Friedenau: Die Rheinstraße im Wandel

Die Rheinstraße in Friedenau. Foto: Jasper Graeve

Friedenau: Die Rheinstraße im Wandel

Die Rheinstraße in Berlin-Friedenau ist vielen Bewohnern des Kiezes ein Dorn im Auge. Einst prestigeträchtige Einkaufsstraße, verkommt sie ihrer Meinung zu einer unattraktiven und lauten Großstadtstraße. Die Politik soll tätig werden. Aber das Problem scheint kein Einzelfall zu sein und Lösungen zu finden schwierig.

Ein Feature von Jasper Graeve

Freitagabends auf der Rheinstraße in Friedenau. Der Verkehr rauscht dreispurig in beiden Richtungen an den bunten Reklamen der Geschäfte und Lokalitäten der Einkaufsstraße vorbei, auf den Bürgersteigen finden sich hauptsächlich Friedenauer wieder, die vor dem Wochenende noch ihre letzten Einkäufe erledigen wollen. Zwischen dem Walther-Schreiber-Platz an der Grenze zu Steglitz und dem Breslauer Platz im Herzen Friedenaus reiht sich ein Geschäft an das andere, die Diversität dabei ist teils verblüffend. Neben einer großen Filiale einer bekannten Bio-Supermarktkette befindet sich das Statement Berlin, eine von außen dunkel erscheinende Bar mit großer Auswahl an Wasserpfeifen; daneben liegt Fame Burger, ein bei den Barbesuchern beliebtes Imbisslokal. Ein penetrant süßlicher Geruch verteilt sich von der Bar aus auf dem anliegenden Bürgersteig und während immer mehr schicke Sportwagen vor dem Statement haltmachen, junge Männer mit schwarzen Lederjacken und Sonnenbrillen aus den Autos steigen, huschen die Gesundheitsfanatiker aus dem Bioladen kopfschüttelnd vorbei. Ein bizarres Szenario.

Die Rheinstraßen-Initiative spricht vom aussterbenden Einzelhandel

Die Rheinstraße ist eine rund einen Kilometer lange Ein- und Ausfallstraße und verbindet die innerstädtischen Bereiche mit den südwestlichen Bezirken Berlins. Vom Innsbrucker Platz kommend geht sie am Breslauer Platz aus der Hauptstraße hervor und mündet am Walther-Schreiber-Platz in die Schlossstraße. Sie stellt die größte und wichtigste Einkaufsstraße Friedenaus, einem südlich gelegenen Ortsteil des Bezirks Tempelhof-Schöneberg, dar. Neben mehreren großen Supermarkt-Filialen beherbergt sie ein breites Angebot an Gastronomie, Fachgeschäften, Bäckerei-Filialen und Einzelhandel. Einige Geschäfte wie Juweliers Lorenz oder die Nicolaische Buchhandlung sind wahre Traditionsgeschäfte und werden seit mehreren Generationen geführt. Somit könnte sich die ansässige Bevölkerung von Friedenau eigentlich glücklich schätzen, dass sie in unmittelbarer Nähe eine solche Infrastruktur vorfinden kann. Dennoch wird zunehmend beklagt, dass die Rheinstraße ihren Charme verliere und verkomme, eine Rheinstraßen-Initiative wird gebildet. Der Einzelhandel sterbe immer mehr aus und in die freiwerdenden Gewerbeflächen würden hauptsächlich Aufback-Bäckereien, Ramschläden oder Shisha-Bars einziehen. Vor allem die Etablierung zweier Wasserpfeifen-Bars (das Statement Berlin in der Rheinstraße 60 und das Cafe Aliyah in der Rheinstraße 36) hat für Unmut gesorgt, da von diesen in der Wahrnehmung einiger Anwohner eine erheblich Geruchs- und Lärmbelästigung ausgeht. Im Juli 2017 kam es in diesem Zusammenhang zu Polizei-Razzien, bei denen 40 Polizisten drei Lokalitäten entlang der Rheinstraße unter die Lupe nahmen, mehrere Fahrzeuge beschlagnahmten, Teilbereiche der Shisha-Bars wegen zu hoher Kohlenmonoxid-Belastung räumten, einen Imbiss wegen Hygienemängel vorläufig schließen ließen und einen per Haftbefehl gesuchten Mann festnahmen.

