Bevor vor ein paar Jahren das WeltWeiteWarten anfing, nutzte ich einen kleinen - aber feinen - Internetaccount an der Duisburger Gesamthochschule. Das Betriebssystem war ein Unix, Grafikterminals gabīs nicht, Windows war noch in der Version 3.0 aktuell - und auf den Unirechnern nicht vorhanden.
Es gab viel zu entdecken: E-Mail (ja, zwei Bekannte von mir hatten auch schon Internet-Accounts, einer in Dortmund, ein anderer in Seattle), das Usenet (damals noch AOL-uninfizierte kleine nette Diskussionsgruppen, in denen ein höflicher Umgangston gepflegt wurde). Das ganze vor den Rechtsanwälten Canter & Siegel. Komplette Hierarchien konnten in wenigen Stunden "leergelesen" werden. Ein oft gelesener Satz war: "Sorry for wasting bandwidth, but..."
Die Amerikaner waren natürlich damals schon weiter als wir, so boten sie z.B. Zugang zur Library of Congress in Washington, so daß man schon damals recht gut im Netz recherchieren konnte, ob es überhaupt Bücher zu bestimmten Themen gab.
Und dann das faszinierendste: Gopher. An der Uni Duisburg existierte ein Gopherserver, der viele interessante Links anbot - Postleitzahlensuche auf einem Server in Karlsruhe, Wettervorhersage aus München (AFAIR), etc. Und das tolle war: jeder der angesprungenen Server bot weitere Menüs, so daß man sich plötzlich auf Servern in den USA wiederfand. Die weite Welt!
Einige Jahre später... Das erste eigene Modem (14.400 Bps) - der erste eigene Rechner mit Windows und Netscape und ein nicht zu teurer Provider. Das WWW! Darüber gelesen hatte ich vorher schon, ich wußte auch, daß es für WWW-Seiten eine gewisse Beschreibungssprache gab - HTML. HTML - so las ich - war dazu gedacht, wissenschaftliche Texte in einem vernünftigen Layout weltweit verfügbar zu machen - mit der Möglichkeit Bilder in den Text einzufügen.
Aber das das ganze so bunt war, hätte ich denn doch nicht gedacht.
Natürlich habe ich sofort weder E-Mails verschickt, Newsgroups gelesen und "im Web gesurft". Bis die ersten Telefonrechnungen eintrudelten ;-(
Der zweite Schock waren die veränderungen in den Newsgroups. Canter & Siegel habe ich nicht live mitbekommen, nur die Auswirkungen ihres "Attentats" auf das Usenet. Werbung überall, User, die sich nur darum kümmerten, daß solche Postings wieder gecancelt wurden, und und und. Die Hierarchien hatten an Umfang zugenommen, höfliche Umgangsformen waren auch seltener. Viele Nutzer hatten ein Anspruchsdenken gegenüber denjenigen entwickelt, die sich freiwillig bereit fanden Hilfestellung bei Problemen zu geben.
Ein weiteres Phänomen waren die unerwünschten Werbemails, die urplötzlich in der Inbox waren, sobald man ein Posting in eine Newsgroup abgesetzt hatte.
Mittlerweile habe ich einen ISDN-Anschluß, benutze das "einzig glücklichmachende Betriebssystem" (tm) mit dem Pinguin und bin bei der Netznutzung wieder da angelangt, wo ich am Anfang war.
Das Netz ist für mich ein sprudelnder Quell an Informationen, die meistgenutzten Dienste sind E-Mail und Usenet (bis zu zwei Stunden am Tag), "gesurft" wird nur, wenn ich bestimmte Sachen suche - klicken von Link zu Link passiert äusserst selten. Ich denke, daß es zu jeder dem Menschen verfügbaren Theorie im Netz mindestens einen Beweis gibt. Man muß nur danach suchen (können).
