F: Wie und wohin entwickelt sich das Internet in den nÄchsten zehn
Jahren?
A: Wer kann das schon sagen? Sie mÖchten eine Antwort. Es gibt
Tendenzen, Trends, Visionen, dazu kÖnnte ich mich Äußern.
Wenn Sie mÖchten?
F: Ja, gern. Jede Idee, jeder Fingerzeig hilft mir weiter. Schießen
Sie los!
A: Dann wolln wir mal sehen, meine Person, also ich, nutze das
Internet fÜr Kinoprogramm, neueste News aus der Politik, electronic
mail, Bahnverbin-dungen, Whats cool-Pages und Literatur-Recherche.
Das ist ein sehr gemischtes Angebot, daß ich privat nutze. FÜr
meine Arbeit ist das Netz bereits auf eine andere Weise wichtig: Das
Angebot von Bildagenturen, Nach-richtendiensten und Inspiration fÜr
Computergrafiken stehen im Anspruch der besuchten Seiten oben an. Das
Internet bietet einen Überblick Über das, was Standart auf der
ganzen Welt ist. Das Angebot in high quality kann ich Über das Netz
abrufen, virtuell bezahlen und mich Über e-mail mit meinen Partnern
auseinandersetzen. Es kommt zu keiner ZeitverzÖgerung, das ist
wichtig. Aber oft genug leidet der Arbeitsablauf unter technischen
Schwie-rigkeiten, der Server ist ausgefallen oder Überlastet, die
hohen Datenmengen brachten die Leitung zum Crash, Programme vertragen sich
untereinander nicht. Einfach gesagt, das System ist zu teuer. Gute, sichere
Technik ist uner-schwinglich. Das ist die derzeitige Situation, das ist
traurig.
F: Spricht nicht fÜrs Internet. Wird sich denn nun was
Ändern?
A: Aber natÜrlich! Ich hab doch von mir erzÄhlt. Ich bin nicht
die Welt. Mein Szenario fÜr die Zukunft: Der Fortschritt in der
Computertechnik schreitet unaufhaltsam seinen Weg entlang, wobei dieser Weg
nicht vorgegeben ist, sondern in alle Richtungen geht. FÜr jeden Typ
Nutzer das was er braucht, zu dem Preis, den er zu zahlen bereit ist. Keine
AbhÄngigkeit mehr von teurer Technik, das Leben im Internet zum
Spottpreis.
F: Das Leben?
A: Jawohl, denn je gÜnstiger der Einstieg in die virtuelle Welt, desto
mehr Menschen werden die MÖglichkeit nutzen, sich aus der eigenen,
realen Welt auszuklinken und ein paralleles Leben im Netz zu fÜhren.
Internet macht sÜchtig, es ist eine Spielwiese der MÖglichkeiten,
der Wirklichkeiten, der IdentitÄten. Dieser Begriff bekommt eine neue
Bedeutung. Wir Menschen sind schwach und anfÄllig fÜr jegliche
Arten der VerfÜhrung. Wir werden Netizens, BÜrger im Netz , ohne
Staat, ohne Grenzen und ohne Pflichten, nur uns und unserer nicht
eindeutigen IdentitÄt verschrieben, selbst das Gewissen geht uns
verloren. Wir werden unseren Halt in der Gesellschaft verlieren, aber das
macht nichts, denn es wird auch keine Gesellschaft mehr geben. Alles ist
erlaubt, es herrscht Anarchie.
F: Sehen Sie das alles nicht ein bißchen zu pessimistisch?
A: (eine nicht grad kurze Pause) Sie haben recht. Ich habe mich
hinreißen lassen. Mir schwebte eine Welt vor, in der der Mensch keine
Beziehung zu seinen Mitmenschen hat, in der BerÜhrungen wegfallen und
wir unsere KÖrper mit elektronischen Impulsen stimulieren. Aber ich
bin allgemein davon Überzeugt, daß sich der Mensch nicht selbst
untergehen lassen wird und er im Moment des Kurz-Davor, das tut, was ihm
das Überleben sichert. Wir sind keine Lemminge, auch wenn einige auf
der Strecke bleiben werden.
Sollte ich also von einer realistischen Entwicklung ausgehen:
Jedermann kann im Internet Texte verÖffentlichen, Seiten gestalten und
anderen Nutzern mitteilen, was er zu sagen zu haben meint. Es gibt keine
Standards, keine Regeln, keine QualitÄtskontrolle, kein Lektorat.
Es werden sich Interessensgemeinschaften bilden, die sich in ihrem Kreis im
Internet begegnen. Es wird den Beruf eines Internetlektors geben, dem
Manuskripte zukommen, die er dann redigiert und die unter einem bestimmten
Zeichen verÖffentlich werden. Es wird eigene Netze geben, die sich um
spezielle Themen und Fragestellungen drehen werden, zu denen nicht jeder
Zugang erhÄlt. Das Netz organisiert sich neu. Die neuen Strukturen
bilden sich von allein. Es wird keinen Großen Denker geben, der das
Netz gestalten wird. Die Trennung vollzieht sich zwischen Professionellen
und Privaten. Ein Verlagswesen entsteht, ich hatte ja schon vom
Internetlektor erzÄhlt. Interessante Konstellationen kommen auf uns
zu.
F: Moment, Sie glauben an eine Reorganisation des Internets? Aus welcher
Motivation heraus kann dies geschehen?
A: Die Motivation liegt vor uns, das Chaos des Internets. Im Netzwerk liegt
unsere Zukunft. Auch wenn es nicht alle Menschen nutzen, profitieren tun
wir alle davon. Zur Zeit fehlt die Übersichtlichkeit, um nur mal eben
die Mail abzurufen, Zugverbindungen in Erfahrung zu bringen oder eine
Literaturrecherche fÜr die Uni-Hausarbeit zu absolvieren, braucht es
in der ersten beiden FÄllen nicht viel Aufwand, aber eine sinnvolle
Recherche von Fachliteratur kann zur Tortur werden. Was ich ausdrÜcken
mÖchte: Es steht zum großen Teil Dreck im Netz und der nimmt
Zeit in Anspruch, daß es nicht mehr schÖn ist. Abhilfe sehe ich
nur in einer Reorganisation, einer Revolution, durch die Regeln, und Formen
eingefÜhrt werden, die so von den UrvÄtern nicht gedacht waren.
Aber sie sind nÖtig. Regeln sind nÖtig, um Freiheit zu
gewÄhren. Und sehen Sie doch mal, wie schÖn es wÄre, wenn
Sie zum Thema Entwicklung des Internet ind en nÄchsten 10
Jahren ausgearbeitete, analysierte Studien und AufsÄtze
fÄnden und nicht eine Abschrift dieses GesprÄchs, daß unter
nicht ganz promillefreien Bedingungen gefÜhrt wurde.
F: Ita est, dem schließe ich mich an. Danke fÜr das
GesprÄch.