Die Kopie ist gegenüber dem Original etwas vergrössert, auch in der Aussage leicht verändert. Die Mutter-Kind-Beziehung ist wohl noch um eine Nuance inniger gestaltet als bei Cranach. In der Passauer Überlieferung gilt der Hofmaler Pius als Schöpfer jendes Gemäldes für den Domdekan. Allerdings taucht dieser Pius erst in der Lokal-Historiographie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die echte Historizität des Kopisten zu ermitteln, scheint wegen der Vernichtung der Archivalien beim grossen Stadtbrand von 1662 ein hoffnungsloses Unterfangen.
Die stilkritische Untersuchung zeigt, dass das Cranachsche Gemälde keinen originären schöpferischen Wurf darstellt. Es ist erwachsen aus einer Bildtradition, die innerhalb der abendländischen Kirche eine lange Geschichte besass. Cranach hat nicht weniger als 120 Marienbilder gemalt, den Mariahilf-Typ aber nur ein einziges Mal. Und in diesem greift er ein Thema auf, das zum allgemein verbreiteten Bildbestand des Mittelalters und der frühen Neuzeit gehört. Unser Cranach-Bild bewegt sich in der Tradition der Ikonen der Ostkirche und der sogenannten Lukas-Bilder der römischen Kirche. Die seit dem Konzil von Ephesus (431) geforderte obligatorische Abbildung der Muttergottes in Verbindung mit ihrem Sohn hatte zu einer Reihe von ikonographischen Typen geführt, die in geringen Abwandlungen bis in die Zeit Cranachs weitergereicht wurden. Dabei wurde jedem der Bildtypen eine theologische Aussage eingebunden. Hinter dem Cranachschen Gemälde steht der Typ der Elëusa, bei der das Kind seine Wange an die der Mutter schmiegt.
Ikonographisch ist das Gemälde als sitzende Elëusa anzusprechen. Doch scheint diese Darstellung durch den stützenden Gestus der linken Hand der Mutter gewandelt, der dem Kind eine das Standmotiv auflockernde und eine fast sitzende Haltung erlaubt, wodurch das Grundthema der Darstellung, die Zärtlichkeit und Zuneigung zwischen Mutter und Kind deutlich zur Handlung gesteigert, aber ohne Bewegtheit dargestellt wird. Diese Abwandlung der Elëusa geht auf eine in Byzanz und Italien seit dem 13. Jahrhundert greifbare Variation der Elëusa zurück. Bei dieser sind als wesentliche Ergänzung neben der geänderten Körperhaltung die frei bewegten Beine des Kindes und der liebkosende Gestus seiner linken Hand am Kinn der Mutter anzusehen.
Die Orientierung Cranachs am Ikonentyp und die Übernahme von dessen Aussage sind noch sehr deutlich: Christus in der Gestalt eines Kindes wendet sich Schutz suchend Maria zu und streckt seine Hände nach Hals und Kinn der Mutter aus. Diese umfasst zwar ihrerseits mit beiden Händen das Kind, blickt aber - im Vorwegwissen von dessen künftigem Leid und der eigenen Hilflosigkeit - mit ernstem Gesicht über den Knaben hinweg auf den Betrachter. So wird das Jesuskind zu einem Sinnbild der hilfesuchenden Menschheit, der - wie Christus - Leid und Tod vorausbestimmt sind. Maria aber nimmt mit dem Jesusknaben jeden einzelnen Gläubigen, der des himmlichen Schutzes bedarf, in ihre mütterlichen Arme.
