Sprache als Heimat

Sprache als Heimat

20 Jahre Russkij Berlin – eine Zeitung mit Migrationshintergrund und wichtiges Integrationsprojekt feiert Jubiläum.

Von Anna Brazhnikova

Wie sieht eigentlich die Nutzung von Medien bei Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland aus? Nutzen diese Menschen andere Medien oder dieselben anders als andere Einwohner Deutschlands? Diese Fragen zu beantworten, hilft der Chef vom Dienst der russischsprachigen deutschen Zeitung „Russkij Berlin“, Herr Goff. Die Zeitung hat gerade ihren 20. Geburtstag gefeiert und sieht sich selbst als wichtiges Projekt zur Integration.

Herr Goff bevorzugt es, bei der Arbeit ein Pseudonym zu benutzen und seinen richtigen Namen nicht zu nennen. Er hat keine journalistische Ausbildung und sagt über sich selbst, dass er „ein Computermensch“ sei, was aber ihn nicht daran hindert, seine journalistischen Aufgaben perfekt zu erfüllen. Goff ist für Abstimmung und Koordination zwischen Redaktion, Produktion und Anzeigenabteilung zuständig. Goff ist ein Mensch, für den die Herstellung der Zeitung eine Herzensangelegenheit ist.

© Sitora Sodatkamova. Unsere Autorin sehnt sich ebenfalls nach Informationen in ihrer Muttersprache.

„Unsere Zeitung ist ein Medium für die russischsprachige Leserschaft, die in Deutschland lebt und sich bevorzugt in der russischen Sprache informiert“, sagt Goff: „Ich rede nicht nur von den Russen, sondern auch von den Ukrainern, Kasachen, Belarussen, die Russisch können.“ Das heißt nicht, dass die Leser von „Russkij Berlin“ deutsche Medien nicht lesen. Sie sind ins deutsche Leben integriert. „Unser durchschnittlicher Leser ist in den 1990er Jahren aus Russland und anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland eingewandert. Er ist älter als 35 Jahre und hat Interesse an dem, was in der russischsprachigen Community passiert“, informiert Goff.

Da der Migrationshintergrund eine andere kulturelle und sprachliche Welt – auch den gut integrierten Menschen – mit sich bringt, entstehe bei ihnen auch eine andere Nachfrage nach Medienprodukten. „Es liegt nicht in dem Integrationsniveau, das das Leben jedes Menschen prädestiniert, sondern an seiner Herkunft“, glaubt Goff. „Das heißt, das Integrationsniveau beeinflusst die Zukunft, die auch der Zukunft eines gebürtigen Deutschen entsprechen kann, und der Migrationshintergrund ist eine Frage der Vergangenheit, die sich vom Vorleben eines gebürtigen Deutschen unterscheidet“, erklärt der Chef vom Dienst von „Russkij Berlin“.

© Anna Brazhnikova. „Der Erste unter Unterschiedlichen“ Millennium-Ausgabe.

© Anna Brazhnikova. „Der Erste unter Unterschiedlichen“ Millennium-Ausgabe

„Russkij Berlin“ ist eine Regionalausgabe der Wochenzeitung „Russkaja Germanija“. Die Zeitung wurde in Berlin von Immigranten aus der ehemaligen UdSSR, von Swetlana Lekach, den Brüdern Boris und Dmitri Feldman sowie Dimitri Nad, ins Leben gerufen. Die erste Ausgabe der Wochenzeitung „Russkij Berlin“ erschien am 18. Juni 1996 und umfasste 12 Seiten im Schwarz-Weiß-Druck. Sie war die erste russischsprachige Wochenzeitung seit dem zweiten Weltkrieg in Deutschland und wurde zum größten Integrationsprojekt für die russischsprachige Bevölkerung im Land.

„Die wichtigste Aufgabe unserer Zeitung ist, dem Leser zu helfen, sich in Deutschland zu integrieren, seinen Platz im neuen Land zu finden, alltägliche Fragen zu bewältigen und dabei seine kulturelle Identität nicht zu verlieren“, erklärt Goff. Mit einer Auflage von 60 000 Exemplaren beträgt die Reichweite ungefähr 200 000 Leser. Die Zeitung wird auch von Arztpraxen und Altersheimen abonniert. Unter den Lesern gibt es gebürtige Deutsche, die mithilfe der Zeitung ihre Russischkenntnisse verbessern möchten. „Einige von ihnen abonnieren die Zeitung wegen der Anzeigen. Sie ist auch in den deutsch-russischen Familien populär, wo zum Beispiel der Mann die „Russkij Berlin“ für seine Ehefrau abonniert, sie aber auch liest oder zumindest versucht zu lesen“, sagt Goff. Die Webseite der Zeitung „Russkij Berlin“ erscheint unter dem Motto „Unsere Heimat ist die russische Sprache“.

Da aber der Verlag die Verträge mit russischen Medien wie „Kommersant“, „Izwestija“ oder „Wedomosti“ hat, werden von diesen Medien viele Inhalte übernommen. „Wir als Redaktion aber haben keine eigene Position in politischen Fragen“, sagt Goff. „Wir überschreiten die Grenze des deutschen Rechtsfelds natürlich nicht“. Die meisten Autoren, die für die Zeitung schreiben, arbeiten freiberuflich und leben in Deutschland. Es sind vor allem Spätaussiedler. „Aber alle Redakteure, die Sie heute im Verlag sehen, haben von Anfang an für „Russkij Berlin“ gearbeitet“, sagt Goff.

Als Lokalzeitung bietet „Russkij Berlin“ seinen Lesern Rubriken wie „Ereignisse der Woche“, „Themen der Woche“ oder „Berlin“. Großen Erfolg haben auch die Beilagen „Was und Wie“, „Kultur und Freizeit“, die Programmvorschau „Telemost“ und „Privatanzeigen“. „Russkij Berlin“ führt die Leser durch die kulturellen Ereignisse der Stadt und wird dadurch auch für die russischsprachigen Menschen interessant, die sich vorübergehend beruflich in Berlin aufhalten. „Je länger man im Ausland ist, desto mehr sehnt man sich nach Informationen in der eigenen Sprache, deshalb ist unsere Zeitung eine gute Nachrichtenquelle auf Russisch“, erklärt Goff.

Die Redaktion der Zeitung ist offen für Vorschläge und Ideen ihrer Leser. Ein gutes Beispiel der Zusammenarbeit zwischen Redakteuren und Lesern war die 1000. Ausgabe. Sie wurde vollständig von Lesern gemacht. Auf die Titelseite kamen die 1000 am häufigsten benutzten Wörter der Schlagzeilen von „Russkij Berlin“. „Europa“, „Deutschland“, „Merkel“ und „Liebe“ kamen wohl am häufigsten in der 25-jährigen Geschichte der Zeitung vor.


©Tetiana Stoliarova

Anna Brazhnikova studierte Germanistik an der Moskauer Staatlichen Gebietsuniversität und Journalistik am Freien Deutsch-Russischen Institut für Publizistik der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität. Sie arbeitet bei der „Moskauer Deutschen Zeitung“ und schreibt als freie Autorin für die Zeitschriften des Burda-Verlags in Moskau.


2017-07-06T12:17:59+02:00 Kategorien: IJK, JIL '16, Lesen, Macht + Medien|Tags: , , , , |