„Eine professionelle Form der Kultur ist im Wedding nicht gewollt“

„Eine professionelle Form der Kultur ist im Wedding nicht gewollt“

Der Wedding ist nicht im Kommen. Trotz vielfältiger Kulturangebote und Fördermöglichkeiten hat noch kein Konzept wirklich Fuß fassen können. Zwei ausgewählte Kulturfestivals und ihre Historie verdeutlichen das Problem.

Von Enno Eidens und Rike Runge

Der Wedding kann kulturell mit dem hohen Berliner Standard nicht mithalten. Es fehlen wichtige Strukturen. Die Gründe dafür sind vielfältig, die Lösungen nicht einfach. Vieles hat dabei mit Geld zu tun. Geld vom Staat. Vieles aber auch mit der persönlichen Einstellung zum Wedding und was aus ihm werden könnte. Zwei Beispiele: Die Projekte von Eberhard Elfert und Andrea Krizsai sind interessant, progressiv und vieldiskutiert. Elfert ist mit seiner Idee eines staatlich geförderten Kulturfestivals im Wedding vorläufig gescheitert. Krizsai plant für dieses Jahr ein anderes Festival. Sie will dabei auf Förderungen verzichten, um unabhängig agieren zu können. Die Finanzierung soll allein durch die Teilnehmer gestellt werden. Krizsai und Elfert geht es dabei um dasselbe: Strukturen und Netzwerke schaffen, die langfristig für eine  kulturelle Vielfalt im Wedding sorgen können.

Der Wedding ist ein “Entwicklungsverlierer”

Eberhard Elfert ist vielbeschäftigt. Der Berliner sitzt um elf Uhr abends in der Bar “Golden Lounge” und bestellt Espresso. Vier Stück werden es noch. Elfert redet viel, Elfert macht viel. Überall in Berlin hat er an Projekten und Events mitgearbeitet. Meist geht es dabei um die Berliner Geschichte und Kultur. Der Wedding liegt dem studierten Historiker am Herzen, das merkt man sofort. Er spricht über den falsch zitierten Mythos vom “Roten Wedding” und von fehlender Geschichtskenntnis im Kiez. Viele würden verkennen, dass der Wedding als “Entwicklungsverlierer” nie den Anschluss an die kulturelle Breite der Stadt geschafft habe. Die Randlage des Bezirks, aber auch die Mentalität vieler seiner Bewohner seien Schuld, so Elfert. Vor allem bei den “linken Kleinbürgern”, die sich zahlreich in die Quartiermanagements wählen ließen, sei dies ein Problem. Viel versprechende Projekte würden abgelehnt, Gelder nur für falsche Projekte befürwortet. In den anderen Bezirken Berlins habe es das in dieser Qualität nie gegeben.

Das Kulturfestival Wedding Moabit (KFWM) liegt Elfert besonders am Herzen. Schon vor vielen Jahren hatte er die Idee zu einer ähnlichen Veranstaltung. 2011 zum Beispiel lieferte er Ideen für das damalige Kulturfestival Wedding.

Für ein bezirksübergreifendes Festival gab es damals noch keine Förderstrukturen. 2013 sollte sich das ändern. Damals vereinten die einzelnen Kieze, die von verschiedenen Quartiersmanagements gefördert werden, ihre Aufwendungen. “Aktionsräume plus” heißt die Initiative, die 2013 ein neues Festival für Wedding und Moabit ausschrieb. Elfert bewarb sich damals mit seinen Partnern Jochen Küpper und der Agentur Georg&Georg. “Partizipativ und prozessorientiert” war ihr Konzept. “Wir wollten die Künstler und Akteure nicht übergehen,” so Elfert.

Kulturverlust durch Förderchaos

Das Konzept kann überzeugen. Im Rahmen der Aktionsräume plus wird das Festival gefördert und kann sich gegen die Konkurrenz durchsetzen. 72.500 Euro gibt es 2013. Für die Umsetzung bleibt nur wenig Zeit, trotzdem findet das Festival im September statt – erfolgreich. Veranstalter, Presse und Akteure sind zufrieden. Später gibt es Workshops, bei denen alle Beteiligten das Festival gemeinsam aufarbeiten. Die Ergebnisse werden jedoch nie analysiert und Verbesserungsvorschläge nicht umgesetzt. Das stört Elfert. Mit ihm und dem KFWM wird es nicht weitergehen. Im Frühjahr 2014 steigt er wegen “beruflicher Umorientierung” aus dem Projekt aus. Im September findet das KFWM 2014 ohne ihn statt – ebenfalls erfolgreich. Danach bleibt jedoch nicht viel. Obwohl in 2015 noch Gelder von den insgesamt 145.000 Euro zur Verfügung stehen, findet kein neues Festival statt. Übrig bleibt allein ein Veranstaltungskalender. Das Geld ist nun woanders. Statt ein neues Kulturfestival zu veranstalten, hat man sich entschieden, einzelne kleine Projekte zu fördern. Die Aktionsräume plus werden durch die Netzwerkfonds abgelöst. Auch gibt es keine komplett neue Förderung. Stattdessen wird ein Veranstaltungskalender programmiert. Hier können Künstler und andere Kulturakteure aus Berlin Mitte Werbung für sich machen. Ein Festival ist das nicht. Elfert kritisiert das. “Eine professionelle Form von Kultur ist im Wedding nicht gewollt.” Und zu professioneller Kultur gehören neben individueller Förderung eben auch Netzwerke und Strukturen, wie Sie durch das Kulturfestival hätten entstehen können.

