Free Cuvry – Von Penntüten und Luxuswohnungen

Free Cuvry – Von Penntüten und Luxuswohnungen

Um die Cuvrybrache herrscht seit Jahren ein zähes Ringen, in das der Berliner Senat, der Investor Artur Süsskind sowie Freigeister und Mittellose involviert sind. Während sich Politik und Wirtschaft in wichtigen Bebauungsfragen nicht einigen können, träumen linke Widerstandskämpfer und nostalgische Anwohner von der Rückgabe eines Stückchens vom alten Kreuzberg.

Von Sabrina Schweder

Zwei Graffiti so groß wie die Fassaden selbst: Links der Handschellenmann, rechts daneben das Maskenbild. Die Bilder stammen von dem italienischen Künstler Blu. Jeder kennt sie, denn sie sind nicht zu übersehen. Sogar für Postkarten sind sie ein beliebtes Motiv. Besser gesagt, sie waren es. Es gibt sie nicht mehr. Aus Protest an der Berliner Stadtentwicklungspolitik und dem Umgang mit Kunst wurden die Graffiti in Absprache mit dem Künstler bereits im Dezember 2014 übermalt. Die Fassaden sind jetzt schwarz.

Schwarz übermalte Fassaden der Häuser an der Cuvrybrache

Ebenso trist ist das Gelände davor. Ende der Neunziger Herberge des Sport- und Kulturzentrums Yaam, das sich in Berlin größter Beliebtheit erfreut, siedelten sich dort nach dessen Umzug Aussteiger, Flüchtlinge, Roma-Familien und Obdachlose an. Sie lebten in Zelten oder bauten sich Hütten aus Brettern oder Wellblech. Rund 100 Menschen fanden hier ein Zuhause. Die einen aus Überzeugung, weil sie dem System trotzen wollten. Die Anderen, weil sie hier einem Leben auf der Straße entkamen. Sie führten ein Leben in der Lücke. Nicht nur zwischen den umstehenden Gebäuden, sondern auch in der Gesellschaft.

Nach einem Feuer im September 2014 wurde das Gelände geräumt und an seinen Besitzer, den Investor Artur Süsskind übergeben. Dieser wollte schon länger räumen lassen, plante er doch, auf dem etwa 10.000 Quadratmeter großen Gelände, dass er 2012 von der Stadt erwarb, die sogenannten Cuvryhöfe zu errichten. Ein Bauprojekt bestehend aus 250 hochwertigen Wohnungen, Shoppingmöglichkeiten und Büros. Der Senat forderte jedoch einen Sozialwohnungsanteil von 25%, eine Kita sowie einen frei zugänglichen Uferweg nebst Grünflächen. Süsskind – lediglich bereit einen Anteil in Höhe von 10% an Sozialwohnungen zu realisieren – gab deshalb seine Bebauungspläne auf.

Dies ist der Grund, warum die Cuvrybrache heute nicht mehr bedürftigen Menschen, Künstlern sowie überzeugten Aussteigern als Lebensmittelpunkt dient, sondern zur Abstellfläche für Baumaterial und Müllberge geworden ist.

Ich habe Kristine Spangenberg getroffen. Die 59-Jährige wählte auch für sich selbst lange Zeit eine alternative Lebensform. Im Kreuzberg der Achtziger und Neunziger Jahre lebte sie als einer der zahlreichen Punks in besetzten Häusern, kämpfte für den Erhalt von Freiheit, Kunst und Kultur. Sie ist Krankenschwester, arbeitet heute in einem mobilen Pflegedienst. Hierdurch kennt sie Hinz und Kunz von Kreuzberg. Gerade die sozial Schwächeren, oft drogen- oder alkoholabhängigen Menschen fallen in ihren Aufgabenbereich. Menschen wie diejenigen, die 2014 bei der Räumung ihr Zuhause verloren haben. Ich habe mit ihr über Kreuzberg, Kunst und Kapitalismus gesprochen:

Seit wann lebst du in Kreuzberg und warum bist du hergekommen?

Nach Berlin gekommen bin ich von einem Dorf in Friesland. Dort habe ich in einer Landkommune gewohnt. Irgendwann habe ich jemanden kennengelernt, der in Kreuzberg gewohnt hat. Das war 1978. Erst wohnte ich mit ihm in einem Studentenwohnheim, aber dann bin ich sehr schnell in die Görlitzer 36, ins besetzte Haus, gezogen. 1984 wurde unser Haus als eines der letzten geräumt, da habe ich dann diese Wohnung hier gemietet.

Sport- und Kulturzentrum YAAM auf der Cuvryfläche

Sport- und Kulturzentrum YAAM auf der Cuvryfläche

Wann bist du mit der Cuvrybrache das erste Mal in Berührung gekommen?

