Bild und Glaube: vom Konflikt zur Harmonie

Bild und Glaube: vom Konflikt zur Harmonie

Berlins Kirchen entdecken die Kunst für sich. Immer öfter dürfen Künstler ihre Gemälde an Wänden platzieren, wo sonst die Mutter Gottes dargestellt oder die Kreuzigung Jesu in Bildern erzählt wird. Trotz der Skepsis einiger Gläubiger kommt diese Kombination aus bildender Kunst und Religion gut an, vielleicht weil die beiden sich näher sind als manche wahrhaben wollen.

Von Indira Valeeva

Im Herzen Berlins, in der Nähe vom Potsdamer Platz, liegt die evangelische St. Matthäus-Kirche. Gebäude und Innenraum sind sehr einfach. Alles ist weiß und mit weichem Licht erfüllt. Aber es gibt eine bunte und helle Besonderheit in der Kirche, über dem Altar, da, wo normalerweise das Kreuz hängt. In der St. Matthäus-Kirche hängt an dieser Stelle eine sehr schmale vertikale Leinwand. Sie sieht aus wie ein riesiges „I“ und ist mit drei Rechtecken bemalt, in schwarz, weiß und rot.

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Hasso von Henninges stellt seine Kunst in der Kirche aus. (Foto: I. Valeeva)

Genauso heißt die Ausstellung des Künstlers Hasso von Henninges in der St. Matthäus-Kirche: „Schwarzweiß und rot“. In immer mehr Kirchen werden zeitgenössische Ausstellungen organisiert. Das ist nicht nur der schwindenden Zahl der Gläubigen geschuldet: Für Kirchenobere und Kuratoren haben Kunst und Kirche eine interessante Wechselwirkung aufeinander.

Verwandte oder Feinde?

Viele geniale Kunstwerke der Menschheit wurden vom Glauben inspiriert. Raffael, Caravaggio, Tizian, Bosch, El Greco und hunderte andere Künstler schufen ihre besten Bilder im Namen Gottes. Die bildende Kunst war immer eng mit der Religion verbunden. Sie haben viele Gemeinsamkeiten: Beide berühren die Seele des Menschen.

„Es gibt eine Verwandtschaft zwischen der Kunst und der Religion. Die Kunst erzeugt Bilder. Die Religion auch. Kunst und Religion erzeugen Mythen, sie argumentieren nicht logisch, wie in der Wissenschaft, aber sie erzeugen Bilder, die ans Herz gehen und zu denken geben”, erzählt Christhard-Georg Neubert, Direktor der Kulturstiftung St. Matthäus in Berlin-Brandenburg. Aber Religion und Kunst hatten nicht immer ein harmonisches Verhältnis zueinander. Beide kämpfen um die Seelen und Gedanken des Menschen.

Lässt sich Gott abbilden?

“Das Verhältnis zwischen Kunst und Kirche ist immer ein Konfliktverhältnis. In der alten  Kirche gab es den Bilderstreit, da gab es Ikonoklasten (Menschen, die die Zerstörung heiliger Bilder befürworteten, red.) und die Unterstützer von Ikonen. Die Ikonoklasten sagten, dass man das Heilige nicht abbilden kann. Der Streit fand zwischen dem 3. und 7. Jahrhundert statt“, erklärt Christhard-Georg Neubert.

In der orthodoxen Tradition der Ostkirche bekam mit den Ikonen das Bild eine besondere Bedeutung. In der Westkirche war es nicht so wichtig. Aber dann im Mittelalter, ab dem 12. Jahrhundert entdeckten die Menschen, dass zum Beispiel eine Kreuzigungsdarstellung oder ein Passionsbild Mitleid bei dem Betrachter auslösen kann.

„Christus leidet auf dem Bild und ich als Betrachter leide mit. Ich frage mich, wie kann Gott leiden? Gott leidet an mir, weil ich ein falsches Leben führe oder Andere zum Leiden bringe. Aus dieser Tradition des Mittelalters hat sich etwas gebildet, das man Compassion nennen kann. Durch das Sehen ändert man seine eigene Ethik“, so Neubert.

