Insel der Integration: Adlershof im Kampf um Zivilcourage

Insel der Integration: Adlershof im Kampf um Zivilcourage

Laut offiziellen Zahlen des Registers Treptow-Köpenick ist ein Wachstum von rechts-orientierten Aktivitäten zu verzeichnen. In Adlershof hat es 22 gemeldete physische Übergriffen mit entsprechendem politischen Hintergrund in 2015 gegeben. Doch während in Stadtteilen wie Schöneweide deutliche Steigerungen der Meldungen ersichtlich werden, scheint Adlershof mit insgesamt sinkenden Fallzahlen sich heute anders zu entwickeln.

Von Julia Staskowiak und Nadja Knauer

Voller Elan geht Aaron Strangfeld in der Studentenbar Haus Elf von Tisch zu Tisch. Es ist Abend, normalerweise jobbt er zu dieser Zeit am Tresen, doch nicht heute. Der 21-jährige Physikstudent aus dem Studentendorf in Adlershof verteilt Flyer. „Wir planen ein gemeinschaftliches Plätzchenbacken im Studentendorf, bei dem die Plätzchen an Flüchtlingsunterkünfte gespendet werden sollen“, erklärt er den Besuchern der Bar. In seinem Gesicht leuchtet Begeisterung, die Gäste hören gespannt zu und bestärken ihn in seinem Engagement. Die positive Rückmeldung nutzt Aaron, um auch für das Projekt Integrate zu werben. Dort ist er verantwortlicher Koordinator für ehrenamtliche Helfer aus dem Studentendorf und von der Humboldt Universität zu Berlin. Als Studenteninitiative übernehmen sie wichtige Aufgaben: „Zunächst ging es vor allem um die Organisation und Strukturierung eines auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge abgestimmten Deutschunterrichts“, so Aaron, „mittlerweile sind unsere Ehrenamtler in mehreren Bereichen wie der Kinderbetreuung, Hilfe in der Kleiderkammer oder auch Essensausgabe tätig“.

Steigende Zahlen in Treptow-Köpenick

Das Hauptanliegen des Studenten ist es, mit dem Projekt Integrate einen Gegenpol zu rechts-orientiertem Gedankengut zu bilden. Der Bezirk Treptow-Köpenick ist seit Jahren bekannt für rechtsextreme Hotspots. Dieser Ruf spiegelt sich auch in den offiziellen Zahlen des Registers wider: im Jahr 2015 wurden insgesamt 305 Vorfälle mit rechtem Hintergrund gemeldet – 74 mehr als im Vorjahr. Zwar stehen rund 50 % jener Aktivitäten ausschließlich mit Propaganda in Verbindung, jedoch erreichte die Zahl der physischen Angriffe im letzten Jahr mit 22 Meldungen einen Höhepunkt. Besonders gestiegen sind die Zahlen im Stadtteil Schöneweide: gab es im Jahr 2014 noch 39 Meldungen, waren es 2015 schon 75. Auch Aaron ist hier schon mit Anfeindungen konfrontiert worden, als er im Rahmen des Projektes Integrate eine Gegendemo organisierte. In seinem Heimatstadtteil Adlershof sind die Zahlen jedoch deutlich gesunken.

Adlershof in Sonderstellung

Aaron erklärt sich dies durch das besondere Umfeld in Adlershof. „Meiner Erfahrung nach braucht solches Gedankengut immer einen entsprechenden Nährboden, um sich zu entwickeln“, sagt er. Adlershof zeichne sich jedoch vor allem am und um den Uni-Campus herum durch junge Studierende aus, welche diesen Nährboden kaum zuließen. In dieser Aussage findet Aaron Unterstützung von Menna Youssef. Auch sie wohnt im Studentendorf in Adlershof, ursprünglich kommt die Publizistikstudentin aus Kairo. „Ich fühle mich hier sehr sicher“, erzählt sie. „Hier mischen sich Studierende aus allen Ländern und Kulturen zusammen“, erklärt sie, „darum spielt Toleranz auch eine so große Rolle“. Während Menna jedoch kaum einen Unterschied zwischen den Stadtteilen Treptow-Köpenicks wahrnimmt, spricht Aaron Adlershof gegenüber anderen Stadtteilen in Treptow-Köpenick eine spezielle Bedeutung zu.

Internationalität im Technologiezentrum

Tatsächlich scheint Adlershof eine Sonderrolle innezuwohnen: So zeichnet sich das Technologiezentrum Adlershof (WISTA) durch internationale Ausrichtung aus. Es bietet nicht nur Platz für 510 Unternehmen – auch zehn internationale, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. und das Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH sind dort ansässig. Ebenso geben die im Technologiezentrum ansässigen Standorte der Humboldt Universität über 6.000 Studierenden die Möglichkeit, sich in Fachrichtungen wie Chemie, Physik, Geographie und Informatik zu bilden. Zudem bietet das Studentendorf Platz für 390 Studierende unterschiedlichster Nationalitäten, weitere Wohnparks für Studierende sollen folgen.

