Stolz, weil Neukölln.

Stolz, weil Neukölln.

Ein ehemaliger Schüler des Albert -Schweitzer-Gymnasiums in Neukölln macht es sich zur Aufgabe, Neuköllner Jugendliche zur Hochschulreife zu verhelfen und sie auf die Schwierigkeiten des Studiums vorzubereiten. Mario Vasic (21) möchte mit seiner Zukunftsvision “Peer-Teaching: Von ehemaligen Schülern für Schüler” einen positiven Einfluss auf die Entwicklung junger, ausländischer Nachwuchsakademiker ausüben. In einem Interview schildert er den Anfang seines Vorhabens. Dieser bildet ein Besuch an seiner ehemaligen Schule, bei dem er mit Schülern der Mittelstufe das Gespräch sucht.

Von Marina-Verena Neumann

Wie kam es zu dem Besuch?

Eine ehemalige Lehrerin kontaktierte mich, um mit ihrer aktuellen Schulklasse, die nächstes Jahr die Abitur-Phase beginnt, zu sprechen. Sie wünschte sich eine externe Meinung eines ehemaligen Schülers, der, trotz Widerständen, einen erfolgreichen akademischen Weg beschreitet.

Könntest du die Widerstände näher erläutern?

Zu einem sind das kulturell bedingte Schwierigkeiten im Elternhaus, zum anderen ein leider oft intolerantes Umfeld außerhalb Neuköllns. Als Ausländer und vor allem als Schüler einer Neuköllner Schule hat man das Gefühl, sich doppelt rechtfertigen zu müssen für einen Platz, den man sich hart erarbeitet hat. Da ich Teil einer serbisch-rumänischen Familie bin, die von außen her eher als “Zigeuner” bezeichnet werden würde, musste ich bereits früh lernen, mit Vorurteilen umzugehen und umso härter für meine Ziele zu arbeiten. In meiner Kultur hat Bildung keinen hohen Stellenwert. Es geht eher um Arbeit, frühzeitige Familiengründung und Versorgung der Familie. Ein Schulabschluss ist selten Ziel. Zudem hatte ich einen schweren Kampf mit meiner Selbstfindung und Zugehörigkeit in der Familie. Ich hatte einen persönlichen und familiären Konflikt, der durch meine früh-entdeckte Homosexualität bedingt war. Es gab viele Familien-Krisengespräche, die darauf zielten, mich zu “bekehren” oder mich aus der Familie auszugrenzen. Das war eine harte Zeit.

Wie entwickelte sich euer Verhältnis weiterhin?

Zuerst distanzierte ich mich, um mich selbst mit der Situation zu befassen. Ich wollte mich selbst finden und herausfinden, was ich wirklich möchte, was wichtig ist im Leben. Es hat sich gezeigt, dass der einzige Weg die Situation zu entschärfen, mein Auszug war. Heute lebe ich glücklich mit meinem Partner und habe einen spärlichen, jedoch besser gewordenen Kontakt zu meiner Familie.

Inwiefern hat diese schwierige Phase sich auf deine Schulzeit ausgewirkt?

Glücklicherweise hatte ich tolle Freunde und Lehrer, die mich in der schweren Zeit aufgefangen und unterstützt haben. Ihnen verdanke ich mein Spitzen-Abitur und meine Zukunft. Heute studiere ich erfolgreich Medizin an der renommierten Universität Charité.

Deine Offenheit zu diesem Thema ist bewundernswert. Dies wird sicherlich ein wichtiger Aspekt in dem Gespräch mit den Schülern sein?

Durchaus. Ich finde es wichtig, auch über Probleme und Konflikte zu sprechen, denn aus Erfahrungen anderer können wir ebenfalls lernen. Ich möchte die Schüler motivieren, offen über ihre Probleme mit ihren Freunden oder Angehörigen zu sprechen und gemeinsam an den Problemen zu wachsen. Die Schüler sollen optimal auf eine Zukunft außerhalb Neuköllns vorbereitet sein und sich klarwerden, dass das Leben außerhalb des Bezirks oft mit Schwierigkeiten verbunden ist. In einem offenen Gespräch mit allen möchte ich herausarbeiten, welche Vorurteile auf sie zukommen werden, so wie sie auf mich zu kamen. Und wie man mit ihnen umgeht.

