Verdrängung in Berlin: Wohnraumkämpfer – Teil 2

Jannis im Fahrstuhl der Mariannenstraße 24. Foto: Maximilian Köhler

Verdrängung in Berlin: Wohnraumkämpfer – Teil 2

Berlin, die Stadt, die immer in Bewegung ist, könnte in den kommenden Jahren als Heimat für die Menschen, die den Ort ausmachen, abhanden kommen. 2019 laufen die Bindungsverträge aus –  das bedeutet, dass die Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus in den freien Markt übergehen und die Bewohner wegziehen müssen, weil sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Die Mietergemeinschaft Kotti & Co kämpft seit 2011 dafür, in den eigenen vier Wänden bleiben zu dürfen.

Maximilian Köhler und Valeria Dobralskaya

Und wieder klatschen und pfeifen sie und sagen unisono Parolen auf, bis der Nächste das Mikrofon nimmt. Einige von den Sprechern sind routiniert, wortgewandt und tragen nicht zum ersten Mal vor, andere kämpfen sich durch ihre Notizen, die sie in der zitternden Hand halten. Dann klatschen sie wieder und feuern sich gegenseitig an. Sie stehen vor den verbarrikadierten Fenstern des Hauptgeschäftsstelle der Deutsche Wohnen AG. Schreien und Lärm macht hier nicht viel aus: 150 Protestierende sind bei der Polizei angemeldet, aber weniger sind gekommen und es sind fast so viele Reporter wie Protestierende da. Es klatscht und pfeift wieder und vereinzelt rufen Teilnehmer ihren Frust heraus. Gerade jodelten zwei Damen in roten Hosenanzügen und Patronengurt gegen den Kapitalismus.Es ist eine Demonstration des Bündnisses “Spekulation bekämpfen – Deutsche Wohnen & Co enteignen.” Das Bündnis besteht aus mehreren Mieterinitiativen der Stadt Berlin. Kotti & Co ist eine davon. Die Hauptforderung der Protestierenden ist die Rekommunalisierung des sozialen Wohnbaus. Zwar ist die Demonstration nicht derart viral wie die Mietenwahnsinn-Demo einen Monat zuvor, bei der die Organisatoren die Teilnahme von rund 25.000 Teilnehmenden veröffentlichten, aber es haben sich wieder einige Gruppen aus verschiedenen Stadtteilen Berlins zusammengefunden.

Jannis ist Mitglied von Kotti & Co. Er repräsentiert hier zusammen mit einem anderen Mitglied die Mietergemeinschaft. Diese soziale Bewegung hat sich 2011 aufgrund der drastischen Mieterhöhungen zusammengefunden. Großes mediales Interesse erlangten Kotti & Co, als sie 2012 den öffentlichen Raum am Kottbusser Tor  besetzten. Seit mehr als 6 Jahren steht dort nun illegal ein Protesthäuschen, das den Namen “Gecekondu” (türk. “über Nacht erbaut”) trägt. Das Gecekondu kennt man unter anderem in New York, London und Istanbul – überall dort, wo Anwohner mit den gleichen Verdrängungsproblemen zu kämpfen haben. Zur Zeit zahlen die Mieter monatlich 6 Euro nettokalt und 4 Euro Betriebskosten pro Quadratmeter – zu viel für die meisten Bewohner, die von Transferleistungen abhängig sind. Um die Miete aufzubringen müssen Familienmitglieder aushelfen oder zusammenziehen. Der Berliner Durchschnitt für Betriebskosten pro Quadratmeter liegt bei etwa 2 Euro. Seit Oktober ist Jannis auch Deutsche Wohnen Mieter, bei Kotti & Co ist er jedoch länger.

Demonstration „Spekulation bekämpfen – Deutsche Wohnen & Co enteignen“ vor dem Hauptgebäude des privaten Konzerns in Berlin-Wilmersdorf. Foto: Maximilian Köhler

