»Im Görlitzer Park gab es nie eine Null-Toleranz-Politik« – Heute helfen Integrationsprojekte

Görlitzer Park: Grastütchen am Wegesrand. Foto: Andreza Maraschin Woolf de Oliveira

»Im Görlitzer Park gab es nie eine Null-Toleranz-Politik« – Heute helfen Integrationsprojekte

Berlin-Kreuzberg. Seit dem 16. Oktober 2017 ist der Besitz von bis zu 15 Gramm Cannabis wieder straffrei, auch im Görlitzer Park. Die Berliner CDU meint, Verlierer dieser drogenfreundlichen Politik seien die Anwohner. Aber hat sich überhaupt etwas verändert, seit Konsum und Besitz von Cannabis wieder erlaubt ist? Was bewegt die Menschen dazu, Drogen zu verkaufen? Und wie können sie daraus aussteigen?

Von Andreza Maraschin Woolf de Oliveira

Auch an dem kalten Nachmittag, an dem wir in dem Park unterwegs sind, stehen Dealer am Wegesrand. Von der Parkwache oder gar der Polizei ist nichts zu sehen. Das scheint aber keinen zu stören. Viele Menschen sind auf den Grünflächen unterwegs: Erwachsene mit Kindern, Männer und Frauen auf Fahrrädern und Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern. Weder Dealer noch Parkbesucher scheinen sich aneinander zu stören.

»Im Görlitzer Park gab es nie eine Null-Toleranz-Politik. Es war immer irgendwie erlaubt«, antwortet Anwohnerin Paula Kopczynski auf die Frage, ob die Maßnahmen der Alt-Regierung zum harten Durchgreifen gegen die Dealer gefruchtet hätten. Sie kommt immer noch jeden Morgen mit ihren Hunden hierher und macht sich nichts aus den Dealern. Sie störe nur, dass durch die Dealer die Hygiene des Parks leide, da sie sich in den Büschen erleichtern würden.

»Ich merke überhaupt keinen Unterschied«, sagt auch Lisa, die im anliegenden Café Eigenzeit arbeitet und in der Nähe wohnt. Aber die Dealer würden ihr keine Angst machen. Man kenne sich. Und sie hat – wie viele andere Anwohner, eher Mitleid mit den Afrikanern, die bei Wind und Wetter im Park stehen und Cannabis verkaufen.

Zur »Null-Toleranz-Politik«

Der Besitz von Cannabis ist seit Gründung der Bundesrepublik strafbar. Jedoch wurde ab 1972 im Zuge der 68er Bewegung bei »geringen Mengen« – in Berlin etwa 10 bis 15 Gramm, von einer Strafverfolgung abgesehen. 2015 führte der damalige Innensenator Frank Henkel (CDU) die sogenannte »Null-Toleranz-Politik« ein, um das Drogen- und Gewaltproblem im Görlitzer Park unter Kontrolle zu kriegen. Der Kauf und Besitz von Cannabis wurde im Park vollkommen untersagt. Die Polizei führte zahllose Razzien durch. Selbst einzelne Joints wurden beschlagnahmt.

Im Oktober dieses Jahres trat die von der rot-rot-grünen Landesregierung beschlossene Abschaffung der Null-Toleranz-Politik in Kraft. Nun gilt im »Görli« wieder: Der Besitz von bis zu 15 Gramm Cannabis bleibt meist straffrei. Nach wie vor führt die Polizei – zumindest gelegentlich, Razzien durch. Aber bereits wenige Stunden nach der Verhaftung stehen die Drogenhändler wieder im Park – und gehen ihrer Tätigkeit nach, als wäre nichts gewesen.

Seit dem 16.Oktober 2017 wird der Verkauf und Konsum von Cannabis im“Görli“ wieder toleriert. Foto: Andreza Maraschin Woolf de Oliveira

Die Ermittlungsbehörden sollen beim Besitz von »geringen Mengen« Cannabis, die ausschließlich für den Eigenverbrauch und mit keiner Fremdgefährdung verbunden sind, von einer Strafverfolgung absehen. So urteilte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1994 (BVerfGE 90, 145). Die Einschätzung einer »geringen Menge« liegt in der Hand der Bundesländer und beträgt in Berlin10-15 Gramm. Hinzu kommt der Faktor Fremdgefährdung: Dies ist beispielsweise der Fall, wenn nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheit im Straßenverkehr zu befürchten sind.

Doch es entstehen vereinzelt Alternativen für die meist aus Afrika stammenden Dealer. Marcel aus dem Suppen-Bistro in der Wrangelstraße 82 arbeitet zusammen mit Menschen, die aus dem Drogenhandel ausgestiegen sind. Er erklärt uns, warum sie sich für den Verkauf von Drogen entscheiden – oder einfach keine andere Wahl haben.

Das Integrationsprojekt Bantamaa Community

»Die meisten haben in Italien erstmals den Fuß aufs europäische Land gesetzt und sind dann nach Deutschland gekommen. Die Drogen im Park verkaufen sie, um überhaupt eine Arbeit zu haben. Die meisten von ihnen haben auch keine Arbeitserlaubnis in Deutschland oder sind auch nicht in der Lage, eine zu bekommen«, sagt er. Die Suppenküche ist Teil des Integrationsprojekts Bantabaa Community, das vor allem ausgestiegenen Dealern die Möglichkeit gibt, über eine Hospitation einen Job zu bekommen. Statt Drogen zu verkaufen, heißt es dann, Suppe kochen und die Gäste im Bistro betreuen. Der eingetragene Verein sorgt dafür, dass die hauptsächlich aus Gambia stammenden Migranten ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen bekommen. Außerdem gibt es eine Deutschlehrerin beim Verein, die in Anfänger- und Fortgeschrittenenkursen Deutsch lehrt, um die Integration der Migranten zu erleichtern.

Die Bantaaba Suppenbar in Berlin-Kreuzberg.  Foto: Andreza Maraschin Woolf de Oliveira

»Ziel ist natürlich, dass wir die Jungs darauf vorbereiten, irgendwann woanders arbeiten zu können, mit den Erfahrungen, die sie hier gesammelt haben«, fügt Marcel noch mit an. Und tatsächlich: drei Männer aus der Suppen-küche haben mittlerweile eine Arbeitserlaubnis, einen Job und eine eigene Wohnung. Der Verkauf von Cannabis erscheint da plötzlich ganz weit weg.

Währenddessen stehen die Drogendealer im Görlitzer Park. Neben ihnen spielen Kinder auf dem Spielplatz, Hunde laufen auf der Wiese, Fahrradfahrer düsen vorbei. Allen hier scheint die »Null-Toleranz-Politik« relativ egal zu sein. Was wir brauchen, ist eine legale Alternative für die Dealer.


Andreza Maraschin Woolf de Oliveira studiert in Berlin Theaterwissenschaft und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ursprünglich kommt sie aus Rio de Janeiro, Brasilien.