungen des Menschseins gegebenen Art und Weise und wird entsprechend wahrgenommen. Zum anderen bedeutet es, mithilfe mentaler Bilder die Welt zu entwerfen und sie nach diesen Entwürfen zu schaffen. Die Imagination ist die Energie, die die Menschen mit der Welt und die Welt mit den Menschen verbindet. Sie hat eine Brückenfunktion zwischen außen und innen und zwischen innen und außen. Sie ist chiastisch und entfaltet ihre Bedeutung in dieser Funktion. Im römischen Denken wird die Fantasie zur Imagination. Dieser Begriff bringt ein weiteres Merkmal der Imagination zum Ausdruck: die Verwandlung der Außenwelt in Bilder und ihre Transformierung in eine "mentale" Bilderwelt. In die deutsche Sprache wird Imagination von Paracelsus mit dem Wort "Einbildungskraft" übersetzt, d. h. als Energie, die die Welt in den Menschen einbildet und dadurch seine Vorstellungen "welthaltig" macht. Ohne diese Möglichkeit gäbe es keine menschliche Kulturwelt, kein Imaginäres und keine Sprache.
Ohne Imagination gäbe es keine Erinnerungen und keine Projektionen von Zukünftigem. Die Imagination ist die Fähigkeit, sich einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart im Imaginären vorzustellen. Die Diskussion über Imagination hat deutlich gemacht, dass Imagination mehr als die Fähigkeit ist, Abwesendes in die Gegenwart zu bringen und sich die Welt einzubilden. Nicht weniger wichtig ist die Möglichkeit der Imagination, vorhandene Ordnungen umzustrukturieren und Neues zu erzeugen. Imagination erlaubt es, Dinge zu erfinden und Kreativität zu entfalten. Unbeantwortet ist nach wie vor die Frage, inwieweit die Imagination bei der Erzeugung ihrer Werke an die Voraussetzungen der Natur bzw. der Kultur gebunden ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich Künstler wie die natura naturans, also wie die Schöpfungskraft der Natur verhalten, ist damit noch nicht geklärt, wie Originalität, Kreativität und Neuheit entstehen. Die Kreativität der Imagination basiert auf dem Akt der inventio, der zwischen actio und passio oszilliert und der in das Subjekt verlagert wird.
Die Imagination zeigt sich nicht nur in Bildern, wie es die Etymologie des Begriffes nahelegt. Sie ist nicht weniger wichtig für die Wahrnehmung und die Produktion von Tönen und Klängen. Auch die Nahsinne Geruch, Geschmack und Tasten und der Bewegungssinn sind auf die Imagination angewiesen. Entsprechendes gilt für die Synästhesie und den sensus communis. Es lassen sich drei Arten von Bildern unterscheiden: 1) das Bild als magische Präsenz, 2) das Bild als mimetische Repräsentation und 3) das Bild als technische Simulation.
Eine andere Perspektive fokussiert mentale Bilder, in denen die menschliche Imagination sichtbar wird. Die mentale Bilderwelt eines sozialen Subjekts ist zum einen bedingt durch das kollektive Imaginäre seiner Kultur, zum anderen durch die Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit der aus seiner individuellen Geschichte stammenden Bilder, und schließlich durch die wechselseitige überlagerung und Durchdringung beider Bilderwelten. Hier lassen sich in heuristischer Absicht sieben Arten von Bildern unterscheiden: Bilder als Verhaltensregler, Orientierungsbilder, Wunschbilder, Willensbilder, Erinnerungsbilder, mimetische Bilder und archetypische Bilder.
