Endlich unter Kuppeln beten

Endlich unter Kuppeln beten

Seit Jahren wächst die russisch-orthodoxe Gemeinde von Marzahn. Nur eine eigene Kirche haben die Gläubigen nicht. Sie beten entweder in einer evangelischen Kirche, oder sie fahren nach Karlshorst, wo es eine orthodoxe Kirche mit richtigen Kuppeln gibt. Doch bald könnte sich die Situation für die Marzahner Russen zum Guten wenden. An der Allee der Kosmonauten hat Gazprom ein großes Grundstück für ein neues Gotteshaus gekauft.

von Maria Deikova

Das eintönige Rauschen der Autos bricht hier niemals ab. Nur manchmal wird es vom Hupen eines vorbeifliegenden Rettungsdienstes oder der Polizei übertönt. Von hinten sind Kinderstimmen zu hören. Es sind Schüler, die auf einem roten Feld Fußball spielen. Aber gleichzeitig gibt es hier in Marzahn an einem kleinen Ort nahe der Allee der Kosmonauten Ruhe, denn dichte Bäume schirmen eine kleine Wiese vom Stadtlärm ab.

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In der Marzahner Kirche trifft sich bisher die orthodoxe Gemeinde. (Foto: M. Deikova)

Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf besteht aus fünf großen Ortsteilen: Ahrensfelde, Biesdorf, Kaulsdorf, Hellersdorf und Marzahn. Die russischsprachige Bevölkerung im Bezirk macht etwa 40.000 Menschen aus. Die meisten sind orthodoxe Gläubige und brauchen einen neuen Platz zum Beten.

Vor vier Jahren wurde die russisch-orthodoxe Gemeinde von Marzahn gegründet, die seitdem stark gewachsen ist. Aber noch immer ist sie gezwungen, die Gottesdienste in einer evangelischen Kirche zu feiern, sagt der Erzpriester der Gemeinde, Pjotr Pacholkov. „Es ist toll, dass wir zumindest die orthodoxe Liturgie in einem religiösen Gebäude abhalten können. Einige Gemeinden müssen in kleinen Wohnungen beten. Für uns, beziehungsweise für den Gottesdienst, ist es natürlich ganz egal: Wir können ihn sogar im Wald feiern“.

Und doch kann Pacholkov den Bau der neuen Kirche kaum erwarten: „Die Leute brauchen die aus ihrer Heimat bekannten Kuppeln. Sie möchten eine protestantische Kirche nicht betreten”. Zurzeit fahren die Gläubigen aus Marzahn nach Karlshorst zur Heiligen Sergius-von-Radonezh-Kirche, wenn sie die Liturgie unter Kuppeln hören wollen. Der Andrang ist so groß, dass die Kirche immer überfüllt ist.

Bald soll alles ganz anders werden. Das Grundstück für den Sakralbau in der Allee der Kosmonauten 190 ist schon gekauft. Die knapp 6000 Quadratmeter wurden von dem russischen Energieriesen Gazprom bezahlt. Insgesamt hat der Konzern 440 000 Euro für das Gelände und die gleiche Summe für das Gotteshaus überwiesen.

Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Unternehmen religiöse Belange finanziert. In Russland passiert das sehr oft. „Die wichtigsten Sponsoren der orthodoxen Kirche sind die großen Staatskonzerne. Gazprom, Lukoil und die russische Eisenbahngesellschaft haben in den vergangenen 20 Jahren 250 Millionen Euro investiert“, sagt der Historiker und Experte für die russisch-orthodoxe Kirche Nikolai Mitrochin.

In Russland hat das soziale Engagement von Gazprom den Slogan „Träume erfüllen sich”. In Deutschland setzt der Energieriese seine Wohltätigkeit fort. “Als wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen gehört es zur Unternehmensphilosophie, insbesondere die russische Kultur in Deutschland zu fördern und bekannt zu machen“, erklärt die Projektmanagerin für Kultur- und Sozialsponsoring von Gazprom-Germania Alexandra Müller. Das Unternehmen unterstütze bereits bilinguale Kindergärten und  Berliner Schulen, die Russischunterricht anbieten. Und jetzt auch die künftige Heilige Wladimir-Kirche, die bis Ende des Sommers gebaut wird.

Das neue Gotteshaus wird eine Fläche von 225 Quadratmetern und einen 32 Meter hohen Zwiebelturm haben. Die Kirche soll die ganze Woche täglich von neun bis 20 Uhr geöffnet sein. Zweifellos wird die Gemeinde dort alle orthodoxen Feste feiern. Später wollen die Orthodoxen auf diesem Grundstück in Marzahn ein großes Religionszentrum mit einer Kirche aus Stein, einem Kindergarten, einer Sonntagsschule, einer Bibliothek und Computerräumen bauen.

Dazu braucht es nicht nur Geld, sondern auch den Segen des Erzbischofs. „Die Kapazitäten reichen nicht, um alle orthodoxen Aufgaben zu erfüllen“, so der Erzpriester. So gebe es in Spandau auch viele Russen, die ebenfalls ein Gotteshaus brauchen, sagt Vater Pjotr: „Wir beten weiter. Jeden Sonntag nach dem Gottesdienst gehen wir zu dieser Wiese, wo unsere Kirche gebaut wird und beten. Die russisch-orthodoxe Gemeinde hat noch so viel zu tun. Aber nur Gott kann uns helfen”.


P1030397Maria Deikova lernte als Kind Deutsch und träumte davon, Journalistin zu werden. „Jetzt kann ich kaum glauben, dass ich viele Jahre später ein richtiges journalistisches Praktikum beim Berliner Rundfunk in Berlin mache“, freut sie sich. Maria kommt aus Sankt-Petersburg. Dort arbeitet sie beim Radiosender Avtoradio-St. Petersburg und berichtet über unterschiedliche Themen, etwa über Stadtpolitik oder Kochkunstwettbewerbe. In naher Zukunft plant sie, ins All zu fliegen, als Radiomoderatorin zu arbeiten und einen Kurzfilm über das Reisen zu drehen.

Internationales Journalisten-Kolleg ǀ  Journalisten International ǀ Sommer 2013