Die Kottijugend

Jannis ist nämlich in Kreuzberg aufgewachsen. Seine Eltern wohnen einen Block weiter vom Gecekondu. Die Häuser und die Nachbarn der Admiralstraße und der Skalitzer Straße waren für ihn vor dem Gecekondu und Kotti & Co eine unbekannte Welt. Erst durch die AG “Kottijugend” lernte er die Nachbarschaft kennen. Die “Kottijugend” wurde von ein paar Jungs aus dem Kiez organisiert. Sie organisierten die Lärmdemos mit, machten Workshops und Filmabende, spielten Fussball und aßen zusammen. “Wir haben den öffentlichen Raum für uns genutzt und dadurch ein anderes Gefühl für den Ort und uns selbst erfahren”, sagt Jannis, während wir mittlerweile im Gecekondu am Kottbusser Tor sitzen. Die Idee war einen Ort für die Nachbarn zu schaffen, der keine Hemmschwelle hat, wo ein richtiger Dialog entsteht.  Es wird klar, dass Kotti & Co nicht nur ein Ort des Protestes ist, sondern auch als eine belebende Idee verstanden wird, der bei den Anwohnern ein Bewusstsein schafft, wie sie miteinander leben. Es ist nicht immer leicht die politische Agenda und die Nachbarschaft miteinander zu vereinbaren. Zwar konnte Kotti & Co politische Erfolge feiern, führte faktisch in den meisten Wohnungen einen Stopp der Mietensteigerung ein, allerdings ist bei dem Gecekondu auch nicht mehr so viel los wie in der Anfangszeit. Die magische Euphorie scheint verflogen zu sein. Das Gecekondu und Kotti & Co sind nichts neues mehr. Die “Kottijugend” gibt es seit 2 Jahren nicht mehr. Jannis versuchte vor kurzem mit einem Filmabend die Leute wieder ins Gecekondu zu holen und saß letztendlich mit nur drei anderen im Protesthäuschen. In letzter Zeit wird häufig in den Kerngruppentreffen, die seit Beginn der Initiative jeden Freitag stattfinden, diskutiert, wie man die Nachbarschaft wieder erreicht.

Sich den Raum zu eigen machen

Die Idee, sich den Raum zu eigen machen, hat sich in Jannis Bewusstsein tief verwurzelt. Er hat persönlich mit der Deutschen Wohnen AG Schriftverkehr aufgenommen, da er die Dachterrasse seines Hauses in der Mariannenstraße 24 gerne nutzen und umgestalten möchte. Gleichzeitig möchte er damit seine NachbarInnen darin ermutigen, “gewisse kleine Sachen für sich zu erringen”. Bis heute ist die Dachterrasse abgeschlossen und verwildert. Den Schlüssel hat der Hausmeister. Der könne sie ihm nur kurz zeigen, würde ansonsten Ärger von der Hausverwaltung bekommen…
Außerdem sei es manchmal schwierig Mieter zu motivieren, etwas gegen ihre Wohnsituation zu unternehmen, und es gäbe viele, die die Verantwortung an Kotti & Co abgeben. Jannis spricht ebenfalls davon, wie ein ständig dreckiger und vermüllter Wohnraum psychologische Auswirkung auf seine Bewohner hat. “Es geht dir schon beschissen, wenn du zum Teil der Bevölkerung zählst, der mit dem Arsch angesehen wird, und es eigentlich niemanden interessiert, wie es dir geht,” resümiert er.

In den Häusern

Mit Georgios im Treppenhaus der Admiralstraße 2. Foto: Maximilian Köhler

Am nächsten Tag zeigt uns Georgios den Hinterhof zwischen der Admiralstraße und der Kottbusser Straße. Er ist vor acht Jahren aus Athen nach Berlin gekommen. Seit vier Jahren ist er bei Kotti & Co Kerngruppenmitglied und koordiniert die Mietrechtsberatung, die jeden ersten und dritten Montag im Monat nachmittags im Gecekondu stattfindet. Ehrenamtlich beraten dort Anwälte die Anwohner, die mit den Schreiben ihres Vermieters überfordert sind. Wir gehen durch Hauseingänge und verwinkelte Treppenhäuser, wo nur schwach das Tageslicht in die Flure und Gänge dringt. Die Geländer und Wände sind abgenutzt, abgegriffen und mit Graffiti besprüht. Wenn man die Flure entlang geht, wird einem deutlich klar woher der Protest der Mieter kommt. Man kann sich den Unmut gut vorstellen, wenn man dafür mehr als den durchschnittlichen Berliner Mietpreis pro Quadratmeter zahlt.

