Dana Jestel - Rekonstruktion des Begriffs exzentrische Positionalität des Menschen

1. Begriff
2. Hintergrund
3. Positionalität
4. Anthropologische Grundgesetze
5. Kritik



1. Begriff

"Exzentrische Positionalität" ist ein Begriff - oder vielmehr eine Kategorie -, die Helmuth Plessner zur Bestimmung des Menschen eingeführt hat, in seinem anthropologischen Hauptwerk "Die Stufen des Organischen und der Mensch", von 1928.
Der Begriff enthält zwei Begriffe: Positionalität und Exzentrizität. Positionalität ist für Plessner der Grundbegriff alles Lebendigen, Exzentrizität bezeichnet das Wesensmerkmal des Menschen.


2. Hintergrund (Erstes und Drittes Kapitel)

Plessners erklärte Absicht ist es, die Subjekt-Objekt-Trennung in der Wesensbestimmung des Menschen aufzuheben. In der modernen Wesensbestimmung des Menschen erscheine der Mensch, so Plessner, entweder als Objekt einer Naturwissenschaft oder als Subjekt seines Bewußtseins. Analog dazu sei die Welt der Wissenschaft getrennt in Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Die anthropologische Charakterisierung des Menschen, so Plessner, dürfe aber weder nur mit den begrifflichen Instrumenten der Naturwissenschaft, noch nur mit denen der Psychologie oder Bewußtseinsphilosophie erfolgen. Einerseits vernachlässige die Konzentration auf die Bewußtseinsvorgänge des Menschen seine Gebundenheit an das Körperliche. Andererseits werde die Körperlichkeit des Menschen auf eine vermessbare Größe reduziert und ausschließlich naturwissenschaftlicher, empirischer Betrachtung überlassen. Und es fehle in den biologischen Bestimmungsversuchen des Menschen der Geist.
Für Plessner ist der Mensch als lebendiges Ganzes sowohl körperliches als auch geistiges Wesen. Keine der beiden Seiten allein könne das Phänomen "Leben" angemessen erfassen. Menschliches Leben komme nicht einerseits als Gegenstand der Naturwissenschaft und andererseits als Gegenstand der Geisteswissenschaft vor, sondern sei nur unter beiden Aspekten identifizierbar. Jede Zeit, so Plessner, finde ihr erlösendes Wort, in dem sie sich zugleich Rechtfertigung und Gericht verspreche. Das erlösende Wort seiner Zeit sei Leben.


3. Positionalität (Viertes Kapitel)

Was aber ist Leben? Worin besteht der Unterschied zwischen einem lebendigen Körper und einem nichtlebendigen? Plessners Bestimmung ist: das was einen lebendigen Körper unterscheidet, ist sein Verhältnis zu seiner Grenze. Ein unbelebter Körper ist, soweit er reicht. Organische Körper dagegen stehen in einem Verhältnis zur Grenze. Der organische Körper steht in einer Beziehung zum Raum um ihn herum, setzt sich in ein Verhältnis zu diesem Raum. Dieses Verhältnis zur Grenze, das ein lebendiger Körper hat, bezeichnet Plessner als Positionalität. Positionalität ist die logische Form alles Lebendigen. Körper stehen gegen ihre Grenze und greifen über diese hinaus.
Lebendige Körper nehmen keine genaue raumzeitliche Position ein (zu der es dann auch eine Negation gäbe), sondern sie sind positional, womit eine Gleichzeitigkeit von raumzeitlicher Bestimmtheit und einer Unbestimmtheit und Eigendynamik bezeichnet ist. Positional sein bedeutet, in eine Umgebung gesetzt zu sein und zugleich gegen diese Umgebung gesetzt zu sein. Ein Stein zum Beispiel kann jahrhundertelang am gleichen Ort liegen. Pflanzen und Tiere dagegen wachsen und bewegen sich. Sie sind in ihre Umwelt nicht nur hineingestellt, sondern auch in die Auseinandersetzung mit dieser.

Zentrische Positionalität (Fünftes und Sechstes Kapitel)

Pflanzen und Tieren kommt eine zentrische Positionalität zu. Plessner unterscheidet hier noch mal die offene Form der Pflanzen und die geschlossene Form der Tiere.

