Bernd Ternes

Marginalien der Rezeption, also noch vor dem Denken.
Zu Hans Peter Webers Werk MEDIAanaRITEN (#)


 

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Es gibt diese schöne Unterscheidung, daß man entweder als Leser lesen kann, was (und vielleicht auch durchschimmernd: wie) der Autor gelesen hat, oder daß man lesen kann, wie und was der Autor selber denkt. Hans Peter Weber denkt selber. Man liest, liest man ihn, denken als tun. Zwar sätze, zwar immer wieder durch Sätze sich Gestalt gebende Anläufe an dieses großformatig zu Denkende, was ihn umtreibt: Aber man liest dieses umtreibende neue Denken. Vielleicht hilft dieses Bild: Nicht mehr Spieler spielen mit einem Ball Fußball, sondern der Ball spielt mit den Spielern ein Spiel, das weit über Fußball hinausgeht, aber eben in dieser Anschaungsform verbleibt, da sonst nichts zur Verfügung steht, in das sich Materialisierung einnisten kann. Nicht in die Sätze muß man sich als Leser einsetzen, einfinden, einhören, nicht in ihnen das Gefäß annehmen, in dem die Bedeutung aufbewahrt ist, sondern umgedreht: Die Sätze muß man als explixites pars pro eines neuen Denkrahmens in Bewegung halten, ein Denkrahmen, der u.a. in seiner Konstruktion und in seiner Lesbarmachungsart sich nicht arrogant über die Aussagen der Sätze erhebt, sondern das, was diese sagen, ernst nimmt: klar und vage zu bleiben. Das Logo des bayerischen Rundfunks fällt mir ein: Als Kind konnte ich lange immer wieder überrascht werden durch ebendieses Logo, da ich nicht verstand, den figürlich-buchstäblichen Vordergrund vollständig aus dem Hintergrund heraus zu extrahieren. Als ich es konnte, überraschte mich die Eigentümlichkeit, nur durch Konzentration auf den Hintergrund etwas vorne als Gestalt erkennen zu können. Was das Logo mit Buchstaben, das hat Weber mit den Satzbedeutungen und Aussagen gemacht, durchgehend. Also: Man kann ihn nur lesen, wenn man sich aufs denken konzentriert - denken als Tun, nicht als Substantiv -, oder pointiert: Man kann Weber nicht lesen, sondern nur denken. - Katharina Thalbach sagt (ich glaube) im Film Engel aus Eisen von Thomas Brasch: 'Das Alte geht nicht und das Neue geht auch nicht'. Si si, hört man seit Jahrzehnten dazu von denen, die den Benjaminschen Optimismus nicht mehr aufbringen können. Bei den Gedanken Hans Peter Webers bekommt man jedoch eine neue Ahnung, was es heißen kann, daß das Neue doch noch sich bewegt.
 

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Was passiert, wenn man sich allen Ernstes nicht mehr auf ein "Das verstehe ich nicht!" (als Variante zum "Je ne sais quoi!") zurückziehen kann, sollte es einem vorne, an der kognitiven Front, zu kalt oder zu heiß oder einfach zu gefährlich werden? Was passiert, wenn man dies nicht mehr kann, weil sich plötzlich die Gefühls- und Verstandeszustände, die sich normalerweise in der Situation des Sagens dieses Satzes einstellten, nun einstellen in der Situations des Sagens: "Oh ja, das verstehe ich!"? Weber hebelt die Kraft, die dieses Verstehen normalerweise besitzt, um einem immer noch unfassbaren Prozeß des Aufnehmens von bedeutungstragenden semiotischen Synthesen eine kulturell eingewöhnte Beendigung zu geben, aus, indem er diese Kraft sich auf sich selbst anwenden läßt. Verstehen wird damit aus der primus inter pares-Position des Schliessers einer Sprech-, Gedanken- oder Informationseinheit herauskatapultiert und eigentlich ein 'Unteres' innerhalb einer höherstufigen Prozeßeinheitsbildung des Transformierens von semiotischen Synthesen. Also: Es hat soetwas statt wie Emergenz einer anderen art des Verstehens, zumindest eine Verrückung des strukturellen Ortes des Verstehens innerhalb von Transformationsaktomen.
 

