Am Strand Eine Annäherung an geographische Fragestellungen und Definitionen Was gibt eigentlich den Anlass, sich mit der Beschaffenheit der Oberfläche unseres Planeten
in Form einer eigenen wissenschaftlichen Disziplin auseinander zu setzen - und vor allem: Warum kann dabei die
Beschränkung auf die Geographie der durch Menschen hervorgebrachten Strukturen und Prozesse interessant
oder gar spannend sein? Die Erde war ursprünglich, d.h. vor etwa 4,5 Mrd. Jahren, geschmolzenes Magma; dann kühlte sie
allmählich ab und entwickelte eine feste Kruste mit Spalten, aus denen dann Lava und gefangene Gase
an die Oberfläche drangen und die erste primitive Athmosphäre bildeten. Darin kondensierte
Wasserdampf, stieg auf und fiel als Regen nieder, der schließlich tiefer gelegene Bereiche der
jungen Erdoberfläche mit Ozeanen bedeckte. Das Temperaturniveau, das die Entstehung von Ozeanen
ermöglichte, war nach neueren Daten vor etwa 4,4 Mrd. Jahren erreicht. |
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Der folgende Teil der Einleitung entstand in enger Anlehnung an den Prolog in Peter Haggetts
Lehrbuch "Geographie - Eine moderne Synthese".
Abb.1, Quelle: Internet... |
Was hat ein Foto von badenden Menschen an einem Meeresstrand mit Geographie zu tun? Es erscheint doch zumindest fraglich, hier einen guten Ansatz für die Beschäftigung mit der Geographie der Menschen finden zu können? Nun, allein eine wirklich präzise Beschreibung der Strandszenerie liefert tatsächlich eine Fülle von Anhaltspunkten für geographische Fragestellungen:
In einem ersten Schritt müßte man fragen, wie eigentlich der Strand
individuell wahrgenommen wird und wie im Unterschied dazu eine "wissenschaftliche"
Wahrnehmung des Strandes aussehen könnte. Nach der
Wahrnehmung selbst folgt eine erste Analyse des
Wahrgenommenen.
Sowohl die Eigenschaften dieses Strandes sind nicht unveränderlich, wie auch die Nutzer des
Strandes weder gleichmäßig, noch dauerhaft über die Fläche verteilt sind. Weitere Erkenntnisse
über die Eigenschaften dieses Standortes kämen hinzu, wenn der Strand
über einen längeren Zeitraum von einem erhöhten Standpunkt aus beobachtet
würde. Sie können sich einen Zeitablauf an einem Meeresstrand in Form
eines kleinen Videos anschauen: MPEG (MPEG I,
universell, 193 kb)
Die folgenden Kartenskizzen (Abb. 2 bis 5) verdeutlichen ebenfalls die interessierenden Prozesse: |
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Abb. 2 |
Abb. 3 |
Man erkennt Veränderungen in der Dichte der "Strandbevölkerung" (Strandgäste je Flächeneinheit) und in ihrer räumlichen Verteilung. Beide Veränderungsvorgänge haben offensichtlich etwas mit der Tageszeit und den unterschiedlichen Eigenschaften an verschiedenen Standorten der betrachteten Region "Strand" zu tun. |
Die Verteilung der Strandnutzer und die Veränderungen der Nutzung im
Tagesverlauf sind aus der Vogelperspektive und in der dargestellten, vereinfachten
Form gut zu erkennen.
Wie aber kann man die räumliche Verteilung der Strandbevölkerung und die Veränderung am besten messen und darstellen? |
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Abb. 4 |
Abb. 5 |
Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur Messung eines Merkmals in der Fläche, von denen die Verwendung eines Zählrasters häufig die günstigste darstellt, obwohl sie bei einer überschaubaren Anzahl von Raumeinheiten und einer derart kleinen Grundgesamtheit (d.h. Gesamtzahl der zu betrachtenden Untersuchungsobjekte) sicherlich entbehrlich wäre.