Offene Form
Mit offener Form ist bezeichnet, daß der Organismus gegenüber seiner Umwelt kein selbständiger Abschnitt ist. Pflanzen sind zumeist an einen Ort gebunden und bewegen sich nicht fort. Ihr Positionsfeld ist begrenzt. Sie sind funktional in ihre Umgebung eingepasst. Der sichtbaren Form nach, sind Pflanzen im Inneren und nach Außen kaum funktional differenziert. Sie haben zwar eine Funktionsteilung, aber keine spezialisierten Organe. Die Teile einer Pflanze sind unter- und gegeneinander weitestgehend selbständig. Und Pflanzen haben kein Zentrum und deshalb keinen Willen, Trieb oder Instinkt.

Geschlossene Form
Tiere, die Plessner als geschlossene Form bezeichnet, sind gegenüber ihrer Umwelt selbständig. Tiere sind nicht an einen Ort gebunden, sie können sich fortbewegen. Das Positionsfeld der Tiere ist nicht begrenzt. Der sichtbaren Form nach sind Tiere funktional differenziert. Sie haben spezialisierte innere und äußere Organe. Und sie haben ein Zentrum, einen Willen, einen Antrieb. Der tierische Körper bildet gegenüber seiner Umwelt ein geschlossenes Ganzes.
Tiere sind nicht nur Körper, wie Pflanzen, sondern sie sind in ihrem Körper. Die Grenze des Körpers eines Tieres wird diesem zu einem Medium zwischen ihm und der Umwelt. Dadurch, daß Tiere ihrer Umwelt nicht nur unmittelbar eingegliedert sind, sondern sich in ihr aus eigenem Antrieb bewegen können.

Die Form des Tieres ist für Plessner sozusagen die Vorstufe zur Form des Menschen. Erst vom Menschen aus, das ist die Pointe des Buches, erlangt die zentrische Positionalität der Tiere und Pflanzen Bedeutung. Die Organisationsformen, so Plessner, sind keine empirischen, sondern ideelle Unterscheidungen.
Tiere haben ein Zentrum und sie sind im Verhältnis zu ihrer Umwelt unabhängig. Tiere können unterscheiden zwischen sich und ihrer Umwelt. Aber sie können nicht unterscheiden zwischen sich und sich selbst. Das Tier bildet ein auf sich selbst rückbezügliches System, ein sich. Es erlebt seine Umwelt, aber es erlebt sich nicht dabei. Tiere sind eins mit ihrem Leib. Die Mitte seines Körperhabens ist dem Tier nicht gegenständlich. Es geht im Hier-Jetzt seiner Positionalität ganz auf. Wie Plessner das ausdrückt: Tiere durchherrschen ihren Körper, sie beherrschen ihn nicht. Dem Tier fehlt die reflexive Rückbezogenheit, das Wissen um die eigene Position.

Exzentrische Positionalität (Siebentes Kapitel)

Die Form, die das menschliche Verhältnis zur Grenze, also zum eigenen Körper und über diesen zur Umwelt, charakterisiert, nennt Plessner Exzentrische Positionalität. Exzentrische Positionalität ist eine Positionsform, die ihrer eigenen Mitte ansichtig sein kann und nicht mehr in sich ruht. Der Mensch ist nicht wie das Tier in der eigenen Mitte, sondern in der eigenen Mitte und nicht in der eigenen Mitte. Er ist exzentrisch. Wobei dieses Exzentrum keine Verdoppelung der Position ist, kein Ort hinter oder neben der Mitte, sondern dieselbe Mitte. Exzentrizität bezeichnet die Logik des neben sich stehens ohne sich dabei zu verlassen. Die paradoxe Positionalität des Menschen ist, zugleich in sich und nicht in sich zu sein. Die Stellung des Menschen ist paradox ortlos. Er steht exzentrisch im Nichts. Was Plessner hier formuliert ist etwas einfacher gesagt: der Mensch hat Selbstbewußtsein. Er ist dadurch zugleich in seinen Körper gestellt und aus diesem heraus. Er erlebt nicht nur seine Umwelt, sondern er erlebt sein erleben. Er weiß um sich.
Die paradoxe Struktur des Bewußtseins ist nun, daß es nicht objektivierbar ist. Daß ich um mich weiß, ist an sich nicht erlebbar. Aber es ist nicht für sich, sondern die Bedingung, daß ich mich erfassen, daß ich mir zusehen kann. Bewußtsein ist geteilt in das denken und das gedachte, es ist aber trotzdem ein Bewußtsein. Das Ich, das denkt, entzieht sich der Bestimmung, da es immer gerade das Ich ist, das denkt. Plessner bezeichnet das als den sich entziehenden, nicht objektivierbaren Subjektpol.