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"Liest" man etwa, zum Exempel, Seite 14, wird man nachdenkend so weit aus seinen normalen Verknüpfungsrout(in)en herausgewirbelt, daß es einen dauernd zwingt, den text aus der Hand zu legen und zu sinnen; man weiß nur nicht, mit welchem Sinn/Sinnes-Organ. Auf Seite 14 erfährt man folgendes: Durch komplexere Instrumente der kunsthaften Tableaus, distal implementiert in die Bar-Leiblichkeit, wird Opfer-Zelebration an Bedeutung (und nicht mehr nur an Berührung) angeschlossen und die Kreationsmachtkapazität in das Apriori der abkünftigen Schöpfungsmächtigkeit zurückgebogen, mit der Konsequenz, die inaugurierte Kapazität des eRos auf gesteigerte Weise unerreichbar zu halten - "das 'Paradox' der vollkommen energetischen Mattigkeit muß sublimer inspiriert werden (ein ontisches 'Tiefstapeln')."

Hier werden Buchstaben zu Zeichen, der Anschluß an Bedeutung eine notwendige Berührung mit der Bedeutung der Berührung: aber wie berührt man das Denkbewegte? Aber vor allem: Als wer oder was kann man solches denken?

Sicher ist 'der Mensch' ein falsches Objekt, ein nicht geeigneter Kandidat fürs Begreifen, wohl aber noch fürs zu Begreifende: deshalb "werden die Humanwissenschaften nicht unmöglich, aber sie sind gehalten, das Objekt zu wechseln, ein Abenteuer, das die Naturwissenschaften auch schon kennengelernt haben." (Paul Veyne, Der Eisberg der Geschichte, dt., Berlin 1981, p58.)

Das ist noch die euphemistische Umschreibung einer der wesentlichen Konsequenzen, die Webers Texte ziehen. Mehr ins Mark einer und sei es auch schiefliegenden Denkungsart geht aber die folgende Konsequenz:

"Die Unmenschlichkeit der Zukunft erlaubt es, ihre Unmöglichkeit vorauszusehen. Von einem bestimmten Grad der Unmenschlichkeit an, dem wir recht nahe sind, kann nichts mehr geschehen, was den Menschen beträfe, denn es wird kein Mensch mehr da sein. Den Nicht-Menschen, der - vielleicht - diesen Exzessen des Unmenschlichen standhalten könnte, interessiert der Mensch, der wir noch sind, nicht." (Guido Ceronetti, Das Schweigen der Körper, dt., FFM 1983, p63.)

Das Angebot Webers, aus diesem dann sich einstellenden Nicht-Interesse eine sozialitätsvermittlungsrelevante Gelassenheit zu modeln, ist mehr als nur überzeugend; es ist meines Wissens das einzige Angebot, das sich dieser Aufgabe stellt. Und gewiß ist das Fortspinnen der im Stratum der Realabstraktion sich bewährt habenden Leidens-/Opfersemantik zwar fürs Universum, in dem Abstraktion realisiert wird, noch brauchbar, jedoch für die dabei aus der Realität entweichenden Weberschen "Reelität" erstens unbrauchbar und zweitens sich selbst entlarvend als doch nur kritizistische Variante eines "Ich unterwerfe mich", das dem Antlitz des Todes nur einen mehr oder weniger sakralisierenden Hauch des Entsetzens abzuringen vermag. - Man kann dem folgen, mehr noch: Es fällt einem plötzlich nichts mehr ein, was diesem Folgen, diesem Nachgehen Hindernisse in den Weg legen könnte. Man könnte höchstens metatheoretisch mit der neuen Frankfurter Schule reden, daß man noch zu wenig Elch sei, um sich jetzt schon auf die Seite derjenigen zu schlagen, die die schärftsten Kritiker der Elche sind (und früher selber welche waren). Da Webers Denken und dann natürlich Weberdenken einen Unterschied ums Ganze evoziert, also im tiefsten Sinne des Wortes gefährlich ist, ist es sinnvoll, sich selbst als in einer morphologischen Bewegung befindlich zu denken; die ihre Zeit braucht. Die Einbrüche, die man am eigenen bisherigen Denekn erlebt, das Amorphwerden als Voraussetzung eines erneuten morphologischen Durchgangs, sind in ihrem Schrecken eben dadurch aushaltbar, indem man an die Zeit denkt, durch die man noch denken muß.
 

