Boris Buchholz
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Referat / Hausarbeit:





200 Pflichtexemplare für Doktoranden? Vorbei?


Seminar: Kommunikationsformen im Internet
Dozent: Wolfgang Röhrig


Studiengang Informationswissenschaft der FU Berlin
Wintersemester 97/98





Gliederung

  1. Einführung & ob und warum 200 Exemplare der Doktorarbeit gedruckt werden müssen

  2. Stand der Dinge: Online -- aber wie?

  3. Für und Wider: Sind Online-Dissertationen wirklich das Gelbe vom Ei?

  4. Beispiele & Projekte: Die Publizisten müssen drucken!

  5. Ausblick

  6. Literatur- bzw. Linkverzeichnis

1. Einführung & ob und warum 200 Exemplare der Doktorarbeit gedruckt werden müssen

Die Kritik an den bestehenden Promotionsordnungen ist hauptsächlich die, daß eine Promotion zu teuer ist. Je nach Quelle wird mit Druckkosten zwischen 1.000 DM und mehreren tausend Mark gesprochen. Fest steht, daß die Promotion seit ihrer Einführung noch niemals billig war.

Dissertationen als Teil der Prüfung um die Verleihung der Doktorwürde entstanden im 16. Jahrhundert. Doch hatten sie damals gänzlich andere Formen und Funktionen als heute. Zunächst waren Dissertationen nur Ankündigungen und Einladungen zur Inauguraldisputation des Kandidaten -- sie waren nicht mehr als Plakate, auf denen Ort, Zeit und die zu behandelnden Thesen der Disputation zu lesen waren. Angeschlagen wurden sie in der Universität und an der Kirche. Sie waren kein Bestandteil der Prüfungsleistung. Diese war die wissenschaftliche Disputation um eigene Thesen oder um Thesen des Doktorvaters (vgl. Schnieders 1972: 3ff.)

Aus den Ankündigungen der Disputationen entwickelten sich -- möglich gemacht durch den Buchdruck -- Abhandlungen und Anmerkungen zu den mündlich vorgebrachten Thesen. Zunächst waren diese schriftlichen Texte keine Prüfungsleistung. Doch durch die Verbreitung des Buchdrucks gewannen die schriftlichen Abhandlungen immer mehr an Bedeutung und überflügelten an einzelnen Universitäten noch im 17. Jahrhundert die Bedeutung des mündlichen Vortrags.

Billig war die Promotion nie: Zunächst war jede Promotion ein öffentliches Fest; die Gäste wollten mit Speis und Trank versorgt werden, die Glocken mußten geläutet und Orgel gespielt werden. Schließlich galt es, Geschenke an die Prüfer, die Doktoren und Magister zu verteilen. Später kamen zu diesen Kosten die Kosten für den Druck der Dissertation hinzu.

Der Druckzwang für Dissertation wurde jedoch erst 1913 durch einen preußischen Ministerial-Erlaß amtlich und zum ?Zwang“ für die Promovenden. Zuvor hatten die Professoren sowie Personen, bei denen der frischgebackene Doktor Eindruck machen wollte, Exemplare der Dissertation geschenkt bekommen. Schnell stellten die Universitäten fest, daß sie wissenschaftliches Interesse an den Dissertationen der anderen Universitäten haben; 1817 entwickelte sich der erste Dissertationen Tauschring. Getauscht wurde innerhalb deutschlands ebenso wie mit Universitäten aus dem Ausland -- Dissertationen erhielten damit eine internationale Brückenfunktion. Wieviele Exemplare Anfang des 20. Jahrhunderts abzuliefern waren, schreibt Schnieders nicht.

Durch den 1. Weltkrieg jedoch wurde der Druckzwang gelockert: Um in der Kriegswirtschaft hohe Papier- und Materialkosten zu vermeiden, mußte der Promovend nur noch vier Exemplare seiner Dissertation einreichen. In der Weimarer Republik (1925) wurde der Druckzwang zwar wieder eingeführt, doch reichten weiterhin vier Exemplare aus, wenn ?der Doktorand sein wirtschaftliches Unvermögen“ (ebd.: 20) nachwies. Aus der Aufhebung des Druckzwangs wegen Papierknappheits wurde ein Druckzwang mit Sozialklausel.

