Bisher habe ich im Netz fast ausschließlich langweilige oder langwierige Dinge gefunden. So versuchte ich Infos über verschiedene Schulbildungsmöglichkeiten in einem anderen Bundesland zu bekommen und scheiterte deprimiert nach mehreren Stunden, weil die Seiten schlicht zu oberflächlich und die Informationen sogar widersprüchlich waren. Auch die Recherche bei Reisebüros waren unergiebig, zu kompliziert, nicht informativ und zudem fühlte ich mich beobachtet. Allein an einigen Universitäten in den USA fand ich brauchbares Material für die Uni.
Da ich meinen Uni-account habe, sitzt ich abends oft vergeblich am PC, da ich nicht die einzige bin, die einwählen will. Da mir die Telefongebühren tagsüber zu hoch sind, rufe ich morgens nur meine mails ab, wenn nicht gerade – so wie jetzt – meine Netzanbindung softwaretechnisch unerträgliche Probleme macht und mir der Netzzugang von zu Hause verwehrt bleibt. Der Kontakt über emails fehlt mir und ich möchte ihn nicht mehr missen.
Allerdings werde ich meinen Job übers Internet gefunden haben, und natürlich werde ich die Vorzüge des Internet bei meiner Arbeit einsetzen, wahrscheinlich sogar benötigen.
Eine Veränderung wird auch bei meiner Nutzung von Printmedien eintreten, d.h. ich werde bestimmte Zeitungen, vor allen Dingen Veranstaltungshinweise bestimmter Institutionen übers Netz abbonieren. Ansonsten möchte ich auf die Zeitungen in ihrem jetzigen Format und der Möglichkeit, sie überall in der Wohnung oder Bahn zu lesen, nicht verzichten. Die Hardware, die mobiles Lesen möglich macht, wird wahrscheinlich an meinem Portemonnai und meinem Unwillen, längeres und intensives Lesen mit Technik zu verbinden, scheitern. Ebenso andere Hardware, die schnellers Herunterladen aus dem Netz möglicht macht, so daß ich auch in fünf Jahren das Internet nur in Teilen nutzen werde und nicht das volle Angebot nutzen kann.
In meinem Job werde ich mich nicht intensiv mit dem Netz beschäftigen und es nur als Medium der Kommunikation im engeren Sinne und Publizierung nutzen. Durch automatische Übersetzung werde ich auch an Publikationen, zu denen mir sonst der Zugang durch Sprache fehlt, kommen.
In meiner Freizeit wird das Internet allerdings eine größere Rolle spielen, interessante Spiel- und GesprächspartnerInnen gibt es ersteweltweit. Da die Technik sehr schnell fortschreiten wird, werde ich allerdings aus einigen sich entwickelnden Bereichen des Netzes, soweit sie nicht kostengünstig oder einfach zu handhaben sind, ausgeschlossen sein.
Auch Wirtschaft und Politik wird sich für mich verändern: Die Globalisierung wird u.a. durch die Internetnutzung weiter fortgeschritten sein, meine Milch kommt jetzt aus Usbekistan oder Irland, vielleicht auch mal aus Brandenburg, ohne daß ich dies beeinflussen kann. Gleichzeitig werde ich größeren politischen Einfluß haben, da in 10 Jahren einerseits ebensoviele BürgerInnen der BRD einen Netzzugang (wenn auch nicht alle zu Hause) haben werden, wie heute ein Telefon und andererseits die Netzsicherheit so stark geworden ist, daß Volksentscheide nach Schweizer Prinzip im Internet durchgeführt werden können.
Meine Heldin kann sich das Leben ohne Netz nicht mehr vorstellen. Hillary, 35 Jahre alt, ist Geschäftsführerin eines kleinen Brot- und Chipunternehmens, nicht verheiratet und wohnt in der Uckermark.
Mr. Big begrüßt seine MitarbeiterInnen, von denen er schon längst vergessen hat, hinter welchen Menschen und hinter welchen nur Funktionen stecken, geschweige denn, wo sie sich befinden: an einem realen Ort – wo auch immer – oder im Netz selbst. Er bespricht mit einem food-coordinator Preise und Lieferschwierigkeiten: ist es sinnvoll, trotz der Krise in Nordamerika Weizen dort zu kaufen? Die MO widerspricht, da die platform nun einer lunaren Verbindung gehöre, die ausreichend Militär habe, um den Transport zu sichern. Sie hört noch weitere ihrer "Fachleute" an und entscheidet sich für den Transport. Nach weiteren Transaktionen dieser Art bekommt Hillary Sehnsucht nach Entspannung: Baby läßt sich schaukeln und besingen.
Vor der Tür steht bereits der Warenkorb für die nächsten Tage. Ihr assistant hat gut gewählt, diesmal ruhig viel Schokolade, schließlich ist Mr. Big im Streß.
Sie geht in ihren Garten und bewundert den Geruch der Blumen. Billy trifft sich mit George und flirtet. Als sie wieder in den Garten geht, steht die Sonne im Zenit.
