Kapitaler Quatsch
Bernd Ternes
Die Dynamik, die Dynamik hat immer recht. Und: Vergessen und vergessen und vergessen. Der Hirnschwurbel könnte einen nun vollends packen, nähme man sich hintereinander Jürgen E. Schrempps Thesen über die kreative Kraft des Kapitalismus, Christoph Schlingensiefs und Carl Hegemanns Erläuterungen zu ihrer geplatzen Geldabwurfaktion im Rahmen einer letzte Woche stattgehabten Tagung der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft, sowie zuguterletzt einer Einsicht von Oskar Negt und Alexander Kluge an, die vor mehr als 7 Jahren in ihrem Buch Maßverhältnisse des Politischen - 15 Vorschläge zum Unterscheidungsvermögen formuliert wurde.
Doch der Reihe nach, bei den letzteren beginnend: Negt/Kluge schrieben dies: "Wie nie zuvor in der Geschichte dieses Jahrhunderts findet eine merkwürdige Umverteilung in der politischen Sprache statt; vieles von dem, was man in den letzten Jahrzehnten der Vergangenheit zuzuschlagen entschlossen und bereit war, erlebt plötzlich eine gewaltige Aufwertung und einen geradezu erdrückenden Realitätszuwachs: Staat, Nation, Kapital, Religion und Geld assoziieren sich nun in einer Weise mit Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie, als hätte es die Blutlinie dieser Begriffe im 20. Jahrhundert nie gegeben." Die Aufwertung des Kapitals übernimmt Jürgen E. Schrempp in seinen 10 Thesen zum Kapitalismus. Ohne auch nur minimale Spuren des Zweifels behauptet Schrempp, der Kapitalismus besitze "als solcher eine sittliche Qualität", habe "eine dienende Funktion gegenüber der Gesellschaft", beschleunige "den politischen Wandel dort, wo früher Unrecht herrschte"; und außerdem sei es "unsinnig, globalen Unternehmen mangelnden Patriotismus vorzuwerfen". Was wir jetzt brauchen, so Schrempp, sei "gemeinsamer Leadership von Politik und Wirtschaft, um die aufkommende Welle des Protektionismus zu brechen".
Und was sagt Schlingensief bzw. dessen Dramaturg Hegemann? Dies: "Im Zuge der Aufklärung sind sämtliche Glaubenskerne abgebaut worden. Erst die Religion, dann die ganzen Ersatzreligionen wie Wissenschaft und politische Ideologien. Mittlerweile glaubt man an nichts mehr – außer ans Geld. Der letzte Wert, auf den hin Orientierung möglich und wirklich ist. Und wir haben dann gesagt, wenn der Kapitalismus sich weiterentwickeln will, dann muß auch dieser letzte Glaube abgeschafft werden. [...] Wenn Sie den Kapitalismus retten wollen, müssen Sie Geld wegwerfen".
Tja. Das Kapital (u.a.) als Synonym fürs Massaker, für die letzte Hoffnung, für das letzte Verhältnis, das sich nun selbst umzuwerfen hat, um gerettet zu werden. Das Kapital ist groß. Es organisiert also das gesellschaftliche Leben, nicht die Gesellschaft das Kapital. Das Kapital hat keinen Vertrag mit der Gesellschaft, die Gesellschaft aber mit dem Kapital. Wer für Dada ist, ist kein Dadaist. – Der Hirnschwurbel möchte einen packen bei soviel kapitalem Quatsch.