R94 – Leben inmitten von Punks und Polizei

R94 – Leben inmitten von Punks und Polizei

Der Streit zwischen Politik, Polizei und Linksextremen um das linke Wohnprojekt Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zieht immer weitere Kreise. Ich habe mich mit Annette getroffen, die seit über 10 Jahren in direkter Nachbarschaft zur Rigaer Straße 94 lebt, um mehr darüber zu erfahren, wie sich das Leben zwischen linksextremen Exzessen, brennenden Autos und polizeilicher Dauerbeobachtung gestaltet.

Von Maximilian Bischoff

Hallo Annette, freut mich sehr, dass es geklappt hat. Im Moment ist die Lage bei dir vor der Haustür eher außergewöhnlich. Kannst du uns etwas darüber erzählen, wie die Situation war als du damals in die Rigaer Straße gezogen bist?

Ja, endlich hat’s geklappt! Also, als ich 2005 in die Rigaer Straße gezogen bin, gab es bereits damals eine starke linke Szene. Um genau zu sein, war sie damals eigentlich stärker. Zu dieser Zeit gab es hier in der Gegend noch mehr besetze Häuser als heute und trotzdem war es ruhiger…

… aber damals war auch ganz Friedrichshain noch etwas verschlafener als heute, oder?

Ja, definitiv! Aber was die linke Szene hier im Kiez angeht, glaube ich, dass es daran lag, dass sie damals nicht so unter Druck gesetzt wurde wie heute. Die hat zu den Zeiten einfach so „vor sich hin demonstriert“. (lacht)

Wann hat sich die Situation verschärft?

Über die Jahre hinweg gab es immer wieder kleinere Reibereien. Den vorläufigen Höhepunkt fand das Trauerspiel aber 2011, als das besetzte Haus in der Liebigstraße geräumt wurde. Damals ging es auch schon richtig hoch her. Die ganze Situation war von den rechtlichen Grundlagen ähnlich undurchsichtig wie jetzt bei der R94 (Szenename für das Wohnprojekt Rigaer Straße 94).

Spielst du auf die Mietsituation in den jeweiligen Wohnprojekten an?

Ja, in der Liebigstraße war es auch so, dass ein großer Teil der Bewohner dort in regulären Mietverhältnissen lebte. Bei der R94 ist es das Gleiche in grün.

Ich will jetzt nicht zynisch klingen, aber seit die Gentrifizierung in Berlin Einzug hält, sind solche Projekte wie in der Liebigstraße oder der Rigaer Straße von Seiten der Eigentümer nicht mehr wirklich akzeptiert. Es bringt einfach mehr Geld, die Wohnungen in diesen Häusern zu sanieren, Luxuswohnungen draus zu machen und ins Erdgeschoss noch ein schickes Café zu nehmen.

Glaubst du also, dass der Konflikt um die Rigaer Straße 94 eigentlich rein ökonomischer Natur ist?

Ich denke schon, dass der ökonomische Faktor eine entscheidende Rolle spielt. Rechtlich gesehen, hätte man die R94 im Januar nicht einfach stürmen dürfen. Ein Großteil der Menschen lebt dort ganz legal. Das Problem ist, dass hier Feuer mit Feuer bekämpft wird und die anderen Anwohner leiden drunter.

Kannst du das weiter ausführen und würdest du sagen, dass es sonst angenehm war in der Nachbarschaft der R94 zu wohnen?

… Angenehm ist relativ. Es war in Ordnung und außerdem hat dieses bunte Haus auch irgendwie seinen Charme. Manchmal haben sie da ausladende Partys gefeiert und dann auch Gegenstände oder Fahrzeuge demoliert, was natürlich ein absolutes No-Go ist, aber besser als der Status Quo jetzt war es allemal.

Seitdem die Polizei die R94 zu Beginn des Jahres gestürmt hat, ist hier nichts mehr wie vorher. Was dieser Aktion vorausging und das polizeiliche Vorgehen letztendlich begründete, lässt sich glaube ich nicht mehr sagen. Die Linken sagen, die Polizei sei an diesem Tag auf sie losgegangen. Die Polizei sagt, Linke hätten Mitarbeiter des Ordnungsamts angegriffen, woraufhin die Polizei dann abends für klare Verhältnisse sorgen wollte…

Ein Kastenwagen der Polizei vor dem Wohnprojekt R94

Ein Kastenwagen der Polizei vor dem Wohnprojekt R94

… und damit hat sie alles schlimmer gemacht?