Ein weiterer, mit der Imagination verbundener Aspekt der Bilder und des Sehens ist wichtig. Bilder der Präsenz, der Repräsentation, der Simulation und viele mentale Bilder entstehen erst dadurch, dass sie oder die ihnen zugrunde liegenden Figurationen angeblickt werden. Doch was heißt anblicken? Blicke können sehr unterschiedlich sein. Sie können bescheiden, gütig, unschuldig, böse, zornig usw. sein. Blicke sind eng mit der Geschichte der Subjektivität und des Wissens verbunden. In ihnen drücken sich Macht, Kontrolle und Selbstkontrolle aus. In ihnen zeigen sich das Verhältnis zur Welt, zu anderen Menschen und das Selbstverhältnis. Die Blicke des Anderen konstituieren das Soziale. Intime Blicke lassen sich von öffentlichen Blicken unterscheiden. Sie sind nicht nur individuell, sondern auch sozial und an das kollektive Imaginäre und die sich in ihm artikulierenden Menschenbilder gebunden. Weder als Flamme, die die Welt erst sichtbar macht, noch als Spiegel, der sie nur aufnimmt und reflektiert, ist der Blick angemessen beschrieben. Der Blick ist sowohl aktiv als auch passiv; er richtet sich auf die Welt und empfängt sie zugleich. Wie dieses Verhältnis zwischen Aktivität und Passivität bestimmt wird, ist in der Geschichte des Sehens unterschiedlich gedeutet worden. Spätestens seit den Arbeiten von Merleau-Ponty muss man davon ausgehen, dass die Welt und damit auch die von den Menschen geschaffenen Bilder uns anblicken. Der Blick ist chiastisch, in ihm kreuzen sich Welt und Mensch. Der Blick ist spontan und nicht dauerhaft. Er macht die Dinge sichtbar und ist zugleich Ausdruck des Menschen.
Emotionen: Im Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft als principal investigator im Exzellenzcluster "Languages of Emotion" hat sich Wulf in den letzten Jahren verstärkt der Erforschung von Emotionen zugewendet. Dabei ging es ihm vor allem darum, den historischen und kulturellen Charakter von Emotionen innerhalb eines weiten Spektrums von Emotionen zu erforschen. So entstanden explorative Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen: Emotionen und Bewegung, Emotion und Gedächtnis, Emotion und Ritualen, Emotionen und Imagination: Es entstanden Studien über das Glück der Familie in Deutschland und Japan, über Emotionen in der muslimischen Welt, über die Bildung der Gefühle und Emotionen. Schließlich wurde eine ethnographische Untersuchung über Anerkennung und Wertschätzung in der Schule durchgeführt.
Im Einzelnen entstanden folgende Studien:
- Emotionen als Bewegung, mit Valerij Savchuk, Goulnara Kaidarova und russischen Kollegen von der Staatlichen Universität in Sankt Petersburg;
- Emotionen und Erinnerung, mit Chen Pan Lu und Kolleginnen und Kollegen von der Peking-Universität in Beijing;
- Emotionen in Ritualen, mit Axel Michaels und indischen Kollegen in Goa;
- Emotion und Imagination, mit Norval Baitello und lateinamerikanischen Kollegen und Kollegen in São Paulo;
- Das Glück der Familie. Ethnographische Studien in Deutschland und Japan;
- Emotionen in einer transkulturellen Welt, vor allem Emotionen in der arabischen und in der europäischen Kultur in Beirut;
- Die Bildung der Gefühle, mit Ute Frevert (Max-Planck- Institut für Bildungsforschung);
- Emotionen, Themenheft der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft;
- Anerkennung und Wertschätzung in Erziehung, Bildung und Sozialisation. Eine ethnographische Studie in Berlin (2008-2011).
In diesem Zusammenhang sind weitere Untersuchungen z.B. über Emotionen im Zusammenhang mit Weisheit in Arbeit.
Einen weiteren Schwerpunkt der Forschungen im Bereich kultureller Diversität bildet das vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanzierte Projekt "Passage to India - Passage to Europe", in dem in der Kooperation zwischen insgesamt 40 indischen und deutschen Doktoranden und Doktorandinnen ein Buch über Erfahrungen und Forschungen im jeweils anderen Land erarbeitet wird.