Insoweit bleibt Cranach seinen Vorlagen durchaus verpflichtet, doch bereichert er den vorgefundenen Typus mit einer eigenen spezifischen neuen Aussage. Während bei den Ikonen der Dualismus Göttesgebärerin - Gottessohn deutlich hervortritt, betont Cranach die menschliche Seite des Mutter-Kind-Verhältnisses. Er steigert den Aspekt von Zärtlichkeit und Zuneigung fast zu einer Art von Familienidylle , so dass man sein Bild auch als "säkularisierte Form einer Marienikone bezeichnen könnte. Dies wiederum korrespondiert mit der Dominanz von sentimentalmystischen Formen der Religiosität im katholischen Barock. Die ausserordentliche Beliebtheit, die das Passauer Mariahilf-Bild im Lauf des 17. Jahrhunderts erringen konnte, mag also auch darin begründet liegen, dass in ihm traditionelle Elemente der Marien-Ikonographie mit der besonderen Form der katholischen Frömmigkeitshaltung dieser Zeit eine so innige Verbindung eingegangen waren, dass sich die Menschen in dem Bild und dessen Aussage wiederzuerkennen vermochten.
So war gleichsam die psychische Grundlage gelegt, auf der ein Kult erstehen konnte, der schnell über Landes- und Sprachgrenzen hinweggriff. Innerhalb weniger Jahre mobilisierte die neue Gnadenkirche die Gläubigen aus Entfernungen von weit mehr als hundert Kilometern, und das Gnadenbild selber wurde zum beliebtesten Andachstbild der Katholiken im Deutschen Reich, zum wahrhaft "deutschen Gnadenbild". An mehr als 500 Orten entstanden Sekundärwallfahrten. Deutschland, Österreich und die Schweiz wurden geradezu überzogen mit einem dichten Netz von Mariahilf-Gnadenstätten.
Ein zweiter Faktor, der die rasche Aufnahme des Passauer Gnadenbildes im weiten Umkreis förderte, scheint in der Bezeichnung dieses Bildes als Mariahilf zu liegen. Dieser einprägsame Stoss-Seufzer liegt bei den vielen leidvollen Überraschungen des alltäglichen Lebens gleichsam beständig in der Luft. Wenn es gelang, diesen auszeichnenden Namen auf ein bestimmtes Bild zu konzentrieren, so musste diesem allgemeine Beliebtheit fast schon sicher sein.
Dass innerhalb weniger Generationen nahezu die ganze mitteleuropäische katholische Christenheit über die Passauer Gnadenstätte, über zahlreiche Sekundärwallfahrten, über Abbildungen auf den Nebenaltären von Kirchen und Kapellen, über Kupferstiche und Hinterglasbilder mit dem Bildtyp Mariahilf in der Cranachsen Version vertraut wurde, dies dürfte in einer inneren Affinität zwischen Bild und Bezeichnung gründen. Bild und Name passten zusammen, und beide wiederum korrespondierten mit einer innigen, gefühlsbetonten marianischen Frömmigkeit, wie sie für den katholischen Volksglauben der Gegenreformation kennzeichnend ist.
Die Bezeichnung Mariahilf für das Cranach-Bildnis und dessen Kopien war also ausserordentlich folgenreich. Sie schuf eine gedankliche und optische Einheit von grosser Einprägsamkeit. In dem Jesusknaben, der hilfesuchend an den Hals seiner Mutter flüchtete, konnten die Gläubigen unschwer sich selber in ihrer Hilfslosigkeit und Schutzbedürftigkeit erkennen; dies vor allem innerhalb eines religiösen Klimas, das durch mannigfaltige Aufrufe und Predigten die vertrauensvolle Unterstellung unter den Schutz der Gottesmutter empfahl. Namentlich die Seelsorger aus den neuen Orden der Gegenreformations-Epoche, die Jesuiten und Kapuziner, betonten jene Aspekte der altkirchlichen Frömmigkeit, die von den Reformatoren abgelehnt wurden. Wallfahrtswesen und Marienverehrung standen da an exponierter Stelle. Die Jesuiten aber finden wir seit 1612 und die Kapuzinrer seit 1615 in Passau. Mit Nachdruck förderten sie den zeitgemässen Frömmigkeitsstil.