Verwirrend zu lesen, zum Teil unverständlich, werden seine Ausführungen da er, entgegen seiner Einsicht, das Bewußtsein sei nicht objektivierbar also nicht biologisch zu erfassen, daran festhält, das Bewußtsein objektiv, biologisch zu beschreiben. Komplex ist Plessners These aber aus einem anderen Grund. Bewußtsein ist bei Plessner einerseits die Bedingung für Exzentrische Positionalität, andererseits diese selbst. (Exzentrische Positionalität - als die Form in der der Mensch lebt und sich gegenüber seiner Umwelt verhält -, hat Bewußtsein zur Voraussetzung, und ist dieses Bewußtsein selbst.) Plessner charakterisiert Bewußtsein nicht nur als die wesentliche Eigenschaft des Menschen, sondern als Grundlage menschlichen Seins überhaupt. Ohne dabei aber das körperliche, empirische Sein des Menschen idealistisch zu negieren. Die menschliche Existenz entzieht sich einer rein objektivierenden Betrachtung ebenso wie einer rein bewußtseinsimmanenten Betrachtung. Exzentrische Positionalität meint zudem mehr, als daß der Mensch weltoffen oder nicht umweltgebunden ist. Exzentrische Positionalität bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, Ich zu sich zu sagen. Der Mensch als einzige Lebensform ist eine Person.

Diese Person ist eine Einheit aus Körper und Bewußtsein - mit einem sich entziehenden Subjektpol. Körper und Bewußtsein sind in der Selbstrepräsentation der Person weder identisch, noch voneinander unterschieden. Detaillierte Ausführungen zu dieser Materialität der exzentrischen Positionalität macht Plessner erst in späteren Texten. Zum Beispiel in dem wunderbaren Text über Lachen und Weinen. Lachen und Weinen sind Grenzreaktionen der exzentrischen Positionalität auf den Mangel sinnhafter Anknüpfung. Das Verhalten des Lachens oder Weinens kann aber weder vom Geist noch vom Körper allein aus erklärt werden. Vielmehr sind Geist und Körper dabei innig vereint. Alle zentrischen Lebewesen müssen auf Lebenslagen reagieren, sie müssen sich verhalten, zum Beispiel fliehen, angreifen oder sich totstellen. Aber nur der Mensch kann, weil er eine sinnhafte Beherrschung seiner Lebenslage finden muß, in Sinnkrisen kommen. Und wenn er in diese kommt, durch einen Witz oder durch Verzweiflung, dann überbrückt der Körper die unbeantwortbare Grenzlage mit sprachloser Heiterkeit oder rüttelndem Weinen. Lachen und Weinen sind Reaktionen an Grenzen, die nicht willentlich herbeigeführt werden können und keiner distanzierenden Kontrolle unterliegen. Lachen und Weinen kann aber nur der Mensch, der willentlich handeln und sich distanzieren kann.

Die fundamentale These Plessners, scheint mir also die der Einheit der Person zu sein, das Wissen des Menschen um sich. Exzentrisch positioniert zu sein hieße demnach, daß zum Beispiel auch dann, wenn man sich selbst als einen anderen erlebt, man nicht verneinen kann, daß man es selbst ist, der sich als einen anderen erlebt. Ich-sein und Nicht-Ich-sein sind identisch. Allerdings differenziert Plessner in seiner Wesensbestimmung nicht zwischen der des Individuums und der der Gattung. Exzentrisch positioniert ist sowohl die Person als Individuum als auch die Gattung Mensch. Ebenso wie ich weder in mir wohne noch mit mir identisch bin, wohnt "der Mensch" in sich und ist mit sich identisch. "Der Mensch" ist konstitutiv Heimatlos. Zur Problematik dieser Indifferenz wird zum Schluß noch etwas anzumerken sein.