1941 wurde der Druckzwang erneut aufgehoben; in den 50er Jahren wurde er wieder eingeführt.

Die Phasen der Aufhebung des Druckzwangs waren für die deutschen Universitäten problematisch: Nicht nur reichten die vier Dissertations-Exemplare bei weitem nicht für den nationalen Bedarf aus. Auch standen die Universitäten ihren ausländischen Tauschpartnern mit leeren Händen gegenüber, was zur Folge hatte, daß auch immer weniger ausländische Dissertationen in Deutschland zur Verfügung standen (ebd.: 20ff.).

In der Nachkriegszeit ging man in Deutschland dazu über, Dissertationen in Zeitschriften zu veröffentlichen. Unzählige Fachzeitschriften wurden gegründet, der Seitenumfang und der Preis wuchs immens. Erst nach Protesten von internationalen Wissenschaftsverbänden wurde der Zeitschriften-Wildwuchs gestoppt; Dissertationen wurden wieder separat gedruckt.

Der Protest gegen den Druckzwang bzw. die dadurch für den Doktoranden entstehenden hohen Kosten wurde schon im 19. Jahrhundert formuliert. Als Folge wurde die Anzahl der abzuliefernden Dissertationen seit Ende des zweiten Weltkrieges tendentiell gesenkt. Auch gab es Vorschläge, die Kosten für den Dissertationsdruck der Universität und nicht dem Promovenden anzulasten. So beschreibt Schnieders den Entwurf einer Promotionsordnung für den Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften der FU Berlin von Ende 1970. Darin wurde festgelegt, daß der Fachbereich den Druck der 150 Pflichtexemplare übernimmt, sofern die Dissertation nicht als Buch veröffentlicht wird (ebd.: 48). Dieser Entwurf einer Promotionsordnung wurde wohl nicht weiterverfolgt.

Fest steht jedoch, daß in Deutschland kein Promovend mehr 200 Exemplare seiner Doktorarbeit drucken muß. An der Universität Marburg müssen die Juristen mit 125 gedruckten Exemplaren am meisten drucken; die anderen Fachbereiche haben die Anzahl der Pflichtexemplare auf 80 bzw. 40 gesenkt. Das Schlußlicht bilden die Humanmediziner: Sie müssen 40 Exemplare im DIN A5-Format abliefern (vgl. http://www.ub.uni-marburg.de/dut/dissabl1.html).Zu erklären ist diese Staffelung zum Teil durch die Zahl der pro Jahr veröffentlichten Dissertationen. Klaus-Dieter Lehmann schreibt, daß jährlich etwa 26.900 Dissertationen in Deutschland erscheinen. Davon wurden über 40 Prozent von Humanmedizinern geschrieben (10.866). An der zweiten Stelle liegen die Naturwissenschaften mit 5.924 Dissertationen, gefolgt von den Sozialwissenschaften mit knapp 4.000 Doktorarbeiten (vgl. Lehmann 1997, Bibliotheksdienst Heft 4/97: http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/bd_art/97_04_10.htm).

Lehmann spricht von

"früher 80-120 Kopien, heute 20-40 Belegexemplaren“,

die im Rahmen der Promotion in Deutschland erstellt werden müssen. Schon allein diese beiden Quellen widersprechen sich deutlich. Doch ist festzustellen, daß die Zahl von 200 Kopien auf jedem Fall zu hoch gegriffen ist.

Die Hoffnung ist nun, daß durch neue Publikationsformen und -verbindlichkeiten im Internet, Kosten reduziert und die Verfügbarkeit und Verwendbarkeit von Dissertationen erweitert wird.