In der Reformation wurde christliche Kunst wieder unpopulärer. Der Reformator Johannes Calvin verbannte die Bilder. „Gott lässt sich nicht abbilden“, sagten die Calvinisten. Sie glaubten, dass Gott ein geistiges Erlebnis sei, das mit dem Sehsinn nichts zu tun hat. In den lutherischen Kirchen ist es anders. Martin Luther war eng befreundet mit dem Künstler Lukas Cranach. Deshalb war Martin Luther tolerant gegenüber bildlichen Darstellungen. Er erlaubte Bilder in der Kirche. Sie sollten aber nicht Gegenstand des Gebets sein.

Verwandtschaft neu zu entdecken

Im letzten Jahrhundert hat die Kirche wegen des technischen und sozialen Fortschritts viele Anhänger verloren. Es genügte nicht mehr, nur Ort des Glaubens zu sein. Deshalb musste sie neue Wege finden, um Menschen zu gewinnen. Fast alle protestantischen und katholischen Kirchen wurden im Sozialbereich tätig. Inzwischen hat die Kirche einen großen Teil der Sozialarbeit in Deutschland übernommen.

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Die Neuköllner St. Christophorus-Kirche in bunt ( Foto: I. Valeeva)

Für einige war das nicht genug. Die Religion sollte zeigen, dass sie für verschiedene Meinungen offen ist. Deshalb begann sich die Kirche für zeitgenössische Kunst zu öffnen. „Diese Verwandtschaft zwischen Religion und Kunst ist in den protestantischen Kirchen in Deutschland in den letzten 25 bis 30 Jahren neu entdeckt und kreativ weiterentwickelt worden“, sagt Neubert.

Jetzt überraschen die Ausstellungen in den lutherischen Kirchen schon niemanden mehr in Deutschland. In der katholischen Kirche aber hat der Prozess der Annäherung erst angefangen. So wurde im Mai die erste Ausstellung eines modernen Künstlers in der St. Christophorus-Kirche in Neukölln eröffnet. „Pfingsten oder die Möglichkeit des Dialogs“ heißt das Projekt des argentinischen Künstlers Pedro Roth und der deutschen Kuratorin Celia Caturelli.

„Celia Caturelli ist unser Gemeindemitglied und eine professionelle Künstlerin und Kunstprofessorin. Sie hat die Idee gehabt, mehr Kunst in die Kirche zu holen, um so Kunst und Religion zusammen zu bringen. Und wir laden Menschen ein, die sonst nichts mit der Kirche zu tun haben, zu kommen und zu schauen“, erzählt Nieves Kuhlmann, Sozialpädagogin und Kulturbeauftragte der St. Christophorus-Gemeinde.

Kunst in der Kirche als Experiment

Für die erste Ausstellung wurde Pedro Roth ausgewählt, obwohl er kein Katholik und nicht einmal Christ ist. Er ist ein Jude, der einen großen Teil seiner Familie in Auschwitz verloren hat. In seinen Werken sucht er nach Möglichkeiten des Dialogs und der Verständigung in unserer Welt.
Nieves Kuhlmann sagt, dass es nicht einfach war, die Ausstellung zu organisieren. Die Gemeindemitarbeiter und die Kuratorin haben zuvor die Gemeindemitglieder um ihre Meinung gebeten. „Und es gab auch einige Gemeindemitglieder, die sehr skeptisch waren. Sie meinten, dass die Kunst vom Gottesdienst ablenkt. Und wir haben das als Experiment betrachtet, wir schauen was passiert. Die Vernissage war mit über hundert Leuten sehr gut besucht“, erklärt Nieves Kuhlmann. Wenn das Experiment erfolgreich sein wird, werden drei oder vier weitere Ausstellungen in der St. Christophorus-Kirche jährlich stattfinden.


P1030391Indira Valeeva kommt aus Ufa, einer Stadt in der Nähe des Uralgebirges. Vor sechs Jahren ging sie nach Moskau, um Journalismus an der Moskauer Staatlichen Universität zu studieren. Seit einigen Jahren arbeitet sie als Journalistin bei verschiedenen Online-Medien. Ihren idealen Arbeitsplatz hat sie noch nicht gefunden, aber Journalismus macht ihr Spaß, weil sie täglich etwas Neues lernt. Sie war Praktikantin beim Tagesspiegelin der Online-Redaktion.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ  Journalisten International ǀ Sommer 2013