Die Cuvrybrache kennt in Kreuzberg jeder. Schon immer. Man nannte sie auch schon immer so. Aktiv beteiligt war ich auf dem Gelände ab 1996 als das YAAM vom Arena-Gelände verdrängt wurde und auf das Grundstück umgezogen ist. Mein Ex-Mann kommt aus Tobago. Wir haben im YAAM einen Stand betrieben, an dem wir karibisches Essen verkauft haben.

Wenn du dir das Gelände heute ansiehst, wirst du dann wehmütig?

Klar! Wehmut ist auf jeden Fall dabei. Große Wehmut. Wir hatten tolle Zeiten dort. Zwei der besten Jahre auf dem Gelände würde ich sagen. Aber man muss auch sagen, dass das Kreuzberg von heute nicht mehr zu vergleichen ist mit dem Kreuzberg von damals. Hier kamen Touristen nicht freiwillig her. Die hatten Angst. Hier gab es an die 160 besetzte Häuser. Und um ehrlich zu sein, wussten wir, dass sie Angst haben. Deshalb haben wir sie manchmal schon geärgert und Farbbeutel auf die Busse geworfen (lacht). Wir waren hier einfach unter uns und haben uns eine bunte Zeit gemacht. Aber genau deshalb ist es auch nicht nur Wehmut. Mich macht der Anblick der Brache gleichzeitig auch ein wenig stolz. Sie steht als einer der letzten Punkte Berlins für Widerstand gegen die Entwicklung, die die Stadt gemacht hat.

Für dich ist es ein Ort des Widerstandes. Als die Aussteiger, Roma-Familien, Obdachlosen etc. dort Einzug hielten, wurde der Begriff „Slum“ oder „Favela“ benutzt. Was ist aus deiner Sicht in dieser Zeit dort passiert?

Der Begriff Favela wurde ja benutzt, als die „Asi-Punks“ da aufgetaucht sind. So nannten wir diejenigen, die der Gesellschaft und dem System komplett den Rücken gekehrt haben. Erst war es eine Hütte, dann wurden es immer mehr. Die absoluten Aussteiger kamen dazu, es wurden immer mehr Leute aus verschiedenen Richtungen. Darunter viele Alkoholiker und Junkies. Die Situation ist dort mit der Zeit einfach aus dem Ruder gelaufen. Quasi jeder hat seine Penntüte genommen und ist hin da. Gekümmert haben die sich um das Gelände überhaupt nicht. Es entstanden riesige Müllberge an den Zäunen. Da kann man schon von einer Favela sprechen. Die Räumung war da nur eine Frage der Zeit.

Würdest du die Cuvrybrache als Sinnbild für die Stadtentwicklung in Kreuzberg sehen?

Auf jeden Fall! Es ist ja so, dass Kreuzberg mittlerweile als Szeneviertel deklariert ist und damit versucht wird, aus dem alten Flair Profit zu schlagen. Eigentlich wurde der längst kaputt gemacht. Unzählige Hostels, Lofts, überteuerte Bars. Alte, kleine Läden müssen Platz für Restaurants machen. Ganz klar, die Cuvrystraße ist Teil davon. Soll komplett bebaut werden und zur Gentrifizierung beitragen. Entgegen des eigentlichen Kreuzberger Lebens mit vielen sozialschwachen Familien wird hier über die Köpfe der Leute hinweg entschieden, was mit ihrer Umgebung passiert. Luxuswohnungen bauen, um andere Leute in den Kiez zu locken. Den Bezirk einfach aus wirtschaftlichen Gründen kaputt machen.

Bauschutt und Müll auf der Cuvrybrache

Bauschutt und Müll auf der Cuvrybrache

Der Senat verfolgt deshalb den Plan der kooperativen Stadtentwicklung. Das heißt, der Investor Süsskind ist an Auflagen bezüglich Sozialwohnungsanteil, Grünflächen, Nutzen für den Bezirk in Form von Kitas etc. gebunden. Ist das für dich ausreichend?

Überhaupt nicht. Und es ist mir auch zu schwammig. Der Besitzer baut ja trotzdem seine Lofts. Direkt daneben gibt es dann einen kleinen Teil Sozialwohnungen. Die haben dann doch nicht mehr als eine Alibifunktion während die Gentrifizierung weiter vorangetrieben wird. Das ist ein fauler Kompromiss. Aber der hat ja auch nicht hingehauen. Ist auch gut so (lacht). Es gab ja vor der Räumung viele Initiativen, die gegen die Bebauungspläne gekämpft haben. Free Cuvry war eine von ihnen. Es gab auch Gespräche in dem Mieterladen in der Wrangelstraße darüber, auch der Bürgermeister wurde einbezogen und viele andere haben sich stark gemacht, um die Cuvrybrache zu erhalten. Das war vor der Räumung und da lief die Räumungsklage schon zwei Jahre. Aber das ist ein ganz normaler Prozess. Sowas dauert ewig.