Wirkung
Christoph Wulf ist einer der bekanntesten deutschen Erziehungswissenschaftler und Anthropologen. Seine Bücher wurden in 15, seine Werke in 20 Sprachen übersetzt. Er gründete 1972 die Peace Education Commission der International Peace Research Association, deren erster Sekretär er war, und später die Kommissionen Bildungsforschung mit der Dritten Welt und Pädagogische Anthropologie der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Unter anderem ist bzw. war er Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, des Council der International Peace Research Association, des wissenschaftlichen Beirats des Funkkollegs Beratung in der Erziehung, der wissenschaftlichen Beratergruppe Gesamtschulversuch in Nordrheinwestfalen, Präsident des Network Educational Science Amsterdam, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Institut National de Recherche Pédagogique (Paris/Lyon) und des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (Wien) sowie des Internationalen
Beirats des Cluster of Excellence "Asia and Europe in a Global Perspective"
der Universität Heidelberg, des University of Strasbourg, Institute for
Advanced Study. Er ist Herausgeber, Redaktions- und Beiratsmitglied zahlreicher nationaler und internationaler Zeitschriften. Für seine anthropologischen Forschungen verlieh ihm die Universität Bucharest den Titel "professor honoris causa". Aufgrund der globalen Bedeutung seiner anthropologischen Studien wurde er zu Forschungsaufenthalten und Gastprofessuren in viele Teile der Welt eingeladen, u.a. nach: Stanford; Tokyo, Kyoto; Beijing; Mysore, Delhi; Paris (Diderot, Nanterre, Vincennes-Saint-Denis, Institut de France, Conservatoire National des Arts et Métiers, École des Hautes Études en Sciences Sociales), Lille, Strasbourg; Modena; Amsterdam; Stockholm; Kopenhagen; London; Saint Petersburg, Kazan. 2008 wurde er zum Vizepräsident der Deutschen UNESCO Kommission gewählt. Er ist Mitglied des Nationalkomitees Bildung für nachhaltige Entwicklung und des Expertenkreises Inklusive Bildung sowie des Kuratoriums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
Vita
Christoph Wulf wuchs in einem Pfarrhaus in Berlin-Britz auf. Sein Abitur
bestand er am Gymnasium Steglitz. Er begann sein Studium mit den Fächern Geschichte,
Erziehungswissenschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin,
das er 1968 mit dem Magisterexamen abschloss. Während seines Studiums war er als studentische Hilfskraft
für Johannes Flügge tätig. Ein Stipendium der VW-Stiftung brachte ihn 1969 nach Marburg, wo er bei
Wolfgang Klafki promovierte. Dort traf er in einem Oberseminar seinen späteren Freund und Berliner
Kollegen Dietmar Kamper. Nach einer Informationsreise durch die USA als Gast des US Office of Education
verbrachte er ein Jahr mit Recherchen für seine Dissertation an den Universitäten von Stanford,
Los Angeles, Boulder und New York. Von 1970 bis 1975 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am von
Walter Schulze geleiteten Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt
am Main. Im Jahr 1973 erfolgte die Promotion zum Dr. phil., bereits zwei Jahre später habilitierte
sich Christoph Wulf im Fach Erziehungswissenschaft. Seit 1975 hatte Christoph Wulf eine ordentliche
Professur für Erziehungswissenschaft an der Universität Siegen inne. Seit 1980 ist Christoph Wulf
Professor für Anthropologie und Erziehung am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie
der Freien Universität Berlin.
Ausgewählte Schriften
Link zu den aktuellen Hauptpublikationen
Aktuellen Hauptpublikationen
Zum Einstieg
- Der Mensch in der globalisierten Welt. Anthropologische Reflexionen zum Verständnis unserer Zeit. Christoph Wulf im Gespräch mit Gabriele Weigand. Münster 2011.
Monographien
- Anthropology. A Continental Perspective. Chicago: University of Chicago Press, 2013.
- Anthropologie. Geschichte-Kultur-Philosophie. Köln, 2009 (neu bearb. 2. Auflage; erste Auflage Reinbek 2004).
- Une anthropologie historique et culturelle: Rituels, mimesis sociale et performativité. Paris, 2007.
- Anthropologie kultureller Vielfalt. Interkulturelle Bildung in Zeiten der Globalisierung. Bielefeld, 2006.
- Zur Genese des Sozialen. Mimesis, Performativität, Ritual. Bielefeld, 2005.
- mit Gunter Gebauer: Mimetische Weltzugänge. Stuttgart, 2003.
- Anthropologie der Erziehung. Eine Einführung. Weinheim, 2001.
- mit Gunter Gebauer: Spiel, Ritual, Geste. Mimetisches Handeln in der sozialen Welt. Reinbek, 1998.
- mit Gunter Gebauer: Mimesis - Culture - Art and Society. Berkeley, 1995.
- Theorien und Konzepte der Erziehungswissenschaft. München, 7. Aufl. 1993.
- mit Gunter Gebauer: Mimesis - Kultur - Kunst - Gesellschaft. Rowohlts Enzyklopädie. Reinbek, 1992.
- mit Dietmar Kamper: Im Schatten der Milchstraße. Tübingen, 1981.
