Meine Beschäftigung mit dem Tourismus rührt dagegen aus einer kulturhistorischen
Problematik her. Mir ging es weniger um die Definition von Kultur,
zu der der Reisebericht mithilft, als vielmehr um die kulturellen
Muster, die das Reisen der Wahrnehmung auferlegt. Die Ausgangsfragestellung
ergibt sich dabei aus einem inzwischen verschütteten Projekt, das
die Wirkung der Eisenbahn (Technik) auf die Wahrnehmung in künstlerischen
Werken nachzuvollziehen trachtete. Die Lokalisierung der Oberflächlichkeit
als neuer Qualität der Wahrnehmung, wie sie Schivelbusch (in Anlehnung
an Sternberger) als ,,panoramatischen Blick`` bezeichnet hat, machte
jedoch Schwierigkeiten.
Nicht nur die mangelnde Evidenz einer solchen Veränderung in der
Literatur, sondern auch prinzipielle Überlegungen bewogen mich zu
einer Aufgabe des Projekts.
Die prinzipiellen Überlegungen betrafen die Konstruktion eines direkten
Verhältnisses von Wahrnehmung und den physiologischen Bedingungen
der Wahrnehmung, sowie die Annahme, daß Wahrnehmungen direkt in künstlerischen
Ausdruck einfließen. Sowohl die Wahrnehmung selbst als auch deren
Ausdruck erfolgt immer nur über die Vermittlung durch kulturelle ,,Schemata``.
Die kulturellen Schemata, die den Blick aus dem Eisenbahnfenster
leiten (sofern der Blick des Passagiers nicht mit der Lektüre von
Romanen oder Reiseführern beschäftigt ist), sind die des Tourismus.
Diese Erkenntnis wäre noch kein Grund zur Aufgabe des ursprünglichen
Projekts gewesen, wenn nicht einerseits kaum Literatur zum Tourismus
unter dieser Perspektive existiert hätte und andererseits in der Beschäftigung
mit dem Tourismus sich die technischen Bedingungen der Wahrnehmung
nicht als so wenig entscheidend herausgestellt hätten. Was im Verlaufe
der Magisterarbeit über den ,,Tourismus als Gegenstand der American
Studies `` hervortrat, war dagegen das Problem, wie man kulturelle
Erfahrung überhaupt zu rekonstruieren habe.
Im Nachhinein erschien der Versuch, die Oberflächlichkeit der Wahrnehmung als neue Qualität an die technische Evolution zu binden, als eine Möglichkeit, in einem ästhetischen Diskurs eine bestimmte fortschrittliche (materialistische) Position zu bestimmen. Die literarischen Ausdrücke, die Schivelbusch zum Beleg der veränderten Wahrnehmung aufführt, gewinnen ihre Relevanz aus der Gegenüberstellung zur diskursiven Ästhetik eines Ruskin, für den ,,Wahrnehmung`` vor allem eine Wertfrage ist. Schivelbusch bezieht Position gegen Ruskin, seine Argumentation erscheint dabei lediglich als Umwertung innerhalb desselben ästhetischen Diskurses. Daß das kein Kampf gegen historische Windmühlen ist, daß also die Forderung des ästhetischen Diskurses nach eine Positionierung auf einer kulturellen Werteskala mit dem 19. Jahrhundert nicht ausgelaufen ist, zeigte sich im Verlauf der Beschäftigung mit dem Tourismus. Denn dieser ist, wie meine Analyse von Boorstins Theorie des Tourismus zeigen sollte, ein gefundenes Objekt für die Abgrenzung eines humanistischen Wertekanons von dessen Gegenüber, den rein ökonomischen Werten und der damit verbundenen Kultur der Masse.
Diese kleine Geschichte des Forschungsgegenstandes sollte nun meinen Zugriff auf den Tourismus in seinen Kontext stellen. Als kulturhistorisches Phänomen entzieht sich der Tourismus den empirischen Bestimmungen, in denen sich die immens umfangreiche wirtschaftswissenschaftliche und soziologische Literatur versucht. Zwar wäre es eine interessante Arbeit, dieser empirischen Literatur den systematischen blinden Fleck in ihrer Schwierigkeit nachzuweisen, wie sie die Motivation des Touristen nicht anders als über platt-psychologische Vorannahmen zu rekonstruieren imstande ist. Der systematische Punkt wäre dabei das Problem ökonomischer Theorien, den Wert der Ware, ihre Attraktivität, mit den empirisch-naturwissenschaftlichen Ansprüchen der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu vereinbaren. Dieses Problem wird die genannten Wissenschaftszweige noch lange beschäftigen. Darüber hinaus gehen dagegen ,,nicht-empirische`` soziologische Ansätze wie die von Bourdieu, die den Zusammenhang zwischen ,,Kultur`` und ,,Ökonomie`` auf der Grundlage marxistischer und strukturalistischer Paradigmen neu konzeptualisieren.