Du sprichst noch einmal die Räumung an. Dazu gekommen ist es letztendlich erst nach einem Brand auf dem Gelände. War es damit für dich eine Notwendigkeit oder eher ein willkommener Anlass für den Investor seinen Besitz zurückzufordern?

Naja, er hat das Gelände ja gekauft. Es ist sein Privatbesitz, von daher kann ich schon verstehen, dass er es zurückhaben will. Aber eine Räumung mit so vielen Menschen ist auch ein logistisches Problem. Wohin denn mit all den Menschen von jetzt auf gleich? Man kann ja nicht räumen und nach mir die Sintflut. Die müssen irgendwohin. Ins Obdachlosenheim in der Franklinstraße sollten sie dann erstmal. Das muss man sich mal vorstellen – nach Steglitz, ans andere Ende der Stadt, mit Kind und Kegel, aber möglichst weit weg vom Kiez. Angeblich sollten sie darüber von der Polizei informiert werden. Die wusste nur selbst nichts davon. Und ich muss auch sagen, dass ich immer noch ein großes Fragezeichen beim Zustandekommen des Brandes habe.

Laut Polizei- und Medienberichten waren dafür mindestens drei der Bewohner verantwortlich. Du glaubst das nicht?

Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Diese sogenannten heißen Räumungen sind in der Hausbesetzerszene schon immer ein Begriff. Hierbei werden Brände gelegt, von wem sei jetzt mal dahingestellt, um die Hausbesetzer zu zwingen, das Gebäude zu verlassen. Und die Besetzung der Brache war vielen schon lange ein Dorn im Auge. Es gab ja auch zahlreiche Beschwerden von Anwohnern. Und einige hatten auch Recht. Also der Rattenbefall durch den ganzen Müll war schon eklig. Wobei die Stadt den Müll ja auch, wie vor jeder anderen Haustür, durch die BSR hätte entsorgen lassen können. Von daher war schon lange klar, dass sie die Leute da loswerden wollen. Und eigentlich war es anfangs wirklich ganz cool da. Da wucherten die Sträucher, hier mal ein Zelt, da mal eine Hütte. Man hätte sich um das Gelände eben besser kümmern müssen. Und jetzt stapelt sich da doch auch der Müll. Nur dass es jetzt Bauschutt ist. Das nun seit fast zwei Jahren. Und dann wird der Müll auch noch von Security bewacht. Das muss man sich mal vorstellen. Aber zumindest kostet das den Besitzer eine Stange Geld und das ärgert ihn.

Findest du gut, dass er sich ärgert?

Absolut! Der soll mal schön zahlen und sich ordentlich ärgern. Ich finde ätzend, dass es dort diesen Wachschutz gibt. Dass ihn dieses Stück Land aber nun durch Steuern usw. was kostet, finde ich gut. Total!

Derzeit hält der Senat trotz allem Tauziehen an den Gesprächen mit Süsskind fest und möchte gerne eine Einigung erzielen. Sollte es dazu nicht kommen, was würdest du dann für eine gute Alternativnutzung halten?

Wünschenswert wäre für mich, dass man den Kiezbewohnern dort wieder ein Platz bietet, an dem man sich gerne aufhält. An dem man abends wieder zusammenkommen und Spaß haben kann. Natürlich ist das auch unrealistisch, weil sich die Zeiten geändert haben. Die Touristen würden auch diesen Platz wahrscheinlich überlaufen. Aber gut, sollen sie kommen. Eine Grünanlage am Wasser, vielleicht mit einer netten Strandbar. Als das YAAM dort war, hat es doch wunderbar funktioniert. Irgendwo am Eingang würde ich eine Art Informationstafel aufstellen mit Bildern und Informationen zur Geschichte Kreuzbergs und der Cuvrybrache, sodass auch meine Enkelkinder noch wissen, wie es in Kreuzberg mal gewesen ist. Toll wäre auch, wenn man den Graffitikünstler überzeugen könnte, die Fassaden dann wieder neu zu gestalten. Wenn auch die Kunst dort auf diese Weise zurückkehren könnte. Das Schwarz ist auf diesen riesigen Wänden eindrucksvoll und hat definitiv seine Berechtigung. Es macht es aber eben auch sehr trostlos. Es muss wieder Leben und Farbe auf diesen Platz. Was wir dort auf jeden Fall nicht brauchen, ist noch mehr Wohnraum. Schon gar keine Luxuswohnungen. Schicke Lofts mit Blick auf diejenigen, die gar nichts haben und Flaschen sammeln.


Sabrina Schweder ist 32 Jahre alt und studiert seit 2014 PuK und Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sie lebt in Kreuzberg nahe der Cuvrybrache. Die aktuelle Stadtentwicklung insbesondere der in Kreuzberg hat sie dazu bewogen, sich mit dem Thema ausführlicher zu beschäftigen.


2017-07-06T12:18:03+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen|Tags: , , , , , |