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Bekanntlich sind die Augen selbstverständlicher Welt die Gewissheiten. Sie öffnen ihren Lidschlag dann, wenn der Seher erkennt, daß die unendlichen Gewußtheiten, auf denen sie sich bilden, bloß eingebildet sind. Der Chock dieses Erkennens ist umso größer, je klarer wird, wie komplex die Gewissheiten der Welt aus keinem einzigen Kontakt mit der Welt ausgebildet wurden, sondern "innere" Konstruktionen sind. Webers Vorschläge, beim weiteren nachdenken implizit davon auszugehen, daß das Gehirn/die Nerven das Hauptorgan der Empfindungen sind (siehe hierzu: Roland Daniels: Mikrokosmos. Entwurf einer physiologischen Anthropologie (1851), hg. v. H. Elsner, FFM/Bern/New York 1988; und Martin Burckhardt: Die Offenbarung des Daniel Paul Schreber, Hörspiel, br 1986); daß nicht mehr Repräsentation, nicht einmal wilde, sondern Darbringung/Exercitium der Modus einer teilhaftigen Kommunikation ist, der nichts gemein hat mit Wiederbegegnung, Aneignung, Wiederholung, Gabenzelebration, nichts mit Werk (Media ana Riten, p56), sondern mit auf Gelaß ausgerichteter Erschütterung; diese Vorschläge scheinen mir als einzige überhaupt die Gewichtsklasse zu erreichen, um ans "Abzulösende" (Bewußtsein, Wahrnehmung) heranzukommen, das Jahrhunderte Zeit hatte, sich mit Realität vollzustopfen. Was Weber anbietet ist ein Plan zur Kontinentalverschiebung. Man kann es lesend sehr genau erahnen, merkt aber durch die Denksprache - die kontrolliert elaborierteste, die man zur Zeit vor Augen bekommt -, wie weit draußen man noch ist. Man geht davon aus, daß Weber drinnen geschrieben hat und es also möglich ist, dem Unbegrifflichen mit Begriffen so nahe zu kommen, wie man es sich nicht vorzustellen vermag. "Unsere Zustände werden sich nicht eher frei entfalten", schrieb vor etwa 150 Jahren der Materialist J. Moleschott, "bis wir schöpfen aus dem Born der Wirklichkeit." Würde Weber sagen, daß auch nach seinen vielfältigen Korrekturen und Neuausschreibungen am Begriff Wirklichkeit, am Wort wir und an den Schöpfungswerkzeugen (Kult, Arbeit, Abstraktion) denoch dieser Satz Motto für ihn sein könnte?

In Parenthese: Um 1984 schrieb ein damals noch nicht ganz verwirrter Matthias Horx einen auf die Nato-Nachrüstung bezug nehmenden SF-Roman mit dem Titel "Es geht voran". Darin kommt es zum atomaren Krieg in Europa/BRD. Eine konspirative Großgruppe antizipiert dies und bietet für Überlebenswillige ein Überlebenstraining an (es werden Kleingruppen zusammengestellt, Höhlen verteilt usw.). Als erstes jedoch müssen die Teilnehmer durch einen Psychodrogenparcours. Ziel ist ein forciertes, quasi direkt an den Nerven ansetzendes Austreiben zivilisatoristisch-kulturalistischer Identität und also die Ermöglichung einer postzivilisatorischen Selbstbezüglichkeit in einer postatomaren Welt, um nicht verrückt zu werden (um nicht von seinen Erinnerungen abhängig und deswegen verrückt zu werden). Die Darstellung dieses Parcours hat viel gemein mit Webers und Bruce Naumanns zeit-essen/von zeit verzehrt werden/ eat me/feed me (p69). Kurz: Das Ende dieser Passionsphase indiziert sich bei den Protagonisten in der Reduktion des gesamten Willens/ Begehrens auf "Futter und Wärme ohne Ende".
 