2. Stand der Dinge: Online -- aber wie?

Die Probleme, die für Promovenden, Universitäten und die jeweils interessierte Fachöffentlichkeit im Zusammenarbeit mit dem Druckzwang auftreten, sind gravierend:

(vgl. Lehmann 1997; Antrag "Dissertationen Online“ von fünf Fachgesellschaften beim DFN, http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/folien.html; Empfehlung des Niedersächsischen Beirats für Bibliotheksangelegenheiten, AG "Elektronische Dissertationen“ vom 23.12.1996, http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/eldiss.html)

Die Voraussetzungen dafür, Dissertationen online zu veröffentlichen, sind gut, stellt Klaus-Dieter Lehmann fest.

Die aus der Online-Publikation resultierenden Vorteile sind mannigfaltig:

(vgl. Lehmann 1997)

Die Diskussion um die Veröffentlichung im Internet ist schon relativ weit gediehen. Die AG "Elektronische Dissertation“ des Niedersächsischen Beirats für Bibliotheksangelegenheiten drängte schon Ende 1996 zum einen die Universitäten, ihre Promotionsordnungen zu ändern, zum anderen das Ministerium für Kultur und Wissenschaft, Druck in dieser Richtung auf die Universitäten auszuüben. Verschiedene Universitäten und Institutionen haben im Vorgriff auf ein bundeseinheitliches Vorgehen, verschiedenste Projekte gestartet.

Die Sinnhaftigkeit der elektronischen Publizierung wird kaum angezweifelt. Unklarheit besteht vor allem in den folgenden Bereichen:

A) In welchem Format sollen die Dissertationen veröffentlicht werden?

Favorisiert werden nicht-proprietäre Formate, also Formate, die von verschiedenen Programmen und Herstellern unterstützt werden. Ein Beispiel für ein nicht-proprietäres Format ist die Hyper Text Markup Language (HTML). HTML "gehört“ niemanden und ist Standard im World Wide Web. Anders verhält es sich beispielsweise mit dem Acrobat-Format der Firma Adobe, PDF. PDF-Dateien können nur mit Adobe-Produkten erstellt und gelesen werden.

Dieser Nachteil ist jedoch mit der Realisierbarkeit anderer Formate in Bezug zu setzen. HTML weist für die wissenschaftliche Arbeit zu wenige Formatierungsmöglichkeiten auf. Die Sprache SGML, von der HTML eine abgespeckte Variante ist, wird sich aber in absehbarer Zeit nicht für den wissenschaftlichen Massenmarkt durchsetzen.

Durch diesen Konflikt kommt es dann auch immer wieder zu sich widersprechenden Forderungen und Verabredungen. Auf der Tagung ?Dissertationen Online“, die im März 1997 an der Humboldt- Universität stattfand, rät die Arbeitsgruppe 2 ?Mögliche Formate digitaler Dissertationen“ zwar zur ?Vorsicht gegenüber proprietären Formaten“; doch wird festgestellt, daß alle beteiligten Universitäten -- mit Ausnahme der Humboldt-Universität -- in ihren Pilotprojekten mit PDF- und PostScript-Dateien arbeiten. Eine

"Ablieferung der Texte in diesem Format [SGML] ist augenblicklich illusorisch“

folgern die Teilnehmer der Diskussion (Tagung Dissertation Online; Workshop 2; Bericht vom 17.3.1997, http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/formate.html).

Im Zusammenhang mit dem Format wird auch die Forderung erhoben, daß Bildschirm- und gedruckte Ausgabe identisch sein sollten (vgl. Schirmbacher 1997(?); Antrag "Dissertationen Online“). Der Hintergrund ist plausibel: In der wissenschaftlichen Diskussion sollen sich die Quellenangaben -- speziell mit ihren Seitenangaben -- zu einem Text möglichst entsprechen. So soll die LeserIn der gedruckten Ausgabe mit der LeserIn der Online-Dissertation problemlos Quellen und Zitate austauschen können. Doch wird auf der anderen Seite auch heute bei gedruckten Texten mit verschiedenen Ausgaben ein und desselben Textes gearbeitet.