Aussicht von dem Balkon der Admiralstraße 2: Das Haus der Kottbusser Straße 2. Foto: Maximilian Köhler

Wir kommen auf einen der vielen Balkone heraus. Von hier kann man den Innenhof sehen, wo gerade Müllmänner die leeren Container zurückrollen. Ein großes Problem ist der Müll. Dieser wird zwar wöchentlich abgeholt, aber da die Mülltonnen nicht ausreichen, sieht der Innenhof immer vermüllt aus. Im Sommer werden durch den Müll Ratten angezogen. In einer Erdgeschosswohnung gab es vermutlich deswegen einen überdurchschnittlich hohen Mieterwechsel. Georgios ist sich sicher, dass das Teil der Abwertungsstrategie der Deutschen Wohnen ist, dass sie den vermieteten Wohnraum verkommen lassen, um die Mieter dazu zu bewegen auszuziehen. Sobald ein*e Mietende durch Auszug die Sozialbindung auflösen, kann die Wohnung luxussaniert und somit zu einem höheren Preis neuvermietet werden.  Doch warum gibt es überhaupt so vielmehr Müll? Teilweise leben mehrere Generationen in einer Wohnung, weil sie sich sonst die Miete nicht leisten können. Folglich gibt es mehr Müll, der entsorgt werden muss, was dem Vermieter bekannt ist. Außerdem sind viele der Jugendlichen in den Hauseingängen, weil ihnen anscheinend in den Wohnungen kein Raum bleibt. Wenn Georgios erzählt, liegt auch immer ein Stück weit angestaute Frustration dabei: Im Winter fallen häufig die Heizungen aus, da die Leitungen alt sind; die Fahrstühle funktionieren manchmal wochenlang nicht, sodass die eigentlich barrierefreien Hochhäuser für die vielen RentnerInnen und Gehbehinderte zu einem Gefängnis werden; an den Fassaden wird wenig gemacht, sodass einige Graffiti schon seit seinem Einzug von vor vier Jahren hier sind. Zurückgelassenes Drogenbesteck ist hier ein vergleichbar geringes Problem. Vor allem ist es die durch eine kafkaeske Bürokratie: So wurden die Hausmeistertätigkeiten outgesourct, was bedeutet, dass der Concierge nur jemand anderem Bescheid geben kann, wenn etwas kaputt ist. Aufträge verlieren sich so oder werden nicht ernst genommen. Als der Flur geflutet war, kam erst zwei mal das THW und dann, nach acht Stunden, jemand von den zuständigen Dienstleister. Eine Dame hatte drei Monate lang keine funktionierende Toilette. Trotzdem bleiben viele wegen des sozialen Netzwerks hier. “Solange du am Kotti bist, wissen deine Eltern, was du machst, und die Leute wissen, dass wenn sie wegziehen würden, sie alleine dastehen würden”. Dieses soziale Netzwerk habe es schon vorher gegeben, aber für Georgios ist erst durch Kotti & Co ein Kiezgefühl entstanden.

Flur im Erdgeschoss der Admiralstraße 2. Foto: Maximilian Köhler

Falsche Freunde

Es kommen allerdings längst nicht alle zur Mietrechtsberatung in das Gecekondu. Zwar kennt es jeder im Kiez und weiß ungefähr was die Leute dort machen, häufig ist aber die Frustration und der bürokratische Aufwand zu groß für die Mieter, sodass diese resignieren, obwohl ihnen zum Beispiel ein staatlicher Mietzuschuss zustehen würde. Auch hat es an Dringlichkeit verloren, da die Situation sich in vielen Fällen verbessert hat. In dem letzten Jahr haben fast alle ein Guthaben bekommen und keine Nachzahlung. Früher war die Nachzahlung die Regel. Viele Bewohner haben keine Mieterhöhung mehr bekommen, obwohl die Fördersystematik eigentlich bestimmt, dass jedes Jahr die Miete um 13 Cent pro Quadratmeter erhöht wird. „Dann denken viele: Problem gelöst! Dann müssen wir halt klarmachen: Ja, aber nur bis 2025 und dann ist es vorbei, wenn wir nichts Großes schaffen!“, betont Georgios energisch. Für diejenigen, die kommen, steht das Gecekondu hingegen offen. Dann wird „Stress gemacht“, bei der Bauaufsicht angerufen, es werden Schreiben aufgesetzt, Anwälte eingeschaltet.