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Der erste, sich durchhaltende Inbezugsetzungsgedanke war folgender: Nach Roth sind kognitive und soziale Systeme zwar selbstreferentielle, aber nicht-autopoietische Systeme. Durch seine Entscheidung, Autopoiese nur fürs Leben schlechthin zu reservieren, nicht einmal fürs einzelne Individuum, kann er die These aufbauen, daß das Gehirn, wenngleich auf der materiell-energetisch-physikalisch-chemischen Ebene an Evolution angebunden, doch in seiner Funktion der Kognition umso besser verstanden werden kann, wenn man davon ausgeht, daß die Kognition der Autopoiese umso besser dient, je weniger sie direkt der (universell spezifischen) Autopoiese untergeordnet ist. Wahrnehmung, Denken (und vielleicht auch noch Lachen) gehören nicht dem an, was wir Naturgesetze nennen. Sie bilden einen neuen Seinsbereich, den der Wirklichkeit. Diesen Bereich möchte Roth aus dem Bereich raushalten, der Evolution unterliegt. Zwar unterliege das Gehirn als Organ durchaus der Evolution, und auch die Gleichzeitigkeit von Evolution und Stasis sei nicht nur beim Vergleich von Tiergruppen und beim Vergleich von intraorganismischen Prozessen aufzufinden, sondern auch beim Gehirn. "Hinsichtlich des Zentralnervensystems z.B. von Wirbeltieren sehen wir, daß bestimmte Bereiche [...] sich im Laufe der Wirbeltierevolution, die mehrere hundert Millionen Jahre dauerte, nicht grundlegend geändert haben. Andere Bereiche, besonders Teile des Zwischenhirns und des Vorder- bzw. Großhirns, die mit komplexeren sensorischen und motorischen und insbesondere kognitiven Prozessen zu tun haben, haben dagegen beträchtliche Veränderungen erfahren [...]" (Roth). Der Punkt für ihn ist, daß die Evolution des Gehirns die Kognition von den Bedingungen der Evolution unabhängiger machte, kurzum: Daß Evolution Kognition aus der evolutionären Matrix ausschied und ihr, der Kognition, eine "eigene" Entwicklung zugestand. Nochmal Roth: "Denken, Wissenschaft, Kunst sind selbstreferentielle kognitive Prozesse, aber sie sind nicht selbsterhaltend [als eine notwendige Bedingung für Autopoiesis; B.T.]: sie bedürfen der physikalisch-chemischen Existenz von Organismen, die Kognition und damit Denken, Wissenschaft, Kunst hervorbringen." - Mir erscheint plötzlich evident, daß Webers artcore/-ware-Fassung (p104: "Eine prozessuale Dekonstruktion der medial-simulativ generierten prosaischen Masken des Ur-sprungs. Avisiert ist die Passion des Körpers - gerade nicht der Entwurf von images, gleich welcher Art.") die Rothsche Bedürftigkeit prozessual zu verkehren und damit(?) aufzulösen beansprucht: nicht mehr bedient sich die eigenständige Entwicklung der Kognition der materialen Objektivationen von Evolution, um hervorgebracht werden zu können, sondern: die materialen Hervorbringungen bedienen sich der vormals sie auslösenden Kognition, um das "Woraus", das "Wovon", das "Vor-hin" des Hervorgebrachten (Evolution) als auch des sich orthogonal dazu beziehenden Kognitiven (Entwicklung) ankünftig werden zu lassen. Es ginge dabei nicht darum, daß sich Kognition/Kultur vermeintlich meint rückbinden zu müssen an die Straten, in denen organismische und prozessuale Objektivationen direkt und starr der Aufrechterhaltung der lebenden Einheit dienen, also an die Straten, in denen Not herrschte und Notwendigkeit evoluierte (Rückenmark, Stoffwechsel, Erbsubstanz, oder Sozietät), allerdings um den Preis eines fundamentalen In-der-Welt-Seins, um den Preis einer fundamentalen Abwesenheit von Abstand/ Entfernung, also um den Preis einer existenzialen Tautologie. Es ginge eher darum, daß die Bereiche der Kognition/ Kultur, die nicht ihre ganze Kapazität in die Aufrechterhaltung der Existenz stecken müssen und deswegen keiner Notwendigkeit sicher sind, in derjenigen Funktion erfasst/ passioniert werden könnten, die sie einzig unter dem Aspekt des sie Umgehens, des sie Überspringens, des sie Überbrückens, des sie Verwaisens/ Entreifens (p101) anmacht. Das maßlose Wissen darüber, was wir tun, das eine notwendige Bedingung dafür ist, Tuchfühlung aufzunehmen mit der Souveränität der Denaissance, der Inexistenz des Menschen, mit einem durch einen hindurchgehenden vor-verlorenen Werden (dito): dieses Wissen zählt also nur noch im Sinne einer Unterstützung des Ansaugens von durchs Wissen möglich gemachten Unmöglichkeiten, die, sind sie aufgetrieben, qua Körper in die Unentscheidbarkeit darüber verquirlt werden, ob sie "Untermenge" einer Notwendigkeit (werden) oder "Übermenge" für Welt sind.
 