- mit Jürgen Dietrich: Gesamtschulalltag. Die Fallstudie Kierspe. Paderborn, 1979.
- Das politisch-sozialwissenschaftliche Curriculum. München, 1973.
Projektbände
- mit Shoko Suzuki/Jörg Zirfas/Ingrid Kellermann /Yoshitaka Inoue /Fumio Ono /Nanae Takenaka: Das Glück der Familie. Ethnographische Studien in Deutschland und Japan, 2011.
- mit Birgit Althans, Kathrin Audehm, Gerald Blaschke, Nino Ferrin, Ingrid Kellermann, Ruprecht Mattig, Sebastian Schinkel: Die Geste in Erziehung, Bildung und Sozialisation. Ethnographische Feldstudien. Wiesbaden, 2011.
- mit Birgit Althans, Kathrin Audehm, Constanze Bausch, Michael Göhlich, Stephan Sting, Anja Tervooren, Monika Wagner-Willi, Jörg Zirfas: Ritual and Identity. The Staging and Performing of Rituals in the Lives of Young People. London, 2010.
- mit Althans, Birgit. Unter Mitarbeit von Julia Foltys, Martina Fuchs, Sigrid Klasen, Juliane Lamprecht, Dorothea Tegethoff: Geburt in Familie, Klinik und Medien. Eine qualitative Untersuchung. Opladen, 2008.
- mit Althans, B., Blaschke, G., Ferrin, N., Göhlich, M., Jörissen, B., Mattig, R., Nentwig-Gesemann, I., Schinkel, S., Tervooren, A., Wagner-Willi, M.: Lernkulturen im Umbruch. Rituelle Praktiken in Schule, Medien, Familie und Jugend. Wiesbaden, 2007.
- mit Birgit Althans, Kathrin Audehm, Constanze Bausch, Benjamin Jörissen, Michael Göhlich, Ruprecht Mattig, Anja Tervooren, Monika Wagner-Willi, Jörg Zirfas: Bildung im Ritual: Schule, Familie, Jugend, Medien. Wiesbaden, 2004.
- mit Birgit Althans, Kathrin Audehm, Constanze Bausch, Michael Göhlich, Stephan Sting, Anja Tervooren, Monika Wagner-Willi, Jörg Zirfas: Das Soziale als Ritual. Zur performativen Bildung von Gemeinschaften. Opladen 2001.
- Birgit Althans, Kathrin Audehm, Constanze Bausch, Benjamin Jörissen, Michael Göhlich, Stephan Sting, Anja Tervooren, Monika Wagner-Willi, Jörg Zirfas: Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln. München, 2001.
Herausgaben (Auswahl)
- mit Jörg Zirfas: Handbuch Pädagogische Anthropologie. Wiesbaden, 2013.
- mit Axel Michaels: Emotions in Rituals and Performances. London, 2012.
- mit Michalis Kontopodis und Bernd Fichtner: Children, Development and Education: Cultural, Historical, Anthropological Perspectives. Dordrecht, 2011.
- mit Jacques Poulain und Fathi Triki: Emotionen in einer transkulturellen Welt. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 20 (2011) 2.
- Der Mensch und seine Kultur. Hundert Beiträge zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft des menschlichen Lebens. Köln, 2010 (Erstauflage 1997).
- mit Bernd Hüppauf: Dynamics and Performativity of Imagination. The Image between the Visible and the Invisible. London, 2009.
- mit Christina von Braun: Mythen des Blutes. Frankfurt/Main, 2007.
- mit Gabriele Brandtstetter: Tanz als Anthropologie. München, 2007.
- mit Jörg Zirfas: Die Pädagogik des Performativen: Theorien, Methoden, Perspektiven. Weinheim, 2007.
- mit Gerd Jüttemann und Michael Sonntag: Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland. Göttingen, 2005.
- mit Ludger Schwarte: Körper und Recht. Anthropologische Dimensionen der Rechtsphilosophie. München, 2003.
- mit Dietmar Kamper: Logik und Leidenschaft. Berlin, 2002.
- mit Dietmar Kamper: Die Wiederkehr des Körpers. Frankfurt/Main, 1982 (mehrere Auflagen).
- Wörterbuch der Erziehung. München, 1974, 7. Aufl. 2089 (44-47 Tausend).
- Kritische Friedenserziehung. Frankfurt/Main, 1973 (mehrere Auflagen).
- Evaluation. München, 1972.
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