Kampf um das Kotti

Wir gehen wieder heraus, an strömenden Menschenmassen vorbei, überqueren die Kottbusser Straße und Georgios zeigt auf das Gebäude in dem “Bürgermeister” seit etwa drei Jahren bis drei Uhr nachts werktags den Hunger der partywütigen Leute stillt. Es gehört auch der Deutschen Wohnen AG. Das Stadtbild wird zunehmend widersprüchlicher, je mehr die Mitglieder von Kotti & Co erzählen, aber nicht in Bezug auf die Gesichter, die man sieht, sondern es sind eher die Gebäude, die mit jeder Geste zu einer bloßen Fassade verfallen und die Verantwortlichen häufig nur namentlich bekannt sind. Die nächste Straße neben dem Haus, zum Beispiel, das an “Bürgermeister” vermietet ist, ist die Adalbertstraße, dessen Konsumtionsraum fast ausschließlich von Hasir bestimmt wird, einem mittlerweile millionenschweren internationalen Unternehmen, das hier in Kreuzberg angeblich den Döner erfunden hat. Wiederum parallel dazu, in der Dresdener Straße, gäbe es ein Haus, das nur aus AirBnB-Wohnungen besteht. Im internationalen Vergleich des Gerwerbe- und Immobilenmarktes ist Kreuzberg noch relativ preisgünstig. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Hinterhöfe mit StartUps vollgeparkt sind. Gleichzeitig sind hier immer noch Familienunternehmen im NKZ, dem bananenförmigen, unübersehbaren Gebäude, unter dem die Adalbertstraße durchführt. Außerdem gibt es sowas wie den Südblock, der zeigt, wie man auch innerhalb kapitalistischer Rahmenbedingungen Räume öffnen kann. Das Kotti wird vor unseren Augen zum virtuellen Immobilienmarkt, in dem Besitzverhältnisse getradet und umkämpft werden – mitsamt den internationalen Touristen als Konsequenz.

Wir sind Kotti! Wir bleiben!

Das einzige Gebäude am Platz, das keine Miete zahlt und gleichzeitig die breite Akzeptanz der Bewohner erfährt, ist das Gecekondu. Auch Kotti & Co nimmt teil an dem Kampf um das Kotti. 2014 haben sie einen Verein gegründet, der mit etablierten sozialen Trägern zusammen arbeitet und derzeit verschiedene Projekte im Kiez umsetzt. Sie sind damit also tief in dem Bezirk vernetzt und verwurzelt. “Das Bild vom Kiez wird sich verändern darauf müssen wir uns einstellen,” erklärt Jannis und in seiner Stimme lag eine Zuversicht, die sich in den letzten Jahren aus den Erfolgen und Erfahrungen der Mitglieder heraus entwickelt hat. In ihrer Dokumentation “Mieten essen Seele auf”, die auf arte ausgestrahlt wurde, gibt es eine Stelle, in der ein zu dem Zeitpunkt achtjähriges Mädchen mit einem srilankischen Migrationshintergrund auf Deutsch öffentlich etwas kundgibt. Hinter ihr steht eine Gruppe von Menschen ein Banner mit türkischen Parolen haltend. Energisch spricht sie: “Wir haben das Recht zu bezahlbaren Mieten in den Häusern zu wohnen, die mit unseren Steuergeldern errichtet wurden. Wir sind KreuzbergerInnen mit Familiengeschichten in der Türkei, Palästina und Sri Lanka. Viele von uns sind hier geboren, leben und arbeiten seit 40 Jahren am Kotti. Wir haben Kreuzberg zu dem gemacht, was es ist. Wir sind Kotti! Wir bleiben!” Ob auf der Demo, im Gecekondu oder in dem simplen Umgang mit seinen eigenen vier Wänden – das Gecekondu ist ein Ort, der bereitsteht für alle, die selbst aktiv etwas gegen ihre Wohnsituation unternehmen wollen. Der Kampf und für etwas einzustehen hilft ihnen ein weiteres Bewusstsein für sich und ihre Umwelt zu gewinnen.

Lesen Sie hier den ersten Teil des Beitrags.


Maximilian Köhler studiert im 6. Semester Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Publizistik und Kommunikationswissenschaften und möchte als Journalist über gesellschaftlich relevante Themen berichten.


Valeria Dobralskaya studiert im 2. Mastersemester Islamwissenschaft und möchte nach dem Studium als Journalistin in Osteuropa und Zentralasien unterwegs sein.