Gercke 1995

Gercke, Hans (Hrsg.):
Blau: Farbe der Ferne.
(Katalog zu:) Eine Ausstellung des Heidelberger Kunstvereins in Zusammenarbeit mit der Stadt Heidelberg aus Anlass der Eröffnung des Kunstvereinsneubaus und des Museumserweiterungsbaus vom 2. März bis zum 13. Mai 1990.
Heidelberg: Verlag Das Wunderhorn und Heidelberger Kunstverein, 2. Auflage 1995.


Von besonderem Interesse sind in unserem Zusammen die folgenden Beiträge:


*) Aus diesem Beitrag geht sehr schön die Ambivalenz eigenschaftsbesetzter Farben hervor. So wenig Gelb in der kirchlichen Malerei immer ein böses Judas-Verräter-Gelb war, so wenig wäre Blau ausschliesslich der Reinheit und Keuschheit Marias vorbehalten. In den Abschnitten "Blau im Marienkultur" und "Das Blau der Dämonen und Sünder" liest man bei Beate Bender (S. 97-99; gekürzt):

"Der himmelsgleichen Farbe Blau wurden über ihre optischen Eigenschaften hinaus auch moralische Werte zugeschrieben. Dies war durch Vergleichspaare hergestellt, wie zum Beispiel durch die Gegenüberstellung von ´wolkenlos´ und ´fleckenlos´, ´rein´. Vor allem im Marienkult diente diese Auslegung der Hervorhebung der jungfräulichen Tugenden. Die innere und die körperliche Reinheit, die virginitas und die castitas, bezeichnen Maria als die Auserwählte, im göttlichen Auftrag Handelnde. Sie tritt als Überwinderin der Sünde auf und steht demnach als Antitypus der mit Sünde befleckten Eva gegenüber.

Der ab dem 12. Jahrhundert wachsende Marienkult drängte zu einer vermehrten und differenzierten Darstellungsform des Jungfrauenbildes. Seit dem 12. und 13. Jahrhundert wurde der typologische Vergleich der Maria mit der Braut Christi und der Kirche gegräuchlich, so dass im Spätmittelalter eine Vielzahl von ursprünglich auf Christus bezogenen Sinnbildern auf die Jungfrau Maria übertragen wurden. Blau gehörte in der bildenden Kunst zur bevorzugten Gewandfarbe bei unterschiedlichen Mariendarstellungen. Eines der schönsten frühen Beispiele befindet sich im südlichen Seitenschiffsfenster der Kathedrale von Chartres (12. Jahrhundert), in dem der blau-rote Farbakkord dominiert und Maria mit blauem Gewand und Krone als Himmelskönigin verehrt ist.

Blau erscheint häufig im Mantel der Maria in verschiedenen marianischen Bildtypen. Das ´Missale Parisiense´ aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts zeigt die mater dolorosa am Kreuz im tiefblauen Gewand. Diese Kreuzigungsszene ist vor allem deshalb interessant, weil Blau hier nicht allein auf die Bedeutung des Heiligen beschränkt bleibt, sondern auch als Gewandfarbe der Häretiker auftritt. Aufgrund der Art, wie Blau abwechselnd mit Rot bei den Reitern und Würfelspielern angelegt ist, wird ersichtlich, dass es dem Illuminator auf eine ausgewogene Farbsetzung ankam. Über diese malerischen Erwägungen hinaus kommt jedoch dem Blau auch eine Symboldeutung zu. Da das Blau des Himmelsausschnitts nur die obere Kruezzone bei Jesus hinterfängt und nicht die der zwei Mitverurteilten, wird diese Himmelszone symbolhaft auslegbar. Dieses Blau entspricht nicht dem sichtbaren sphärischen Blau, da der Horizont viel tiefer liegt als die Bergkette im Hintergrund. Die Farbe versinnbildlicht das göttliche Himmelreich, in das sowohl Jesus als auch Maria aufgenommen wurden.

Die Verwendung der blauen Farbe für das Gewand Marias setzte sich aufgrund der Eigenschaft des Blaus in unterschiedlichen Darstellungen durch. Ein herausragendes Beispiel aus dem Hochmittelalter ist Stefan Lochners Andachtsbild die ´Muttergottes in der Rosenlaube´. Für den marianischen Bildtypus der Madonna im Rosenhag wählte Lochner subtile Blauschattierungen im Gewand Marias. An diesem Tafelbild wird deutlich, dass die Farbe in ihrer Symbolwirkung durch die Malkunst hervorgehoben wird, denn erst der feine lasierende Farbauftrag erzeugt den Nuancenreichtum und steigert die Leuchtkraft des Blaus ins Transzendente. Blau dient demnach zur Hervorhebung sowohl des paradiesischen Ortes als auch der bsonderen Auszeichnung Marias. Über die bildliche Präsenz Gottes und über den Goldgrund hinaus verdeutlicht Blau zusätzlich bei den Flügeln und Gewändern der Engel die Heiligkeit ihrer jungfräulichen Person.

Obwohl die blaue Farbe im christlichen Abendland Sinnbild für die himmlische Schöpfung war, ist ihre bildliche Verwendung dennoch nicht frei von Ambivalenzen. Blau diente nicht ausnahmslos der Darstellung der ´vita caelestis´, gemeint konnte auch das Abtrünnige oder Böse sein. Dabei fällt auf, dass die Farbe nicht auf den unterirdischen Bereich des Teufels bezogen werden musste, sondern das Dämonische auch in der Himmelssphäre lokalisiert war."