Interview mit Prof. Leenen

Professor Leenen ist mit seinen ungewöhnlicheren Wegen bekannt geworden. Oft versucht er, nicht die bereits ausgetretenen Pfade der h.M. zu beschreiten, sondern scheint auf dem Weg zur &qout;richtigen Lösung&qout; auch bereit zu sein, sich durch das Dickicht des Ungewissen zu schlagen. Seine wissenschaftlich-schriftliche Arbeit beschränkt sich bisweilen auf Skripten, die seine Vorlesungen begleiten, aber allgemein als besonders lesenswert, da ausführlich und detailliert, gelten.

Der im übrigen eher als "publikationsschlummernder Riese" zu bezeichnende genau 2m große Prof., der meist fröhlich und verschmitzt grinsend über den Campus schlendert, zeigt leicht melancholisch seine nicht beendeten Werke. Dennoch nahm er sich Zeit, mit Tibor Pirschel über seine Wünsche und Träume vom Jura-Studium zu reden und zu erklären, warum ihn manche für eine Fehlbesetzung halten.

Studium

DeFo-Info: Was halten Sie von Studiengebühren?

Prof. Leenen: Studiengebühren könnten - so unbeliebt sie sind - verschiedene sehr nützliche Effekte haben. Eine Eigenbeteiligung der Studierenden an den Kosten der Ausbildung bringt marktwirtschaftliche Elemente ins Spiel. Im übrigen ist derzeit ein wesentlicher Teil der juristischen Ausbildung faktisch auf den Repetitor verlagert - gegen Entgelt. Das dürfte und würde bei Erhebung von Studiengebühren so nicht bleiben.

DeFo-Info: Welche Wünsche haben Sie hinsichtlich des Tutorienmodells?

Prof. Leenen: Zumindest, daß es einfach erhalten bleibt, lieber, daß es noch ausgebaut werden kann, weil hier so viel Motivation bei den Studenten der unteren Semester geweckt wird. Und auch die Examensbilanz der Tutorinnen und Tutoren kann sich sehen lassen!

DeFo-Info: Gibts die richtige Fall-Lösung und wenn ja, ist es die leenenistische?

Prof. Leenen: Zu jedem einigermaßen anspruchsvollen Fall gibt es zwei Lösungen mit genau konträrem Ergebnis und über die jeweiligen Begründungen läßt sich streiten. Wenn Sie Fragen des Fall-Aufbaus meinen, ist es nicht anders. Unterschiedliche dogmatische Konzepte führen zu unterschiedlichen Konsequenzen für den Aufbau des Gutachtens. Da weiche ich hier und da von der herrschenden Meinung ab. Ich erwarte aber wirklich von niemandem, daß er/sie meine Überzeugungen teilt.

DeFo-Info: Bezieht sich das auch auf die Ergebnisse, oder gibt es Ergebnisse, die feststehen müssen?

Prof. Leenen: Es gibt Routine-Fälle, über die Juristen nicht ernsthaft streiten und einheitlich zum gleichen Ergebnis kommen. Meist werden dann Gerichte erst gar nicht bemüht, und das ist auch ein wichtiger Teil des Rechts. Im offen übrigen aber lebt das Recht davon, daß man Ergebnisse und Begründungen immer wieder in Frage stellt, offen ist für neue Argumente, nach besseren Lösungen sucht. Juristen müssen kreativ denken. Das ist ihr Beruf.

DeFo-Info: Ist das Studienjahr unvermeidbar oder sogar wünschenswert?

Prof. Leenen: Unsere Fakultät wird immer kleiner! Mit einem Studienbeginn im Winter kombiniert mit Jahreskursen läßt sich die Eingangsphase des Studiums erheblich intensivieren, nicht zuletzt durch integrierte kleine Übungen.

DeFo-Info: Was halten Sie von Repetitoren?

Leenen: Welcher Professor war nicht beim Repetitor? Ich habe dort Wesentliches für meine Examensvorbereitung gelernt.

DeFo-Info: Sind also Skripten von Repetitoren in Ihren Hausarbeiten zitierfähig?

Prof. Leenen: (grinsend): Nein.

DeFo-Info: Sie sind einer der wenigen Professoren, der auch über Internet verfügt. Was reizt Sie daran?