Absolut! Die Polizei ist seitdem zum Dauergast im Kiez geworden und ständig gibt es Konflikte. Die Linken provozieren die Polizei und andersherum – wie Kinder, nur dass hierbei Steine fliegen, Autos in Brand gesteckt werden und Menschen verletzt werden.

Inwiefern bist du selbst schon von diesen ständigen Ausschreitungen betroffen gewesen?

Ich hatte bisher echt Glück. Bitte nicht falsch verstehen, ich bin total genervt von der Gesamtsituation. Ich hatte mehrmals schlaflose Nächte aufgrund von Polizeieinsätzen und demonstrierenden Linken. Gerade letzten Samstag (09.07.) war an Schlaf nicht zu denken. Die angekündigte Demonstration wurde zur Katastrophe. Alles war voller Polizisten und tobender Linksextremer – Leute wurden verletzt, Scheiben eingeschlagen und überall brannten Autos. Ich dachte, ich wäre in einem Film.

Aber was noch viel schlimmer ist als diese Extremsituationen, ist der Alltag. Ständig wird man von der Polizei kontrolliert und muss seinen Ausweis vorzeigen, wenn man zur eigenen Haustür will.

Polizisten bewachen den Eingang der Rigaer Straße 94.

Polizisten bewachen den Eingang der Rigaer Straße 94.

Kennt dich die Polizei dann inzwischen nicht schon?

Da sprichst du etwas an! Klar, kennen die mich und trotzdem kontrollieren sie einen immer wieder. Sogar meine Tochter und ihre Freundinnen wurden einmal auf den Heimweg von der Schule kontrolliert – sie ist zwölf, verdammt! Meine Tochter weiß nicht einmal was ein Molotowcocktail ist und wird trotzdem zum Ziel der polizeilichen Schikane. Es ist, als wäre denen einfach nur langweilig, weil sie den ganzen Tag dort rumstehen.

Ich denke, der Innensenator ist daran nicht ganz unbeteiligt. Er stationiert möglichst viele Einheiten im Kiez und macht sich kein realistisches Bild von der Lage vor Ort. Langsam scheint sich gegen die Politik Widerstand zu regen. Die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg stellt sich dem Ganzen langsam in den Weg und will das Ruhe einkehrt. Denkst du, das ist der richtige Weg?

Also ich finde die Politik des Innensenators in dieser Angelegenheit mehr als fraglich und wäre heilfroh, wenn durch Zutun der Bezirksbürgermeisterin endlich wieder Ruhe einkehrt.

Kannst du mir abschließend sagen, was du dir für die Zukunft der Rigaer Straße wünschst? Wäre es dir lieber, wenn die linke Szene ein Teil des Kiezes bleibt oder wäre es aus deiner Sicht wünschenswert, wenn es ähnlich ruhig wird wie im benachbarten Prenzlauer Berg?

So wie im Prenzlauer Berg will ich’s bestimmt nicht. Es wäre schön, wenn die linke Szene ihre Freiräume erhalten könnte, aber auch lernt sich zu benehmen und alle friedlich zusammenleben können. Ich finde die linke Szene macht den Kiez aus und das bunte Treiben der ganzen Subkulturen gefällt mir, solange es nicht in Gewalt ausartet. Außerdem verliert die Stadt ansonsten nach und nach ihren Charakter, wenn alles nur noch aus Investmentfirmen und Luxuswohnungen besteht. Vielleicht schnallt das die Politik auch demnächst, bevor es zu spät ist.

Also plädierst du für eine Art ‚gesellschaftliche Symbiose’ im Kiez?

Sehr richtig, ich glaube, gesellschaftliche Symbiose ist hier das Zauberwort.


Maximilian Bischoff studiert Philosophie sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft and der FU Berlin. Darüber hinaus schreibt er für diverse Zeitschriften als freier Redakteur. Seit einiger Zeit lebt er in Friedrichshain und verfolgt gespannt die filmreifen Szenen, die sich vor seiner Haustüre abspielen.