Den meisten Neuerungen im Web stehe ich eher skeptisch gegenüber (nichts gegen Java, solange es für andere Sachen als animierte Bilder genutzt wird). WebTV, Realaudio, streaming-video, Quicktime-VR und VRML mögen ja ganz schön sein, einen richtigen Vorsprung an Information bringen sie gegenüber dem geschrieben allerdings nicht. Natürlich gibt es immer wieder Nutzergruppen, die solche "HTML-Erweiterungen" brauchen (beruflich bedingt), dem normalen Nutzer bringen sie allerdings nur einen Fernsehersatz. Und so wird das Netz zum Gegenteil von dem was es einmal war - Das Ideal des Brechtschen Radiotheorems (jeder ist ein Sender).
Wahrscheinlich gehöre ich zu der seltenen Gruppe von Webnutzern, für die eine Seite genau dann keine Information birgt, wenn sie nicht mit Lynx betrachtbar ist. Grauenhafte Hintergründe, laienhaft gestaltete Seiten, die ihre Information in einer Vielzahl von Frames verstecken, findet man im Netz zu genüge. Außerdem unsinnige Java-Applets, Midi-Getöne im Hintergrund und was es nicht noch alles Bandbreitenverschwendendes gibt.
Um mit dem Genöle aufzuhören: Ich brauche keine taz im Web (dafür gibtīs die taz als Zeitung), wenn ich TV-Programme sehen will, dann schalte ich den Fernseher ein (das gleiche gilt fürīs Radio), und es ist mir auch noch nicht gelungen, den Computer mit in die Badewanne zu nehmen (dafür gibt es Bücher).
Natürlich kann auch ich dem WWW seine schönen Seiten abgewinnen, sei es aus ästhetischen Gründen oder zur Informationsgewinnung. Zweifelsfrei ist das Netz auch ein großer Softwareladen, in dem man (unabhängig von der Tageszeit) mehr Programme bekommt, als man je benötigen wird.
Ich nutze das WWW mittlerweile stellenweise zum Einkaufen, da vor allem bei fremdsprachigen Büchern die Auswahl größer (und der Preis meist geringer ist). Mit dem Kauf von Hardware (aller Sorten, also auch Küchengeräte, Bohrmaschinen usw.) halte ich mich allerdings zurück, da ich es als extrem lästig empfinde, nicht funktionierende Geräte per Paket zurückzusenden und dem Händler nur per Mail oder Brief auf den Schlips treten zu können.
Online-Banking nutze ich auch nicht, da es momentan noch keinen mich überzeugenden Sicherheitsstandard gibt, der meine privaten Daten (Kartennummer, Kontonummer, PID) ausreichend vor Spähern schützt (außerdem ist meine Bank gerade mal 2 Minuten entfernt ;-). Da auch E-Cash und Derivate momentan ziemlich in den Seilen hängen, bestelle ich auch nur Dinge, die ich per Rechnung oder Nachnahme bezahlen kann. Durch das US-amerikanische Verbot des Exports von starker Kryptographie bieten viele Server im (hiesigen) Inland leider auch nur schwache Verschlüsselung an.
Kurze Zusammenfassung:
Darüber etwas auszusagen ist natürlich recht schwer.
Fangen wir mit dem Zugang an. Ich denke, daß es in Zukunft möglich sein wird für vernünftige Preise fest an das Internet angebunden zu werden, so daß die leidige Preisdiskussion über Telefonkosten der Vergangenheit angehören wird. Ob der Zugang dann über xDSL-Modems, Kabelnetz oder Stromnetz passieren wird ist dabei ja erst mal egal. Ob dabei die erreichbaren Datenraten viel höher sein werden als heute, sei erst mal dahingestellt (bzw. weiter unten etwas näher erklärt).
Die Inhalte: Usenet und E-Mail werden zu dem Zeitpunkt noch immer vorhanden sein, und E-Mail wird (wie auch heute schon) zu den am meisten genutzten Netzdiensten gehören. Das Internet wird um einiges kommerzieller sein, als es heute schon ist, natürlich werden aber auch Privatanwender noch ihre Homepages der "Community" verfügbar machen können. Das aber auch der "Verfall des Umgangs miteinander" weiter vorschreiten wird, ist ziemlich sicher. Wenn immer mehr Menschen das Netz nutzen, so wird das Netz ein immer genaueres Abbild der Gesellschaften werden. Oder - aus einer .sig zitiert - "Der Intelligenzquotient des Usenets ist eine Konstante - aber die Nutzermenge wächst".