Eine weitere Forderung in der Formate-Diskussion ist, daß die Dokumente plattformunabhängig -- also auf Windows-Rechnern genauso wie auf Apple- oder UNIX-Maschinen -- zu lesen sein müssen. Genauso grundlegend ist die Forderung nach der Möglichkeit der Volltextindexierung, wodurch Volltextsuchen möglich werden (vgl. Schirmbacher 1997(?)).

B) Wer ist für die Langzeitsicherung der Dissertationen verantwortlich?

Bisher ist es so, daß die Universitätsbibliotheken die gedruckten Dissertation langfristig sichern müssen (vgl. Lehmann 1997; Schnieders 1972). Parallel dazu wird ein Exemplar jeder Dissertation der Deutschen Bibliothek zur Verfügung gestellt. Sie hat neben der Langzeitsicherung auch die Sammlung u.a. von Dissertationen zur Aufgabe.

Vier Exemplare der jeweiligen Doktorarbeit sind damit schon vergeben: Ein Exemplar kommt in das Archiv und eines in den Verleih der Universitätsbibliothek, ein Exemplar erhält die Deutsche Bibliothek und eine Kopie geht ggf. in eine sogenannte Sondersammelgebietsbibliothek.

Während Lehmann nun in erster Linie die Universitätsbibliotheken mit der Langzeitarchivierung beauftragen möchte, wehren sich die Universitäten gegen diese Aufgabe. Denn Sinn macht die elektronische Online-Dissertation nur,

Die Folgerung aus dem letzten Punkt ist, daß abgelegte und archivierte Dokumente in ihrem Dateiformat migrieren müssen: Wenn sich ein neues, besseres Dateiformat etabliert, müssen die schon archivierten Dateien in dieses Format konvertiert werden. Dies erfordert technisches Know-How, Zeit und Geld. Ausgaben, die die Universitäten in Zeiten knapper Kassen gerne vermeiden wollen -- noch dazu, da sie sich langfristig binden würden.

Die Alternativ-Vorstellung ist, daß allein die Deutsche Bibliothek für die Online-Publikation zuständig ist. Lehmann weist darauf hin, daß die Deutsche Bibliothek ähnliche Aufgaben in anderen Bereichen schon übernommen hat und über das Wissen als auch über die Infrastruktur verfügt. (vgl. Lehmann 1997; Tagung Dissertation Online; Workshop "Rechtliche Fragen“, http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/recht.html; Empfehlung des Niedersächsischen Beirats für Bibliotheksangelegenheiten, AG "Elektronische Dissertationen“, http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/eldiss.html)

C) Wieviele Print-Exemplare müssen neben der elektronischen Dissertation abgeliefert werden?

Es wäre eine Illusion zu glauben, daß mit der Veröffentlichung der Doktorarbeit als Online-Publikation jegliches Print-Exemplar hinfällig geworden ist. Auf die Archivierung und Zur-Verfügung-Stellung der Dissertationen als gedruckte Form will niemand verzichten.

Über die Anzahl der gedruckten Pflichtexemplare sind sich die ExpertInnen nicht einig -- und werden es wohl auch nie werden. Denn auch heute, variiert die Anzahl der Pflichtexemplare von Fachbereich zu Fachbereich und von Universität zu Universität.

In Niedersachsen hat der Beirat für Bibliotheksangelegenheiten mindestens vier Print-Exemplare gefordert (Empfehlung des Niedersächsischen Beirats für Bibliotheksangelegenheiten, AG "Elektronische Dissertationen“, http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/eldiss.html). Der leitende Bibliotheksdirektor der Technischen Universität München wünscht sich eine Ablieferung von 16 bis 20 Papierexemplaren (Dissertationen im Internet; http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/muenchen.html). Bei den Veterinärmedizinern der Freien Universität Berlin müssen immerhin noch 50 Pflichtexemplare abgeliefert werden (FU Berlin, Fachbereich Veterinärmedizin, Anhang zur Promotionsordnung vom 4.6.1997).

