Theater in Griechenland

Theater in Griechenland

Der deutsche Maler Albert Oehlen formulierte das Aufeinandertreffen von Kunst und Politik einmal folgendermaßen: „Man müsse der Kunst Politik als Inhalt zumuten, ohne hoffen zu dürfen, dadurch Politik machen oder verbessern zu können, wohl aber die Kunst.“

Doch wie entwickelt sich Kunst in Zeiten der politischen und gesellschaftlichen Krise eines Landes? Griechenland steht, so formuliert es Die Zeit, momentan im Zentrum der Krisen. Wie gehen die Künste des Landes mit der Krisensituation um und welche künstlerischen Prozesse können aus der Krise entstehen?

Von Bernadette Binner

Die Theaterwissenschaftlerin Dr. Natascha Siouzouli im Interview über die alternative Kunstlandschaft in Athen, Widerstand, Ohnmacht und die Präsenz von griechischen KünstlerInnen in Deutschland und Europa.

Würden Sie zu Beginn bitte einen kurzen Einblick in die aktuelle Lage in Athen geben? Welche künstlerischen Aktionen und Performancegruppen haben sich daraus gebildet und sind aktiv geworden?

Griechenland befindet sich seit über 6 Jahren in einer extrem schwierigen finanziellen Lage, das Land ist – durch seine Geldgeber – gezwungen worden, überall zu sparen und eine Reihe (neoliberaler) Reformen durchzusetzen; als Grund werden immer dessen hohe Schulden genannt, obwohl nun eine gewaltsame und viel breitere Anpassung verlangt und forciert wird. Athen ist am meisten betroffen, da in der Stadt fast die Hälfte der Bewohner Griechenlands leben. Tausende von kleinen oder größeren Betrieben wurden geschlossen, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch (offiziell um die 25%),dazu kommen viele in Griechenland gestrandete Flüchtlinge, deren Leben in der Stadt oder im Land fast unerträglich ist.

Man beobachtet in der Tat eine ‚blühende’ Kunst- und Theaterszene in Athen – viele kleinere Gruppen bilden sich und präsentieren ihre Arbeiten, zum Teil auch im öffentlichen Raum; es gibt immer noch die älteren Theater in Athen, wie auch das Nationaltheater. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie sich die kleineren Gruppen finanzieren; ich weiß, dass sehr oft ohne Geld gearbeitet wird. Was einigermaßen neu ist, ist die Dominanz von drei privaten Institutionen, der Stegi Grammaton kai Techon, der Onassis Foundation und des Kulturzentrums Stavros Niarchos, welche die Kunstlandschaft entschieden prägen: Der Staat hat seinen Raum diesen Institutionen überlassen, welche die Trends setzen und generell definieren, was jetzt in Griechenland Kunst sei und was nicht. Diese Institutionen finanzieren nun auch – direkt oder indirekt – staatliche Kulturinstitutionen und erweitern somit deren Territorium.

Symposium 'Commun(icat)ion of Crisis', Nafpaktos 2011. © Institute for Live Arts Research

Symposium ‚Commun(icat)ion of Crisis‘, Nafpaktos 2011. © Institute for Live Arts Research

Am 20. Februar 2014 gab es eine EU Konferenz zum Thema „Kreativität Finanzieren“. Es wurden keine Künstler eingeladen, stattdessen fielen Worte wie Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaft, Industrie, Produkt, Verbraucher etc. Es wurde klar, dass der griechische Staat die Gründung von privaten Institutionen intendiert, welche die Kulturlandschaft Griechenlands finanzieren und prägen sollen. Wie haben die Künstlergruppen auf diesen Beschluss reagiert?

Viele dieser Aussagen sind nichts anderes als Floskeln gewesen, die ohne Reflexion verbreitet werden. Es existiert in Griechenland und speziell in Athen tatsächlich Widerstand – mal weniger, mal mehr präsent und machtvoll: Es gibt zwei wichtige Besetzungen in Athen, die von der gleichen Gruppe (Mavili Collective) initiiert wurden; man hat zunächst das Theater Embros besetzt und später das Green Park Cafe, wo alternative Kunstproduktion versucht wurde und wird. Es gibt immer Probleme, die auch oft unüberwindbar zu sein scheinen (z.B. Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Entwicklung der Besetzungen). Wichtig ist meines Erachtens, dass diese ‚Anti-Institutionen’ nicht verschwinden und irgendwie immer ihre Präsenz deutlich machen.

Was bedeutet die Kunst in Zeiten von Streit und Krise (für Griechenland)? Und welchen Einfluss haben gerade die oben benannten „Zustände“ für die Künstler? Was kann das Entstehen neuer künstlerischer Formationen für die Menschen bedeuten, die in Armut und Unsicherheit leben?

