Wie nutze ich als Geschichtsstudentin das Internet heute und in Zukunft?
„Und geben Sie in jedem Fall neben dem Namen und der Matrikelnummer auch ihre Emailadresse an," fordert uns ein recht markiger Dozent am Beginn einer Lehrveranstaltung des Wintersemesters 98/99 auf, „selbige sollten Sie schon haben, schließlich absolvieren Sie Ihr Studium am Ende des 20. Jahrhunderts!"
Hielt ich mich bisher für halbwegs progressiv, kommen mir nach diesem Ausspruch starke Zweifel; ich habe keine Emailadresse und mein vergreister PC ist nicht mehr im entferntesten als internettauglich zu bezeichnen. Bereits als die unvermeidlichen Literaturlisten ausgeteilt werden, bin ich wild entschlossen, möglichst bald zur Gemeinde der vernetzten Studenten zu gehören!
Nun folgt die Kontaktaufnahme zu sämtlichen mir bekannten Insidern auf diesem Gebiet, sowie (beinahe) deren nervlicher Kollaps, dann ist es vollbracht: Ich kann nun im Dunkeln das rote Licht meines 56K Voice Faxmodems blinken und die Telefonkosten steigen sehen und fühle mich gut. Damit das auch so bleibt, soll diese meine neueste Errungenschaft in der Hauptsache für das Studium, das heißt für die Zukunft und das Leben überhaupt, genutzt werden!
Mit einer gewissen Zähigkeit bringe ich in der Folgezeit immer mehr Suchmaschinen dazu, das zu finden wonach ich verlange; mit einem Klick auf „Guest" kann ich nun auch vom heimischen PC aus die Kataloge sämtlicher Berliner Bibliotheken nach den gewünschten Titeln durchstöbern - schöne neue Welt ! Als ich in einer zugegebenermaßen etwas sinnlosen Aktion vergeblich einen neueren Titel suche, den ich ganz sicher in einer Zweigbibliothek der Freien Universität weiß, wird die Euphorie leicht gedämpft. Nachfragen bei der bibliographischen Auskunft der Staatsbibliothek bringen es dann an den Tag: Ist das Buch im sogenannten Berlin-OPAC nicht enthalten, bedeutet dies nicht die Abwesenheit des Titels in Berliner Bibliotheken, sehr wohl aber den Gang zu althergebrachten Zettelkästen und Mikrofiche-Paletten. Schöne neue Welt !
Als nächstes kommt ein Freund aus Frankfurt zu Besuch und verkündet, er meide die dortige Unibibliothek soweit es ginge, immerhin könne er ja die Literatur meistens online bestellen, dies sei äußerst praktisch. Ich finde das auch und denke dabei an die Leihscheine der Staatsbibliothek, farblich gut gemischt und sortiert nach Ortsleihe, Fernleihe, Lesesaal, Haus 1 und Haus 2 und frage mich, wer hier eigentlich (nicht) am Ende des 20. Jahrhunderts lebt.
Zwischenzeitlich trete ich einer Newsgroup zum Thema Geschichte bei, die Beiträge sind zahlreich aber nicht über die Maßen aussagekräftig, so daß ich sie nach kurzer Zeit recht unverzagt wieder abbestelle. Ein weiterer Hinweis führt mich dann zum virtuellen Katalog der Universität Karlsruhe - ich bin beeindruckt und finde Literatur aus ganz Deutschland in Windeseile, das leidige (Un)vollständigkeitsproblem taucht leider auch hier auf. Auch in optisch sehr ansprechenden Katalogen bayrischer Universitätsbibliotheken darf ich stöbern und feststellen, daß es hier die Literatur gibt, die ich für mein Referat in zwei Wochen so dringend benötige - such is life !
Beim internetgrößten Anbieter für Bücher darf ich „klicken, wählen, freuen" und beäuge interessiert Rankinglisten, neue Monographien und dazugehörige Preise. Als ich bestellen und sogenannte „sensible Daten" angeben soll, finde ich plötzlich, man sollte sich ruhig Zeit lassen beim Bücherkauf und bestelle das Buch am nächsten Tag in der Buchhandlung um die Ecke. Hier hat es ein Ende mit meiner progressiven Haltung! Überhaupt, wie steht es mit der Sicherheit, frage ich mich und erfahre, daß sämtliche Emails so sicher sind wie Postkarten und munter von anderen gelesen und gefälscht werden können. Ich denke darüber nach, was ich schon alles per elektronischer Postkarte versandt habe und finde, daß hinter derartigen Gedanken stets die Paranoia lauert. Ich versichere mir, daß kein Mensch Interesse an meinen Daten haben könne, und lege mir dann ein Verschlüsselungsprogramm zu, dessen Leistungen angeblich auch militärischen Sicherheitsansprüchen genügen.
Für meine zukünftigen Aufenthalte im Netz hege ich dagegen eher bescheidene Wünsche: Wie wäre es mit vollständig erfaßten Katalogen der Bibliotheken, oder dem Zugang zu alten Drucken, die weitab von jeder Fernleihmöglichkeit in den Archiven verstauben ? Auch der Ausbau von bereits bestehenden Foren zu bestimmten Gebieten der Geschichte und noch mehr Studenten /Magistranden, die mutig ihre Projekte im Netz präsentieren, stehen auf meiner Wunschliste. Und schließlich bleibt die Hoffnung auf eine Zeit, in der nicht mehr horrende Telefonkosten BAföG und Spaß am Surfen gewaltig schrumpfen lassen, aber darauf hoffen wir getrost auch noch im 21. Jahrhundert!