3. Für und Wider: Sind Online-Dissertationen wirklich das Gelbe vom Ei?

Lehmann lobt das Angebot der Universitäten, seine Dissertation online zu publizieren:

"Welcher wissenschaftlicher Autor kann schon erwarten, verlegerisch so exzellent betreut zu werden, daß von seiner Publikation sowohl eine gedruckte als auch eine Netzpublikation existiert!“ (Lehmann 1997)

Lehmann befürchtet in der Folge, daß immer weniger Promovenden Interesse an einer Verlags-Publikation haben werden. Mit dieser Sorge steht Lehmann nicht allein. Die Befürchtungen gehen sogar weiter: Sofern eine Online-Publikation besteht und ein Verlag die Dissertation verlegen möchte, könnte der Verlag fordern, die Online-Dissertation aus dem Netz zu nehmen (Lehmann 1997).

"Durch den weltweiten Zugriff auf den Universitätsserver verschließt sich dem Doktoranden unter Umständen die Möglichkeit einer wirtschaftlichen Verwertung seiner Arbeit.“ (Tagung Dissertationen Online, Workshop "Rechtliche Fragen“, Bericht vom 17.3.1997)

Auf der anderen Seite könnte man sich aber auch vorstellen, daß von der Online-Publikation ein Werbeeffekt für das Print-Produkt eines Verlages ausgeht (Tagung Dissertation Online, Workshop 5, "Verbreitung digitaler Dissertationen im Internet, Bericht vom 17.3.1997: http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/verbreitung.html).

Lehmann problematisiert, daß die elektronischen Disserationen durch die anzuwendene Hyperlinkstruktur und multimediale Komponenten attraktiver würden als gedruckte Dissertationen. Aus hohen Zugriffsraten und großer Daten- und Informationsmenge einer multimedialen Hyperlink-Dissertation wiederum prognostiziert er eine Überlastung der Netze.

Um diese Überlastung zu vermeiden, denkt Lehmann verschiedene Lösungskonzepte an (Lehmann 1997):

Daß mit diesen "Konzepten“ die Urspungsintentionen der Debatte konterkariert werden, verschweigt Lehmann. Er räumt allerdings ein, daß die Überlastung der Netze und Server -- wenn sie denn komme -- auch eine Übergangserscheinung sein könnte, bis die technischen Standards auf die große Nachfrage eingestellt wurden.

Doch auch von anderer Seite wird, obschon die Idee der Online-Dissertationen noch im Wochenbett liegt, über Einschränkungen nachgedacht. Die Arbeitsgruppe "Verbreitung digitaler Dissertationen im Internet“ bescheinigt in ihrem Bericht vom 17. März 1997, daß der Bedarf an online publizierten Dissertationen in den Naturwissenschaften und in der Medizin größer sei als in den Geisteswissenschaften. In der Folge wird eine Bevorzugung von Dissertationen von Bereichen wie Chemie, Physik und Medizin gefordert. Begründet wird diese Forderung mit dem Multimedia-Mehrwert, der nach Meinung dieser Gruppe anscheinend ausschließlich der Vermittlung von chemischen 3D-Modellen und von Telemedizin dienlich sein soll (Tagung "Dissertation Online“, Workshop 5).

Interessant ist diese Forderung vor dem Hintergrund, daß der Antrag ?Dissertationen Online“ bei der DFG hauptsächlich von naturwissenschaftlichen Fachgesellschaften getragen wird (vgl. Antrag "Dissertationen Online“).

Interessanterweise wenden sich die TeilnehmerInnen des Workshops 5 gleichzeitig gegen eine qualitative Bewertung der Dissertationen. Lehmanns Gedanken, nur die besten Dissertation online "zu lassen“, wird deutlich widersprochen:

"Die wissenschaftliche Bewertung von Dissertationen ist durch Professoren bereits erfolgt. Qualitätsunterschiede sind, wie bei allen Büchern, natürlich.“ (Tagung "Dissertation Online“, Workshop 5)

Von anderer Seite wird der Datenschutz als Problem angesprochen. Bei gedruckten Promotionsarbeiten muß unter anderem der Lebenslauf des Doktoranden veröffentlicht werden. Auf diese interessante Formalie soll auch im Netz nicht verzichtet werden -- der Verbreitung in Rechnersystemen muß der Betroffene jedoch ausdrücklich zustimmen (Tagung "Dissertation Online“, Workshop "Rechtliche Fragen“).