Wer begreifen will, wie Fördergelder Gelder fließen, muss die Förderkulisse verstehen. Es wird politisch entschieden, wann und wo Gelder für Projekte bereitgestellt werden. Dafür sind die Senatsverwaltungen der Stadt Berlin zuständig. Förderungen werden meist nur für wenige Jahre, eine Förderperiode, ausgegeben und müssen dann neu beantragt werden. Oft gibt es die Förderprogramme dann gar nicht mehr. So auch im Fall des KFWM.

Nachbarschaften verbinden und zusammenbringen

Andrea Krizsai, Kuratorin und Fotografin, sitzt im Nomad Store & Gallery. Der Laden, den sie und ihr Freund im Sprengelkiez betreiben, ist schlicht eingerichtet, aufgeräumt und steckt voller kleiner Wunder. Auf der Ladenfläche verkauft sie handverlesenes Kunsthandwerk, im Hinterzimmer befindet sich eine Galerie mit wechselnden Ausstellungen. Zu jedem Künstler oder Designer kann sie eine Geschichte erzählen. Ihre Gäste empfängt sie herzlich und einladend: “Komm rein, schau dich um.” Bei einer Raucherpause vor der Tür muss Krizsai sich immer wieder unterbrechen, um Nachbarn zu grüßen, Hunde zu streicheln, Kippen anzuzünden. Ihr kam die Idee für das 2 Tage Wedding Kulturfestival, das am 10. und 11. September zum ersten Mal stattfinden wird. Sie will Kreative und Kunstschaffende über ihre unmittelbare Nachbarschaft hinaus zusammenbringen. Dabei betont sie immer wieder, dass sie nur eine von Vielen sei, die dieses Festival umsetzen. Sie sei weder Organisatorin, noch Kuratorin, noch Verantwortliche, sie hätte lediglich die Idee gehabt.

Festival mit “Schwarmintelligenz”

Das Festival ist ehrenamtlich und non-profit organisiert: Alle teilnehmenden Kulturstätten haben 15 Euro in einen gemeinsamen Topf eingezahlt aus dem Webseite, Flyer, Plakate und Telefon finanziert werden. Durch die 44 Teilnehmer sind etwas weniger als 700 Euro zusammengekommen. Nicht alles wurde bisher gebraucht. Die Verantwortung wird geteilt: Jede Kulturstätte bestimmt Eintritt und Angebot ihres eigenen Programms, jede übernimmt freiwillig Aufgaben – oder eben auch nicht. So kümmert sich beispielsweise das Restaurant neontoaster um den Instagram-Account des Festivals und das Café Strudelka um die Pressemitteilungen. Über das Internet tauschen sich die Kulturstätten aus. “Das funktioniert über Schwarmintelligenz,” sagt Krizsai. “Jedes Programm wird genauso gut, wie die Teilnehmer es bestimmen.”

Gegen Förderung hat sich Krizsai ganz bewusst entschieden: “Wir haben uns nie um Förderung gekümmert.” Die Verantwortung und die einhergehenden Zwänge schrecken sie ab: Immer wieder Anträge ausfüllen, nach Ablauf des Förderzeitraums auf Verlängerung hoffen, Auflagen erfüllen. Haben die Akteure keine Lust mehr auf ein gemeinsames Kulturfestival, findet es nicht mehr statt.

Konkurrenz statt Kooperation

Bei zwei Kulturfestivals hört es nicht auf: Der Wedding hat viele kleine Kulturveranstaltungen zu bieten, teilweise sogar am selben Wochenende. Da gibt es beispielsweise das Musik im Kiez, die Panke Parcours, den Wedding Markt oder die Lange Nacht des Sprengelkiezes. Für Krizsai ist das kein Problem, wenn es nach ihr ginge, würden alle Kulturangebote kooperieren und zu einem großen Event verschmelzen. So hat sich die Konzertreihe Panke Parcours, die bereits zum dritten Mal stattfindet, dem 2 Tage Wedding Festival angeschlossen. “So können wir für sie und sie für uns werben und an dem Wochenende ist überall etwas zu sehen,” so Krizsai. Dass auch die Panke Parcours Förderung aus einem europäischen Fond erhalten, ist ihr egal. Nach ihrem Konzept der Schwarmintelligenz ist jeder für sich verantwortlich. Das Festival sei doch eigentlich nur ein Termin, auf den sich alle Kulturstätten für ihr Programm geeinigt hätten, so Krizsai.

Ein Herz für den Wedding

Ohne staatliche Förderung gibt es auch keine Abhängigkeit von politischen Entscheidungen. Beim 2 Tage Wedding Festival nehmen zwar ein paar wenige Akteure teil, die staatlich gefördert werden, der größte Teil jedoch finanziert sich eigenständig. Wenn Andrea Krizsai und ihre Mitstreiter es schaffen, Strukturen für weitere große Kulturveranstaltungen zu etablieren, ist für den Wedding viel erreicht – ein frei gestaltetes Programm – ohne Geld und staatliche Kontrolle. Kultur lebt schließlich nicht nur von Geld, sondern von dem Künstler, der Kunst und denjenigen, die sie genießen.


Enno Eidens studiert seit 2014 Deutsche Philologie sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU. Neben dem Studium schreibt er für das Campusmagazin FUrios und arbeitet für Zeit Online im Bereich Community Engagement. Als Wahl-Weddinger liegen ihm die vielen kleinen Probleme des Bezirk am Herzen.


Foto: Ulrike Thamm

Rike Runge ist 24 Jahre alt. Sie studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeitet nebenbei bei rbb|24. Seit fünf Jahren lebt sie im Wedding und beobachtet mit wachsendem Interesse seine Entwicklung.


2017-07-06T12:18:04+02:00 Kategorien: Berlin + Brandenburg, Lesen|Tags: , , , , , , , |