Die Rheinstraße zwischen der Kaisereiche und dem Breslauer Platz Foto: Jasper Graeve

Eine Anwohnerin berichtet

Eva K. (43) ist in der Gegend aufgewachsen, kennt die Rheinstraße seit 1981 und wohnt in dieser seit Mai 2008. Für sie hat sich die Straße sehr zum Negativen gewandelt. »Es gibt kaum noch Einzelhandel hier. Nur noch Backshops, Optiker, Casinos und eben diese ganzen Shisha-Bars und Imbiss-Buden. 2008 war die Rheinstraße eine ›Mini‹-Schlosstraße: es gab Drogeriemärkte, Blumenläden, Schuhgeschäfte und eine Bio-Metzgerei. Heute steht viel zu viel leer und das, was noch da ist, zieht ein Publikum an, das alles andere als typisch Friedenau ist und sich wirklich rücksichtslos verhält.« Als einen Auslöser für den Abwärtstrend der Rheinstraße nennt sie die Eröffnung der Primark-Filiale im nahe liegenden Schloss-Straßen-Center im Jahre 2012. »Das hat damals Leute hierher gebracht, die hat Friedenau so noch nicht gesehen. Ein Hauch Neukölln … und die Shisha-Bar nimmt diese Leute ganz wunderbar auf.« Ihrer Meinung nach müssten wieder mehr ›normale‹ Einzelhandelsgeschäfte einziehen. Ein Drogeriemarkt und eine Metzgerei am besten. Genauso sollte die Politik und die Polizei viel häufiger tätig werden, einmalige Aktionen wie die Razzien im vergangenen Jahr würden nichts bringen. Stichwort ›Tempokontrollen‹:»Selbst die BVG fährt hier mehr als 50 km/h. Am besten sollte die Straße in eine Tempo-30-Zone umgewandelt werden. Dazu sollte ständige Polizeipräsenz herrschen. Insbesondere im Sommer, wenn die ganzen Idioten aus den tollen Shisha-Bars Autorennen mit ihren getunten Fahrzeugen machen, die zudem übertrieben laut sind.« Außerdem sollten die Öffnungszeiten der Lokalitäten gemäß des Anwohner-Lärmschutzes verändert werden. »Davon könnten die Bewohner unseres Hauses ein Lied singen!«

»Das ist halt Berlin.«

In der Tat gingen die Razzien im Sommer 2017 aus Anwohnerbeschwerden über die Lärm- und Geruchsbelästigungen hervor. Seit dem hat sich wenig verändert. Das Statement und das Cafe Aliyah werden weiterhin häufig aufgesucht und abends sind die aufheulenden Motoren der Sportwagen oft bis weit in den Kiez hinein zu hören. Zudem wurde die Eröffnung einer neuen Shisha-Bar an der Kaisereiche (Rheinstraße/Saarstraße) angekündigt, was in den sozialen Netzwerken erneut für Diskussionen gesorgt hat. Dr. Harald Dähne ist Mitglied in der SPD Friedenau, hat selbst mehrere Jahre in der Rheinstraße gewohnt und kennt die Gegend seit dem Ende der 90er. Im Gegensatz zu vielen anderen Bewohnern hat er den Eindruck, dass sich der Zustand im Laufe der letzten 20 Jahre eher verbessert hat. »Ein bisschen heruntergekommen, die besten Zeiten hinter sich. Vom Publikum und den Häusern her etwas abgewrackt.« – so würde Herr Dähne den Zustand der Rheinstraße damals bezeichnen. Dass sich die Straße seit dem nicht grundlegend geändert hat hat für ihn folgende Gründe: »Die anliegende Schlossstraße mit ihren vielen Einkaufszentren saugt einfach wahnsinnig an. Die Rheinstraße dagegen war und ist eine Nahversorgungsmeile. Was man um 2006 herum gemerkt hat, war, dass es einen unglaublichen Investitionsstau gab. Nach der Wende ist viel Geld in den Osten abgeflossen und man hat das Gefühl, dass sich sowohl in der Schloss- als auch in der Rheinstraße seit der Wiedervereinigung nicht so viel getan hat.« Aber die Veränderungen, die eingetreten sind, betrachtet Dr. Harald Dähne analog zu den Entwicklungen der Bergmannstraße in Berlin-Kreuzberg: mehr kauffreudiges Publikum, teurere Restaurants, höhere Mieten aufgrund der gestiegenen Nachfrage. Zwar sei der Verkehr tatsächlich ein Problem, von einem kriminellen Umfeld entlang der Rheinstraße würde man aber nicht sprechen.