Schließlich bleibt auf den -- im Einzelfall vielleicht nicht unerheblichen -- Mehraufwand hinzuweisen. Alle Autoren fordern ein gesondertes Abstract der Arbeit im ASCII-Format. Ebenso unstrittig ist es, daß eine Datei mit den sogenannten Metadaten, also den Daten über die Dissertation wie Autor, Universität, ggf. Schlagworte etc., vom Promovenden mitgeliefert werden sollte. Und schließlich muß nicht nur eine papierne Form der Dokorarbeit abgeliefert werden, sondern die Text-Datei auch noch in ein internetfähiges Format umgewandelt werden. Je nach Ausgangsformat, Zielformat und Objekten im Text (Tabellen, Grafiken, Fotos, Multimedia-Anwendungen oder gar ganze Programme) nimmt die Arbeitsleistung bei der Formatierung zu. Ein nicht zu unterschätzender Faktor -- denn man kann davon ausgehen, daß für einen Großteil der Promovenden das Zielformat und damit die Formatierung unbekannt oder nur oberflächlich bekannt ist.

4. Beispiele & Projekte: Die Publizisten müssen drucken!

Im folgenden werde ich auf einige Projekte kurz eingehen. Es ist an dieser Stelle nicht intendiert, mehr als eine kurze Vorstellung und Inhaltsangabe pro Projekt zu liefern. Der Besuch auf den Internet-Seiten bleibt der interessierten LeserIn im Zweifelsfall nicht erspart.

Festzustellen ist, daß an der FU Berlin bisher anscheinend nur die Veterinärmediziner die Möglichkeit haben, ihre Doktorarbeiten online zu publizieren. Die Publizisten -- und damit auch die Informationswissenschaftler -- können dieses Angebot bisher ebensowenig wahrnehmen wie die Informatiker.

Veterinärmedizin an der FU Berlin

Laut Anhang zur Promotionsordnung vom 4.6.1997 können Promotionsarbeiten in fünfzigfacher gedruckter Ausfertigung und in einfacher elektronischer Form eingereicht werden. Das Format muß PDF oder HTML sein. Unter der URL http://www.vetmed.fu-berlin.de/online/dissen.html kann der Anhang zur Promotionsordnung sowie "Das Kochbuch für Online-Dissertationen“ als PDF-Dateien heruntergeladen werden.

Zudem sind Promotionsarbeiten online abrufbar (http://www.vetmed.fu-berlin.de/online/list.html). Aus der Liste der vorhandenen Dissertationen wird per Klick eine ausgewählt. Es erscheint eine Zusammenfassung des Textes. Es besteht dann die Möglichkeit, sich die gesamte Dissertation als PDF-Datei aus dem Internet herunterzuladen.

TU Berlin: Institut für Astrophysik

Auf der Seite http://export.physik.tu-berlin.de/Publikationen/thesis.html sind Dissertationen abrufbar. Als Dateiformat wurden komprimierte PostScript-Dateien gewählt.

Allerdings scheinen die Online-Dissertationen nur Dreingabe zu sein: Die Promotionsordnung schreibt dem Promovenden vor, 40 gedruckte Exemplare seiner Dissertation abzuliefern.