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Es ist eine neue Weise des Gebrauchs der Begriffe und der Arbeit in/ mit Begriffen, die man bei Hans Peter Weber lesend denken und erfahren muß. Konnte ich sie lesend denken, oder dachte ich nur beim lesen? Die schon einmal geäußerte Skepsis hielt sich durch. Die Produktion von Bedeutung steht kopf. - Eine solche Einlösung der Ausrichtung des begrifflichen Schreibens auf die Spannung "äußerst präzise - vage" habe ich noch nie vor... Augen?, vor Ohren?, vor syllogistischen Apparat? bekommen. Und klar erschien mir, daß durch diesen Text Webers Wittgensteins Sätze unter der Nummer 6.54 aus seinem TLP endlich zu sich kommen - außer dem letzten: "Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig". Zum Glück gibt es bei Webers Organisation die Unterscheidung richtig/ falsch nur noch als Reminiszenz.

Daß die begriffliche Erfassung des kulturellen Zusammensatzes und das Aufspüren von Interferenzen jenseits einer erläuterbaren, erklärbaren, verstehbaren Form im Unterschied zum Zustand ebendieses Zusammensatzes und der tätigen Interferenzen ohne diese begriffliche Erfassung ein Unterschied sei, der einen Unterschied macht, verneint Weber. Die mögliche Produktion von Optionalität durch die begriffliche Erfassung findet nirgends Einfluß, nicht einmal Einlaß in den Prozeß des Werdens zu dem, was man schon war resp. keinen Einlaß in die Zelebration eines Seins zum Werden. "Das Denken ist nicht die Krönung" (p126). Aber könnte es sein, daß die im Jenseits des Denkens liegende Dramatik des Werdens und Zerfallens sich - und sei es nur hauchend - in Webers Simultaneität des Auf- und Abbaus der Bedeutung von Mitteilung und Information, in seiner ungemeine Kapazitäten aufbauenden und dadurch Absprungwünsche erzeugenden Einschließung der Semantik in ihren eigenen Ausschluß von ihrer Selbstinformierung schon einzufinden vermag? Ich zumindest würde mich auf die Seite des Opfers (d.i. die "negentrop abgenötigte Intelligenz", die Sprache, das abstrakte Monster namens 'Etwas steht für etwas anderes') begeben und im Aufweis der durch Weber sichtbar/ erregbar gemachten Kapazität, die dieses Opfer hat, aus sich heraus alle Luft sammeln, um durch Platzen einen TON zu erzeugen, der an das unendlich Weite des Horizontes negativ zu erinnern fähig ist und also die rigide Partialität der Abstraktion seiner Erzeuger DARZUBIETEN weiß, den voreiligen Schluß ziehen wollen, daß die durch Sprache und Denken mögliche NEGATIVE EMPFINDUNG eines Unerreichbaren eine vielleicht dürftige, aber teilhabende Form des Erleidens des Ungeschaffenen und einer POSITIVIERUNG des "Werdens als Eingelassensein in dieses unmäßige Sich-Los-Werden" (p75) sein kann. Allerdings wäre dies dann nicht mehr zu gebrauchen für eine Vergesellschaftungsweise (Ritus, Zelebration, medial vermittelt), erzeugte auch keinen möglichen approach fürs Gelassensein in der Sozietät, sondern wäre: Überlebensmittel für den isolierten Exzentriker, sich ab und an als bloß insuliert vorzukommen.
 