Könntest du mir Beispiele dieser Vorurteile nennen?

Derzeitig hospitiere ich in einer allgemeinmedizinischen Arztpraxis in Schöneweide. Hier haben mich nicht nur rassistische Kommentare von Patienten erreicht, sondern auch meines zuständigen Arztes. Ich wurde häufiger darauf hingewiesen, dass meine Gesichtsbehaarung an einen Terroristen erinnere, von dem Gefahr ausgehe. Schockierend ist, dass auch ein gebildeter Mediziner, in dem Fall der Praxisleiter, sich diesen Kommentaren anschloss und mir empfohlen hatte mein äußeres Erscheinungsbild anzupassen, da “wir in Schöneweide den Umgang mit Ausländern nicht gewohnt sind”. Ihm war es auch wichtig zu erfahren, wo ich zur Schule gegangen bin. Bei “Neukölln” verdrehte er die Augen. Dies zeigt, dass auch ein guter Bildungsstand soziale Defizite nicht wettmachen kann.

Anscheinend lässt du dich aber von solchen Kommentaren nicht unterkriegen.

Es ist wichtig, sich von seinen Zielen nicht abbringen zu lassen. Es wird immer Menschen geben, die eine mit Vorurteilen behaftete Denkweise haben. Meist lassen sie von dieser nicht los, weshalb ich mich dafür einsetzen möchte, dass Neuköllner Schüler besser mit solchen Situationen umgehen können. Ich wünsche mir, dass sich in näherer Zukunft die Sichtweise auf bildungsärmere Bezirke ändert. Hierzu müssen nicht nur Schüler besser vorbereitet werden, sondern auch politische Eingriffe hinzukommen.

Es hört sich ganz danach an, als hättest du ein größeres Projekt im Sinne. Wird es mehr als diese eine Sitzung geben?

Zurzeit stehe ich in Kontakt mit der derzeitigen Schulleitung des Albert-Schweitzer-Gymnasiums und versuche eine Studenten-Gruppe ehemaliger Schüler zusammenzubringen, um eine Seminarreihe auf die Beine zu stellen. Es sollen nicht nur exemplarisch einige Themen aus verschiedenen Studiengängen vorgestellt werden, sondern auch soziale Kompetenzen erweitert werden. Sie sollen verstehen, dass ein Neuköllner Abitur nicht weniger wert ist als ein Abitur aus Zehlendorf. Die Seminare sollen interaktiv und so offen gestaltet werden, dass jeder etwas von dem anderen lernen kann.

Damit wirst du wahrscheinlich viele Menschen zum Umdenken anstoßen.

Ich hoffe sehr, dass sich meine Vorhaben gut umsetzen lassen und auf ein großes Publikum stoßen werden. Ich träume davon, dass nicht nur meine Schule, sondern alle Schulen in Neukölln ein von ehemaligen Schülern geleitetes Peer-Teaching erfahren dürfen. Sobald die notwendige Struktur aufgebaut ist, möchte ich hierzu eine sozialpolitische Aufarbeitung dieses Themas anstreben. Unsere multikulturelle Herkunft soll kein Nachteil für uns darstellen, sondern ein nahrhafter Boden für vielfältige Möglichkeiten sein. Bildung ist hier der Schlüssel zum Erfolg. Junge Menschen sollten stolz auf ihre Herkunft sein. Selbstbewusst, weil Neukölln.


Marina-Verena Neumann ist auch ehemalige Schülerin des Albert-Schweitzer Gymnasiums. Als Studentin der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin stellt sich die 21-Jährige die Frage, mit was für Schwierigkeiten Neuköllner Abiturienten auf ihrem akademischen Weg konfrontiert sein werden. In ihrem ersten Interview versucht sie der Antwort auf die Frage näher zu kommen.


2017-07-06T12:18:02+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Gefühl + Glaube, Lesen|Tags: , , , , , , |