Abb. 6 |
Abb. 7 |
Nachdem ein Zählraster (Abb. 6) über die zu untersuchende Region gelegt ist (z.B. ein Gitternetz mit einer Kantenlänge von 10 m), kann man in einem ersten Schritt die Anzahl der in jeder Zähleinheit vorhandenen Personen erfassen (Abb. 7). Bei einer geringen Zahl von Zähleinheiten (wie im vorliegenden Fall), lassen sich die Ergebnisse dieser Bevölkerungsdichtemessung noch gut überblicken. Bei einer steigenden Zahl von Untersuchungseinheiten ist es jedoch erforderlich, die gewonnene Information weiter aufzubereiten. Hier soll eine Darstellung in Form einer |
Abb. 9 |
Neben der Darstellung in Form einer absoluten Verteilung kann eine Darstellung in Bezug auf einen Referenzwert sinnvoll sein. Als Beispiel für einen Referenzwert ist hier die Verteilung im Bezug auf das arithmetische Mittel dargestellt worden:
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In einem weiteren Schritt muß nun nach einer Erklärung für die beobachteten räumlichen Verteilungsvorgänge gesucht und müssen Vermutungen über die zugrundeliegenden Verteilungsmechanismen geäußert werden. Was könnte dafür verantwortlich sein, daß die Strandbesucher sich in zwei Teilräumen konzentrieren und was steuert den Ablauf der Verteilung im Raum? Diese Fragen sind Beispiele für typische geographische Fragestellungen.
In einem wissenschaftlichen Forschungsprozeß folgt nach der Bestimmung
eines Untersuchungsgegenstandes - in unserem Beispiel also der Formulierung einer
Frage - die Formulierung einer Hypothese, d.h. die Beschreibung einer vermuteten
Antwort. Eine solche Hypothese könnte lauten:
Es gibt Umweltmerkmale, die dazu beitragen, daß die Strandbesucher sich in
bestimmten Strandregionen konzentrieren und andere meiden.
Zweifellos ist es so, daß sich die Besucher bei der Standortwahl zum Wasser
hin orientieren. Weiterhin ist ersichtlich, daß ein Zugang zum Strand nur an
einer einzigen Stelle zwischen den Dünen von der Straße her möglich
ist. Bei der Suche nach weiteren Umweltmerkmalen des Strandes und ihrer
räumlichen Verteilung läßt sich eine Fülle von weiteren
möglichen erklärenden Variablen ausmachen. Um den Einfluß
potentieller erklärender Variablen auf den Untersuchungsgegenstand
Bevölkerungsverteilung messen zu können, muß man die
räumliche Verteilung dieser Variablen mit der räumlichen Verteilung der
Bevölkerung vergleichen. Eine derartige Untersuchung, ein Vergleich der
räumlichen Verteilung zweier Variablen (hier z.B. Bevölkerungsverteilung
und Umwelteigenschaften) wird als Untersuchung auf räumliche Kovarianz
bezeichnet. Hierzu wird ein paarweiser Vergleich der Verteilungen, also z.B. ein
Vergleich zweier Verbreitungskarten vorgenommen.
Man erkennt, daß das Merkmal Verschmutzung
(z.B. Picknickabfälle vom Vortag) bereits einen großen Teil der
Verteilung von Strandbesuchern erklären kann (Abb. 10). [Genau genommen verhält sich die Varianz der Umwelteigenschaften sehr ähnlich wie die Varianz der Besucherverteilung]. Es muß jedoch offensichtlich weitere erklärende Merkmale geben. Eine weitere Immissionsbelastung, nämlich der Straßenlärm, könnte zur Erklärung der eingetretenen Bevölkerungsverteilung beitragen. Man erkennt auf Abb. 11 eine (exponentielle) Abnahme des Schalldrucks mit zunehmender Entfernung von der Straße: Je geringer die durchschnittliche Lärmbelastung, desto höher ist die 'Bevölkerungsdichte' am Strand. |
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Abb. 10 | ||
Schließlich wird die räumliche Bevölkerungsverteilung noch durch die Ausstattung des Strandes mit 'gastronomischer Infrastruktur' tangiert, wie Abb. 12 zeigt. Rund um die Eisstände scharen sich (an einem heißen Sommertag) die Badegäste, während in der Nähe des Imbißstandes (mit seinen dauernden Ausdünstungen) niemand sein Lager aufgeschlagen hat. | ||
Abb. 11 | Abb. 12 |
Neben den hier bereits dargestellten unmittelbar meßbaren absoluten Raumeigenschaften treten jedoch noch weitere hinzu, die wir zusätzlich in die Suche nach möglichen Erklärungsmustern einbeziehen müssen. Die relative Lage der Badegäste zueinander läßt sich einerseits für die Messung der Verteilung im Bezug auf einen Referenzpunkt (den Standort eines bestimmten Strandbesuchers) verwenden, andererseits stellt sie auch ein erklärendes Merkmal für die Verteilung der Badegäste zueinander dar.
Man kann die relative Lage der Badegäste zueinander beschreiben, indem ausgehend von einem Badegast die Distanz zum nächsten, zum übernächsten etc. gemessen und ausgewertet wird - auch dies eine typische geographische Methode zur Bestimmung und Erklärung von räumlichen Verteilungen.
