MacCannells erste Stufe seines Alternativprogramms zu Boorstin findet
im Kapitel ,,Staged Authenticity``, das schon vorab 1973 als Artikel
publiziert worden war, als Untersuchung der Strukturierung touristischer Authentizität statt.
Sie ist da der Effekt der Überschreitung der Grenze von einer front -Region
zu einer back -Region. Die einzelnen touristischen Fälle und
Inszenierungen einer solchen touristischen Überschreitung erhalten
ihre Bedeutung aus der gesellschaftlichen Unterscheidung eines öffentlichen
und eines der Öffentlichkeit nicht zugänglichen (nicht unbedingt privaten)
Raumes. Eine gelungene touristische Erfahrung läge also dann vor,
wenn eine signifikante Grenze überschritten wird. An Beispielen wie
Führungen durch Fabriken und öffentliche Gebäude macht MacCannell
deutlich, daß es sich um ein Kontinuum zwischen den beiden idealen
Polen einer äußersten Front und einer innersten Back -Region
handelt.
Im weiteren Verlauf der Untersuchung generalisiert MacCannell die Authentifizierung als zentrale Operation jeglicher touristischer Erfahrung. Er definiert sie als Identifizierung von marker , d.h. der Information über das Objekt und der Erwartungen, die diese Information geweckt hat, mit dem Objekt selbst, dem sight , in der touristischen Situation. Die Erkundung von back-regions wird dabei zu nur einem möglichen Gehalt oder Modus der touristischen Erfahrung; die Heterogenität der Sehenswürdigkeiten, die von historischen Monumenten zu modernen Arbeitsplätzen reicht, macht eine eindeutige semantische und axiologische Zuordnung unmöglich. Es geht also nicht nur entweder um historische Monumente, oder Naturdenkmäler oder Kulturlandschaften oder neueste Technologie oder das Großstadtabenteuer, sondern um alles gleichermaßen.
Im Gegensatz zu Boorstin, der den Tourismus als abschreckendes Element
im Aufbau einer kulturellen Wertehierarchie nutzte, interessiert sich
MacCannell damit für die gesellschaftliche Funktion des Tourismus.
Seine Funktion ist die Repräsentation der Gesellschaft in der Struktur
der Sehenswürdigkeiten, die der Tourist als authentisch erfährt. Repräsentiert
wird dabei die Heterogenität der modernen Gesellschaft selbst, deren
unterscheidendes Merkmal die Unterscheidung, die Differenz ist. Die
Form der ,,Präsentation`` der Sehenswürdigkeiten wird zu ihrem Gehalt.
Der Vorrang der Struktur der marker-sight- Identifikation und
die Form der Kollektion der Objekte als ihr Gehalt lassen die touristische
Erfahrung als weniger individuell erscheinen als das in MacCannells
Beispielen oft zum Ausdruck kommt. Er hebt in der Theoretisierung
besonders den kollektiven Charakter des Tourismus hervor, den er an
einer Stelle als ,,ritual performed to the differentiations of
society `` bezeichnet. Dieser Begriff des Rituals verweist schon auf das Problematische
des Unterfangens der Rekonstruktion touristischer Authentifizierung:
einerseits möchte sie MacCannell als Zeichenstruktur demystifizieren,
andererseits braucht er aber aufgrund seiner gesellschaftstheoretischen
Vorgaben einen mythischen Kern für die Funktionalisierung.