Begeistert für das ganze Leben

Begeistert für das ganze Leben

Das Rabbinerseminar zu Berlin ist ein exklusiver Ort. Acht Studenten werden dort zur Zeit auf ihre zukünftige Arbeit in jüdischen Gemeinden Deutschlands vorbereitet. Sie kommen größtenteils aus Osteuropa und wollen das jüdisch-orhodoxe Erbe wieder aufleben lassen. Mit seinem Ausbildungskonzept will das Rabbinerseminar das traditionelle Judentum in Deutschland stärken.

von Pavlo Makarov

An einem Sonntag im Mai, als kaum Leute auf den Straßen sind, strömen einzelne Besucher in ein von außen nicht besonders bemerkenswertes Haus in der Brunnenstraße. Doch schon beim Eintreten ist der Eindruck ein ganz anderer. Wenige Meter hinter einem Bogen liegt ein heller Hinterhof mit einem Baum in der Mitte. Das ist nur ein geringer Teil der Begeisterung, von der man sich hinreißen lässt, sobald man ins Haus eintritt. Hier befindet sich das Rabbinerseminar zu Berlin.

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Mittagspause für die Seminaristen (Foto: P. Makarov)

Nach einer Vorlesung, die gerade im Haus gehalten worden ist, gibt es eine Führung durchs Haus. Doch nicht nur die Inneneinrichtung des Hauses, die man hier bewundern kann, interessiert uns. Viel mehr zieht uns das Inhaltliche an. „Hier lässt sich eine neue Generation von konservativen Rabbinern ausbilden. Eine neue Generation traditioneller Rabbiner, so wie man sie sich heute in Deutschland wünscht“, sagt Jakow Pertsovski, einer der acht Studenten, die zurzeit am Rabbinerseminar zu Berlin studieren.

Das Rabbinerseminar zu Berlin, auch Hildesheimersches Rabbinerseminar genannt, wurde im Jahr 1873 gegründet und ist 2009, nach seiner zwangsweisen Schließung im Jahr 1938 durch die Nationalsozialisten, vom Zentralrat der Juden in Deutschland wiedereröffnet worden. Es wird vom ihm sowie von der Ronald S. Lauder Stiftung finanziert und hat sich zu einer der führenden Institutionen, was die Rabbiner-Ausbildung anbelangt, in Mitteleuropa entwickelt.

Neben den Wohnräumen und einem Kindergarten, die sich in einem nebenstehenden Haus befinden, sind im Hauptgebäude eine Mensa mit einer kleinen Küche, Lernräume und eine voll mit Büchern eingerichtete Synagoge zu finden. „Früher hatte man die Synagoge unten, da wo sich nun die Mensa befindet, eingerichtet. Dann ist noch ein Stockwerk für die neue Synagoge aufgesetzt worden“, teilt Jakow mit.

Die Einrichtung setzt ihre Arbeit, deutschsprachige Rabbiner für die jüdischen Gemeinden in Deutschland auszubilden, fort und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zu einem wieder erstarkenden jüdischen Leben in Deutschland. Die Mitgliederzahlen der hiesigen Jüdischen Gemeinden setzen sich zum überwiegenden Teil aus osteuropäischen Juden zusammen, die meisten davon sind Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Unter den acht Studenten, die zurzeit am Rabbinerseminar zu Berlin studieren, ist nur einer, der aus Deutschland stammt. Die Hälfte davon sind ihrer Herkunft nach Ukrainer. Jeweils noch einer kommt aus Russland, Usbekistan und Moldawien.

„Wir haben in unserem Rabbinerseminar vier Sprachen, die gesprochen werden. Neben Deutsch und Englisch werden auch Hebräisch und Russisch benutzt. Beim Unterricht entscheiden wir uns für die Sprache, die für alle Teilnehmer passt“, erläutert Jakow, der selbst im Jahr 1986 in der Ukraine geboren wurde und in München aufgewachsen ist.

Die Absolventen werden vor allem für die Arbeit in kleinen Gemeinden ausgebildet. Ein erfolgreicher Rabbiner muss mit den Texten und Traditionen des Volkes vertraut sein. Das ist aber nicht genug. Ein Rabbiner des 21. Jahrhunderts muss lernen, das jüdische Erbe mit dem sozialen Geflecht der Gemeinschaft zusammenzubringen und in den Kontext einzubeziehen, in dem die Studenten des Rabbinerseminars später leben und arbeiten werden. Die wichtigste Herausforderung ihrer zukünftigen Arbeit ist: den Auftrag anzunehmen, die Gedanken der Aufklärung in die jüdische Bevölkerung zu tragen.

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2009 wurde das Rabbinerseminar wiedereröffnet. (Foto: P. Makarov)

„Jüdisches Leben in Deutschland hat damit zu tun, dass viele Mitglieder Zuwanderer sind, die nie richtig das Judentum gelernt haben. Deswegen ist es eine schöne Herausforderung, den einzelnen jüdischen Gemeinden dabei zu helfen, näher an das jüdische Erbe zu kommen. Ich werde in eine Gemeinde kommen und werde sehen, wie ich mich am besten einbringen kann, um das jüdische Leben an die Bürger heranzubringen“, sagt Jakow.

Als ein Teil seines Studiums hat Jakow schon ein Jahr in Israel verbracht. Das nächste Ziel wäre, sich möglichst gut auf die Prüfung zu vorbereiten, die er im nächsten Jahr in London bei einem angesehenen Rabbiner bestehen muss. Nebenbei studieren die Studenten des Rabbinerseminars zu Berlin an der Fachhochschule Erfurt. Nach erfolgreichem Abschluss erhalten sie neben der Ordination zum Rabbiner einen Bachelor-Abschluss in Sozialer Arbeit mit dem Schwerpunkt Jüdische Sozialarbeit.

„An der Motivation fehlt es hier bestimmt nicht. Jemand der herkommt, ist fest motiviert, sein jüdisches Wissen zu erweitern und später ein guter Rabbiner zu werden, je nach seinen Möglichkeiten. Um das Judentum zu verstehen, muss man sehr tief in die Materie gehen, muss alles Schritt für Schritt versuchen zu verstehen. Und jemand, der es schafft, das alles kundig durchzugehen, sollte dafür belohnt werden. Das haben mir meine Vorgänger gesagt und das würde ich gerne an meine Nachfolger weitergeben“, fasst Jakow zusammen.

Wir stehen im Hinterhof und verabschieden uns von Jakow, der sich heute noch für seinen Unterricht vorbereiten muss. Immer wieder kommen Leute an uns vorbei, die im Haus entweder lernen oder unterrichten. Jeder ist bereit, mit uns ein paar Sätze auszutauschen. An dieser Stelle wird klar, dass alle, die sich einmal am Leben des Rabbinerseminars zu Berlin beteiligt haben, dieses in guter Erinnerung behalten werden. Das bleibt eine starke Begeisterung für ihr ganzes Leben.


P1030396Pavlo Makarov arbeitete nach seinem Hochschulabschluss als freier Journalist für verschiedene ukrainische Medien. Seit dem Jahr 2010 verlegt Pavlo mit seinen Kollegen das 5.6 Magazin über Art-Fotografie bei der Victor Marushchenko Photo-Schule in Kiev. Am Journalismus mag er besonders die Herausforderung, das Leben der einfachen Leute zu dokumentieren. Darin sieht Pavlo die Aufgabe des Journalismus. Er schreibt gerne über zeitgenössische Kunst, Politik und Urbanistik. Er hospitierte in Berlin beim Stadtmagazin Zitty.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ  Journalisten International ǀ Sommer 2013