Menschen haben - wie die meisten Tiere - ein ausgeprägtes Territorialverhalten, welches dazu führt, daß die mittlere Distanz, die Personen zueinander einnehmen (allerdings in Abhängigkeit vom jeweiligen Kulturkreis) etwas über ihre Beziehung zueinander aussagt: Fremde werden i.a. größere Distanzen zueinander einhalten als Verwandte oder Freunde, die Distanzen zwischen unterschiedlichen Altersgruppen werden erfahrungsgemäß größer sein als die Distanzen zwischen Angehörigen der gleichen Altersgruppe usw. | Abb.13 (Quelle: HAGGETT, 1991) |
Für die Erklärung der Verteilung der Badegäste an unserem fiktiven Strand bedeutet dies nun, daß sich mehrere Verteilungsmechanismen überlagern:
Sie versuchen also z.B. möglichst nah am Wasser und möglichst weit weg von der Straße, außerhalb des verschmutzten Bereiches, möglichst weit weg von "Fremden" und gleichzeitig möglichst nah bei Freunden/Verwandten einen Platz zu finden. Das "beanspruchte Territorium" wird dabei um so größer sein, je geringer die bereits vorhandene Bevölkerungsdichte ist (zeigt also eine Abhängigkeit von der Tageszeit), die Ansprüche werden um so mehr zurückgeschraubt, je stärker die optimalen Standorte bereits durch andere Gäste belegt sind
Alle bisher gewonnenen Erkenntnisse lassen sich anwenden auf das Modell
Strand. Mit dem Wechsel des Betrachtungsmaßstabes müßten jedoch unsere
Untersuchungs- und Darstellungsmethoden verändern werden. Doch nicht nur der räumliche
Maßstab spielt für die gewonnenen Erkenntnisse eine Rolle, sondern auch der zeitliche.
Betrachtet man ein und dieselbe Untersuchungsregion über einen längeren
Zeitraum, werden weitere Raumeigenschaften sichtbar.
Eine Analyse der Bevölkerungsdichte des Strandes über einen Zeitraum von beispielsweise 100 Jahren zeigt eine stetige, immer stärkere Zunahme der Badegäste am beobachteten Strand. Dies könnte auf eine immer bessere Erschließung dieses Strandes für die Besucher, aber auch auf ein verändertes Freizeitverhalten der Menschen zurückzuführen sein. |
Abb.14, (Quelle: Haggett, 1991, verändert) |
Abb.15, (Quelle: Haggett, 1991, verändert) |
Betrachtet man die Bevölkerungsdichte des Strandes im Verlauf eines Jahres läßt sich ein typischer saisonaler Verlauf der Strandnutzung erkennen. In den Monaten Mai bis September liegt die durchschnittliche Besucherfrequenz erheblich über dem Wert für die übrigen Monate. Gleichzeitig könnten wir Aussagen über die Lage unseres Strandes immerhin soweit präzisieren, daß er auf der Nordhalbkugel zu liegen scheint. |
Über den Zeitraum einer Woche betrachtet, fällt dagegen die Zunahme der Strandnutzung am Wochenende besonders ins Auge, die uns Vermutungen z.B. über die vorherrschende gesellschaftliche Organisationsform anstellen ließe. |
Abb.16, (Quelle: Haggett, 1991, verändert) |
Abb.17, (Quelle: Haggett, 1991, verändert) |
Wird der Strand jedoch über einen wesentlich kürzeren Zeitraum - beispielsweise eine Stunde - betrachtet, sind kaum noch Veränderungen in der Dichte der Nutzer erkennbar. |
Dieses Beispiel zeigt, daß eine mögliche Beobachtung (hier: Dynamik einer Merkmalsausprägung) auch abhängig vom zeitlichen Maßstab sein kann und damit die möglichen Hypothesen und Analysen von diesem Maßstab abhängen. Nur mit der Kenntnis des Betrachtungsmaßstabes lassen sich also Hypothesen über bestehende Zusammenhänge aufstellen und testen.
Vergleicht man die Trends der Bevölkerungsdichte in den Abbildungen 14 - 17, wird deutlich, daß man auf der Basis des jeweiligen zeitlichen Untersuchungsmaßstabes zu völlig unterschiedlichen Prognosen kommen müßte: Die beobachteten Trends sind Funktionen des Zeitmaßstabes.