Leenen: Das eine sind e-mail Kontakte in alle Welt. Aber auch Studierende schicken mir e-mail-Fragen zu den Vorlesungen. Manchen fällt das offenbar leichter als nach der Stunde persönlich kommen, und da antworte ich auch gerne per Computer. Das zweite, was am Internet schön ist, ist der schnelle und so leichte Zugriff auf Daten. Ich hole mir jeden morgen die Internet-Ausgabe der New York Times (http://nytimesfax.com/times.pdf) und bekomme über eine mailing list die neuesten Entscheidungen des US-Supreme Court. Die deutschen höchsten Gerichte hinken da leider noch deutlich hinterher.

DeFo-Info: Müssen oder sollen Professoren Beamte auf Lebenszeit sein?

Prof. Leenen: Sie müssen es rechtlich gesehen sicher nicht. Ich persönlich hielte eine Ergänzung der öffentlichen Universitäten durch private Hochschulen, wie in anderen Ländern, für durchaus erstrebenswert.

DeFo-Info: Halten Sie die private Universität für das generell bessere Modell?

Prof. Leenen: Ich bin für den Wettbewerb zwischen beiden Modellen. Jedes hat Vor- und Nachteile.

Juristisch-Politisches

DeFo-Info: Könnten Sie sich ein anderes Rechtssystem für Deutschland vorstellen?

Prof. Leenen: Es wird bald ein solches geben: Die europäische Rechtsvereinheitlichung wird unser ganzes Rechtssystem verändern. Das ist das Thema des nächsten Jahrzehnts.

DeFo-Info: Wieso mußte erst der EG-Gesetzgeber kommen, um den Verbraucher mit HaustürwiderrufsG und VerbraucherkreditG besser zu schützen? Ist das BGB zu alt?

Leenen: Immerhin: Das AGB-Gesetz ist hausgemacht und rechtspolitisch wie gesetzestechnisch eine Meisterleistung. Verbraucherschutz ist dem urliberalen BGB fremd. Auch heute sind die politischen Kräfte hierzu eher in Brüssel als in Bonn zu finden. Bei der Umsetzung mancher EG-Richtlinie ist mächtig gebremst worden, gerade bei den von Ihnen genannten Gesetzen.

DeFo-Info: Warum kann man diese Gesetze nicht ins BGB integrieren?

Prof. Leenen: Man hat das mit dem Reisevertragsrecht probiert - ein eher abschreckendes Beispiel. Und die Rechtsgeschäftsdogmatik des Verbraucherkreditgesetzes ist zum Gruseln.

DeFo-Info: Gibt es in der Gesellschaft noch den Grundkonsens?

Prof. Leenen: Worüber? Wenn wir über grundlegende Fragen und Werte neu nachdenken, hat dies nichts Beunruhigendes.

Persönliches

DeFo-Info: Von mancher Seite wird Ihnen vorgehalten, sie biederten sich den Studenten an. Was halten Sie davon?

Leenen: Das begreife ich nicht. Mir sind Gespräche mit Studenten sehr wichtig, ich lerne dabei sehr viel. Auf jedem amerikanischen Campus stehen Professoren mit Studenten herum, und das sollte auch hier nichts Ungewöhnliches sein.

DeFo-Info: Im Lebenslauf sticht besonders Ihr Interesse am Ausland und ein besonderes Engagement für universitäre Belange hervor. Wie kam es dazu?

Leenen: Mir ist der Zusammenhang noch nicht aufgefallen, aber es ist etwas dran. Ich habe mit 17 das Glück gehabt, ein Jahr an einer hervorragenden Schule in den USA zu verbringen, und dort Lehrerpersönlichkeiten kennengelernt, die ein unvergeßliches Berufsbild geprägt haben. Wenn ich heute den USA bin, setze ich mich gerne zu Kollegen in die Vorlesung. Betriebsspionage mit anschließender detaillierter Diskussion. Das ist dort problemlos möglich.

DeFo-Info: Warum gibt es entgegen den Vorankündigungen im Buch keinen Larenz/Leenen?

