Medienrepertoires der Berliner Jugend – Generation Facebook?

Medienrepertoires der Berliner Jugend – Generation Facebook?

Die Medien-Nutzung der Jugendlichen hat sich im digitalen Zeitalter verändert. Warum Zwölfjährige täglich bei Facebook online sind – und warum dies normal ist.

Von Anna Bezrogova

Tageszeitung? Ist für mich persönlich nicht aktuell genug. Ich rufe lieber mehrmals täglich Spiegel Online oder FAZ.net auf. Ersteres bevorzugt auf dem Smartphone auf Fahrten durch die Berliner Innenstadt, die bisweilen lang abenteuerlich werden können aufgrund von Baustellen, spontanen Demonstrationen oder Menschen, die aus eigener Initiative U-Bahn-Tunnel erkunden wollen. Wo findet man mitten im Nirgendwo schon eine Tageszeitung, wenn es heißt: „Die Weiterfahrt verzögert sich um voraussichtlich fünfundvierzig Minuten“?

Ich weiß genau, dass ich mit meiner ausgeprägten Internetnutzung sehr wohl das Klischee bestätige, welches über meine Generation existiert. Man benennt die Generation am besten gleich nach dem wohl spektakulärsten Internet-Phänomen des letzten Jahrzehnts, das am 18. Mai an die Börse gegangen ist: „Generation Facebook“.

Fast jeder Jugendliche hat Zugang zum Internet. Laut der letzten Shell-Jugendstudie verbringt jeder junge Mensch im Alter von 12 bis 25 Jahren im Durchschnitt 13 Stunden pro Woche online, 25 Prozent davon bei sozialen Netzwerken. In Deutschland ist insgesamt ein Viertel der Bevölkerung bei Facebook angemeldet, zwei Drittel sollen unter dreißig Jahren alt sein.

Ich selbst habe auch Facebook. Laut Facebook-Chat bin ich permanent offline, weil in mir die Perspektive, gleichzeitig von mehreren Hundert Menschen angesprochen zu werden, nur misanthropische Gefühle weckt. Seitdem ich beim Organisieren einer Demonstration geholfen habe, habe ich so viele Facebook-„Freunde“, dass ich den Durchblick verloren habe und – Asche auf mein Haupt – nicht einmal allen zum Geburtstag gratuliere. Ich veröffentliche bei Facebook höchstens mal einen pfiffigen Status, um meinen Esprit zum Ausdruck zu bringen, und finde es ganz witzig, Jahre später die alten Statusnachrichten zu lesen. Außerdem mag ich Facebook-Veranstaltungen. Wo sonst hat man die Möglichkeit, die Liste eingeladener Personen vorab einzusehen, um vielleicht auch anhand derer zu entscheiden, ob man hingeht oder nicht?

Aber die anderen Jugendlichen – wozu nutzen sie hauptsächlich Internet mit seiner Reichweite an Funktionen? Um sich zu unterhalten oder um sich zu informieren, um sich bei Facebook zum Wetttrinken zusammenzufinden? Wie informiert sich diese Generation über das Weltgeschehen – vor allem im urbanen Raum, wo es besonders viele Informationsmöglichkeiten gibt? Hat die gedruckte Zeitung überhaupt noch eine Bedeutung für die neue Generation? Antworten auf diese Fragen will ich erhalten, als ich mich an einem sonnigen Vormittag auf eine Reise quer durch die Hauptstadt mache, um junge Menschen verschiedenen Alters zum Thema ihrer Mediennutzung zu befragen.

Information? Nein, danke!

Im Elektronikmarkt MediaMarkt im gutbürgerlichen Steglitz, in dem sich an diesem Schulvormittag – wie zu erwarten – nur wenige Jugendliche aufhalten – treffe ich den 14-jährigen Niklas, der sofort sagt, dass er zur Zeit eine Woche frei hat. Facebook nutzt er – aber in erster Linie, um die anstehenden Hausaufgaben zu erfahren. Seine Medienvorliebe sind amerikanische Soaps im Fernsehen. Für Politik hat er kein Interesse, informiert fühlt er sich nicht.