Dann geht sie in ihr Arbeitszimmer, installiert ihr virtuelles Bild und geht ins Büro. George meldet sich und fragt nach einem gemeinsamen Abendessen mit Billy, was ihr Terminkalender auf das nächste Jahr verschieben muß. Mr. Big begrüßt ihre MitarbeiterInnen. Das MO erscheint ihr heute gereizt, es ist kein Weizen lieferbar. Gelangweilt hört sich Mr. Big den Fachmann für Nordamerika an, als plötzlich die Verbindung unterbrochen wird. Auch die Verbindung zum food-coordinator mißlingt. Sie weiß den Grund nicht mehr, aber es passiert immer häufiger. Sie beschließt, den Tag erneut zu beginnen.
Der Wecker klingelt, sie frühstückt und ihr newsboard informiert sie. Oma meldet sich, Hillary schaltet sie ab. Sie geht in die Firma und begrüßt ihre MitarbeiterInnen. Die MO berichtet von Weizenlieferungen, Mr. Big koordiniert die Weiterleitung. Sie sucht nach Entspannung. Als Baby geschaukelt wird, ist es wütend, da es von Oma geschaukelt wird. Ist sie in der Südsee? Verärgert geht Hillary in den Garten. Als sie die Tür öffnet, sieht sie, daß Schnee liegt. War sie nicht eben dort und hatte Blumen gesehen? Wo ist George? Billy trifft sich mit ihr, sie ißt mit George gemütlich zu Abend; sie versucht mit George über ihre Unsicherheit mit Oma und dem Garten zu reden, aber George winkt verunsichert und dann gereizt ab. Hillary kippt ihm ein Glas Wein ins Gesicht und beginnt den Tag erneut. Mr. Big will frühstücken, doch vor der Tür steht ... nichts.
Schon heute sind Wege gelegt, indem Menschen an verschiedenen Orten der Welt über Videokonferenzen zusammenarbeiten, soziale Kontakte übers Netz knüpfen, auch über fiktive Identitäten, die Raum und Zeit in gewissem Sinne überwinden. Da das Individuum jedoch an Raum und Zeit gebunden ist, kommt es über kurz oder lang zu Identitätskonflikten: Mit wem rede ich, wer bin ich, ein reales oder virtuelles Wesen? Die Gefahr, keine oder sehr viele Persönlichkeiten zu sein, kann zu großen Schwierigkeit im Sozialverhalten führen. Heute verstärkt auftauchende Phänomene wie Egoismus und Egozentrismus potenzieren sich, dauerhafte Beziehungen können nicht mehr geführt werden und das Handeln bleibt konsequenzenlos: Wer will wen zur Verantwortung ziehen? Ansätze sind im Umgang mit Kinderpornographie im Internet zu sehen.
Auch die technische Seite des Internet, die die reale Basis der NetzGesellschaft bildet, wird Probleme bereiten; hier ist die Analogie zur Krise der Industriegesellschaft deutlicher. Die Abhängigkeit von dem hochsensiblen, sehr anfälligen Internet steht auf wackligen Beinen, wenn Realität nicht mehr in ihrer ganzen Ausprägung wahrgenommen wird. Sollten unangenehme Dinge von den NutzerInnen des Netzes immer mehr ausgeblendet werden, wird die Gefahr immer größer, daß z.B. die Energie für das Netz und seine Anbindungen aus irgendeinem Grund fehlen, die Gesellschaft unvorbereitet bzw. völlig überrascht und handlungsunfähig mit Raum und Zeit konfrontiert werden wird.
Ein grundsätzliches Problem ist meiner Meinung nach darin zu sehen, daß Gesellschaft auch soziale Bindungen, Verantwortung, Selbstreflektion bedeutet (ist die Informationsgesellschaft überhaupt noch eine Form von Gesellschaft?). Insofern ist die NetzGesellschaft prädestiniert, schneller als andere sog. Hochkulturen unterzugehen; 100 Jahre sind ein vorstellbarer Zeitraum.
Worin sich die NetzGesellschaft nicht
von anderen Formen unterscheiden wird, ist ihr exklusiver Charakter: Eine
große Gruppe/Schicht/Klasse/Kaste wird auch hier ausgegrenzt werden,
sie kann nicht an der virtuellen Gemeinschaft teilhaben, legt aber die
Basis für sie, indem sie Grundnahrungsmittel, Rohstoffe, usw. liefert.
Beide Gruppen haben keinerlei Berührungsfläche mehr, es gibt
nur eine minimale Schnittstelle zwischen der virtuellen und der realen
"Gemeinschaft". Solche stark hierarchisch aufgebauten Gesellschaften benötigen,
um stabil zu sein, ein ausgeprägtes Herrschaftsinstrument. Das können
nicht die Menschen der NetzGesellschaft sein, aber das Netz selbst. Dann
allerdings wäre die Zukunft des Internet nicht die der Menschen: Die
Enkelin meines Nachbars würde in einem solchen Szenarium gar nicht
mehr existieren, da es keine Information über sie gäbe.