Durch die exzentrische Positionalität ist der Mensch an seine Grenze gebunden, bleibt immer in dieser und gelangt doch darüber hinaus, kann sich selbst von außerhalb dieser Grenze sehen. Aus diesem Verhältnis heraus bestimmt sich auch das Verhältnis des Menschen nach außen, zur Welt, nach innen, zu sich selbst, zum mitsein, zu anderen. Die Exzentrische Positionalität, dieses zugleich innerhalb und außerhalb des eigenen Körpers, der eigenen Grenzen sein, ermöglicht dem Subjekt nicht nur die Erfahrung eines Außen-, Innen- und Mitseinsaspektes, sondern strukturiert diese Erfahrung auch. Das einzelne Ich erfährt die Welt vermittelt über seinen eigenen Körper. Es erfährt seinen Körper als Teil einer Außenwelt in der es viele Körper gibt. Es erfährt sich selbst vermittelt über Erlebnisse. Und es erfährt andere vermittelt über das Wissen um seine eigene Außenseite. So wie es um den Blick auf sich selbst weiß, weiß es um den Blick der anderen auf sich. Diese Erfahrung aber, ist immer seine eigene Erfahrung. Sie wird strukturiert durch das erfahrende Ich selbst. Alles was es erfährt erfährt es in dieser, seiner Perspektive. Ebenso erfährt "der Mensch" die Welt, sich selbst und die anderen als eine Art Außenperspektive seiner Innenperspektive.


4. Anthropologische Grundgesetze

Plessner begründet die Lebensäußerung des Menschen (Kultur, Geschichte, Sprache, Utopien) nicht mit Trieben, biologischen Zweckmäßigkeiten oder Bewußtseinsinstanzen, sondern einzig mit der Bestimmung exzentrischer Positionalität. Aus der exzentrischen Positionalität des Menschen leitet Plessner drei anthropologische Grundgesetze ab, die die Frage beantworten, wie der Mensch seine exzentrische Position, seine konstitutive Heimatlosigkeit lebt. Die paradoxen Formulierungen der anthropologischen Gesetze entsprechen dabei der paradoxen Position. Die drei Gesetzmäßigkeiten lauten: "natürliche Künstlichkeit", "vermittelte Unmittelbarkeit" und "utopischer Standort".

"Natürliche Künstlichkeit"
Der Mensch ist von Natur aus künstlich. Das Wissen von sich führt den Menschen über die Natur hinaus. Zwar kann ein Tier zum Beispiel auch Werkzeuge benutzen. Aber es kann nicht erfinden. Das Tier, wenn es ein Werkzeug gebraucht, bemerkt den von ihm geschaffenen Sachverhalt nicht. Movens des Menschen, Dinge zu erfinden, ist, so Plessner, die Sehnsucht nach einem Gleichgewicht. Der Mensch verhält sich gegenüber seiner Welt nicht sicher, instinktgeleitet. Er hat in ihr keine unmittelbare Heimat, sondern muß sich eine machen. Aber keine Heimat ist endgültig, das Gleichgewicht bleibt immer unerreichbar. Für Plessner ist der Mensch selbst der Schöpfer aller Normen, Werte und Bedeutungen, aber keine Norm, keine Bedeutung ist ewig.

"vermittelte Unmittelbarkeit"
Der Mensch kann sich immer nur vermittelt durch sein Bewußtsein auf die Welt beziehen. Das was dem Menschen als Welt erscheint, erscheint ihm innerhalb seines Bewußtseins der Welt. Während demnach für den absoluten Idealismus eines Fichte dem Menschen die Welt überhaupt nicht anders, denn als Repräsentation im Bewußtsein gegeben sein kann, geht Plessner über diese Bestimmung hinaus. Der Mensch, so Plessner, erfährt seine - durch sein Bewußtsein vermittelte - Welt direkt, weil ihm diese Vermittlung erst später - geschichtlich - bewußt wird. Das Schaffen, der tätige Bezug auf die Welt ist direkt. Ansichtig wird sich die schaffende Subjektivität aber erst im von ihr geschaffenen Werk. Das Wissen steht zwischen den Menschen und den Dingen. Aber diese Form des Bezugs zu den Dingen ist für den Menschen die unmittelbare.