Vor dem Klamottenladen New Yorker auf dem Alexanderplatz spreche ich die 15-jährige Kathy an. Sie gibt an, dass sie sich gezwungen sieht, sich zu informieren: „In der Schule machen wir Projekte über Politik, und dazu müssen wir uns auch die Tagesschau angucken.“ Privat schaut sie lieber Klatsch-und-Tratsch-Fernsehen. Ob sie bei Facebook sei? „Ja, regelmäßig… Eigentlich täglich.“ Facebook benutzt sie vor allem, um sich mit Freunden zu unterhalten, aber auch um mehr über andere Leute herauszufinden.

Eleonore, 12, schaut Fernsehen, am meisten Pro7, nennt aber auch die Tagesschau. Tageszeitungen liest das Mädchen nicht, hat dafür einen Facebook-Account, um mit Freunden zu chatten. Eleonore fügt hinzu, dass sie manchmal Zeitschriften liest, die ihre Mutter kauft, wie Gala und Zitty.

Ich treffe den Medienwissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt vom Hamburger Hans-Bredow-Institut zum Gespräch, der auf der DGPuK-Tagung 2012 am 17. Mai zusammen mit Uwe Hasebrink ihre gemeinsame Pilotenstudie zu Informationsrepertoires der Berliner Bevölkerung vorgestellt hat. Er erklärt das fehlende Bedürfnis der Jugend, informiert zu sein: Die jungen Menschen befinden sich in einer Lebensphase, in der sich die Informationsbedürfnisse auf ihr engeres soziales Umfeld beschränken. „Dies verändert sich jedoch mit dem Alter.“

Informieren – aber wie?

Pia, 19, und Sebastian, 21, die ich vor dem KaDeWe anspreche, haben diese Lebensphase vermutlich hinter sich gelassen. Welche Medien nutzen die beiden im Alltag? „Internet, Fernsehen, Radio… Zählt Handy dazu? Auch viel Handy!“ Facebook nutzen beide, um in Kontakt zu bleiben. Ob sie sich informiert fühlen? Zögernd bejahen beide. Sebastian nennt als Informationsquelle die Online-Version der FAZ.

Wieland, 18, gibt an, dass er Facebook hat, dass er dort vor allem mit Menschen aus anderen Ländern kommuniziert: „Ich möchte Kontakt zu Menschen aufrecht erhalten, die ich auf dem Jugendtreffen in Taizé kennen gelernt habe.“ Er benutzt zu Informationszwecken am häufigsten das Internet – dabei liest er keine Internet-Ausgaben von Zeitungen (er präferiert die gedruckte Variante), sondern „googelt“ das, was ihn interessiert.

Suchmaschinen wie Google wurden in der Studie von Hasebrink und Schmidt tatsächlich von 21 Prozent der Befragten als Internet-Informationsquelle genannt; Online-Ausgaben von Zeitungen/Zeitschriften inklusive mobiler Apps stoßen jedoch lediglich bei 6 Prozent auf Anerkennung. Ich merke, dass ich nicht viele Gleichgesinnte habe – auch bei meiner Straßenbefragung hätte ich erwartet, dass mehr Jugendliche Online-Versionen von journalistischen Medien oder gar Zeitungs-Apps lesen würden.

Tageszeitung ade?

Ist die Tageszeitung komplett aus dem Leben der Heranwachsenden verschwunden? Einige der Jugendlichen, die ich anspreche, nennen auch Tageszeitungen – vor allem Lokalzeitungen wie die Berliner Morgenpost oder Berliner Zeitung. Auffällig ist, dass keine/-r der von mir Befragten regelmäßig eine Tageszeitung liest: Manche lesen die Zeitung nur am Wochenende, manche schauen hinein, wenn ein interessanter Artikel darin steht.