Firmen und Flüchtlinge im Einklang

Aaron sieht darin eine weitere Möglichkeit, Flüchtlinge zu integrieren. So findet monatlich der sogenannte Internationale Abend statt. „Dort ist es Ziel, Flüchtlinge und hier ansässige Unternehmen in Kontakt zu bringen“, erläutert der junge Adlershofer. Der Bezirk selbst zeige daran jedoch wenig bis gar kein Interesse, klagt Aaron. Er würde sich definitiv mehr Unterstützung wünschen, da nicht nur Mitglieder der Studenten-Initiative Adlershof e.V., sondern speziell die Leiterin des Zentrums für Photovoltaik und Erneuerbare Energien, Kezban Saritas, viel Mühe und Zeit in dieses Hilfsprojekt investieren – offensichtlich erfolgreich, denn am 16. November diesen Jahres fand der Internationale Abend bereits zum zehnten Mal statt.

Insel in einem Meer des Rechtsextremismus

Dennoch fühlt sich Aaron in Adlershof isoliert – und damit ist er nicht allein. Auch Isabell Roth, Mitarbeiterin des Studentendorfbüros, spricht Adlershof eine Art Insellage zu, um die herum Rechtsextremismus stetig wächst. So sagt sie: „Adlershof ist ein Symbol für Toleranz und internationale Zusammenarbeit. Aber die Wahlergebnisse zeigen, dass rechtspopulistische Ansichten wachsen.“ Dennoch habe Adlershof als Standort für internationale Wissenschaft und Medien ebenso einen Symbolcharakter, wodurch das Potenzial gegeben sei, stärkere Zivilcourage im gesamten Bezirk Köpenick zu verbreiten – nur müsse eben die Insellage überbrückt werden.

Insellage – Illusion statt Phänomen?

Auch im Jahr 2016 scheinen die Zahlen rechtsextremer Übergriffe in Adlershof rückläufig zu sein. Nach Angaben des Registers Treptow-Köpenick gab es bisher zehn Meldungen: darunter hauptsächlich Propaganda, jedoch auch einen körperlichen Angriff sowie einen Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in der Radickestaße. Dennoch sei zu beachten, dass die Zahlen lediglich auf gemeldeten Vorfällen beruhen, sagt Samuel Signer, Verantwortlicher des Registers Treptow-Köpenick. Sinkt die Sensibilität für das Thema Rassismus oder ist das Melderegister bei Anwohnern oder Passanten schlichtweg nicht bekannt, kann eine hohe Dunkelziffer also nicht ausgeschlossen werden. Ist die Insellage in Adlershof also eher Illusion als Phänomen? Auch im Studentendorf hat es im Oktober einen Polizeieinsatz gegeben, erzählt Isabell Roth. Fremde aus Berlin und Umgebung hatten eine Feier in der Studentenbar Haus Elf gestürmt und randaliert. Auch wenn ausländerfeindliche Parolen gerufen worden seien, so Isabell Roth weiter, konnte kein rechtsextremer Tathintergrund festgestellt werden. Dieser Einzelfall führte zu verschärften Sicherheitsvorkehrungen, denn auch Adlershof und das Studentendorf scheinen vor Rechtsextremismus nicht geschützt zu sein.

Der Anfang

Dennoch ist Aaron davon überzeugt, dass Adlershof als Vorbild für Integration und internationale Zusammenarbeit für ganz Treptow-Köpenick fungieren kann – und verteilt weiter seine Flyer. Er will Menschen mobilisieren, selbst aktiv zu werden, sagt er, und mit seiner Studenteninitiative Integrate weiterhin für die Stärkung der Integration eintreten. Damit setzt er um, was der Integrationsbeauftragte Gregor Postler Studierenden im Kampf gegen Rassismus empfiehlt: „Es fängt damit an, dass man Interesse mitbringt, offen ist und damit dann Kommilitonen ansteckt. Aber man muss auch mal innehalten und den Mut haben, kreative Ideen umzusetzen, sich unter Umständen auch politisch einzubringen.“ Auch die Beteiligung an zukünftigen Veranstaltungen wie dem Fest für Demokratie und Toleranz am 20. Mai 2017 sei Studierenden zu empfehlen, so Postler. Wer weiß – vielleicht ist Aaron dann dort unterwegs, um die nächsten Flyer zu verteilen.

Stand: 10.12.16


Julia Staskowiak studiert im fünften Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin.


Nadja Knauer studiert im fünften Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.