"Utopischer Standort"
Der Mensch überschreitet immer wieder das Erreichte. Es gelingt ihm nicht etwas Endgültiges und Widerspruchsloses zu schaffen. Aus der Unmöglichkeit, in der Welt die eigene Position zu fixieren, schreibt Plessner, resultiert die Idee der Nichtigkeit der Welt. Dieser Idee korrelativ ist die Idee der Verankerung der Welt und der eigenen Position in einem transzendenten Ort. Die damit geschaffene Bestimmung wird aber durch die unaufhebbare exzentrische Positionalität selbst immer wieder in Frage gestellt. Plessner ist hier etwas zweideutig. Einerseits entspricht der Erkenntnis der exzentrischen Positionalität der Glaube an etwas Absolutes. Andererseits sei der Kern aller Religiosität die Schaffung eines letzten Definitivums, daß durch die exzentrische Positionalität aber immer wieder mit Zweifel bedroht ist. Absolutes und Exzentrik verweisen aufeinander. Exzentrik verlangt einerseits Stabilisierung durch ein Absolutes und bedroht dieses gleichzeitig durch Zweifel.


5. Zur Kritik

Der Hauptkritikpunkt besteht wie ich denke zu Recht in dem Mangel ethischer Bestimmungen in der Wesensbestimmung exzentrischer Positionalität. Zum einen ist in Plessners Anthropologie die Außenwelt völlig beliebig. Ein Schlachtfeld und ein Park wären das Gleiche, Außen- und Umwelt. Außerdem wird nicht ersichtlich, welchen Grund es geben sollte, einen anderen Menschen als Menschen anzusehen und nicht als Gurke, da wie Plessner ja richtig sieht, die Zuschreibung dieser Formen nicht empirisch ist, sondern ideell.

Um Plessner zu aktualisieren müßte man fragen nach dem Verhältnis von Subjekt und Leben und vielleicht müsste man Plessners Intention von seinem Vorurteil befreien. Dazu einige Gedanken: Plessners Intention ist es, den Menschen auf ein nichtpositivistisches Fundament zu stellen, daß auch die Umwelt mit einbezieht. Sein Vorurteil ist es, daß Fundamente nur objektiv, naturwissenschaftlich geschaffen werden. Einerseits ist die Methode, in der Bestimmung des Menschen ausschließlich nur nach dem "wie" zu fragen und nicht nach dem "warum" die der Naturwissenschaften. Plessners Bemühung, die Bestimmung des Menschen von allen dogmatischen Einengungen zu befreien, indem er versucht, das Wesen wertneutral als eine Art sich denkende Körper zu beschreiben, steht das entgegen, was er als Wesen des Menschen bestimmt, nämlich Selbstbewußtsein - das weder gegenständlich ist, noch wertneutral. Andererseits ist die oben angesprochene Indifferenz von individueller Person und Gattung in der Wesensbestimmung des Menschen eine Grundproblematik idealistischen Denkens. Das andere meines Ichs ist nicht gleichzusetzen mit dem anderen, der ich nicht bin. Und das ich nicht aus mir heraus kann, bedeutet nicht, daß es außerhalb von mir nichts gibt. Die eigene Fremdheit erscheint dem Individuum eben nicht in der gleichen Weise, wie die Fremdheit der Außenwelt. Mein eigener Fuß wird kaum auf mich zukommen, und anfangen mich zu beleidigen. Außerhalb der Gattung aber gibt es tatsächlich nichts, weil es kein menschliches Wesen gibt, das nicht menschlich ist. Das heißt die eigene Fremdheit und die Fremdheit der Außenwelt ist hier dieselbe. Ganz ähnlich ist der Einwand, die Anerkennung des anderen als menschlich betreffend. Als abstrakte, spekulative hat die Bestimmung exzentrischer Positionalität eine andere Bedeutung, denn als Konkrete. Auch wenn es sich dabei um denselben Menschen handelt. Der konkrete Satz setzt Lebendigkeit als unantastbare Bedingung voraus. Der abstrakte Satz bezeichnet die Einsicht in diese Bedingung, welche ohne diese Einsicht bedeutungslos wäre. Plessner aber setzt Leben der Exzentrischen Positionalität als Grundlage voraus. Leben ist der zentrale Begriff. Zu kritisieren wäre, daß lebendigmachendes Sein Bewußtsein nur dann sein kann, wenn es weiß, daß es dieses Sein selbst ist. Die bedeutungslose Existenz von Leben als etwas der Einsicht in diese Vorausgehendes zu setzen, wäre ein Ding an sich, das es, wie bewiesen wurde, nicht gibt, oder das als Unbestimmtes beliebig instrumentalisiert werden könnte.


Helmuth Plessner, Gesammelte Schriften IV. Die Stufen des Organischen und der Mensch, Frankfurt am Main 1981

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