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Um das Nichtsehen, den blinden Fleck, das eigenartig niemals Gegenwart gewesene Vergangene zu sehen, muß man es bemerken. Man kann sich dann an das Bemerken des Nichtsehens halten, oder an das bemerkte Nichtsehen - man muß wohl beides kombinieren mit einer Kunst des Balancierens, die zu verhindern hat, daß das jeweils eine ein Anwendungsfall, eine Untermenge, ein Derivat des anderen wird. Deswegen ist wohl die Vagheit der präziseste Begriff zur Fassung einer Bedeutungsfassung von Wirklichkeit, deren Eigenart, so habe ich das verstanden, darin liegt, nur mehr uno actu im durchflutenden Anschluß ans unvordenkliche Geschöpftwordensein (Rückkunft) den Anschluß ans flutende Werden/ Sterben zu reellisieren. Was Einstein nur für mathematische Sätze konturierte, nämlich: Solange sie sich auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf Wirklichkeit, gilt natürlich für den gesamten epistemischen Radius des denkenden und kulturellen Menschen: Episteme des Menschen meint nicht mehr als den erfolgreichen Versuch, Natur bis auf weiteres überredet zu haben, nicht einzugreifen in den Bau einer Welt der Arbitrarität, der Kontingenz, der langandauernden Non-Vialbilität, in der es möglich ist, abzusehen vom Nichtbezug zur Wirklichkeit. Da in solcher Fassung Wirklichkeit/ Natur letzlich nur noch den Reflexionswert zweiwertiger Logik innehat (den negativen natürlich, den Wert der Störung, des Fehlers, der Katastrophe), mußte die Positivität der semantischen, maschinellen, logischen und synthetischen Setzungen unterderhand eine Art Erinnerungsposten fürs negative Wirkliche einrichten (man kann das auch am Gebrauchswert durchziehen). die Marginalisierung, Ephemerisierung von Wirklichkeit als Basis für die Zeit- und Raumresistenz der abstrakten Realität wurde und wird immer noch gebrochen erinnert in der Virtualität von Gegenständen, Objekten und Positivitäten abstrakter Realität. Das konstituierende Absehen vom Bezug zur Wirklichkeit/ Natur wiederholt sich in der dadurch möglichen selbstbezüglichen Welt der Abstraktion in Gestalt des Absehens von der Beziehung einer positiven Position zur Matrix der Positionsrelationierung (Struktur, Funktion, System). Das gleiche gilt wohl auch für die Sprache; nicht nur besteht nirgends irgend notwendiger Bestimmtheitsbezug zwischen Signifikat und Signifikant; auch für das Verhältnis zwischen Signifikant und Denotat ist nichts in Sicht, das die Bezeichnung einer Bestimmtheit selbst als notwendig bestimmte sichtbar machen könnte. Der Erinnerungsposten wäre hier die qua Metakommunikation niemals zu tilgende Einsicht in die Unnotwendigkeit der Bestimmtheit einer Versprachlichungsweise mit dem zu Versprachlichenden. Zum Glück und Pech hat sich an die Stelle der Metakommunikation der Alltag eingerichtet (als die Metakommunikation schlechthin) und invisibilisiert die Kontingenz (ob notwendig, so Habermas, oder ebenfalls kontingent, so Luhmann, sei dahingestellt). Das erinnerbare Opfer der funktionierenden Bezeichnung von etwas ist die Einsicht in die Unbelebbarkeit der Zeichen selbst, seien die Zeichen auch ästhetischer Art. Jeder Grad an Abstraktion von Realität zeigt in dem Bemühen, der Unnotwendigkeit von Zeichen und Welt mit der Expansion von unbelebten Zeichen zu entsprechen ('Im Falschen dem Falschen richtige Beziehungen abzutrotzen'), ein Wissen?, eine Ahnung?, einen nieendenden Impuls? an, das/ die/ der versucht, das Geräusch zu halten, das entstand, als der Riß des Menschen aus der organischen Natur den Geist als Notaggregat auf den Plan riefen ließ, dessen einzige Bemühung darin besteht/ bestand, den Riß-aus als Emanation des Agens Natur zu bedeuten, den Riß-aus als Beginn von ontischer Emergenz zu bedeuten, oder schlicht als Aus-riß eines Gestaltexemplars der Natur aus Natur, um, wie Weber sagt und fragt (p125, anm.105), dem Polyversum seine Formel, seinen Begriff zu liefern, auf daß eine neue Art der Evolution, eine Evolution, die sich in den Grundlagen des Wandelns des Evoluierenden erneuert, evoluiert. Diese einzige Bemühung, die sich etwa dreitausend Jahre Zeit gegeben hat herauszubekommen, warum der Mensch in der komischen Hockestellung zu leben gezwungen wurde (einerseits Körper, anderseits Geschichte, beiderseits Technik, umfänglich Sterblichkeit); diese Bemühung (letztlich: Sorgenvernichtungsbemühung), deren letzte Gestalt des objektiven, schon leicht anökologisierten Geistes die Kunst hätte sein können, muß also nun, wenn ich meinen Gedanken beim Weberdenken nachgehen will, gelassen werden, um einen anderen modus operandi zu kultivieren, der nicht mehr auf irgend dimensioniertes Opfer seine Konstituierung gründet.

