Kein Schaden durch »Lügenpresse« – denn »Print ist Kultur«

Redakteur Christoph Stollowsky an seinem Schreibtisch im Newsroom der Lokalredaktion. Foto: Anna Ehlebracht

Kein Schaden durch »Lügenpresse« – denn »Print ist Kultur«

Das Gebäude am Askanischen Platz 3 in Berlin-Kreuzberg war vor über 100 Jahren, vor dem Umzug nach Spandau, Hauptverwaltung der Siemens & Halske AG. Seit 2009 sitzt hier der Tagesspiegel. Von der alten Industrie zur neuen? Oder ist Print nun die nächste alte Industrie? Tagesspiegel-Redakteur Christoph Stollowsky über die Vertrauenskrise des Journalismus – und warum Print nicht aussterben wird.

Von Anna Ehlebracht

Herr Stollowsky, Sie sind Redakteur der Berlin-Brandenburg Redaktion. Spüren Sie einen Glaubwürdigkeitsverlust oder eine Vertrauenskrise der Medien in Ihrem journalistischen Alltag?

Ich sehe das eher umgekehrt. Angesichts der vielen »Fake-News« im Internet hat allein die New York Times einen unglaublichen Auflagenzuwachs. Es ist aber eine doppelgleisige Entwicklung. Nachrichtenbeschaffung, die häufig nur noch unprofessionell gefiltert im Internet stattfindet, führt zu einer Vermischung von Meinung und Nachricht. Andererseits macht dies immer mehr Menschen skeptisch, dadurch wächst die Wertschätzung professioneller Medien.

Zur Person

Christoph Stollowsky, 63, ist seit 1991 Redakteur der Berlin-Brandenburg Redaktion beim Tagesspiegel und schreibt dort über diverse Themen – vom Kulturfeature zur Stadtleben- Seite. Zuvor arbeitete er fast 20 Jahre bei der Frankfurter Rundschau.

Der »Lügenpresse-Begriff« ist aber in den letzten Jahren wieder verstärkt aufgekommen.

Ja, das stimmt. Das sind aber genau die Menschen, die im Internet völlig ungefiltert nur noch die Portale benutzen, die ihre Meinung reflektieren. Und die reden dann natürlich von Lügenpresse. Das ist aber nur die eine Richtung. Auf der anderen Seite ist eine neue Wertschätzung zu spüren. Aus meiner persönlichen Erfahrung – aus dem Lokalen – begegnet mir kaum Skepsis. Ich habe überwiegend positive Erlebnisse, wenn ich Menschen interviewe oder mich vorstelle. Das liegt aber auch daran, dass der Tagesspiegel ein sehr angesehenes Medium in Berlin ist. Wir werden eben auch zu 80 Prozent von Menschen gelesen, die Abitur haben und gebildet sind.

Das Interviewerlebnis kommt immer auf die Gesprächspartner an, meinen Sie nicht?

Aus meiner Erfahrung nicht. Ich habe keine Erfahrung mit AfD-Leuten – aber dass der Tagesspiegel kein Boulevardblatt ist, das wissen eigentlich alle.

Wie sind Sie zum Nicht-Boulevardblatt Tagesspiegel gekommen?

Ich war 18 Jahre lang im Regionalen bei der Frankfurter Rundschau tätig. Als Schüler, mit 17 Jahren, habe ich dort angefangen und später volontiert. Mit 37 Jahren bin ich nach Berlin gegangen, weil Berlin für einen Lokal-Journalisten das spannendste Pflaster war. 1991 begann ich hier in der Redaktion – und habe sozusagen das Zusammenwachsen und die Entwicklung der Stadt journalistisch begleiten dürfen.

Es heißt: Journalisten, das sei eine homogene Gruppe; Bildungsbürgertum und eher links. Inhaltlich einheitlich also?

Es gibt ja auch anders ausgerichtete Medien. Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und rechteren Medien sitzen eher konservative Journalisten – aber keine extrem Rechten natürlich. Aber insgesamt stimmt die Aussage schon. Journalisten stammen überwiegend aus Bildungsfamilien, die meisten haben auch studiert. Etliche haben sich aber auch hochgearbeitet. Aber zu 80 Prozent sind das schon links-liberal denkende Menschen, bei denen sich AfD-Parolen nicht verfangen.

Schränkt das nicht zu weit die Meinungsvielfalt ein?

Ich finde, dass es beim Tagesspiegel eine sehr große Meinungsbreite gibt. Bei der Frankfurter Rundschau war es klar: Ein Kommentar war immer links-liberal. Beim Tagesspiegel gibt es Themen, wie zum Beispiel die Griechenland-Krise, die oft sehr kontrovers diskutiert werden. Wir haben Redakteure, die eher zur CDU neigen, andere stehen wiederrum links von der taz. Und die widersprechen sich auch aufgrund von großen Unterschieden. Häufig erscheinen dann kontroverse Kommentare im selben Blatt. Alle Kollegen sind aber liberal-demokratisch gesonnen – etwas anderes wünsche ich mir auch nicht. Unsere Redaktion reflektiert in etwa die Breite der im Bundestag vertretenden Parteien, außer der AfD.

Dennoch: Printauflagen sinken seit Jahren rapide ab. Ist die Situation beim Tagesspiegel ähnlich drastisch?

Ja, aber wesentlich geringer als bei anderen Berliner Lokalzeitungen. Wir hatten in den vergangenen zwei Jahren sehr moderate Einbrüche. Wir haben uns bei circa 111.000 verkauften Exemplaren im Wochenschnitt stabilisiert. Aber wir versuchen eben, die Verluste durch eine Vielzahl publizistischer Aktivitäten aufzufangen, die parallel laufen. Der Tagesspiegel stellt sich sehr breit auf, sowohl online als auch bezüglich unserer Newsletter.

Der Tagesspiegel Checkpoint und die Kiez-Newsletter.

Genau. Solche Formate binden die Leser natürlich wieder an die Print- und Onlineausgabe. Die Zeitung kann nur auf diesem Wege der vielen Angebote überleben – und auf diese Weise auch die
Printausgabe stabilisieren. Gelesen wird sie dann nur noch von jenen, die weiterhin auch etwas Gedrucktes in der Hand haben wollen. Aber das wird sicher noch ein Stück weiter heruntergehen.

Was sagen Sie zu der Aussage, es gäbe kein Geschäftsmodell für den Printjournalismus mehr?

Ich bin nicht derart kulturpessimistisch. Print ist Kultur. Es wird auch künftig Menschen geben, die eine Zeitung in der Hand haben wollen. Die Kiezbuchläden, über die man schon Abgesänge hörte, sind zum Beispiel auch nicht weniger geworden.

Ist also die Digitalisierung eher Zusatz als Ersatz?

Ich persönlich sehe sie nicht als Ersatz. Die Online-Angebote werden sich aber sicherlich noch verstärken.

Wie sehen Sie die Zukunft?

Ich denke nicht, dass die Printzeitung aussterben wird. Ihr Anteil an allen Publikationen wird aber weiter abnehmen. Dafür werden die Zeitungen aber schon heute wesentlich schöner, also magazinischer gestaltet als noch vor 20 Jahren. Zugleich wächst der Bedarf an Qualitätsjournalismus. Und wir halten uns an unser Motto: Rerum cognoscere causas – die Ursachen der Dinge erkennen.


Anna Ehlebracht studiert im 3. Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Geschichte.


2018-04-04T11:36:44+02:00 Kategorien: Lesen, Macht + Medien, Wissen + Wirken|Tags: , , , , , , |