MONARCH: Multimedia Online Archiv Chemnitz

In 1995 wurde das Chemnitzer Projekt begonnen; im April 1996 war die erste Dissertation online zu lesen. Die Promotionsordnung war zuvor geändert worden. Auf der Eingangsseite http://archiv.tu-chemnitz.de/ wird die Rubrik "Dissertationen“ ausgewählt, worauf -- nach Jahren geordnet -- die Liste der verfügbaren Dissertationen erscheint. Abrufbar sind PostScript- und HTML-Dateien, wobei die beiden Datei-Typen nicht augenfällig gekennzeichnet sind. Hinzukommt, daß in der Übersicht der Autor/die Autorin nicht genannt ist und eine recht unübersichtliche Darstellungsweise gewählt wurde.

Interessant ist, daß in MONARCH nicht "nur“ Dissertationen publiziert werden sondern auch beispielsweise Diplomarbeiten.

Universität Marburg

Die Abgabe elektronischer Dissertationen ist seit Mai diesen Jahres vorläufig geregelt. Der Universitätsbibliothek werden ein digitales und vier Print-Exemplare zur Verfügung gestellt. Zulässig sind die Formate HTML und PostScript (vgl. Vorläufige Regelung zur Ablieferung von Dissertationen in digitalisierter Form vom 28.5.1997: http://www.ub.uni-marburg.de/dut/dissabl2.html).

Über die Seite http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/dissmain.html kommt man in das Dissertationen-Verzeichnis. Ob es sich um eine Dissertation in PostScript oder HTML handelt ist über den Server-Typ zu erkennen.

Digitale Bibliothek Frankfurt

Einen anderen Ansatz als die vorgenannten Projekte bietet die Digitale Bibliothek in Frankfurt. Träger des Projekts ist die Stadt- und Universitätsbibliothek sowie die Frankfurter Universität. Ziel ist die Erschließung von Texten online. Ein Teilprojekt sind Dissertationen. Der Weg, den die Träger der Digitalen Bibliothek eingeschlagen haben, ist ungewöhnlich. Zunächst werden Bilddateien von bestehenden Dissertationen zugänglich gemacht. In einer späteren Phase sollen dann die Bilddateien über Texterkennungsprogramme in Texte umgewandelt werden (vgl. http://www.tm.informatik.uni-frankfurt.de/diglib).

Über die Seite http://www.tm.informatik.uni-frankfurt.de/cgi-bin/dibif/start_search sind bisher acht Dokumente online verfügbar. Die Betrachtung dieser Dokumente gestaltet sich aber aufgrund der Größe der Bilddateien als ungewöhnlich schwierig.

MATEO: Mannheimer Texte Online

MATEO (http://www.uni-mannheim.de/mateo/mateo1.html) versteht sich als Verlag. Dokumente -- neben Dissertation Diplom-, Magister und Staatsexamensarbeiten sowie graue Literatur und Faksimiles alter Drucke -- werden zum Teil gegen Rechnung per email an Interessierte geschickt. Diese Texte verfügen zum Teil über eine ISBN-Nummer und sind auch teilweise in gedruckter Form erhältlich. Nur wenige Dissertationen sind kostenlos und sofort online verfügbar (vgl. http://www.uni-mannheim.de/mateo/verlag/diss.html).

Die verfügbaren Diplomarbeiten sind kostenlos. Eine Zusammenfassung ist in HTML abrufbar; das ganze Dokument ist als Word-Datei downloadbar (vgl. http://www.uni-mannheim.de/mateo/verlag/dipl.html).

Interessant ist, daß MATEO auch alte Drucke online verfügbar macht. Ein Beispiel dafür ist ein 16-seitiges Büchlein von 1587, in dem die Hinrichtung Maria Stuarts durch Königin Elisabeth gerechtfertigt wird (http://www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/marien.html).

5. Ausblick

Es erscheint unaufhaltsam: Online-Dissertationen werden -- auch in den Geisteswissenschaften -- in den Promotionsordnungen angeboten werden. Wann dies geschieht, ist dagegen nicht absehbar. Allerdings werden die Dissertationen eine Vorreiterrolle einnehmen: Es ist nicht erklärbar, warum nicht auch Diplom-, Magister- und Staatsexamenarbeiten über Online-Publikation einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Und einige der bestehenden Projekte, die Diplomarbeiten u.ä. eingebunden haben, bestätigen diesen Trend.

