„Objektiven Journalismus gibt es nicht“

„Objektiven Journalismus gibt es nicht“

Ein Porträt des russischen Onlinemagazins „Sputnik“, das bereits seit zwei Jahren auch auf Deutsch berichtet.

Von Natalia Khametshina

Seit 2014 ist in dem deutschen Medienorbit ein russischer „Sрutnik“ zu sehen. Das russische Online-Magazin hat seitdem ein eigenes Programm in deutscher Sprache im Angebot, das über lokale, regionale und überregionale Ereignisse berichtet. In seiner Zentralredaktion in Moskau hat Sрutnik mittlerweile 30 Abteilungen, um die verschiedenen Länder der Welt in ihrer jeweiligen Sprache mit Nachrichten und Berichten zu versorgen. Laut ihrer Website berichtet Sputnik „über das, worüber andere schweigen“. Sputnik fülle eine einzigartige Nische als alternative Nachrichtenquelle und Radiosender aus, heißt es dort. Ob es wirklich so ist, wie beschrieben? Der Direktor der Mediengruppe „Rossija Segodnja“ in Berlin, Andrey Ivanovskiy, erklärt die Funktion des Portals im deutschen Medienraum und seine Einstellung zur Frage der Propaganda.

Wenn man den Internet-Auftritt von Deutscher Welle, Russia Today und Sputnik vergleicht, zeigt sich, dass Sputnik Russland mehr aus der militärischen Sicht berichtet – mit Themen wie „Russland vs. Islamischer Staat“, oder „Neue Waffen für die russische Armee“.

Herr Ivanovskiy, Sрutnik ist seit zwei Jahren in Deutschland aktiv. Könnten Sie die Ziele und Aufgaben des Portals im deutschen Medienraum erklären? Wie sieht Ihre Redaktionsрolitik in Berlin aus, und wie unterscheidet sie sich von der Redaktionsрolitik in Moskau?

Ich fange mit der letzten Frage an. Die Aufgaben von der Zentrale in Moskau und der deutschen Redaktion hier sind ein wenig unterschiedlich, was daran liegt, dass Sрutnik ja als Vereinigung der Nachrichtenagentur RIA Novosti und des Radiosenders Golos Rossii gegründet wurde. RIA Novosti hat keine fremdsprachigen Webseiten mehr und berichtet von Berlin aus nur noch auf Russisch. In der Berliner Redaktion von Sрutnik sitzen heute vor allem Radiojournalisten des ehemaligen Golos Rossii. Daher unterscheiden sich auch die Aufgaben voneinander. In Moskau befindet sich eine große Redaktion von etwa 20 JournalistInnen, die einzig und allein für die Webseite Sрutnik Deutschland schreiben. In Berlin ist die Redaktion etwas kleiner. Hier arbeiten ungefähr 12 Menschen, die hauptsächlich Radioberichte machen, wovon etwa 70 Рrozent als Textbeiträge auf der Webseite veröffentlicht werden.

Florian Rötzer, Chefredakteur beim Online-Magazin Telepolis sieht die Aufgabe von Sputnik ganz klar: Es geht darum, russische Positionen ins Ausland zu tragen. Sputnik sei als eine späte Trotzreaktion in Moskau auf Propagandaangriffe gegen Russland gegründet worden, so Rötzer. Sputnik ist nicht nur der Inbegriff für eine eigene Sicht der Dinge, sondern zielt auch darauf, die öffentliche Meinung im Ausland zu beeinflussen.

Was die Redaktionsрolitik angeht, so ist diese in Berlin und in Moskau fast gleich. Die deutsche Redaktion von Sрutnik in Moskau ist einfach mehr mit dem Hauptbüro verbunden. Deswegen schreibt sie mehr über internationale Themen, die auch nicht unbedingt einen Bezug zu Russland oder Deutschland haben.

Arbeiten bei Sputnik Deutschland in Berlin denn mehr Deutsche oder Russen?

Bei Sputnik Deutschland arbeiten bis zu 12 KollegInnen, die die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Manche von ihnen können auch Russisch. Die RIA Novosti Deutschland GmbH ist eine deutsche Firma, die hundertprozentig aus Moskau finanziert wird. Das wurde so gemacht, damit es Transparenz gegenüber den Finanzbehörden und den Rechtsbehörden in Deutschland gibt. Der zweite Grund, warum hier in Berlin Deutsche arbeiten, ist, dass unsere Arbeitssprache Deutsch ist.