Prof. Leenen: Larenz hatte zwei seiner Schüler genannt, nicht nur mich. Wir haben aber beide die Erfahrung machen müssen, daß wir immer mehr geändert und neu geschrieben haben, viel mehr Zeit brauchten als dem Verlag lieb war. Und wenn schon ein neues Buch, dann ist der jetzt vorliegende Larenz/Canaris doch bestimmt ein großer Wurf.

DeFo-Info: Aus welchen Gründen sieht man überhaupt relativ wenig Veröffentlichungen von Ihnen?

Prof. Leenen: Heikles Thema! In den Lehrsemestern geht immer etwas anderes vor, ein großer Fehler von mir. Umso mehr freue ich mich auf mein Forschungssemester im Winter: Willenserklärung und Rechtsgeschäft von morgens bis abends, und zwei weitere Manuskripte müssen auch fertig werden. Vorher kommt in diesem Semester noch ein Vortrag vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin.

DeFo-Info: Warum haben Sie gerade Jura studiert?

Prof. Leenen: Durch eine spontane Eingebung im Immatrikulationsbüro der Universität München. Ich bin dort hingefahren mit dem festen Entschluß, Mathematik und Physik zu studieren. Im letzten Moment schrieb ich statt dessen Jura auf das Formular.

DeFo-Info: Was würden Sie lieber machen als Professor zu sein?

Leenen: Beruflich nichts anderes. Ich habe immer das Gefühl gehabt, daß ich einen Beruf ohne Chef brauche, und es gibt nicht viele Berufe dieser Art.

DeFo-Info: Gibt es ein Buch, das Sie besonders empfehlen würden?

Prof. Leenen: Wenn es fachnah sein darf: Fast alles von F.A. von Hayek, als Einstieg seine Freiburger Studien. Hayek öffnet den Blick für die Selbststeuerungsmechanismen und -kräfte in der Gesellschaft - für uns Juristen, die alles regeln wollen, eine stete Mahnung.

DeFo-Info: Man hat den Eindruck, Sie mögen keine einfachen Antworten. Warum?

Prof. Leenen: Sie stellen ja auch nicht eben einfache Fragen.

DeFo-Info: Wieso sind Ihre Vorlesungen so voll?

Prof. Leenen: Wenn ich den Grundkurs I im Winter lese, sind das halt 500 Leute. Im habe ich selbst große Schwierigkeiten mit meinem Fach in den Anfangssemestern gehabt und versuche deshalb, meine Lehre so anzulegen, daß man mit solchen Zweifeln umgehen kann oder, was mir noch das Liebste wäre, daß man eines Tages entdeckt, daß man auch mit leuchtenden Augen Jurist sein kann.

DeFo-Info: Haben Sie sich schon einmal gedacht: Jetzt schmeiß' ich alles hin, jetzt will ich nicht mehr?

Leenen: Ganz häufig bei der Anfertigung meiner Habilitationsschrift. Das gehört aber wohl dazu.

DeFo-Info: Sie haben sich gewünscht, nicht danach gefragt zu werden, was ein Pfund Butter kostet; gut - wieviel muß man für einen BVG-Normalfahrschein aufwenden?

Prof. Leenen: Welcher Zufall: 3,90 DM, nach meiner Kenntnis.

DeFo-Info: Würden Sie sich zu den 68ern zählen?

Prof. Leenen: Ich glaube, ich war 68 schon ein wenig zu alt, um 68er zu sein.

DeFo-Info: Was bedeutet Geld für Sie?

Prof. Leenen: (Mehrmaliges Ansetzen ohne Antwort.)

DeFo-Info: Gibt es spannende Fragen des Rechts?

Leenen: Aber sicher - die spannendsten sind die Methodenfragen.

DeFo-Info: Ihr Lehrstuhl trägt die Bezeichnung Bürgerliches Recht, Zivilprozeßrecht und Handelsrecht. Ich kann mich jedoch nicht erinnern, daß Sie jemals eine Vorlesung ZPO oder Handelsrecht gehalten haben.

Prof. Leenen: Deshalb habe ich auch unter Kollegen das Etikett Fehlbesetzung Leenen.

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Tibor Pirschel

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Erstellt am 28.07.96 von Karsten Krone (alle Rechte vorbehalten) für das DeFo, letzte Änderungen am 14.4.98 von Florian Brick.

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