Was bedeutet Kunst in Zeiten von Krise? In Zeiten von Schmerz, Armut, Verzweiflung und Erschöpfung? Ich kann und will die Frage nicht beantworten, denn ich tendiere zu antworten: ‚Nichts!’ Die Antwort kommt natürlich als Reaktion auf meine Verzweiflung und Ohnmacht. Ich bin allerdings sehr für das Aufbauen solcher ‚Anti-Institutionen’, ich kooperiere und helfe auch, wo ich kann. Es müssen andere Territorien – außerhalb des Establishments und der Dominanz der Vermögenden – etabliert und alternativ besetzt werden. Kunst wäre in der Lage, diese Territorien auch mit anderen „communities“ zu füllen.

Theater EMBROS. © Giorgos Makas

Theater EMBROS. © Giorgos Makas

Wie werden die Performanceprojekte in Griechenland finanziert? Ändern sich künstlerische Arbeitsweisen, je weniger finanzielle Unterstützung möglich ist und wenn ja, wie genau und welche Auswirkungen kann das haben?

Der Staat zahlt seit 2011 überhaupt keine Subventionen mehr. Das griechische Festival scheint noch etwas Geld zu haben und finanziert kleinere – und manchmal auch größere – Produktionen (im Sommer). Es gibt – wie gesagt – die großen, privaten Institutionen, mit den eigenen Agenden und eigenen Interessen und es gibt eine riesige dunkle Zahl von Theatern, kleineren Institutionen und KünstlerInnen, die ohne jegliche Unterstützung zu arbeiten versuchen bzw. die nicht(s) zahlen bzw. nicht bezahlt werden.

Informationen

Weitere Informationen? Erhält man zum Beispiel durch das Projekt PASSAGE 23°E des Internationalen Theater Instituts Berlin:

„Das Projekt PASSAGE 23°E setzt sich zum Ziel, eine europäisch orientierte Informations- und Wissensplattform und einen lebendigen Wissensaustausch zu entwickeln, um Informationen zu aktuellen kulturellen Entwicklungsprozessen besonders auf dem Gebiet von Theater und Theatralität, ihrer nationalen wie internationalen Bedingtheit und historischen Gebundenheit zu generieren und diese einer kulturellen Öffentlichkeit vorzustellen.“ www.iti-germany.de

Selbstverständlich ändern sich die Produktionsbedingungen und -weisen, wenn die materiellen Bedingungen derart desolat sind. Man probiert ungewöhnliche Kooperationen, man organisiert Guerilla Performances und Aktionskunst,man versucht außerhalb der dominanten Strukturen zu existieren – man spielt in privaten Wohnungen, in besetzten Räumen, in verlassenen Räumen etc. Man experimentiert auch mit Formen und ‚Sprachen’. Wie gesagt, es passiert schon viel. Was dabei raus kommt, weiß niemand, habe ich das Gefühl.

Sie leben und arbeiten in Berlin. Welchen Eindruck haben Sie von der Repräsentation der griechischen Theaterkunst in Deutschland?

Griechenland ist in den letzten Jahren generell ‚en vogue’. Das geschundene Land muss erlebt und verstanden werden! Griechische KünstlerInnen sind in den letzten Jahren auch sehr gefragt in Deutschland, als eine Art ‚BotschafterInnen der Krise’. Ich bin sehr skeptisch, was die Präsenz von griechischen KünstlerInnen in Deutschland und generell in Europa im Moment angeht, denn sie dient lediglich dem üblichen Vampirismus (versehen mit etwas Mitleid), der die morbide Lust am Leid und an der Not begleitet. Nicht dass die griechischen KünstlerInnen dies nicht selber unterfüttern würden!

Athens, 2015. © Natascha Siouzouli

Athens, 2015. © Natascha Siouzouli

Wie stellen Sie sich die griechische Theaterlandschaft der Zukunft vor? Was könnte in 10-20 Jahren sein? Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen im Bezug auf die Kunst, das Theater und dessen Entwicklung?

Ich bin ganz schlecht in Prognosen, zumal die jetzige Situation derart labil ist. Es wäre allerdings toll, wenn diese Bewegung der Etablierung von ‚counter-institutions’ weiter wachsen und gedeihen würde!

Zur Person

Dr. Natascha Siouzouli studierte Theater, Philologie und Kunstgeschichte in Athen, Griechenland und promovierte an der Freien Universität Berlin, betreut von Prof. Dr. Erika Fischer-Lichte. Von 2006 bis 2010 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin; von 2010 bis 2012 war sie Gastwissenschaftlerin am Forschungskolleg Verflechtungen von Theaterkulturen. Sie ist Mitbegründerin des Institute for Live Arts Research (Athen) und arbeitet auch als Übersetzerin.


Bernadette Binner studiert Theaterwissenschaft und Publizistik im 4. Semester an der Freien Universität Berlin.


2017-07-06T12:18:00+02:00 Kategorien: Kunst + Können, Lesen|Tags: , , , , , |