Rossija Sewodnja („Russland Heute“)

Die Mediengruppe МIA „Rossija Segodnja“ ist der größte russische Produzent von Informationsprodukten, die auf ein internationales Publikum ausgerichtet sind. Andrey Ivanovskiy ist Direktor von „Rossija Segodnja“ in Berlin.

Zu den Informationsangeboten der internationaleт Nachrichtenagentur „Rossija Segodnja“ gehört auch die Nachrichtagentur mit einem Rundfunkservice „Sputnik“.

Wodurch unterscheidet sich Sputnik/RIA Novosti von anderen Medien im deutschen Medienraum, die von russischen Medienmachern gegründet wurden – zum Beispiel Russia Today (RT), Russkij Berlin oder Russkaja Germanija?

Über Russkij Berlin kann ich nicht viel sagen. Aber ich vermute, dass Russkij Berlin stärker auf Russlanddeutsche fokussiert ist. Wir sind jedoch ein deutsches Medium. Wir definieren uns selbst als alternative Informationsquelle für deutsche Leser und Zuhörer. Das heißt, wir vergleichen uns nicht mit Russkij Berlin, sondern, zum Beispiel mit der Deutschen Welle, die in der internationalen Medienlandschaft eine ähnliche Funktion wie Sputnik erfüllt.

Zu Russia Today hat Sputnik eher ein Konkurrenzverhältnis, oder?

Ja, zum deutschen Programm von RT haben wir eher eine Art von Konkurrenzbeziehung. Manchmal gibt es auch einen Informationsaustausch, aber nicht oft. RT Deutsch startete ein wenig früher als wir.

Unsere Aufgabe ist es, eine neue Fassette eines Themas zu finden, das für Deutsche interessant sein kann.

Wie steht es mit der Themenauswahl? Wer entscheidet über die Themen – der Chefredakteur oder die KollegInnen in der Redaktion?

Jeder Morgen beginnt bei uns mit einer kurzen Redaktionskonferenz in Moskau, in der die Themen des Tages für jede Regionalabteilung besprochen werden, also zum Beispiel für Sputnik Deutschland, Sputnik Italien oder dem russischen Sputnik-Programm. Dort werden auch etwa fünf bis sechs so genannter „Dach-Themen“ festgelegt, die für alle Regionalabteilungen an dem Tag von Interesse sind. Die Aufgabe unserer Redaktion besteht darin, etwas für diese Redaktionskonferenz vorzuschlagen. Was jedoch wichtig zu wissen ist: Mindestens 90 Prozent der Inhalte auf der deutschen Sputnik-Webseite kommen aus Moskau. Sputnik Deutschland liefert ungefähr 80 Beiträge pro Tag, inklusive Audio-Angebote und Fotos. In Berlin legen wir unser Hauptaugenmerk dabei mehr auf die Radiobeiträge.

Wenn sich in Deutschland lebende Bürger über Russland informieren, dann nutzen sie hierfür überwiegend deutsche Medien, die auf Deutsch berichten. Nur etwa jeder Vierte greift dabei auch auf andere Quellen zurück, wie unsere eigene, auf Facebook durchgeführte Erhebung jetzt noch einmal zeigt. Die Online-Befragung ist nicht repräsentativ, da lediglich 35 Personen an der Befragung teilgenommen haben. Aber sie zeigt deutlich die Trends, die auch landesweit Gültigkeit haben.Bei der Facebook-Befragung sagten 77%, dass sie deutsche Medien nutzen, die auch auf Deutsch verfasst sind, um sich über Russland zu informieren. Nur 20% der Teilnehmer dieser Umfrage erhielten Informationen von russischen Medien, die auf Russisch erscheinen. Immerhin nutzte aber auch fast jeder Dritte (29%) russische Medien, die auf Deutsch berichten.

Diejenigen, die Informationen über Russland aus russischen Medien beziehen, nutzen dafür vor allem „Sputnik“ (22%), „Russia Today“ und „Russkaja Germanija“ (je 11%). Zu den beliebtesten deutschen Informationsangeboten gehört „Der Spiegel“ (29% der Befragten nutzen das Magazin) sowie das Programmangebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (26%). Zeitschriften wie „Die Zeit“ oder der „Focus“ hatten als Quelle für Russland-Informationen dagegen fast keine Bedeutung.

Die Facebook-Umfrage zeigt noch einmal, dass sich deutsche Medien trotz aller Kritik immer noch in einer sehr komfortablen Situation befinden. Die meisten Bürger vertrauen ihren Informationen über Russland und vergleichen sie nicht mit anderen Quellen, zum Beispiel mit russischen.