Jan-Hinrik Schmidt meint, dass die gedruckte Zeitung in ihrer heutigen Form langfristig keine Zukunft habe. Das soll aber nicht heißen, dass die klassische Zeitung komplett verschwinden wird: Sie wird jedoch ihre Rolle neu definieren müssen, zum Beispiel als Medium, das Hintergrundinformationen liefert, die gut recherchiert sind, was ständig aktualisierte Online-Medien nicht bieten können. Mit interessanten Artikeln wird die Zeitung auch zukünftig ihre Leser finden können. Den Universalanspruch wird die Tageszeitung laut Schmidt auf lange Sicht aufgeben müssen.

Bilanz nach einer vierstündigen Umfrage: Jeder der von mir befragten Jugendlichen hat einen Internetzugang und einen Facebook-Account. Alle nutzen das Internet sehr regelmäßig oder als primäre Informationsquelle.

Schmidt erklärt diese Entwicklung folgendermaßen: Das Besondere an der heutigen Generation sei, dass sie anders sozialisiert wurde als die Generationen davor. Die Jugendlichen sind mit dem Internet aufgewachsen, das für sie nicht nur eine Informationsquelle darstellt, sondern ihnen auch hilft, den Alltag zu bewältigen: „Das Internet ist ein Universalmedium, das gleichzeitig den Informations-, Entertainment- und Kommunikationszwecken dient. Die gedruckte Zeitung ist hingegen für junge Menschen nicht die richtige Technologie“, sagt er.

Die verstärkte Wichtigkeit des Internets spiegelt sich auch in Schmidts und Hasebrinks Studie wider: Mehr als ein Drittel der befragten Berliner Jugendlichen im Alter von 14 bis 29 Jahren haben angegeben, dass sie das Internet als eine der drei wichtigsten Informationsquellen betrachten; die Internet-Affinität nimmt mit dem Alter ab.
Das eigentlich erstaunliche Ergebnis der Studie ist, dass die Nutzung von Online-Angeboten der Printmedien, positiv mit der Nutzung der Printmedien aus dem gleichen Haus korreliert, in diesem speziellen Fall lesen die meisten morgenpost.de-Nutzer auch die gedruckte Variante der Morgenpost. Um sich über Berlin im Internet zu informieren, benutzen die meisten keine Online-Zeitungen, sondern Internetportale wie berlin.de.

Facebook nutzen, um sich zu informieren? Das ist für Berliner so gut wie gar nicht relevant: Nur 3,7 Prozent der Befragten geben es als eine der drei wichtigsten Informationsquellen an. Jedoch sei Facebook definitiv auch ein Ort, wo seriöse publizistische Medien aktiv sind, sagt Schmidt, und zwar ein besonderer: Facebook-Nutzer können sich dort durch das Anklicken des „Gefällt mir“-Buttons ein personalisiertes, auf sie zugeschnittenes Informationsangebot zusammenstellen, das zum Teil aus Freunden besteht, aber andererseits auch aus Angeboten, die sie „geliket“ haben, unter die journalistische Angebote fallen können.

Das Internet als das einzige Medium nutzen gerade mal 7,5 Prozent der Berliner Bevölkerung, meistens wird es in Kombination mit anderen Informationsquellen verwendet. Beruhigendes Ergebnis: Schmidt und Hasebrink gehen davon aus, dass das Internet nicht als Ersatz anderer Medien fungiert, sondern als Verstärker. Immerhin haben auch alle Jugendliche, die ich befragt habe, andere Medien außer dem Internet genannt – manche sogar Tageszeitung.

Ein Beitrag aus dem Praxisseminar Online vom Sommersemester 2012.
2017-07-06T12:18:17+02:00 Kategorien: Lesen, Macht + Medien|Tags: , , , , , , |