Ein starker Anstieg wird bei den Umsätzen der "Online-Verkäufer" zu verzeichnen sein, da es bis dahin vernünftige Standards zur Abrechnung geben wird. Auch wird das Angebot dessen, was im Internet verkauft wird, breiter gestreut sein als momentan. Lebensmitteleinkauf über das Netz wird allerdings immer noch wenig genutzt werden, da gerade beim Einkauf von frischen Lebensmitteln das genaue Aussehen der Ware über einen Kauf entscheidet. Bei Tiefkühlkost und anderen Fertigwaren kann ich mir das aber schon eher vorstellen.
Ich zweifle allerdings daran, daß das Netz andere Medien an den Rand drücken wird (bzw. sie völlig ersetzen wird). Bücher und Tageszeitungen wird es weiterhin geben, trotz der Option sich Tageszeitungen zusammenzustellen, die nur Themen behandeln, die einen selbst interessieren. Hier wird genau der Reiz eine Tageszeitung (eines Wochen- bzw. Monatsmagazins) umgangen, da gerade der Blick über den Tellerrand (also auch mal das zu lesen, wofür man sich eigentlich nicht per se interessiert) die Stärke solcher Medien ausmacht. Und auch das Lesen eines guten Buches wird nicht durch E-Books oder ähnliches zu ersetzen sein.
Bloß der etablierten Musikindustrie könnte das Internet einige Schwierigkeiten bereiten, da der Download von Musik aus dem Internet (z.B. komplette CDs als Mpeg-Dateien) bei einem dauerhaften Netzzugang (s.o.) doch einige interessante Aspekte aufwirft. Was es allerdings nicht geben wird, ist die Möglichkeit sich Platten per Wunsch zusammenzustellen, da die Musikverlage (und auch die Musiker) daran interessiert sind, komplette Alben zu verkaufen (und nicht bloß Auszüge daraus).
WebTV (hiermit meine ich die Möglichkeit Filme per Web anzusehen) und ähnlicher Schwachsinn wird sich meiner Meinung nach nicht durchsetzen - es sei denn, daß Computer bis dahin als multimediale Schaltzentrale in den Wohnzimmern fungieren. Warum soll ich etwas gutes (TV mit Digitaltechnik) durch etwas (aller Voraussicht nach) schlechteres ersetzen?
Zum Schluß noch etwas zu den oben erwähnten Bandbreiten. Natürlich werden die möglichen Datenraten bei Privatanschlüssen in den nächsten jahren immer höher werden, aber dadurch daß die Masse der Netzdienste ebenso steigen wird (Video übers Netz, telefonieren übers Netz, Radio übers Netz, Videokonferenzen übers Netz) wird die effektive Datenrate nicht viel höher sein als bisher - vor allem wenn man daran denkt, daß auch die Anzahl der Nutzer steigen wird. Wenn wir Pech haben, wird folgendes passieren: Man muß für jeden nicht im Internet-Standard-Paket vorhandenen Dienst einen eigenen Zugang abonnieren, die Bestrebungen in diese Richtung sind schon im IPv6 abzusehen. Dann bekommt halt nur der TV, der sich auch an einen TV-Backbone anschließen lässt, bzw. der dafür zahlt, daß er Pakete mit hoher Priorität empfangen will.
Mag sein, daß das ganze etwas konservativ oder abgeklärt klingt, aber so ist meine jetzige Sicht der Dinge. Ich sehe für mich keinen Nutzen aus den momentan diskutierten Erweiterungen (na ja, īne günstige Digitalstandleitung wäre schon toll :-), mir genügen bis auf weiteres die Möglichkeiten, die das Netz mir jetzt schon bietet. Und ich muß wirklich nicht meine Kaffeemaschine bzw. meinen Herd über das WWW bedienen können - wozu auch?
Ich lasse mich natürlich in einigen Jahren gerne vom Gegenteil überzeugen.