Selbstverständlich sind solche Untersuchungsergebnisse ebenfalls sehr stark abhängig vom räumlichen Betrachtungsmaßstab. Gewöhnlich werden in der Geographie drei Kategorien von Betrachtungs-/Untersuchungsmaßstäben unterschieden:
Das in Haggetts Lehrbuch und in diesem Skript verwendete Beispiel eines Meeresstrandes für eine Einführung in Fragestellungen der Humangeographie weist gegenüber anderen möglichen Ausschnitten der Wirklichkeit einige Vereinfachungen auf. Es zeigt beispielhaft einige einfache Zusammenhänge, die sich auch in komplexeren Beispielen von Mensch-Umwelt-Beziehungen finden lassen. Das Strandbeispiel ist damit ein Modell der darzustellenden Wirklichkeit. Doch was ist ein Modell?
"Ein Modell ist eine idealisierte Darstellung (Repräsentation) der Wirklichkeit und wird gebildet, um bestimmte Eigenschaften von ihr aufzuzeigen." (Haggett, 19912:52). Eine wesentliche Eigenschaft ist dabei die Vereinfachung, die es häufig überhaupt erst ermöglicht, eine zu analysierende Situation zu überschauen und zu begreifen. Der Vorgang der Modellbildung selbst ist dabei eine "typisch menschliche" Herangehensweise. Da das menschliche Gehirn nur eine begrenzte Verarbeitungs- und Speicherkapazität aufweist, werden die meisten (alltäglichen) Entscheidungen auf der Basis bereits gemachter Erfahrungen oder durch das Weglassen von Unwesentlichem - durch Vereinfachungen also - getroffen. Fehlt die Erfahrung oder erfordern anscheinend bekannte Situationen Lösungen, die sich von bereits bekannten Lösungsschemata stark unterscheiden, neigen Menschen - insbesondere in Streßsituationen oder in beim Vorliegen komplexer Zusammenhänge - zu Fehlentscheidungen (vgl. RIEDL, R., 1980, DÖRNER, G., 1992). Die Modellbildung hilft daher, sich auf die wesentlichen Eigenschaften der Untersuchungssituation zu beschränken und Zusammenhänge leichter zu erkennen. Auch Karten, wie die in Abbildung 8 dargestellte, sind Modelle, doch werden in der Geographie nicht nur Karten, sondern häufig auch mathematische Modelle für die Erklärung von (Wirkungs)Zusammenhängen eingesetzt, wie z.B. zur Erklärung und Prognose von Bevölkerungsentwicklungen.
Modelle dienen uns jedoch nicht nur dazu, die Wirklichkeit zu repräsentieren, sondern auch dazu, m.o.w. zeitgleich Arbeitshypothesen für das Verstehen einer Situation zu entwickeln. Eine ausschließlich verkleinerte Abbildung der Realität - wie das Foto in Abb.1 - bezeichnet man als ikonisches (bildhaftes) Modell. Ein Analogmodell, wie z.B. die Abb. 3, beinhaltet bereits eine weitergehende Abstraktion. Hier ist der Strand und sind die Strandbesucher durch Symbole bzw. Begrenzungslinien repräsentiert. In einem Symbolmodell wird die Wirklichkeit noch weiter abstrahiert. Eine Choroplethenkarte wie in Abb.8 oder typische thematische Karten in Atlanten sind gute Beispiele für Symbolmodelle. Symbolmodelle sind bereits so weit von der Wirklichkeit entfernt, daß man aus Eigenschaften des Modells nicht mehr direkt auf Eigenschaften der Realität schließen kann, wie weiter vorne erläutert. |
Abb.18 (Quelle: Haggett, 1991, verändert) |
Nachdem in diesem Kapitel einige "typisch geographische" Betrachtungsweisen der Welt
skizziert wurden, sollen in den folgenden Kapiteln einige der - aus Sicht der Autoren - wesentlichen
Themenbereiche der Humangeographie ausführlicher diskutiert werden.
In den weiteren Kapiteln wird häufiger auf diese Einleitung zurückverwiesen bzw. aufgrund der spezifischen
Möglichkeiten des gewählten Mediums "Hypertext" dahin verbunden. Doch auch
wenn solche direkten Verbindungen innerhalb dieses Skripts eine möglicherweise bequemere Art
der Auseinandersetzung mit Humangeographie erlaubt, sollten auch die "klassischen links" zur
Literatur nicht unbeachtet bleiben (Wenn Sie noch nie mit einer Bibliothek gearbeitet haben, wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt, dies nachzuholen).
[cb]
Literatur zu diesem Kapitel (bzw. das Original des Beispiels):
HAGGETT, P. (19912):
Geographie - Eine moderne Synthese. Stuttgart.