Widersinnig wäre es, die Publikationen des wissenschaftlichen Nachwuchses aus den Netzen verbannen zu wollen oder die Möglichkeit der Publizierung zu reglementieren (außer durch die geltenden Prüfungsordnungen).

Das Internet als neues Kommunikationsmittel muß gerade den weniger bemittelten Nachwuchswissenschaftlern als kostengünstiges Publikationsorgan zur Verfügung stehen.

Die Frage, ob man im Rahmen der Promotion immer noch 200 Pflichtexemplaren der Dissertation abliefern muß, kann klar verneint werden. Es sind maximal 150 (vgl. Antrag "Dissertation Online“). In Zukunft wird sich die Anzahl aber weiter -- und deutlich -- verringern. Selbst die Zahl von 50 Dissertationen, die bei den Veterinärmedizinern der FU Berlin eingefordert wird, erscheint zu hoch. Die Universität Marburg verlangt lediglich vier gedruckte Exemplare, wenn eine digitale Version der Doktorarbeit vorliegt. Obwohl es in der Diskussion während der Tagung ?Dis#sertation Online“ im März in Berlin in den Details und Ausführungen unterschiedliche Vorstellungen gab: Der Trend ging doch eindeutig zur Online-Publikation.

6. Literatur- bzw. Linkverzeichnis

Antrag "Dissertationen Online“
von fünf Fachgesellschaften beim DFG, http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/folien.html

Digitale Bibliothek
Frankfurt http://www.tm.informatik.uni-frankfurt.de/diglib

Empfehlung des Niedersächsischen Beirats für Bibliotheksangelegenheiten
AG "Elektronische Dissertationen“ vom 23.12.1996, http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/eldiss.html

FU Berlin, Fachbereich Veterinärmedizin
Anhang zur Promotionsordnung vom 4.6.1997; PDF-Datei unter http://www.vetmed.fu-berlin.de/online/dissen.html
Dissertationen: http://www.vetmed.fu-berlin.de/online/list.html

Lehmann, Klaus-Dieter
Dissertationen Online; Bibliotheksdienst; Heft 4/97: http://www.dbi-berlin.de/dbi_pub/bd_art/97_04_10.htm

MATEO: Mannheimer Texte Online
http://www.uni-mannheim.de/mateo/mateo1.html
Dissertationen: http://www.uni-mannheim.de/mateo/verlag/diss.html
Diplomarbeiten: http://www.uni-mannheim.de/mateo/verlag/dipl.html
Druck zu Maria Stuart: http://www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/marien.html

MONARCH: Multimedia Online Archiv Chemnitz
http://archiv.tu-chemnitz.de/

Schirmbacher, Peter
Anforderungen an Dateiformate für die elektronische Publikation von Dissertationen; Humboldt-Universität Berlin, Rechenzentrum; 1997 (?); http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/dateiformate.html

Schnieders, Klaus
Druckzwang für Dissertationen und Dissertationentausch; Arbeiten aus dem Bibliothekar-Lehrinstitut des Landes Nordrhein-westfalen; Heft 40; Greven Verlag; Köln, 1972.

Tagung Dissertation Online
Workshop 2 "Mögliche Formate digitaler Dissertationen“; Bericht vom 17.3.1997; http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/formate.html
Workshop "Rechtliche Fragen“ Bericht vom 17.3.1997; http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/recht.html
Workshop 5 "Verbreitung digitaler Dissertationen im Internet, Bericht vom 17.3.1997: http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/verbreitung.html

Technische Universität Berlin, Institut für Astrophysik
http://export.physik.tu-berlin.de/Publikationen/thesis.html

Technische Universität München
Dissertationen im Internet; http://www.educat.hu-berlin.de/diss_online/muenchen.html

Universität Marburg
Regelung zur Ablieferung von Dissertationen; http://www.ub.uni-marburg.de/dut/dissabl1.html
Dissertations-Verzeichnis: http://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/dissmain.html