Forschung & Lehre


Virtual College


Kurzinterview mit Prof. Dr. Arthur E. Imhof von der Freien Universität Berlin

Fragen der Redaktion

Antworten Prof. Imhof

Sie treffen sich mit Ihren Studenten im "Virtual College". Was ist das?

Im "Virtual College" werden multimedial aufbereitete Lehr- und Lerneinheiten, sogenannte Educational Modules für ein oder zwei Semester im voraus abgelegt. Während des Semesters treffe ich mich mit den Berliner Studierenden sodann wöchentlich zu den üblichen zwei oder (mit Übung) vierstündigen Sitzungen. Am Monitor haben herausgegriffene Lehrveranstaltungsteilnehmer jeweils die im Selbststudium erarbeiteten nächsten Portionen des Moduls zu erläutern, im Plenum zu diskutieren, online mit relevanten Zusatzlinks zu versehen usw. - Mit Nicht-Berlinern (aus anderen Universitäten, Hochschulen, Bildungseinrichtungen, z. T. weltweit) erfolgt der Austausch via e-mail oder Chatrunden-Examina. Insgesamt sind die Anforderungen an Lernende wie Lehrende wesentlich höher und intensiver als traditionell, nicht zuletzt auch deswegen, weil ich prinzipiell kein Papier mehr akzeptiere, sondern (z. B. als Seminararbeiten) nur noch on- oder offline-Webseiten in html oder pdf bzw. gruppenweise produzierte CD-ROMs. Per e-mail stehe ich "zwischendurch" individuell zur Verfügung.

Vorlesungen und Seminare sind die klassischen Elemente der Lehre. Sie garantieren den persönlichen Kontakt zu den Studenten. Was bleibt durch den hauptsächlichen Einsatz von e-mail davon auf der Strecke?

Wie der "persönliche Kontakt" angesichts chronisch überfüllter Hörsäle "garantiert" sein soll, vermag ich nicht nachzuvollziehen; sehr wohl dagegen den individuellen persönlichen Kontakt mit Studierenden via e-mail; s. oben.

Manche sprechen vom Ende der Gutenberg-Galaxis. Computer werden Bücher aber nicht abschaffen können. Welche Zukunft hat das Buch als Trägermedium in der Wissenschaft?

Als archivierte Kopiervorlagen auf säurefreiem Papier, so wie es z. B. die immediat öffentlichkeitswirksamen kostensenkenden Ergänzungen zu verschiedenen Promotionsordnungen schon vorsehen.

Kommt man als Wissenschaftler auch ohne e-mail aus?

Falls hierzulande lebenszeitverbeamtet gewiss. Anders, wer sich im Wettbewerb der Konkurrenz stellen muss oder sich - etwa aus Ehrgeiz oder / und Verantwortung - global permanent an ihr misst. Dann allerdings geht es nicht nur nicht ohne e-mail, sondern ebenso wenig ohne ftp, html, pdf, metatags usw.

Inwieweit kann die virtuelle Universität eine mögliche Lösung der Probleme der überfüllten Hochschule sein?

Vgl. erste Antwort oben: Wer an Educational Modules via Teleteaching / Distancelearning teilnimmt, sitzt nicht gleichzeitig auch noch in einem Hörsaal. Bildung für alle, jederzeit, überall, weltweit.

Verändert die elektronische Kultur die Sprache, in der wissenschaftliche Kommunikation stattfindet? Führt dies zu einer Art "Primitiv-Sprache" im Telegrammstil? Werden sprachliche Fertigteile zur Norm?

"Elektronische Kultur" (Ihre Formulierung) besteht nicht nur aus Sprache. Adäquat genutzt ist sie multimedial, also inklusive Bilder, Töne, Bewegung usw. Richtig ist allerdings, dass angesichts des enormen Konkurrenzdrucks im Netz nur äusserst präzise, didaktisch und ästhetisch hervorragend gestaltete Präsentationen wettbewerbsfähig sind. Mit fahrigem "Telegrammstil" oder langweilig liebloser E-Mailerei ist da ebenso wenig zu machen wie mit Delegieren an "Schreibkräfte" oder medienpädagogisch unerfahrene bzw. nur technisch versierte Mitarbeiter. Inhalt und Form müssen stilistisch übereinstimmen, und dies lässt sich in aller Regel nur selbst bewerkstelligen. Da gehört heutzutage schon mehr als nur Bleistiftschreiben dazu. Zur Norm könnten hier allenfalls technische Fertigteile werden, so etwa besonders erfolgreiche, weil attraktiv gestaltete Webseiten, die ich wiederholt mit neuen Inhalten füllen könnte.

Wirken sich die Veränderungen der Art, wie wir Informationen speichern und abrufen auf unser historisches Gedächtnis aus?

Eine Frage für künftige Historiker. Das kollektive lange Gedächtnis umspannt mehrere Generationen. Das Web ist gerade mal drei Jahr alt.

Welchen Formen von "Technikfeindlichkeit" begegnen Sie?

Einige Antworten von Entscheidungsbefugten auf dem universitären Dienstweg nach bzw. von oben: "So etwas [Multimedia-Ausrüstung für Lehr- und Lernzwecke] kommt mir zu meinen Lebenzeiten nicht ins Haus!" - worauf ich die Ausrüstung für den Unterricht privat anschaffte. Antwort: "Sie dürfen Ihre privaten Geräte an der Universität nicht nutzen." - Ermahnung von der (e-mail-ignoranten) Obrigkeit: "Sie dürfen bei den Studierenden kein e-mail voraussetzen." Da ich beim Umgang mit den Studierenden selbst aber weiterhin e-mail einsetze, verfügen die einen (mit e-mail) nun über die Informationen und haben den persönlichen Kontakt zu mir und die anderen (ohne e-mail) eben nicht; Zweiklasseninformationsgesellschaft. - Weitere Ermahnung von der Obrigkeit: "Sie sollen sich um Ihre Berliner Studierenden kümmern und nicht die Auswärtigen betreuen" (pro Educational Module laut Serverabrufstatistik etwa 8000-10000 Hits aus etwa 40-50 Ländern monatlich, mit entsprechend vielen e-mail-Anfragen und -Antworten). - Ganz überwiegend begegne ich an der Universität jedoch "silent resistance" gegenüber den zukunftsweisenden neuen Technologien (meine Vision: "schlanke Universität"). Dadurch Vergeudung auch noch der letzten knappen Gelder. Verantwortungslos unzeitgemässe, global wettbewerbsunfähige Ausbildung vieler unserer Studierender (im Vergleich selbst zu Schwellenländern wie etwa Brasilien, wo ich jahrelang Postgraduiertenkurse durchführte) aufgrund überholter (oder gar keiner) Techniken und Methoden. Ein weiteres deplorables Resultat ist die Züchtung der Standardantwort vieler Studierender: "Wieso sollten wir so etwas lernen, solange das von uns nicht verlangt wird?"