Denn: Das Reelle hat die Realität verlassen (p43), und an uns liegt es nun, daraus entweder eine Totenmesse innerhalb der weiterhin aisthesis-kompatiblen Materialsphäre zu destillieren, sakralisierenden Hauch des bildlichen Entsetzendes zu ent-werfen, oder aber den Wink einer nun möglichen Kunst der Anthropologie zu empfangen.
 

Schluß

Was ist mir? Was mache ich? Einerseits west wohl noch zuviel Wittgensteinisches in mir rum (Motto: Der menschliche Körper ist unwesentlich für das Eintreten von Erfahrungen; wie sagte Deleuze: Die wahren Mörder der Philosophie sind Wittgensteinianer), andererseits verneige ich mich vor Foucaults statement, der Mensch sei ein Erfahrungstier. Schopenhauer sagt, sagt Philip Kerr, der Zustand des Nichtseins sei angesichts der Tatsache, daß wir so viele Billionen von Jahrtausenden in ihm verbringen, der natürliche Zustand für den Menschen, und das Leben selbst sei nichts anderes als ein 'unnatürliches' Flimmern auf dem Bildschirm der Ewigkeit.

Ja, sage ich. Ja, das bedeutende Bewußtsein schafft das nicht mehr einzuholen, schafft es nicht mehr zu verstehen, was das heißen kann: Das Meer ist die Eisbergspitze.

Webers Text wieder und wieder zu denken heißt, in eine für mich neue Ungleichzeitigkeit des eigenen Zeitigens zu geraten. Was passiert?

Der Kopf geht durch, ohne sich zu drehen.