Die Rheinstraße (quer in der Bildmitte verlaufend) in Berlin-Friedenau Quelle: OpenStreetMap

Wieso regen sich dann so viele Friedenauer insbesondere über die Shisha-Bars entlang der Rheinstraße auf? »Mein Eindruck ist, dass die Shisha-Bars Fremdkörper in Friedenau darstellen und von den Anwohnern so auch wahrgenommen werden. Das Publikum scheint hier nicht wohnhaft zu sein, sondern von außerhalb mit ihren Autos herzukommen. Warum sie dann die Standorte hier ausgewählt haben, weiß ich nicht genau. Man hört ja immer wieder was von Geldwäschebetrieben, arabischen Großclans (…) ob das so stimmt, bezweifle ich. Ich verstehe ja die Anwohner, die sich daran stören, dass jetzt unter ihnen so eine Shisha-Bar aufgemacht hat und davor war da vielleicht eine Metzgerei drinnen. Aber gut, da muss ich sagen: Das ist halt Berlin.«

Gentrifizierung hier, Verwahrlosung dort

Sowieso könne gemäß Herrn Dähne die Politik, also der Bezirk Tempelhof-Schöneberg, die Entwicklung des Einzelhandels und der Gastronomie entlang der Rheinstraße kaum beeinflussen, da bei Gewerbeflächen der Mieterschutz nicht gelte und so steigende Mieten nicht verhindert werden können. »Es ist ja in Berlin generell ein Problem, dass die Mieten steigen, erstens durch die Spekulation internationaler Investoren und zweitens aufgrund der Niedrigzinspolitik der Bundesregierung, die es vielen Bürgern ermöglicht hohe Kredite aufzunehmen und Immobilien zu erwerben. Durch die hohen Mieten sollen die Kredite dann wieder abgezahlt werden.«

Es scheint sich also tatsächlich weniger um einen objektiv feststellbaren Abwärtstrend der Rheinstraße, sondern mehr um die subjektive Wahrnehmung der Anwohner zu handeln. Die Veränderungen sind nicht zu bestreiten, aber Berlin war stets eine Stadt des Wandels, nie des Stillstandes und letztlich hängt das Angebot der Rheinstraße nicht von der Politik, sondern vom Verbraucher ab. Die Ursachen für die Entwicklungen dieser Einkaufsstraße sind berlinweite sowie bundesweite Phänomene: Straßen sowie Kieze wandeln sich im Laufe der Zeit – abhängig von den Bewohnern und der allgemeinen Stadtentwicklung. Einst Arbeiterviertel, heute angesagtes, saniertes Altbauviertel. Früher beliebte Neubaugegend, jetzt ein sozialer Brennpunkt. Im Falle der Rheinstraße werden solche Phänomene der Stadtentwicklung somit – teils schmerzhaft – für die Anwohner spürbar. Deren Frustration ist höchst verständlich, einfache Lösungen zu finden aber nicht einfach. Falls der Bezirk die Mittel hätte, um die lokale Raserszene um die Shisha-Bars herum zu verdrängen, wären die Friedenauer vielleicht zufrieden, das Problem selbst aber längst nicht gelöst. Vielmehr ist es in einer Stadt wie Berlin essentieller, dass die Bewohner ein friedliches Mit- und Nebeneinander verschiedenster sozialer Gruppen mit ihren jeweils eigenen Ansprüchen erlernen.


Jasper Graeve studiert im 3. Semester Filmwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Neben ersten journalistischen Erfahrungen hat er viele praktische Erfahrungen im Filmbereich gesammelt.