„Wir müssen Leute hier willkommen heißen“

„Wir müssen Leute hier willkommen heißen“

Bei großer Hitze warten hunderte Flüchtlinge vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo). Einige schon seit Tagen. Während sich der Staat nicht beeilt, den Flüchtlingen Hilfe zu leisten, starten Bürger eine neue Initiative.

Von Anastasia Boyarchenko

In Berlin steigt die Temperatur auf über 37 Grad. Jeden Tag, egal, ob es heiß oder knallheiß ist, stehen mehr als 800 Menschen in der prallen Sonne. Die Umstände, unter denen die Leute warten, sind weder gesund noch sozial.

Sie stehen da um eine Marke zu ergattern, die ihnen mit einer geringen Wahrscheinlichkeit einen Platz in einer Notunterkunft ermöglichen würde. Einige, wenn sie Glück haben, bekommen dennoch Gutscheine für Hostels. Die Betreiber akzeptieren sie aber nicht mehr. Es gibt auch keine medizinische Versorgung. Sprich: die Staatseinrichtung ist überfordert und kann nicht allen Einwanderern das Nötigste zukommen lassen.

Berliner bleiben nicht gleichgültig

Fabiola (22) und ihr Freund Gregor (26) helfen Flüchtlingen bei der Erstaufnahmestelle vor dem LAGeSo ©Anastasia Boyarchenko

Fabiola (22) und ihr Freund Gregor (26) helfen Flüchtlingen bei der Erstaufnahmestelle vor dem LAGeSo ©Anastasia Boyarchenko

„Wir waren auf dem Weg zum Strand, als wir über die Situation vor dem LAGeSo aus dem Radio erfahren haben. Wir wollten helfen und haben uns dann auf den Weg dahin gemacht“, erzählt Gregor (26), Student an der Humboldt Universität. Mit seiner Freundin Fabiola (22), die Russisch an der Humboldt Universität studiert, nimmt er oftmals an solchen freiwilligen Aktionen teil. „Ein- oder zweimal pro Woche fahren wir auch zu den Foodsharing-Stationen in Berlin, über die in den sozialen Netzwerken berichtet wird. Wir müssen die Leute, die nach Deutschland kommen, irgendwie willkommen“, sagt Gregor, während ein Kind aus seinem Kasten das letzte Stück Eis herausholt. Die beiden sind weggegangen, um noch mehr Eis zu holen. Eis sei das Wenigste, um den Kindern eine Freude zu machen, die auf einmal mit dem harten Leben der Erwachsenen konfrontiert werden.

Breite Netz-Kampagne für Geflüchtete

Die Koordination von Freiwilligen auf dem LAGeSo-Gelände wurde über das Internet gesteuert. „Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend. Ihr seid die Besten“, schreibt Lena Lane in der „Gruppe Koordination Hilfe für Flüchtlinge LAGeSo“ auf Facebook. In ein paar Stunden wird gepostet, dass es genug Bedarfsartikel gibt, nur Müllsammler- und Lebensmittelverteiler werden dringend gebraucht. Es ist kein Wunder, wenn man zum LAGeSo-Gelände kommt: unter der prallen Sonne, umgeben von notleidenden Menschen, darunter auch Kindern, hält man bestenfalls eine halbe Stunde durch.

Um alles wird in der Not gekämpft, um Shampoo, Seife und Zahnpasta. ©Anastasia Boyarchenko

Um alles wird in der Not gekämpft, um Shampoo, Seife und Zahnpasta. ©Anastasia Boyarchenko

Max (33) ist es gelungen, ein bisschen länger zu bleiben. „Die ganze Bewegung wurde auf Facebook in Gang gesetzt. Es steht gar nicht in Frage, ob ich weitermachen werde. Den Leuten hier geht’s ja viel schlimmer“, erzählt Max. Bei 39 Grad verteilt er Hygiene- und Babysachen sowie Klopapier. Um ihn herum laufen Kinder mit ausgestreckten Händen. Ihren ersten Sprachkurs haben sie bereits gemacht: Mit „Hallo“, „Shampoo“ und „Bitte“ versuchen sie Max´s Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Sack mit Hygieneartikeln ist in ein paar Augenblicken leer. Nach einer kurzen Pause geht es wieder los.

Nach dem monatelangen Versagen seitens der Beamten und mehr als drei Wochen ehrenamtlicher Tätigkeit gibt es endlich die ersten Fortschritte in Bezug auf die Lage der flüchtenden Menschen in Berlin. Nun erhält das LAGeSo mehr Personal aus anderen Verwaltungen, um die Wartezeiten für Asylbewerber_innen zu verkürzen. Außerdem werden Menschen mit medizinischer Hilfe versorgt. Das sei aber noch keine zufriedenstellende Lösung, so eins der Mitglieder der „Gruppe Koordination Hilfe für Flüchtlinge LAGeSo“. Die Hauptsache ist aber, dass sich bei mehr und mehr Menschen nicht Hass sondern Sympathie und Mitgefühl gegenüber denjenigen breit machen, die auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland gekommen sind.


Anastasia Boyarchenko, 22 Jahre alt, kommt aus Moskau und studiert dort internationale Beziehungen an der MGIMO-Universität und der Freien Universität Berlin. Als Teilnehmerin des DAAD-Programms „Journalisten International“ ist sie zwei Monate als Hospitantin im Politikressort von ZEIT ONLINE tätig.