Haben Sie auch investigative Berichte in Ihrem Programm?

Natürlich wollen wir anderen Medien zuvorkommen und über Themen früher als zum Beispiel der Spiegel oder die ARD berichten. Das bringt Aufmerksamkeit bei den Lesern, was für uns sogar noch wichtiger als für den Spiegel ist. Der Spiegel wird sowieso gelesen. Investigativer Journalismus ist eigentlich nicht unser Format. Wir sehen unsere wesentliche Aufgabe darin, neue Fassetten der Themen zu finden, die für Deutsche interessant sein können. Ein ganz einfaches Beispiel hierfür ist das gerade äußerst populäre Handyspiel Pokémon Go. Es kommt hier zu Überschreitungen von moralischen Grenzen, weil diese Pokémons in Friedhöfen oder auch in Gedenkstätten wie dem ehemaligen KZ Buchenwald platziert worden sind. Das ist schon jetzt ein Problem geworden. Und wir gehörten zu den ersten, die dies thematisiert haben.

In Deutschland wird immer stärker auch das Thema Russland als Aggressor diskutiert. Ist es auch die Aufgabe von Sputnik, das Bild eines mächtigen Russlands zu befördern?

Ich kann nicht sagen, dass wir dieses Bild aus ideologischen Gründen fördern. Aber auch unsere Leser interessieren sich sehr für militärische Themen. Der Chefredakteur und ich achten aber darauf, dass man es nicht mit Waffenbildern auf der Startseite übertreibt. Auf keinen Fall stellen wir Russland als Gefahr oder als eine Art „Militärmonster“ dar. Ganz im Gegenteil. Wir wollen zum Beispiel jetzt mehr Jugendliche für uns gewinnen. Deshalb schlagen wir mehr jugendliche Themen vor: Sport, Games, Glamour. Man muss das so gut wie möglich mit den Themen Kriege, Krisen und Politik vermischen. Deswegen nutzen wir jetzt auch mehrere alternative Socialmedia-Plattformen wie Facebook, Twitter, Periscope und andere. Das alles zielt darauf, mehr Jugendliche im Auditorium zu haben und sie zu unterhalten. Als Sputnik startete, haben wir uns solche Webprojekte wie die „Huffington Post“ oder „Buzzfeed“ als Vorbild genommen.

In einigen Ländern wie Litauen oder Kirgisien wurde Sputnik wegen antirussischer Tendenzen kritisiert. Was können Sie über Sputnik Deutschland sagen – herrscht hier eine neutrale, eine pro- oder antirussische Einstellung vor?

In unseren Texten gibt es keine Kritik an Russland. Es gibt nur positive oder neutrale Aussagen.

Wir definieren uns selbst als alternative Informationsquelle für deutsche Leser und Zuhörer.

Herr Ivanovskiy, was meinen Sie: Sollte ein Journalist ein Patriot sein?

Ich erinnere an den russischen Dichter Nekrasov, der dazu geschrieben hat: „Wer lebt ohne Leid und ohne Zorn, der mag sein Vaterland nicht.“ Nach seiner Meinung ist ein wahrer Patriot ein Mensch, der sehr kritisch über Russland schreibt. Aber das heißt nicht, dass er sein Land nicht liebt. In der Kritik zeigt sich auch Patriotismus.

Aber verhindert das nicht eine objektive Berichterstattung?

Objektiver Journalismus existiert überhaupt nicht. Das ist ein wunderschöner Mythos, hat aber keinen Bezug zur Realität. Es heißt, man muss nach Objektivität streben. Ich würde diese Begriffe aber nicht in einen Zusammenhang bringen, weil journalistische Arbeit nicht objektiv sein kann. Das ist meine Überzeugung.

Das Motto von Sputnik ist: „Wir berichten über das, worüber andere schweigen.“ Könnten Sie ein Beispiel dafür geben?

„Sputnik Deutschland“ berichtet zum Beispiel ausführlich über die Arbeit unseres Präsidenten. Alle Argumente des russischen Außenministers Sergej Lavrov und von Präsident Wladimir Putin sind in den deutschen Medien einseitig und wenig ausführlich dargestellt. In Sputnik wird russische Politik im Detail vorgestellt.


Natalia Khametshina hat einen Bachelorabschluss für Fremdsprachen und Pädagogik an der Nördlichen Föderalen Universität (Russland) erworben. Sie schreibt für studentische Zeitungen und Zeitschriften über interessante Menschen und über Reisen. Für sie sind Objektivität im Journalismus und Meinungsfreiheit in der Presse sehr wichtig.